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Therapy?, Portugal The Man, Dúné   14.02.2008   Chemnitz, AJZ
von rls

Wie schon anno 2007 hatten die Spielplanansetzer der Jägermeister Rockliga auch anno 2008 einen Spieltag ins AJZ nach Chemnitz gelegt und wurden diesmal trotz eines Donnerstagstermins mit einem gut gefüllten AJZ belohnt - ob der auffällig ausgeprägte Pärchenbetrieb im Publikum auf die Tatsache zurückzuführen war, daß man nun ausgerechnet auch noch den Valentinstag erwischt hatte, soll an dieser Stelle nicht näher erörtert werden. Diesmal spielte in Chemnitz allerdings die Gruppe B, und auch im Reglement gab es gegenüber dem Vorjahr einige Veränderungen. Zum einen war die Spielzeit pro Band noch ein wenig verkürzt worden (es dürften reichlich 45 Minuten gewesen sein, im Vorjahr hatte jede Band noch eine knappe Stunde gerockt), zum anderen war die Jurywertung entweder komplett gestrichen worden oder wurde zumindest nicht öffentlich verkündet, so daß das Publikum allein über die Publikumswertung im Bilde war, die vom Moderator mittels eines Lärmpegelmessers ganz am Ende des Gigs vorgenommen wurde.
Die Reihenfolge der drei Bands entsprach wie schon im Vorjahr der absteigenden Folge in puncto Bandmitgliederanzahl. Hatten anno 2007 die äußerst voluminös besetzten Leningrad Cowboys eröffnet, so stand diesmal mit Dúné immerhin auch noch ein Septett als erstes auf der Bühne, allerdings eines, das durch nur äußerst bedingte Ökonomie in der musikalischen Herangehensweise überraschte. Für den irgendwo zwischen Indie, Pop, Gothic und Punk angesiedelten Sound hätte man nämlich lange nicht so viel bühnenaktives Personal gebraucht. Das, was die beiden Keyboarder spielten, hätte zu 95% Jon Lord mit der linken Hand hinbekommen, und auch zweier Gitarristen hätte das Songmaterial ohrenscheinlich nur passagenweise bedurft. In einem als reiner Dancetrack angekündigten Song führte das gar dazu, daß in der ersten Hälfte des Songs über die Hälfte der Bandmitglieder gar nichts zu tun hatte, so daß sich der rechte Keyboarder erstmal hinter die Bühne begab und einen Sixpack Bier holte, wovon er gerade noch rechtzeitig zu seinem ersten Backingvocaleinsatz zurückkehrte. Gelegentlich allerdings bauten die Dänen dann doch mal große Soundwälle auf, und so kam die voluminöse Besetzung letztlich noch zu ihrer Existenzberechtigung. Außerdem hatte die Truppe so den Vorteil, daß sie in symmetrischer Anordnung auf der Bühne agieren konnte, also Sänger, Bassist und Drummer hintereinander zentriert und die beiden Keyboarder (der linke war übrigens weiblich und optisch durchaus nicht unattraktiv) sowie die beiden Gitarristen (auch hier fiel der linke auf, nämlich durch seine Statur Marke "Riesenbaby") jeweils flankierend. Der Sänger erwies sich als guter Entertainer, der auf nette Art mit dem Publikum kommunizierte, trotz begrenzten Platzes über die Bühne tobte und nebenbei auch noch eine interessante hohe, leicht quäkige, aber in positiver Weise manchmal auch an Marianne Faithful erinnernde Stimme besaß. Auch der Rest der Band ließ sich, was die Bühnenshow anging, nicht lumpen - man hatte ja wie erwähnt phasenweise auch genug Zeit dazu. Die Songs selbst erweckten phasenweise den Eindruck einer konsequenten Reduzierung und könnten auf Tonträger durchaus schnell langweilen, in der Livesituation und kombiniert mit dem Stageacting der Band entfalteten sie trotz phasenweise verwaschenen (allerdings in angenehmer Lautstärke belassenen) Sounds zumindest einen gewissen Reiz, dem auch das Publikum erlag.
