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HMT-Jazzfest   02.-04.05.2008   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von *tf

Das von der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" in Leipzig erstmalig durchgeführte Jazzfest verknüpfte eine Reihe von öffentlichen Workshops mit drei Konzertabenden, um die Vielseitigkeit ihrer Jazz-Studiengänge zu zeigen. Ich besuchte die abendlichen Konzertveranstaltungen und werde mich spagatübender Weise bemühen, im Folgenden einen ebenso konzentrierten wie detailreichen Bericht davon zu erstatten.

Der erste Abend stand zunächst im Zeichen der Begegnung zwischen Musik und Tanz. Zur Aufführung kam das bereits im Vorfeld arg gehypte Stück "Freeze" in der Choreographie von Irina Pauls, künstlerische Leiterin des Leipziger Tanztheaters. Bevor es zur Sache ging, hatte der nahezu ausverkaufte Konzertsaal der HMT ausgiebig Gelegenheit, das stimmungsvoll ausgeleuchtete Ambiente der Bühne zu betrachten. Und dies ganze 30 Minuten lang - so sehr verzögerte sich der Beginn des Spektakels. Nach der Eingangsmoderation der Professoren Ralf Schrabbe und Werner Neumann - die schon im jeweiligen Dresscode zeigten, dass man Jazz sehr variabel deuten kann - zeigte erlösendes Klatschen des Auditoriums die Freude desselben, dass des Wartens nun ein Ende war. Ein exzellent besetztes Trio (Schrabbe - p, Schüler - perc, Wehrbach - b) brachte in der darauf folgenden Dreiviertelstunde einen zwischen Latin und Jazz pendelnden Ohrenschmaus hervor, bei dem es vor allem der Percussionist vermochte, Akzente zu setzen. Die an der Performance beteiligten zwei Tänzerinnen und ein Tänzer (Escalé, Jefferson, Guist) versuchten innerhalb der durch den Rahmen vorgegebene Geschichte versuchter und scheiternder Erfahrung von Sinnlichkeit ihr Bestes, verhakten sich dennoch all zu oft in der Beliebigkeit der Choreographie, die immer dort dramaturgische Schwächen zeigte, wenn die Handlung zu leben begann. So tanzten die Akteure in einer Art Nummernprogramm mit in der zweiten Hälfte eingestreuten vordergründigen Slapstick-Passagen eher aneinander vorbei als miteinander, wurden durch überflüssige Pausen im Stück zusätzlich in ihrem Elan ausgebremst. Die dennoch wunderbar sich bewegende Viviana Escalé musste zu allem Überfluss auch noch einen Gesangspart bewältigen, der die alte Weisheit, dass nicht jede Tänzerin auch eine gute Sängerin sein muss, ohrenscheinlich bestätigte. Die sich in Grenzen haltende Begeisterung des Publikums am Ende der Darbietung zeigte denn auch deutlich, dass sich viele sehr viel mehr erhofft hatten, als geboten wurde. Ob man es nun in den Worten meiner fachkundigen Begleiterin "eine Choreographin, die nichts (mehr) zu sagen hat" ausdrücken möchte oder es wie die Sonnenuhr hält, bleibt jedem selbst überlassen. Fest steht zumindest, dass konsequente Dramaturgie anders aussieht.
Zur zweiten Darbietung des Abends war das Publikum bereits deutlich dezimiert. Und das war ärgerlich, zeigte doch das Evgeny Ring Quartett (Ring - sax, Stiehler - p, Rohmer - b, Ehlert - dr), welch großes Nachwuchspotential an der HMT vorhanden ist. Ein gelungener Mix zwischen Bebop- Anleihen und gefühlvollem Balladesken, dem lediglich noch etwas Biss und Lockerheit fehlt. Dazu kam ein deutlich schlechterer Sound, der - den zahlreichen Hilfewinken von der Bühne aus zu urteilen - auch am Ort des Geschehens nicht optimal war. Das Set, dem aus Zeitmangel infolge der Verzögerung zu Beginn der letzte Titel geopfert werden musste, ging von Beginn an richtig los und gab dem sehr jungen Bandleader ausgiebig Gelegenheit, sein überdurchschnittliches Talent unter Beweis zu stellen.
