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Vicki Vomit & die misanthopischen Jazz-Schatullen, Bruno Kolterer   25.04.2008   Leipzig, Anker
von rls

Nachdem Vicki Vomit und seine erstaunlicherweise seit Jahren nicht mehr umbenannte Begleitband mit "Für'n Appel und 'n Ei" eine ihrer besten Platten, auf jeden Fall aber ihre aus rein musikalischer Hinsicht wertvollste, abgeliefert haben, durfte man auch auf die anstehenden Gigs gespannt sein; der Rezensent schaffte es nicht, einen derjenigen im unmittelbaren Nachgang des CD-Releases zu besuchen, aber auch jetzt, anderthalb Jahre später, ist das Grundgerüst des Livesets offensichtlich immer noch das gleiche gewesen. Als Support betrat im nicht vollen, aber auch nicht leeren Anker Bruno Kolterer die Bühne - richtig, ein Alleinunterhalter, und der unterhielt deutlich besser als der "Master Of Hellfire" Hubertus, also Vickis Mann für die Special Effects, dem man kurzerhand auch noch die Moderation des kompletten Abends untergejubelt hatte, wobei das Niveau zeitweise in beachtliche Tiefen fiel. Das soll nun nicht bedeuten, daß das knappe Dutzend Songs, das uns Jüngling Kolterer kredenzte, das Ultimativste seit der Erfindung der von ihm akkordisch-basisch gespielten elektrischen Gitarre dargestellt hätte - aber es fanden sich doch einige sehr niedliche Exempel darunter, gespickt bisweilen gar mit Lebensweisheiten, die man dem sich als deutlich unerfahrener inszenierenden Barden gar nicht zugetraut hätte. Das ging schon im Opener los, als sich Bruno beklagte, daß ihn seine Lebensabschnittsgefährtin in einer Situation, als man ihm seine schlechte Lage deutlich angesehen habe, auch noch mit den Worten "Du siehst heut' scheiße aus, mein Schatz" auf ebenjene Lage hingewiesen habe, anstatt ihn zu trösten; herübergebracht wurde dieser Song mit einer beachtlichen Wort- und Situationskomik, die in nicht allen seiner Songs auf derartiger Qualitätshöhe diagnostiziert werden konnte, wenngleich die Erkenntnis, daß man alt wird, wenn einen der um einen Euro schnorrende Punker mit Sie anspricht, in derartig prägnanter Form wohl noch nicht auf die Bretter, die die Welt und bisweilen auch den Holzweg bedeuten, gebracht worden war. Auf dem Holzweg befand sich Bruno Kolterer (ein Thüringer Heimatgenosse des Headliners) mit Songs wie "Zwei linke Schuhe" sicher nicht und konnte achtbaren Applaus einheimsen, und die Begleiterin des Rezensenten brachte mit dem Satz "Er hat aus dem Leben erzählt" die Sache auf den Punkt.
