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Kulturshock   25.03.2008   Leipzig, Nato
von rls

Die Verknüpfung osteuropäischer Folklore mit eher abendländisch geprägter Beatmusik ist in der heutigen Musikwelt ja nichts sonderlich Ungewöhnliches mehr - man denke beispielsweise an die ebenfalls in diesem Update rezensierten 44 Leningrad. Deutlich seltener allerdings sind die Bands, welche diese Verschmelzung auf der Basis südosteuropäischer, also dem Balkan entstammender Folklore vornehmen. Eine derselben, nämlich Kulturshock, gastierte zum bereits fünften Mal in Leipzig und hat sich mit den vergangenen Auftritten offensichtlich schon eine Art Kultstatus erspielt - die Nato war jedenfalls brechend voll, und der nichtrauchende Besucher pries in Gedanken das herrschende Rauchverbot, welches das Raumklima trotzdem noch im verträglichen Rahmen beließ, wobei angesichts der drangvollen Enge zumindest in einigen Teilen der Lokalität ein Umkippen physikalisch aufgrund des Satzes, daß zwei Körper nicht zur gleichen Zeit am gleichen Ort sein können, sowieso unmöglich gewesen wäre. Der etwas zu spät eingetroffene Rezensent konnte nicht wesentlich weiter als bis in den Eingangsbereich des "Hauptsaals" vordringen, hatte dort aber gute Sicht- und sehr gute Soundbedingungen; dankenswerterweise hielt sich der Soundmensch von unkontrollierten Phonorgien fern, und nur die große Trommel, zu der der Sänger in zwei, drei Songs zusätzlich griff, ging dann, wenn sie sich gegen die komplette Band hätte durchsetzen müssen, akustisch unter, entfaltete aber wiederum in einem halbballadesken, nur von der Leadgitarre und eben ihr bestrittenen Part einen äußerst eigentümlichen Klangreiz. "Komplette Band" bedeutet in diesem Fall sechs Menschen, neben dem erwähnten Sänger noch eine komplette Rockbesetzung mit zwei Gitarren, Baß und Drums und als folkloristische Zutat noch ein Violinist dazu. Das große Paradoxon an der Band ist ihre lokale Zusammensetzung: Der Sänger und der eine Gitarrist kommen aus Bosnien (wobei der Sänger Serbe ist und der Gitarrist Kroate - hier haben wir also ein gelebtes Exempel der Völkerverständigung), der andere Gitarrist und Bandgründer aus Bulgarien, der Violinist und der Schlagzeuger aus den USA, und der Bassist schlußendlich war ein kleiner drahtiger Japaner, der übrigens schnell zum Publikumsliebling avancierte, ein Slayer-Shirt trug (wobei dieses keinen aktiven Einfluß auf den Set ausübte - aber das wäre doch mal 'ne Idee: "Seasons In The Abyss" etwa könnte in der Balkanrockversion richtig cool rüberkommen) und gängigen Klischees eines Japaners entsprach, indem er in einigen Songs einzelne Gesangsstrophen mit einer piepsig-hohen Stimme beisteuerte. Dieses Sextett nun fabrizierte die eingangs erwähnte Melange aus südosteuropäischer Folklore und bezüglich seiner exakten Ausprägung äußerst variablem Rock von der eher entspannten Variante bis zu wildem Metal. Komme niemand und frage, ob das nun verrockte Coverversionen originaler folkloristischer Kompositionen oder aber Eigenkompositionen in ebenjenem gemischten Stil waren - diese Frage mag der Kenner der Alben der Band (derer es schon etliche gibt, das jüngste sinnfälligerweise ein Livealbum namens "Live In Europe" und das vorhergehende herrlich ironisch "We Came To Take Your Jobs Away" betitelt) oder der Experte im Fach Balkanfolklore beantworten. Für die folkloristischen Elemente waren naturgemäß hauptsächlich der Violinist, bandintern scherzhaft "der Intellektuelle" genannt und rein optisch wahlweise auch bei den frühen Jethro Tull oder in der kubanischen Revolution gut aufgehoben, und auch der Sänger, der eine beeindruckend vielfältige Stimme zur Schau trug und locker als Muezzin ganz Sarajevo zum Gebet hätte zusammenrufen können, verantwortlich, aber auch der Leadgitarrist flocht gern Melodielinien ebensolchen Klanggestus' ein, und der Schlagzeuger hatte Schwerstarbeit zu verrichten, da viele der Kompositionen in für das westeuropäisch-amerikanische Rhythmusgefühl eher ungewohnten Taktarten gehalten waren, was übrigens auch den Headbanger im Publikum zu exakter "Rhythmusarbeit" zwang, wollte man sich nicht auf die gelegentlichen geradlinigen 4/4-Parts beschränken. Auffällig war die enorme Länge vieler der Liveversionen - ob auch die Studioversionen bereits entsprechende Spielzeiten aufweisen oder ob hier auf der Bühne ausgiebig improvisiert wurde, muß antwortseitig ebenfalls den Kennern der Studioalben vorbehalten bleiben. Knappe zwei Stunden standen Kulturshock auf der Bühne, begeistert gefeiert vom Publikum, das sich platzbedingt zwar mit Tanz- oder gar Pogoaktivitäten zurückhalten mußte, es aber dafür fertigbrachte, in den balladesken Passagen, in denen man streckenweise die Spannung förmlich mit Händen greifen konnte, mucksmäuschenstill zu lauschen. So richtig beschreiben kann man das, was das Sextett da fabrizierte, aber sowieso nur unvollkommen - man muß die Truppe einfach selbst mal erlebt haben. Dates und alles weitere Interessante kann man auf www.kulturshock.com erfahren.



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