Den Schlusspunkt des Abends setzte die "Spielvereinigung Sued" - ein aus der HMT BigBand hervorgegangenes 20-köpfiges Ensemble unter der souveränen Leitung von Rolf von Nordenskjöld. Ein stimmungsvolles Medley, in dem zur Freude des Auditoriums unter anderem "Horch, was kommt von draußen rein", "Es geht ein dunkle Wolk' herein", "Hänsel und Gretel" sowie "Kling Glöckchen" "verwurstet" wurden, markierte den Beginn einer stimmungsvollen knappen Stunde, die vor allem das Arrangement-Talent einiger Ensemblemitglieder eindrucksvoll zu Gehör brachte. Hervorzuheben wäre hierbei der als Vokalist aktive Matthias Knoche, der seine wandlungsvolle Stimme in den Titeln "Cloudburst" und "Peacocks" hervorragend zu platzieren verstand. Wenn auch einige der Musiker ihre kurzen und knappen Soli gleich vom Platz aus hätten darbieten sollen, bleibt ein durchaus respektabler Gesamteindruck. Schade, dass sich der Saal nun zunehmend leerte, noch dazu unpassender Weise - nämlich bevor der Titel "Leaving" intoniert wurde. So verpassten die bereits nach Hause Gegangenen auch das bemerkenswerte expressive Solo des Saxophonisten Volker Dahms, dem man gern auch länger gelauscht hätte.

Der zweite Konzertabend stellte - abgesehen vom zahlenmäßig geschrumpften Publikum - ohne Zweifel eine deutliche Steigerung zum vorhergegangenen dar, was auch für den Sound galt, der erheblich besser war. Das Arne Donadell Trio feat. Eduard Neufeld & Antonio Lucacio (Donadell - p, E. Neufeld - sax, Lucacio - sax, S. Neufeld - dr, Wehrbach - b) zeigte genau die Bissfestigkeit, die dem Quartett um Evgeny Ring noch fehlte, und begeisterte mit melodiösem Modern Jazz und darin eingebetteten Ausflügen in expressive Bereiche. Eine wahre Ohrenweide war besonders der arg junge Trommler, der ebenso filigran wie komplex spielte - oft beides zur gleichen Zeit. Bandleader Donadell setzte sparsame, dann aber äußerst effektvolle Akzente und hielt das Ganze auch dann zusammen, wenn das musikalische Treiben ins Übermütige geriet. Seine Qualitäten im Songwriting waren über jede Kritik erhaben, was sich auch darin zeigte, dass das Publikum während des zweiten - balladenartigen - Stücks vor emotionaler Hingerissenheit geradezu vergaß, die Soli pflichtgemäß zu beklatschen. Das Trio selbst spielte wie ein einziges Instrument und breitete damit den roten Teppich für die beiden Saxophonisten aus, den diese von Anbeginn an (Neufeld) bzw. ab der Mitte des Sets (Lucacio) weidlich nutzten.
Nach der Pause ging zunächst ein erstauntes Raunen durch den Saal, da auf der instrumentenbestückten Bühne lediglich ein etwa dreijähriger Knirps saß, welcher einen Gehörschutz übergestreift hatte. Dieser gehörte - wie sich schnell herausstellte - zum Bandleader des Michael Arnold Quintett feat. Michael Harrer (Arnold - sax, Harrer - tb, Roth - dr, Eichhorn - b, Ruppert - g) und verblieb mit dem Rücken zum Publikum bis zum Ende des Sets in fast bewegungsloser Pose. Die Mannen um Papi Arnold spielten eine seltsame Mischung, die man am ehesten als Old School Modern Jazz beschreiben könnte, in welchem der Swing deutlich heraushörbar war. Leider war der Bass viel zu leise eingepegelt, so dass man ihn eher sehen denn hören konnte. Damit blieb nicht nur ein Gutteil des Grooves leider auf der Strecke, auch das durchaus hörenswerte Basssolo verpuffte im Off. Wirkungsvoller waren dagegen Zwiegespräche zwischen Sopransaxophon und Schlagzeug, in dem das lyrisch Geblasene schlagtechnisch so gekonnt pariert wurde, dass so etwas wie romantische Stimmung erst gar nicht aufkommen konnte. Leider wurde aus Zeitgründen darauf verzichtet, ein in der Setlist enthaltenes 7/4-Stück - einer Taktart, die, so Arnold, "in der Rhön, wo ich herkomme, gar nicht existiert" - zu spielen. Damit endete das Quintett in einer versöhnlichen Ballade und Sohn Valentin konnte seinen Gehörschutz abnehmen und mit Vati einen tapfer ersessenen KiBa trinken gehen.
