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Felix Mendelssohn Bartholdy zum Todestag   08.11.2008   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Bereits anno 2007 hatte sich das Leipziger Hochschulsinfonieorchester fürs Mendelssohn-Gedenkkonzert vom hauseigenen Großen Saal in den ebenso benannten des Gewandhauses begeben, und diese Maßnahme kam auch anno 2008 wieder zur Anwendung und erwies sich als richtig, denn obwohl der Gewandhaussaal nur etwa zur Hälfte gefüllt war, so entsprach dies doch einer Anzahl von Menschen, die man in der Hochschule nicht hätte unterbringen können. Die störten sich ganz offensichtlich nicht daran, daß Mendelssohn dieses Jahr nun keinen runden Todestag mehr hat, sondern sahen das Konzert möglicherweise eher als Einstieg in die großen Mendelssohn-Festivitäten des Jahres 2009, wenn die kultivierte Musikwelt des 200. Geburtstages des großen Komponisten gedenkt.
Die erste Hälfte des Konzertes gehört ausschließlich zwei Mendelssohn-Werken, zwei äußerst populären noch dazu. Die Eröffnung bildet die Ouvertüre zum Schauspiel "Ruy Blas", ein kompositorischer Schnellschuß von trotzdem exquisiter Qualität, für den die Großbesetzung des Hochschulsinfonieorchesters ein bißchen Anlaufzeit braucht - man versemmelt die erste Streicherpassage, auch der erste Paukeneinsatz kommt zu früh, und erst ab dem Bläserruf stellt sich mehr und mehr die nötige Paßgenauigkeit ein, die ihren Gipfel in der guten strukturellen Arbeit unter den Celloleads findet. Leider baut das Orchester dann wieder etwas ab, vor allem der schräge Schlußton tut schon relativ weh und macht den überwiegend durchaus guten Eindruck ein Stück weit zunichte.
Noch populärer ist das zweite Stück des Abends, nämlich das Violinkonzert e-Moll, mit dem sich das Orchester bewußt in eine harte Konkurrenzlinie stellt. Hört man dieses Stück im Gewandhaus, hat man automatisch Kurt Masur und Anne-Sophie Mutter vor seinem geistigen Ohr, und unabhängig davon, wie man deren Interpretation bewerten mag, so fällt ihr großer Schatten doch auf jede andere Aufführung am gleichen Ort. Sich davon nicht beeinflussen zu lassen ist keine leichte Aufgabe, aber das Orchester und die junge, nichtsdestotrotz etwa durch eine Konzertmeisterposition im Landesjugendorchester Sachsen-Anhalt schon äußerst erfahrene Violinistin Karoline Schulze stellen sich ihr mit Mut und Energie. Leider muß, obwohl das Publikum überwiegend anderer Meinung ist, die Aufgabe als nicht gelöst bilanziert werden - die Aufführung ist nicht schlecht, aber auch nicht gut. Das Hauptproblem bildet dabei, daß Solistin und Orchester nie einen richtigen Draht zueinander finden - sie spielen gleichzeitig, aber nicht miteinander. Deutlichstes Anzeichen für dieses Problem ist die Passage im dritten Satz, wo die Flöten und die Soloviolinen in einen Dialog treten, sich aber hörbar nie auf eine gemeinsame Sprache, was Rhythmusfeinschliff und ähnliche Dinge angeht, einigen können. Dirigent Ulrich Windfuhr greift hier auch nicht ein und läßt die Zügel auch an anderen Stellen eher schleifen, wobei sich die Probleme an einzelnen Stellen bunt aufs ganze Orchester verteilen - mal greifen die Trompeten voll daneben (zweiter Einsatz im dritten Satz), mal finden alle nicht so richtig zueinander, wie das holpernde Intro des zweiten Satzes beweist. Gut, absolute Perfektion kann man von einem nicht ständig gemeinsam arbeitenden Studentenorchester nicht erwarten, aber die jungen Leute stellen zwischendurch immer wieder unter Beweis, was sie können, und das schürt eben die Erwartungshaltung. So gelingen weite Teile des zweiten Satzes nach dem holprigen Beginn dann doch recht ordentlich, und wenn die in ein weinrotes Kostüm gehüllte Solistin (die gleiche Farbe hatte doch schon Marie-Elisabeth Hecker vor einem Jahr im gleichen Kontext gewählt - wird die jetzt Pflicht? :-)) ihr Instrument hier phasenweise noch ein wenig mehr hätte "singen" lassen, hätte sie diverse Probleme aus dem ersten Satz fast vergessen machen können, und damit ist nicht der ungewollte Saitenschnipser kurz vor Schluß gemeint (der allenfalls unter Beweis stellte, daß hier eben doch noch Menschen musizieren und keine Automaten), sondern etwa die irgendwie gequält und unsauber wirkenden höchsten Töne in der Kadenz. Als hörbar geht auch der dritte Satz zu großen Teilen durch, aber auch er offenbart noch massig Steigerungspotential, so daß sich das Publikum mit lauten Bravi dann doch wohl eher selbst beweihräuchert (oder sich halt freut, daß es dieses schöne Stück mal wieder live gehört hat) und die Solistin noch zu einer äußerst meditativen Zugabe herausfordert.
