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Gideon, Straight Line, Tobias Richter & Band, G.R.J., Anita Heller & Band   13.10.2007   Chemnitz, Elim-Gemeinde
von rls

"20 rockt!" stand als Motto über dieser Veranstaltung, denn Gideon können mittlerweile auf eine 20jährige aktive Bandzeit zurückblicken, und das muß einerseits natürlich mit einem musikalischen Rückblick gefeiert werden, der aber andererseits auch nach vorne schaut, denn von der Rockerrente sind die Dorfchemnitzer zum Glück nach wie vor meilenweit entfernt, wie die Setlist des Jubiläumsgigs beweisen sollte, die einerseits gekonnt die verschiedensten Altlasten ans Licht zerrte, aber andererseits auch mit den neueren Tracks bewies, daß noch lange nicht alle Messen gesungen sein dürften. Und das ist auch gut so, denn bekanntlich gehören Gideon zum Besten, was die sächsische Szene so an Bands hervorbringt, und diese Aussage darf man getrost nicht nur für die christlich sozialisierte Schicht, sondern auch in einem allgemeinbetrachtenden Kontext unterschreiben.
Aber vor den Gideon-Gig hatte der Herr der Programmplanung das Vorprogramm gesetzt, und da ließen es sich die verschiedensten Weggefährten nicht nehmen, eine Handvoll Ständchen in Form von bis zu 30minütigen Gigs zu bringen. Los ging der bunte Reigen mit Anita Heller & Band, wobei sich die Band als Sunrise in grün entpuppte, denn da wirkten gleich mehrere Ex-Sonnenaufgängler mit, und auch musikalisch waren die sieben Songs (partiell Eigenkompositionen, partiell Fremdbeiträge von u.a. Edo Zanki) gar nicht so weit vom Artrock Sunrises entfernt - selbst ein paar stimmliche Parallelen der Chanteusen Anita bzw. Conny waren nicht zu verkennen, wenngleich man beide schon deutlich auseinanderhalten kann. Auf der Bühne herrschte mit sieben Personen drangvolle Enge, den Schlagzeuger hatte man (wie bei allen Bands) sinnvollerweise in einen Plexiglaskäfig verfrachtet, was seine andernfalls drohende akustische Dominanz zumindest partiell unterband; das klangliche Resultat konnte mit einigen Schwankungen als durchaus ausgewogen angesehen werden. Die Besetzung mit Leadstimme, zwei Backingstimmen und Akustikgitarrist/Bassist Michael (der bei Sunrise noch die Tasten bedient hatte) als weiterem Sänger hätte zwar für die Ausgestaltung der Vokalsätze noch mehr Möglichkeiten geboten, aber auch das Gehörte war schon sehr ordentlich, obwohl die "Chefin" ein wenig Zeit brauchte, bis sie sich richtig warmgesungen hatte - der letzte Song, eine epische Hymne mit großer Vokalexpressivität, ging dann auch als einer der Höhepunkte des Sets durch.
Schon zum 15-Jahre-Jubiläumsgig war G.R.J. mit von der Partie gewesen, und auch diesmal stieg Gottes Rapper Janko - so die ausführliche Titulierung - auf die Bühne, drei Songs mit im Gepäck. Der erste, "Einsamkeit", ähnelte vokal noch am ehesten klassischem HipHop, wurde nach hinten heraus allerdings etwas zu monoton ausgewalzt. Als zweites stand - natürlich - "Jesus Is The Only Way" auf der Speisekarte, dessen Ansage diesmal etwas ausgewogener herüberkam und das den musikalischen Gehalt noch mit ein wenig Funk anreicherte - der wohl bekannteste G.R.J.-Track, er kam auch beim Publikum am besten an (trotz der zugegebenermaßen immer noch gewagten Kombination, in ein reines Rockprogramm eher traditioneller Natur einen HipHopper zu pflanzen - sowas geht wohl nur im christlichen Bereich). Mit einem hiphoptypischen Selbstdarstellungstrack räumte Janko die Bühne wieder und widmete sich zur Erhaltung seiner kleiderschrankartigen Figur der Vernichtung einer Tafel Schokolade.