Damit war auch der richtige Moment abgepasst, um die Bühne mit der 22-köpfigen HMT BigBand zu füllen, welche die Musik von Jimi Hendrix in einer völlig abgedrehten Version darbot. Hier hätte auch kein Gehörschutz mehr genützt, da der Techniker das ohnehin starke Gebläse zusätzlich und dazu ordentlich verstärkte. Die Idee einer Orchestrierung von Hendrix-Songs für BigBand stammt, wie das wissbegierige Publikum von den professoralen Conferenciers der ersten Stunde erfuhr, von Miles Davis, der damit Gil Evans beauftragte. Leider wurde aus der damals geplanten Aufführung nichts, da sich Meister Hendrix eine Woche davor für immer verabschiedete. Dennoch eine tolle Idee, die Bandleader Bernd Lechtenfeld bereits vor 10 Jahren mit eigenen Arrangements in Köln umsetzte und nun in Leipzig vorstellte. Ein furioses Unternehmen mit einem starken Daniel Splitt am Mikrofon, der in Songs wie "Foxy Lady", "Gipsy Eyes" und anderen seine bemerkenswerte Röhre zu Gehör brachte. Die schmissigen Arrangements zeigten einen BigBand-Sound, der quasi elektrifiziert schien und die Zuhörer förmlich von den Sitzen riss. Erwähnenswert auch Konrad Schreiter, Lead-Trompeter des Ensembles, der ein hörenswertes Solo fabrizierte, sowie die Rhythmusgruppe um Dominique Ehlert, die nicht nur die Grundlage für funkige Einwürfe der Bläserfraktion ermöglichte, sondern auch überraschende rhythmische Verläufe souverän meisterte. Ausflüge in FreeJazz-Gefilde gab es ebenso zu bestaunen wie den Sound einer originalen Hammond-Maschine. Wenn nun noch das von Philipp Richter (perc & keyb) bediente Keyboard einen authentischen FenderRhodes-Sound erzeugt hätte, wäre alles mehr als wunderbar gewesen. So blieb ein fassungslos staunendes Publikum, welchselbigem ein solch musikalisches Feuerwerk wohl bisher nicht widerfahren war und dieses nun frenetisch feierte. Ohne eine Zugabe ging das Ensemble nicht von der Bühne und brachte mit "Red House" die Stimme Splitts noch mal ganz nach vorn.

Nach soviel Begeisterung würde es schwer fallen, einen dritten Abend in Steigerung zu erleben. Und der Beginn des Sonntagabendkonzertes schien dieser Vermutung recht zu geben. Das Jörg Wähner Quartett (Wähner - dr, Sembritzki - g, Ring - sax, Suslov - sax) startete sehr verhalten mit dem Titel "That's The Answer" - nach Bekunden des Bandleaders eine musikalische Antwort auf die kreativen Ergüsse von Dozenten, die diese "in fünf Minuten auf dem Klo" zustande bringen. Die reduktionistisch angelegte harmonische Struktur des Openers ließ den Saxophonisten zwar viel Raum zu Entfaltung, vermochte jedoch nicht, diese wirklich zu inspirieren. Bereits der folgende Titel "Zwickmühle" jedoch knallte dafür aufs Prächtigste: treibender Modern Jazz mit einer Vielzahl rhythmischer Verschiebungen und synkopischer Attacken. Dieses Grundmuster wurde auch im Folgenden beibehalten und resultierte einen quicklebendigen Mix irgendwo zwischen Kenny Garrett und John Zorn, dem man auch gern länger gelauscht hätte. In die Pause wurde man durch ein Cover des Portishead-Songs "Roads" entlassen, der auch in derselben noch lange nachklang.
