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15 Jahre Landesjugendorchester Sachsen   14.10.2007   Leipzig, Gewandhaus
von rls

In schöner Regelmäßigkeit geht das Landesjugendorchester Sachsen alle halben Jahre mit einem neuen Programm on the road, und diesmal hatte man sich ob des anstehenden halbrunden Jubiläums etwas Besonderes einfallen lassen, nämlich ein nicht rein sinfonisch geprägtes, sondern operndominiertes Programm. So jedenfalls sah die Theorie aus - die Praxis verschob das Gewicht dann aber doch wieder ein wenig in Richtung Equilibrium, denn Claudia Mahnke, die "Isoldes Liebestod" aus Wagners "Tristan und Isolde" hätte singen sollen, fiel kurzfristig aus, so kurzfristig, daß kein Ersatz mehr zu beschaffen war. Anstatt das Stück aber zu streichen, machte das Orchester aus der Not eine Tugend und spielte kurzerhand eine Instrumentalversion, sogar eine von höchster Stelle autorisierte, denn kein Geringerer als Richard W. höchstselbst hatte sie eingerichtet (ein geschickter Schachzug der Popularisierung von Kompositionen, den die Popindustrie später mit der Auskopplung von Singles aus Alben adaptierte). Vor dieses Stück hatte der Gott der Programmplanung aber die Ouvertüre zur gleichen Oper gesetzt, die ebenfalls ein Eigenleben als selbständiges Konzertstück führt (was ja bei Ouvertüren großer Bühnenwerke generell nicht selten ist). Schon bei dieser zahlte sich der Schachzug aus, das Leipzig-Konzert diesmal im Gewandhaus zu spielen, denn nachdem der Sound beim 2007er Frühjahrskonzert in der Reformierten Kirche bisweilen doch etwas "mulmig" ausfiel, profitierte das Orchester diesmal vom deutlich saubereren Klangbild in der gewohnt guten Akustik des Gewandhauses, die auch die leisen Passagen, von denen Wagner etliche in die beiden Stücke eingebaut hat, noch deutlich in die Wand meißelte. Die Piano-Einleitung konnte somit nur noch als "schön" bezeichnet werden, auch die Steigerungen funktionierten prinzipiell, obwohl Dirigent Milko Kersten alles andere als eine Tempohatz veranstaltete und für die Größe des Orchesters in einem erstaunlich engen Dynamikrahmen agierte, den er dann aber auch kompetent ausfüllte, besondere Stärken wieder mal am unteren Lautstärkeende herausmodellierend, wofür sich die Kontrabässe eine gesonderte Erwähnung verdienen. Ouvertüre und Liebestod folgten nahezu attacca aufeinander, und das Orchester stellte zudem den erstaunlichen Beweis vor, daß sich eine Harfe klanglich gegen den forte agierenden Rest des Orchesters (zumindest in den Momenten, wo das Blech zu schweigen hatte) durchaus behaupten kann, auch dann, wenn sie vom Rezensenten gesehen auf der anderen Saalseite sitzt.
Warum die Bühne schlagwerktechnisch im Stile einer Mahler-Sinfonie bestückt war, zeigte sich im anderen Werk des ersten Konzertteils, nämlich "GALOPP - movement" von Wilfried Krätzschmar. Der Komponist, zugleich Ex-Präsident des Sächsischen Musikrates, unter dessen Dach das Orchester wirkt, war auch selbst im Publikum anwesend, und das Stück stellte unter Beweis, daß man es keineswegs nur wegen besagter institutioneller Beziehung ins Programm hieven mußte, sondern auch unabhängig davon musikalische Gründe ausgereicht hätten. Die Komposition, bestehend aus 15 allesamt ineinander übergehenden Parts, raste zu weiten Teilen in einem Höllentempo durchs Areal, setzte aber auch einige wirkungsvolle Kontrastpunkte, in denen die Streicher bisweilen Töne erzeugten, die den Hörer glauben machten, er leide an einem ganz leichten Tinnitus. Daß der Komponist offenbar auch modernen Strömungen der Popularkultur aufgeschlossen gegenübersteht (oder sich aus irgendwelchen Gründen denen nicht entziehen konnte ...), bewies ein weiterer der Kontrastpunkte, der eine fast sinistre Stimmung hervorrief, die in anderer Instrumentierung auf eine andere bekannte Leipziger Kulturspielwiese gepaßt hätte, nämlich aufs Wave Gotik Treffen. Ringsherum aber tobten die galoppierenden Stürme, ohne allerdings in völligem mathcorekompatiblem Chaos zu enden. Statt dessen erinnerte die Eröffnung eher an ein russisches Dorffest, das Blech schnitt durch den Raum, das Schlagwerk zerstäubte den Gothicpart mit infernalischen Einsätzen, und irgendwann setzte das komplette Orchester noch die tonale Spirale nach unten in Gang, die nicht mal der eine oder andere kompetent gespielte Triumph kompensieren konnte. Ein interessantes Stück Musik, zweifellos.
Der Operngehalt fand erst nach der Pause seine reale Manifestation, und zwar in Gestalt des Einakters "Gianni Schicchi" von Giacomo Puccini, den man als konzertante Aufführung auf die Bühne stellte. Für die Titelrolle hatte man sich mit Andreas Scheibner einen Profi geholt, die anderen Rollen wurden mit Studenten der Dresdner Musikhochschule besetzt. Das Landesjugendorchester nahm hier also praktisch die Rolle eines Theater- oder Opernorchesters ein und bewältigte diese prinzipiell gut - fast zu gut, und daran war mal wieder die Gewandhausakustik schuld, denn die unterstützt zwar sowohl einen guten Orchester- als auch einen guten Vokalklang, aber durch die zahlenmäßige Gewichtung der unterstützten Komponenten drohte das Orchester die Sänger akustisch zu überrollen, und genau dieses Schicksal mußten die Studenten über weite Strecken erleiden. An Textverständlichkeit war also nahezu gar nicht zu denken, selbst Laurettas Cavatine mußte mit einer Ahnung der Gesangslinie auskommen, und einzig Andreas Scheibner schaffte es, sich auch dann ab und zu mal das angemessene Gehör zu verschaffen, wenn das Orchester mezzoforte oder lauter agierte. Der Qualitätsunterschied zwischen ihm und den Studenten war schon noch deutlich spürbar (wenngleich letztgenannte keineswegs schlecht sangen, soweit man sie denn hörte), und die Stimmenchangierung zwischen Schicchi und dem zeitweise von Schicchi verkörperten Buoso Donati, die nicht geringe Ansprüche an die Belastbarkeit der Stimme stellt, meisterte er in sehr guter Manier. Ganz konzertant ging die Oper dann doch nicht ab, denn einige niedliche Spielszenen konnten sich die Akteure nicht verkneifen. Das Orchester hatte seine stärksten Momente in der Changierung zwischen Triumphmusik und Trauermarsch während der Testamentsauffindung und -eröffnung (wenngleich man sich den Trauermarsch noch einen Tick tighter gewünscht hätte) und im großen Schmelz des Schlusses nach dem Rauswurf von Donatis Verwandten, dem noch ein cool strukturiertes Finale mit Scheibner/Schicchi-Monolog folgte. Den Applaus des leider wieder mal nur halbvollen Gewandhauses (würde man nur dieses Konzert in die Betrachtung einbeziehen, könnte man ja das Lied vom Propheten im eigenen Land anstimmen, aber ...) hatten sich die Beteiligten jedenfalls redlich verdient, zu einer Zugabe ließ man sich aber nicht mehr hinreißen.



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