Vicki Vomits Begleittruppe war nicht nur nicht umbenannt worden, sondern spielte auch in der gleichen Besetzung wie auf der eingangs erwähnten neuen CD. Das "Trabiriders"-Intro erklang diesmal in der technoziden Version, deren Beats Schlimmes für die Soundverhältnisse des Abends erahnen ließen, was in dieser Absolutheit aber dann doch nicht eintreffen sollte, denn nachdem der Soundmensch das in den ersten Songs deutlich zu laute Schlagzeug (besonders die HiHat ließ einem die Ohren klingeln) in den Griff bekommen hatte, konnte man sich über einen recht ordentlichen Sound freuen (was ja gerade bei den humorseitig subtileren neueren Vicki-Songs von Bedeutung ist, denn da wächst die Wichtigkeit des Textverstehens in der Livesituation enorm), der lediglich noch einzelne Problempunkte offenbarte - so war in "Stoi, Bär!" das große Stoiber-Sample in der Songmitte über weiteste Strecken akustisch nur erahnbar, womit der Song seine Pointe und seinen fast kompletten Witz verlor. Zum Glück sollten solche Problemfälle recht selten bleiben. Erwartungsgemäß dominierte das Material der neuen CD den Hauptset, neben "Hartz IV" als Opener und dem erwähnten "Stoi, Bär!" hatten noch fünf weitere Songs von dieser Platte den Weg in den Liveset gefunden, wobei aufgrund des fast homogenen Qualitätslevels fast egal gewesen wäre, um welche es sich denn handeln würde; nicht gespielt wurden "Der Kannibale von Rotenburg", "Getränkeunfall" und "Der Affe", wobei man gerade letztgenanten Song ja eigentlich zwar aufwendig, aber äußerst showwirksam hätte umsetzen können - wozu hat man denn den "Master Of Hellfire" dabei, der seinen großen Auftritt, eine erstklassige W.A.S.P.-Parodie, während "Wohin mit Omas Leiche" hatte? Dieser Song stand übrigens relativ weit am Setende, und über große Strecken des Sets war das an dritter Stelle plazierte "Hallo Herr Minister" der einzige Uralttrack geblieben, was möglicherweise den einen oder anderen Altfan etwas vergnatzt hat, den Rezensenten allerdings ganz und gar nicht störte, da das Humorlevel gerade der damals noch häufiger fäkalorientierten Songs nur partiell mit dem seinigen deckungsgleich ist. Coverversionen gab's diesmal übrigens gar keine, Verkleidungsspielchen außer dem genannten auch nicht, und so fielen unter den Punkt "Showeffekt" im Prinzip nur noch das während "Flugzeug vor dem Fenster" an einer Leine durch den Saal"himmel" rasende und dann explodierende Modellflugzeug sowie der auch im Booklet zur neuen CD zu sehende druckluftbetriebene Riesenphallus, der den in "Anna Bolica" beschriebenen Problemfall (die Spitzensportlerin stellt sich im Bett als Mann heraus) verdeutlichte. Dafür ist die neue Besetzung aber die zweifellos musikalisch anspruchsvollste seit der vor ca. 10 Jahren mal kurz aufgetretenen Quintett-Experimentalbesetzung, und das wurde auch an diesem Abend mit einem starken altrockorientierten Set deutlich, wenngleich die sehr starke Fixierung Ines Nabels auf ausgesprochen historische Tastensounds auf die Dauer ein wenig monoton zu wirken drohte. Mit einer großen Portion Spielfreude machte das Thüringer Quartett plus sächsischer Quotendrummer dieses kleine Manko aber schnell vergessen, und nur die Showdramaturgie litt etwas unter den nahezu nach jedem Song durchgeführten Instrumentenwechseln, welche die eine oder andere Stimmungslücke erzeugten. Eine Stimmungslücke entstand übrigens auch nach dem Ende des Hauptsets, da das Publikum offensichtlich verlernt hatte, mit welchem Wort man eine Zugabe einfordert; es bekam als erste somit nur eine kurze, nämlich ein Medley aus "Orbeidslos un Spoß dorbei" und "Kleine Meerjungfrau" - da es sich hernach etwas geschickter beim Einfordern weiterer Zusatzleistungen anstellte, fielen die Zugabenmedleys 2 und 3 (hier kamen ausschließlich alte bis sehr alte Songs zum Zuge, die das textliche Niveau bisweilen in den Keller rutschen ließen, wenngleich die richtigen Peinlichkeiten in den Archiven blieben und man mit "Liebe mit Claudia" - der einzige "Bumm Bumm"-Beitrag, und "Ich mach's für Geld", das stärkste der alten Alben, blieb bis auf das abgewandelte Intro/Outro leider ganz außen vor - oder "Ich habe Steffi Graf gekillt" sich immer wieder an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zog) dann auch etwas länger aus, und die Gesamtspielzeit dürfte wieder so um die zwei Stunden betragen haben - zwei überwiegend lohnende Stunden.



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