Der folgende Act war übertitelt mit "Die Profs der Fachrichtung Jazz feat Johannes Enders" und brachte mit Beirach - p, Schrabbe - p, Köbberling - dr, Berns - b, Enders - sax und Neumann - g Könner ihres jeweiligen Fachs auf die Bühne, deren Lob Eulen nach Athen tragen ließe. Mittelpunkt der Combo war zweifellos der mit komödiantischen Talent geschlagene Richie Beirach, der nicht nur durch seine kraftvolle wie perlende Spielweise zu beeindrucken wusste und auch während des kollegialen Pausierens mit Schrabbe am Flügel seine Kollegen lautstark vom Bühnenhintergrund aus anfeuerte, sondern sich auch noch farblich knapp vorbei und dennoch passend zum bereitstehenden roten NORD-Stage in ein pinkfarbenes T-Shirt gezwängt hatte. Als wohltuend fiel auf, dass die Dozenten selbst zwar fluffig spielten und ihre Songs mit großer Lässigkeit - angefeuert von den im Publikum mittlerweile stark vertretenen Studiosi - zelebrierten, nie aber versuchten, dem Nachwuchs durch übertriebene Originalität die Schau zu stehlen. Hier wurde die bereits am ersten Konzertabend ausgegebene Maxime des Musizierens "auf gleicher Augenhöhe" sinnfällig umgesetzt und dennoch auf unaufdringliche Weise gezeigt: So geht's, Leute! Das Auditorium belohnte dieses Bemühen mit dem energischen Ruf nach einer Zugabe, welche gern gewährt wurde.
Schlusspunkt des Jazzfestes war eine Konstellation, in der die HMT BigBand zusammen mit drei Jazzmusikerinnen zu hören war. Wie die Organisatoren der Veranstaltung nicht müde wurden hinzuweisen, geschah dies nicht etwa vor dem Hintergrund einer Auflage der Hochschul-Gleichstellungsbeauftragten oder einer "Ladies in Jazz"-Idee, sondern aus rein künstlerischen Gründen. Und so waren es dann Julia Hülsmann - p, Karolina Strassmayer - sax und Pascal von Wroblewski - voc, die gemeinsam mit der HMT BigBand, die in einer Art running gag während des gesamten Auftritts nur "die Band" genannt wurde, konzertierten. Auch hier stellte "die Band" wieder einmal unter Beweis, dass sie nicht nur klar und präzise, sondern auch durchaus funkig spielen kann. Ein besonderer Hingucker war Bassist Fabian Werner, der vor allem im dritten Titel wie um sein Leben spielte und dabei nur bedingt angestrengt wirkte. Schade war für alle Hülsmann-Fans - zu denen ich mich auch nach diesem Konzert nicht wirklich zählen kann -, dass diese kaum akustisch zu vernehmen war. Auch ein kurzer Blackout des Technikers beim Strassmayer-Solo im vierten Titel, welcher dazu führte, dass man das Instrument erst nach einigen Takten zu hören bekam, trübte das Hörvergnügen, zeigte aber zugleich, dass auch ein Techniker nur ein Mensch ist. Und irgendwann ist dann eben Schluss mit lustig. Auch bei mir zeigten sich mittlerweile erste Verfallserscheinungen hinsichtlich des Überhörenkönnens nicht so gelungener Passagen, zu denen sicherlich der kurze Gastauftritt von Diego (?) gehörte, der den Titel "Who's Smoking?" ziemlich hart zertrommelte. Insgesamt 10 Titel inklusive verdienter Zugabe spielten die Damen gemeinsam mit "die Band" und konnten somit die längste Setlist des Jazzfestes für sich verbuchen.

Als Fazit bleibt eine gelungene Veranstaltung, die nicht nur der Jazztradition der Messestadt angemessen ist, sondern auch das Potenzial der HMT zu zeigen vermochte. Es bleibt zu fragen, warum der Jazzclub Leipzig nur am letzten Abend mit einem "Späher" vertreten war und sonst so gar nicht organisatorisch wie personell in Erscheinung trat. Auf eine Fortsetzung des Konzepts ist ebenso zu hoffen wie auf eine zukünftige stärkere Wahrnehmung des Events in der Öffentlichkeit.
 






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