Portugal The Man hatten mit ihrem aktuellen Album im Visions-Leserpoll des Jahres 2007 den sechsten Platz belegt, so daß erstmal Vorsicht geboten war. Die stellte sich allerdings als unbegründet heraus, denn hier haben die Visions-Leser scheinbar mal einen kurzen Anflug von Geschmack bewiesen. Allerdings brachten es Portugal The Man fertig, das Phänomen von Dúné ins Gegenteil zu verkehren - sie setzten Songmaterial, das in der Konservensituation durchaus interessant sein dürfte, live gegen den Baum, und das aus zwei Gründen. Zum einen litten auch sie unter einem verwaschenen Sound (wenngleich auch hier in angenehmer Lautstärke), der etwa den Keyboarder im völligen Kontrast zu seinem privilegierten Platz am vorderen Bühnenrand akustisch ganz weit nach hinten stellte; auch die lateinamerikanische Percussion, die er neben sich noch aufgebaut hatte, blieb über die komplette Setlänge hin fast unhörbar. Als akustisch fast ganz überflüssig stellte sich die Backingsängerin heraus, die sich nur in seltenen Momenten mit ihrem Gesang oder ihrer Schellentrommel Gehör verschaffen konnte. Selbst die Gitarre verschwand bisweilen aus dem Sound, während man den (zugegebenermaßen technisch durchaus fähigen) Trommler sehr intensiv belauschen durfte. Dafür konnte die Band nun nichts, aber der andere Grund war hausgemacht, wenngleich mehr oder weniger unglücklich: Portugal The Man wirkten optisch wie eine Band aus der hinterletzten Provinz. Gut, das sind sie auch (sie kommen aus Alaska), aber das Patchwork, das da auf der Bühne stand, paßte nun überhaupt nicht zusammen. Ein Sänger/Gitarrist, der aussieht wie eine Kreuzung aus Dr. Watson und Kjeld von der Olsenbande, seine Gitarre auf Brusthöhe spielt, die Dynamik eines Gewichthebers im Vorruhestand versprüht, in der ersten Sethälfte gar nicht mit dem Publikum kommuniziert und in der zweiten Hälfte zwar bisweilen längere Zeit vor sich hinquasselt, aber nuschelnd und in einem fürchterlichen Dialekt, den keiner der Anwesenden verstanden haben dürfte, ist als Frontmann einer Rockband irgendwie deplaziert. Der wie geisteskrank über seine Bühnenhälfte springende Bassist paßte hierzu wie Kaviar auf die Rostbratwurst, der Drummer schaute am liebsten einen imaginären Punkt an der Hallendecke an, und die beiden bereits erwähnten akustisch praktisch nicht präsenten Mitglieder nahm man auch optisch gar nicht erst so richtig wahr. So entstand das Gesamtbild einer provinziellen Band im negativen Sinne, die sich halt zusammengefunden hat, weil in ihrer Provinz kein anderer auf Rockmusik steht, und irgendwie leider nur pseudointellektuell wirkt. Schade um die Musik selber, denn die war wie erwähnt gar nicht mal so uninteressant, wenngleich aufgrund der nur partiellen Hörbarkeit konkrete stilistische Aussagen schwierig sind. Rush haben die Bandmitglieder sicher schon mal gehört, und der Leadgesang hatte auch ein klein wenig von Geddy Lee. Dazu dann etwas Stoner Rock, Beatles und ähnliche Sechzigerkapellen, vielleicht auch The Who, vielleicht noch viel anderes, was nicht erahnbar war. Gewisse Teile des Materials wiesen trotz Tempo- und Dynamikwechseln eine grundsätzliche Tanzbarkeit auf, wie ein Pärchen unmittelbar vor dem Rezensenten unter Beweis stellte. Zu guter Letzt muß sich der Sänger/Gitarrist nur noch fragen lassen, wieso er seine Gitarrensoli mehrmals mit dem Sound einer Hammondorgel spielte, wo man doch zumindest etatmäßig einen Keyboarder in der Band hat ...