Ein Bezug zwischen Mendelssohn und Bela Bartók ließe sich nur unter gewissen Schwierigkeiten konstruieren, und so versucht das Programmheft dies auch gar nicht erst. Trotzdem erweist sich Bartóks Konzert für Orchester als erstklassige Wahl, denn hier macht das Orchester skurrilerweise vieles von dem richtig, was im Mendelssohn-Violinkonzert noch für akutes Stirnrunzeln sorgte. Gut, die Hektik, die vielen Teilen des 1943 geschriebenen Bartók-Werkes innewohnt, muß man logischerweise anders spielen als die 100 Jahre älteren Mendelssohn-Werke, aber gerade darin wissen die Studenten zu glänzen, wenngleich sie diesmal auch die zurückhaltenderen oder sinistren Passagen gut hinbekommen. Das geht gleich im Eröffnungsteil los, der in die Kategorie "sinister" fällt; auch die Flöten sitzen besser, der Blechchoral ist schön, wenngleich er gegen die Intensität der in diesem 1. Satz noch folgenden großen Blechparts nicht ankämpfen kann. Diese nämlich stellen richtig großes Kino dar, den nicht mal ein weiterer Patzer vor dem finalen Hornlärm entscheidend trüben kann. Satz 2 bietet kompetent gespielten Holzbläserjazz, der an eine Kreuzung aus dem "Tanz der Zuckerfee" und "Heinzelmännchens Wachtparade" erinnert, während Satz 3 mit einem düsteren Baßintro einsetzt, das den Eindruck erweckt, ein misanthropischer Komponist habe sich Pachelbels Kanon als zu verdüsterndes Vorbild genommen. Parallelen zu "Bruder Jakob" im dritten Satz von Mahlers 1. Sinfonie sind deutlich erkennbar, und an Mahler denkt man im Verlaufe dieses zerrissenen Satzes noch öfter, wenngleich Bartók auf andere Weise zerrissen komponiert als Mahler, aber auch anders zerrissen als die Legionen von Neutönern. Jedenfalls zerschnippelt das Orchester den roten Faden hier im rechten Maße und bekommt auch den eher harmonisch beginnenden vierten Satz gut hin, so daß man sich in den raumgreifenden Parts fast an Smetanas Moldau versetzt fühlt. Später wird's ungarisch, auch noch im fünften Satz, wo Windfuhr das Orchester eine Extraportion Paprika ins Menü kippen läßt. Als erstklassig in Szene gesetzt darf jedenfalls die lange Steigerung bis zur Strukturierung des eröffnenden Speedinfernos gelten, und einzelne Instrumentengruppen können sich auch im weiteren Verlaufe dieses Satzes noch eine Hervorhebung ins Stammbuch schreiben lassen, etwa das Holz mit seiner guten Fuge oder auch die Trompeten mit den prima Soli, die sie unter den Orchesterspeed legen. Auch die Dynamikkurve hat der Dirigent im Griff, der letzte Satz wogt noch ein paarmal hin und her, bevor auf ein letztes sinistres Break ein sehr plötzlicher Triumph folgt. Speziell dieser fünfte Satz zeigt, was dieses Orchester kann (und Freunde von Epic Hollywood Metal werden hier eigentümliche Assoziationen ins Hirn gebeamt bekommen haben), und man fragt sich halt nur, wieso das vorher nur vereinzelt aufgeblitzt ist - im Bartók-Konzert summiert deutlich häufiger als beim Mendelssohn. Beantworten können die Frage wohl nur die nächsten Konzerte, deren Termine man auf www.hmt-leipzig.de finden kann.



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