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7. Sinfoniekonzert   14.03.2008   Chemnitz, Stadthalle
von rls

Ein russischer Dreierpack steht auf dem Programm des 7. Sinfoniekonzertes der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz - obwohl, so ganz stimmt das nun auch wieder nicht, denn der eine russische Faktor, nämlich Dirigent Michail Jurowski, arbeitet schon geraume Zeit außerhalb des ehemaligen Zarenreiches, und das eine der beiden Werke des Abends, nämlich die 3. Sinfonie von Sergej Rachmaninow, entstand, als der Komponist schon etwa 20 Jahre im nichtsowjetischen Exil lebte. Trotzdem liegt auch in diesem Werk, dem vorletzten, das Rachmaninow vollendete, und in den Tiefen von Jurowskis Seele offenbar noch genügend Russophilie, um aus der Konstellation, der sich noch Dmitri Schostakowitschs 5. Sinfonie, also ein reinrassiges russisches Werk, zugesellt, ein Ganzes zu schmieden, das zumindest einen Tick größer ist als die Summe seiner Teile.
Die Rachmaninow-Sinfonie eröffnet den Abend, und schnell wird klar, warum man den Komponisten auch als den "letzten Romantiker" betitelte, so rückwärtsgewandt komponierte er noch im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts: Für Experimente waren andere zuständig, Rachmaninow liebte zumindest in den Sinfonien das Bewährte, und nicht mal das brachte er in seiner Komplettheit unter - das etwa von Mahler geliebte Fernorchester fehlt in Rachmaninows Dritter völlig. Gerät den Chemnitzern das Intro noch einen Tick zu schräg, so deutet der hohe Emotionalitätsfaktor der Holzmelodie doch schon an, wohin die sinfonische Reise gehen wird. Im 1. Aufbrausen finden sich dann alle und wechseln in der Folge gekonnt zwischen Idylle und Energie. Das niedliche, aber trotzdem raumgreifende Cellosolo sticht besonders hervor, und der eine der sechs Schlagwerker verdient Erwähnung für die gekonnte Umsetzung der schrägen außertaktmäßigen Beckenschläge (ganz ohne klitzekleine Anflüge von Experimenten geht's also doch nicht ...), ein Stilmittel, das der Pauker einige Zeit später auch noch einmal umsetzen darf. Jurowski vollführt extrem großräumige Dirigierbewegungen, denen das Orchester mit einer generell großvolumigen (nicht zwingend voluminösen!) Klangwolke nur zu gern entspricht. Nur die Harfe hat mal wieder keine Chance, sich selbst gegen nur mezzoforte agierende Streicher und schweigende Bläser durchzusetzen. Aufhorchen läßt der eigentümliche Schluß des Satzes mit seinen Pianoriffs, die wirkungsvoll mit der sich im zweiten Satz entspinnenden Idylle kontrastieren. Die ist nur leicht angedüstert, der Schwelgefaktor stimmt, und man wähnt sich in französischem Impressionismus a la Debussy - hier ist jetzt auch die glucksende Harfe am richtigen Platz. Aber die Idylle hält nicht an, hin- und herfliegende Tonfetzen (ein Stilmittel, das man auch in Schostakowitschs 1. Sinfonie schön beobachten kann) sorgen für mehr Dynamik, kurze Wutausbrüche verklingen wieder, das Blech deutet einen Choral nur an, und der Satz verklingt in gezupfter Manier. Richtiger Krieg dagegen herrscht im dritten Satz, in dessen Einleitung man Budjonnys Reiterarmeen über die russische Steppe donnern wähnt, selbst das hübsch-friedliche Fagottsolo wird niedergetrampelt, und erst die Streicher"fuge" bereitet dem Getümmel ein vorläufiges Ende. Diese gelingt den Chemnitzern mit der gebotenen Leichtfüßigkeit, während der zentrale Trauerpart etwas zuviel Hektik eingepflanzt bekommen hat. Dem das Ende einläutenden Pseudowalzer dagegen tut die Hektik ausdrucksseitig gut, ein Inferno entwickelt sich, wird unterbrochen, wieder aufgenommen - und das Werk ist zu Ende. Problem: Das Inferno spielen die Chemnitzer in der Entwicklung schon so energisch, daß sie zum Schluß nichts mehr hinzuzusetzen haben. Aber das Gesamtbild stimmt auf alle Fälle positiv.