Tobias Richter & Band hatten die härtesten Tracks ihres Schaffens zu einem Sechs-Song-Set kompiliert - nun muß diese Aussage relativ betrachtet werden, denn über sagen wir mal Santana-Härtegrade gingen sie trotzdem nicht hinaus. Aber das paßte trotzdem hervorragend ins Bild, und der singende und Akustikgitarre spielende "Chef" tat gut daran, seinen Mitmusikern viele Freiräume zu bieten, die diese mit erstklassigen Instrumentalsoli ausnutzten, wenngleich man den Keyboarder gern noch etwas deutlicher im Soundbild vernommen hätte. Der trommelnde Namensvetter des Chefs hatte übrigens an diesem Tag Geburtstag, ließ es sich aber trotzdem nicht nehmen, den Gig zu bestreiten. Der Chef selbst besitzt eine insbesondere in den tiefen Lagen interessante und eigenständige, manchmal fast gothickompatible Stimme, und zur Sicherheit beamte man auch noch sämtliche Texte - abgefaßt übrigens komplett in deutscher Sprache, mit durchaus nicht geringem Anspruch und einer Vorliebe für die Gegenüberstellung scheinbar oder tatsächlich antagonistischer Termini, die völlig überraschend in ganz einfache Aussagen, daß Jesus den Hörer liebt, mündeten - an die Wand. Im letzten Song kam auch noch eine pinkfloydige Spacegitarre zum Einsatz und rundete einen gelungenen Gig ab, bei dem man lediglich über den Ringelpullover des Chefs schweigen sollte.
Ganz alte Weggefährten von Gideon waren Straight Line aus dem benachbarten Stollberg, die sich allerdings schon vor knapp zehn Jahren aufgelöst haben. Nun gab es an diesem Abend keinen Reunion-Gig, aber zumindest Ex-Bassist Uwe war da und performte zunächst einen Track solo mit eingesampelter Keyboardbegleitung, bevor eine Projektband mit Gitarrist, Bassist und Keyboarder aus der Tobias-Richter-Truppe sowie Gideon-Trommler Sven einen zweiten Track zum besten gab, den man trotz der Tatsache, daß man ihn gerade mal kurz vorher angespielt hatte, gut über die Bühne brachte - getragen auch hier von Uwes leicht angerauhten, manchmal fast an Rod Stewart gemahnenden Vocals in englischer Sprache.
Die folgende halbstündige Umbaupause nutzte der Rezensent, um gleich die bisherigen Eindrücke in den Laptop einzumeißeln - als er wieder zurück in den großen Saal des Elim-Gemeindehauses kam, intonierten Gideon allerdings bereits ihren zweiten Song "Flieg!". Sie hatten ihren Set geteilt, starteten mit dem Halbakustikteil, der aus vier Songs bestand, so daß der mittlerweile unverzichtbare "Maskenball", in dem Heiko in bewährter Weise zur Violine griff, bereits an Setposition 3 zum Zuge kam und auch den Höhepunkt des Akustikteils (jedenfalls des Abschnitts, den der Rezensent gesehen hat) markierte, obwohl man den Song in der Vergangenheit auch schon mal NOCH besser, NOCH fragiler, NOCH emotionaler gehört hat als an diesem Abend - aber das soll hier nicht als Maßstab dienen, denn zu diesem NOCH intensiveren Erlebnis muß auch noch die temporäre Konstitution des Rezensenten passen, und das war an diesem Abend nur bedingt der Fall. Das noch relativ frische "Am Ende aller Kriege" beendete den Akustikteil, und nach der Predigt (natürlich über den Bandnamensgeber Gideon, der im Alten Testament eines der Vorbilder für akustische Kriegführung geliefert hat, das die Amerikaner mit ihrer metallischen Beschallung der panamesischen oder irakischen Gegner irgendwie etwas mißinterpretiert haben müssen - oder aber genau richtig interpretiert, da sie sich ja als "God's own Country" sehen) leitete ein mächtiger Drumpart von Sven den Hauptteil des Sets ein, der vor allem eines deutlich machte: Andere Bands werden im Alter ruhiger, gelassener, zahnloser - Gideon gehen den umgekehrten Weg, und wenn sie ihn weiter so beschreiten, spielen sie in ein paar Jahren wahrscheinlich reinrassigen Metal (wogegen der Rezensent natürlich nichts einzuwenden hätte, ähem ...). "Krieger" hatte diesen Weg mit seiner fast numetallischen Ausrichtung ja schon vor einigen Jahren angedeutet, auch die aktuellen Versionen von Bandklassikern wie "Mammon" hatten ein gehöriges Pfund Energie injiziert bekommen, und nicht mal ein eher versüdstaatigter Track wie "Zug nach Nirgendwo", dem bis zum Rockfaktor etwa der Allman Brothers doch noch ein Stück fehlte, taugte in diesem Kontext als Antithese. "Über's Wasser gehn" hatte ein paar kleine Punkelemente injiziert