Therapy? lagen vor dem Chemnitz-Gig in der Gruppe in Führung und hätten mit einem Sieg an diesem Abend bereits einen Spieltag vorfristig den Gruppensieg sichern können. Die Männer von der grünen Insel sind seit einigen Jahren wieder in der reduzierten Besetzung als Trio unterwegs (einige Jahre lang spielte man als Quartett mit einem zusätzlichen Gitarristen/Cellisten), so daß also in der Livesituation nur drei Instrumente (und zwei Mikros) abzumischen waren. Von daher erschien es um so unverständlicher, warum der Soundmensch die Regler mindestens anderthalbmal so weit aufriß wie bei den beiden anderen Bands und damit ein trotz des reduzierten Arsenals noch verwascheneres und zudem vor allem hihatseitig extrem unangenehm in den Ohren klirrendes Soundbild erzeugte, das sich auch während des gesamten Gigs kaum verändern sollte (lediglich das Geklirr ließ nach einigen Songs etwas nach, was allerdings auch am Gewöhnungseffekt des Ohrs gelegen haben kann). Das war der eine Fakt, der das Aufkommen richtiger Partylaune verhinderte - die Band selbst hatte andererseits auch nicht ihren besten Tag erwischt. Zwar punktete Andy Cairns, indem er fast alle Ansagen auf Deutsch hielt, aber längere Pausen zwischen den Songs, in denen die Stimmung völlig einbrach und die zumindest keinen erkennbaren technischen Grund hatten (mit einer Ausnahme, als mit Michaels Baß etwas nicht zu stimmen schien), sollten einer Band mit einer so immensen Liveroutine, wie sie Therapy? besitzen, eigentlich nicht passieren. Zwar schien ein guter Teil des Publikums hauptsächlich wegen ihnen gekommen zu sein und tobte vor der Bühne herum (allerdings gesittet, also keinen kampfsportartigen Pogopit bildend), aber der letzte Kick kam nicht von der Bühne, und die zahlreichen jungen Besucher dürften in Therapy? eher eine Art Retrokapelle gesehen haben, die zwar netten punkigen Powerpop spielte, aber ihre besten Zeiten wohl schon hinter sich hatte. Zwar nimmt die 1989 gegründete Band immer noch Platten auf (mittlerweile ist die Diskographie auch bei den Longplayern schon zweistellig), aber ihre fetten Zeiten hatten sie in den Frühneunzigern, als gute Teile des Publikums dieses Abends noch im Kindergartenalter gewesen sein dürften, und diese Menschen haben halt keine innige Beziehung zu "Nurse" oder "Troublegum", letztgenanntes wohl der ultimativ beste Release des Trios (auch beim Rezensenten hoch gehandelt) und selbstredend auch an diesem Abend in der Setlist nicht selten vertreten, etwa mit "Isolation" oder "Nowhere" im Hauptteil. Die beiden größten Hits hatten Cairns und seine Mannen wohlbedacht ans Setende geschoben, aber selbst "Teethgrinder" und "Screamager" konnten das Ruder nicht mehr herumreißen, zumal bei letztgenanntem deutlich wurde, daß trotz der Überlautstärke paradoxerweise die Power im Riff fehlte. Ein seltsamer Auftritt des nordirischen Trios, der einen generell eher seltsamen Gig beschloß, dessen Sieger nach dem Prinzip "Unter den Blinden ist der Einäugige König" laut Publikumswillen übrigens Dúné hieß, was die Entscheidung in dieser Gruppe auf den letzten Spieltag verschob (wie es ausgegangen ist, wie die anderen Gruppen spielen und was sonst noch so Wissenswertes rings um das interessante Rockliga-Konzept ansteht, kann man laufend auf www.jaegermeister.de einsehen). Kleines Detail am Rande: Der aufregendste Moment des kompletten Gigs war der Therapy?-Soundcheck, als sowohl der Baß- als auch der Gitarrentechniker Ozzys "Crazy Train" anspielten ...



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