Das ist indes noch nichts gegen die Meisterleistung, die das Orchester nach der Pause mit Schostakowitschs 5. Sinfonie vollbringt - hier stimmt nahezu alles. Die wechselvolle Entstehungsgeschichte hört man dem Werk an, denn während die ersten drei Sätze in einem Erholungsheim auf der Halbinsel Krim geschrieben wurden, wo sich die im Zeitalter der großen Säuberungen in den 30er Jahren allgegenwärtigen Gefahren zumindest ein wenig in den Hintergrund drängen ließen, entstand der vierte Satz erst nach der Rückkehr des Komponisten ins Großstadtleben, als die Verhaftungswelle auch seine eigene Familie erreicht hatte und auch er selbst, aufgrund des Stalin-Artikels "Chaos statt Musik" als Formalist gebrandmarkt, ständig in Gefahr lebte, abgeholt und in ein Lager gesteckt oder gleich exekutiert zu werden. Die fürchterliche hintergründige Unruhe der Zeit zieht sich allerdings durch das gesamte Werk - schon der grelle Trompeteneinsatz nach dem noch leicht entrückt wirkenden Streicherbeginn spricht Bände, und daß die vorherrschende Tontendenz in den Streichern eine Abwärtsbewegung ist, dürfte auch kein Zufall sein. Das monotone und bedrohliche, aus zwei Achteln und einer Viertel zusammengesetzte Riffmotiv, das zunächst in den tiefen Streichern aufscheint, zieht sich durch weite Teile des Werkes, selbst das idyllische Flöte-Horn-Solo kurz vor Ende des ersten Satzes bleibt von ihm nicht unbedroht. Bis man dorthin gelangt ist, hat man allerdings schon die exzellent umgesetzte Dynamiksteigerung vor dem vergleichsweise spät konzipierten erstmaligen Einsatz des Schlagwerkes hinter sich, ferner einen extrem fies interpretierten Marsch, der auch ohne eine exakte Replikation des erwähnten Riffmotivs bedrohlich genug wirkt, und diverse andere Passagen, die das alte IFA Wartburg-Motto "Es ist nicht so schlimm auf der Insel Krim" eher konterkarieren. Als eine der wenigen kleinen Schwächen in diesem Werk, die sich die Chemnitzer leisten, ist das Ende des erste Satzes zu nennen, in dem sie den möglichen Spannungsbogen nicht so weit ausreizen, wie es wünschenswert gewesen wäre. Der zweite Satz enthält ein Solo der tiefen Streicher, das eine äußerst brutale Umsetzung verlangt (das schaffen die Chemnitzer) und das witzigerweise durch ein Holzbläsersolo besiegt wird, das einer großen Leichtigkeit und Lockerheit bedarf (auch das schaffen die Chemnitzer). Zudem ist es schon eine schwierige Aufgabe, ein groß besetztes Orchester zum Grooven zu bringen - eine noch schwierigere Aufgabe ist es aber, es eben gerade nicht zum Grooven zu bringen, die Störelemente exakt zu dosieren und damit trotz immer neuer Versuche permanent ein unruhiges Gesamtbild zu hinterlassen, wie es Schostakowitsch im zweiten Satz verlangt. Jurowski und seine Musiker sind dieser Aufgabe gewachsen, auch der, im Schluß dieses Satzes eben keinen Triumphcharakter aufkommen zu lassen. Nur drei Tage soll der Komponist am dritten Satz geschrieben haben, und hier darf man wirklich mal idyllisch am Krimstrand liegen und diverse Geschehnisse vorm geistigen Auge vorüberziehen lassen, mit der Robert-Schumann-Philharmonie als sanft über die Haut streichelnde Äolskapelle, alternativ auch mal als Soundtrack zu einem Unterwasserfilm beim Tauchen zu alten Schiffswracks aus dem Krimkrieg vor 150 Jahren - hier (und nur hier!) dirigiert Jurowski mit ähnlich raumgreifenden Bewegungen wie in nahezu der kompletten Rachmaninow-Sinfonie. Konflikte sind in diesem Satz jedenfalls nicht zu lösen, auch wenn das Holz gegen Ende hin immer spannender agiert und hier und da doch mal etwas Nervosität auftaucht, die aber verdrängt wird (gar zu elegisch-trauernd, wie es ihm die Musikwissenschaft zuschreibt, klingt der Satz nun weißgott nicht). Der Ausbruch im attacca folgenden vierten Satz trifft den Hörer umso unvorbereiteter, und hier entspinnt sich ein gern als Triumphmarsch apostrophierter Satz (unterbrochen von dynamischer Zurückhaltung auf einer längeren Strecke, in der die Hörner mal fast choralartig agieren), bei dem man einzig und allein durch seinen wieder mehr als nervösen Unterton merkt, daß es eben kein heroischer Triumphmarsch ist, sondern einer auf dem Weg zum Schafott. 47 Takte vor Ende gehen die Streicher auf ein und denselben Ton, den sie bis zur finalen Hinrichtung beibehalten, und im Gegensatz zu Gustav Mahler, der seinen Helden aus der 6. Sinfonie schon mit dem dritten Schlag zu Boden wirft, braucht Schostakowitsch einige Schläge mehr, bis des unbequemen Dichters Kopf letztlich fällt. An der Umsetzung Jurowskis und der Chemnitzer gibt es absolut nichts zu deuteln - das Orchester darf sich mit dieser Sinfonie die beste Leistung gutschreiben lassen, die der Rezensent bisher von ihm gehört hat. Der kleiderschrankförmige Dirigent, der mit etwas stärkerem Bartwuchs beinahe wie Karl Marx aussähe, an dessen 125. Todestag das Konzert stattfindet, ist übrigens offenbar ähnlicher Meinung, verneigt sich vor dem Orchester, wirft reichlich Kußhände ins wild applaudierende Publikum und winkt zum Abschied, als wolle er andeuten, daß er gerne mal wieder als Gastdirigent hier arbeiten würde. Wenn dabei wieder so ein hochkarätiges Ergebnis herauskommt - sehr gern!



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