bekommen, und "Am Ende aller Kriege" kam noch ein zweites Mal zum Zuge, diesmal als vollverstromte Version, welche die beileibe nicht schlechte semiakustische locker aus dem Feld schlug - im Intro deutete sie gar eine Epicmetalhymne an, was dann strophen- und chorusseitig allerdings nicht eingelöst wurde und zumindest vom einmaligen Hören her einen noch nicht ganz ausgereiften Übergang zwischen Intro und erster Strophe offenbarte, denn letztgenannte wirkte noch ein wenig zu blutleer. Blutarmut mußte man ansonsten aber nur noch einem Song andichten, nämlich "Angst", das in die frühere gemäßigtere Rockrichtung irgendwie besser paßte, auch wenn es sich nach wie vor um eine gute Komposition handelt. Allerdings hat etwa "Jesus On The Mainline" die Transformation in den neuen Set deutlich besser überstanden und wurde vom leider nicht übermäßig zahlreichen Publikum begeistert mitgesungen, was auch auf manch anderen Song zutraf - man blendete auch hier die Lyrics per Beamer ein (die man allerdings vorher nochmal hätte Korrektur lesen sollen, ähem ...); der zweite Beamer projizierte derweil passende Bilder an die Wand und sorgte für den größten Fauxpas des Abends (dazu unten mehr). Daß Gideon auch bei der Auswahl der Coverversionen einen guten Geschmack beweisen, ist bekannt, wobei sie den Rezensenten an diesem Abend zweimal überraschten. Die erste Überraschung stand gleich am Setbeginn, denn Svens erwähnter Drumpart leitete in "He Will Rock You" über, das nur die Frage offen ließ, warum noch keine andere christliche Band auf die Idee gekommen ist, Queens "We Will Rock You" in eine Hymne auf das eigene Sendungsbewußtsein (die zum Schluß in der Veränderung des Chorus zurück ins originale "We Will Rock You" gipfelte) umzustricken. Gideon taten's und bliesen mit einer superenergischen Version alles weg, was sich ihnen in den Weg stellte, unterstützt durch einen sehr voluminösen, aber nicht übertrieben lauten Sound, der lediglich die Keyboards und einige wenige Soli einen Tick zu weit ins akustische Abseits stellte. Dieser Song machte am stärksten deutlich, welchen Zugewinn die Band ihren neuesten Mitgliedern, Drummer Sven und Zweitgitarrist Matthias (der sich mittlerweile bestens eingefügt hat und vor allem die Komponente der Gitarrensoli deutlich aufwertete), zu verdanken hat - nichts gegen die früheren Besetzungen, die auf ihre Art und Weise auch klasse waren, aber hier ist eine sehr starke neue Symbiose entstanden, die uns hoffentlich noch lange Zeit erhalten bleiben wird. Die zweite Überraschung ging mit dem größten Soundproblem und dem erwähnten Fauxpas Hand in Hand: Das "Dorfcham'slied" vom Heimatdichter Friedl Richter, also quasi die Nationalhymne der Homebase der Band, wurde in eine hervorragende Rockversion umgewandelt (stilecht in Mundart natürlich), in der Keyboarder Markus zum Akkordeon griff, das man aber überhaupt nicht hörte (allerdings auch irgendwie nicht vermißte) und in dem die Beamerprogrammierungsfraktion der Band einen wohl ungewollten Streich spielte, indem sie dazu das falsche Ortseingangsschild einblendete, nämlich das von Dorfchemnitz im Kreis Freiberg und nicht das richtige von Dorfchemnitz im Kreis Stollberg. Sei's drum - "10 kleine Christen" und "Mercy Is Falling" standen selbstredend auch im Set, die Heavy-Version von "Mercy Is Falling" kickte man wegen der schon arg fortgeschrittenen Zeit aus der Setlist, aber den vom Rezensenten gewünschten zweiten Tribut an die erzgebirgische Haamit hatten Gideon natürlich noch im Gepäck, nämlich Anton Günthers beliebtes "Feierobnd"-Lied, diesmal in der dreistimmigen A-Cappella-Version, die selbstredend energische Zugabeforderungen auslöste, welchselbige mit der Hymne "Heiligabend" und der Slowblues-Version von "Swing Low Sweet Chariot" erfüllt wurden. In dieser Form dürfen uns Gideon gern noch lange erhalten bleiben - alles Gute also für die nächsten 20 Jahre!

Setlist (real):
Komm mit mir
Flieg!
Maskenball
Am Ende aller Kriege (ac.v.)
He Will Rock You
Mammon
Rennst
Jesus On The Mainline
Wo bist Du?
Zug nach Nirgendwo
Weil Du da bist
Über's Wasser gehn
Mercy Is Falling
Krieger
Angst
Am Ende aller Kriege (el.v.)
10 kleine Christen
Dorfcham'slied
Feierobnd
Heiligabend
Swing Low Sweet Chariot



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