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Company   04.05.2007   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

"Wenn ich einen grünen Zweig im Herzen trage, so wird sich ein Singvogel darauf niederlassen", sagt ein chinesisches Sprichwort. Der Chinese kannte offenbar Robert nicht, die Hauptfigur des Musicals "Company" von Stephen Sondheim. Der ist 35, trägt die grünen Zweige gleich strauchweise im Herzen (mit unterschiedlicher Zweckbestimmung allerdings - man kann die Blätter offensichtlich auch rauchen), aber von einem weiblichen Singvogel ist weit und breit nichts zu sehen. Die drei ihn umflatternden Schmetterlinge können aus unterschiedlichsten Gründen die Singvogeleigenschaft nicht annehmen, und den fast kompletten Rest des Musicalpersonals bilden Roberts Freunde - fünf Ehepaare, alle ungefähr in seinem Alter, alle mit ihren ureigenen Problemchen und Problemen. Diese Gesamtlage versetzt Robert nicht nur in die Situation, sondern erlegt ihm gleichsam eine Art Pflicht auf, seine eigene Situation zu reflektieren und zu fragen, was er denn beziehungsseitig überhaupt will und was sein Umfeld in dieser Hinsicht von ihm erwartet. Gezeichnet ist Robert im Stück als eine Art Berufsjugendlicher, aber auch Suchender, Hin-und-her-Gerissener (von mehr oder weniger legalen Rauschmittelchen über die Anonymität und Entfremdung im Großstadtmoloch bis hin zur gleichgeschlechtlichen Zuneigung hat Stephen Sondheim bzw. sein Librettist George Furth aber auch kein heißes Eisen des Jahres 1970 ausgelassen) und letztlich per zwar zeittypisch moralinsaurem, aber auch offenem Schluß immer noch nicht gefunden Habender, womit wir wieder bei der Ausgangslage angekommen wären und uns die Möglichkeit offenlassen, in fünf Jahren noch einmal personell das gleiche Szenario nachzuspielen. Dabei hat Robert schon vor der Pause von der an ihrer bevorstehenden Eheschließung verzweifelnden Amy quasi den zentralen Satz des gesamten Stückes mit auf den Weg bekommen: "Du mußt eine Frau zur Frau haben wollen, nicht einfach nur eine Frau haben wollen." Danach hätte man eigentlich Schluß machen können, denn mit diesem Satz ist praktisch alles gesagt, was dann im weiteren Verlaufe der Handlung nur noch gewisse Illustrationen erfährt, selbst wenn diese Illustrationen teilweise von außerordentlich hoher Güte sind und auch durch eine entsprechende Ausführungsqualität bestechen, an deren Spitze die brillant gespielte Alkoholmißbrauchsszene von Joanne alias Corinna Ellwanger steht, wenngleich dieses Niveau nicht durchgehend gehalten werden kann. Auch die instrumentale Umsetzung ist gewissen Schwankungen unterworfen, denn wenngleich Stephan König das jazzig besetzte Orchester kompetent leitet, so kann auch er nicht verhindern, daß das Schlagzeug in den Situationen, wo es Druck machen soll, diesen gleich in einer solchen Menge erzeugt, daß man vom Rest des Orchesters nicht mehr viel hört. Sängerisch steht natürlich Johannes B. Kerner-Lookalike Oliver Timpe als Robert im Mittelpunkt, der dieser Verantwortung auch durchaus gerecht wird, ohne allerdings sonderlich zu glänzen. Überhaupt ist diese Einschätzung symptomatisch für das gesamte Musical: Es gibt sich einen tiefenpsychologischen Anstrich, kratzt (bis auf den erwähnten zentralen Satz) aber insgesamt nur an der Oberfläche, produziert zwar nette Gags am fast laufenden Band, aber keine mit Langzeitwirkung, es kippt den Bombast nicht mit Kübeln aus wie das 2004 als Hochschulproduktion zu sehen gewesene "Ab in den Wald!", sondern wirkt an manchen Stellen fast "leer", aber unglücklicherweise genau dort eben nicht nachdenklich, so daß man nach dem dritten Versuch des Geburtstagstortenkerzenauspustens durch Robert, der als erster gelungener Versuch zugleich das Stückende markiert, irgendwie in ein emotionales schwarzes Loch fällt. Zumindest die erstgenannten Aspekte passen prima zum Fakt, daß dieses Musical zwei Jahre lang am Broadway lief, und die Stringenz der Figurenzeichnung ist so amerikanisch, wie sie amerikanischer nicht sein könnte, vom Selfmademan Robert über den Millionär Larry, die psychotische Amy, die flippige Marta bis hin zu völligen Durchschnittstypen - einzig zwei Figuren passen nicht in diese Stereotypen, und paradoxerweise sind gerade diese beiden zwei von den oben erwähnten Schmetterlingen, bei denen dann auch schnell klar ist, warum sie an Robert scheitern müssen bzw. er an ihnen: die vom Land stammende und sich nie an die Urbanität anpassende Kathy und die naive, aber liebe und gutaussehende Stewardeß April. So ist gleichsam das komplette Musical ein Abbild des Scheiterns - nur wird das von seinen Millionen Besuchern kaum einer gemerkt haben, da die rosarote Oberfläche irgendwann doch zu stark zu blenden beginnt. Daß der Rezensent auf der Heimfahrt zum Ausgleich lauten und vergleichsweise fröhlichen Heavy Metal brauchte, spricht irgendwie Bände, aber der zu drei Vierteln besetzte Große Saal der Hochschule schien emotional größtenteils anders gepolt gewesen zu sein und reihte sich in die Millionen begeisterter Besucher ein, wobei die Begeisterung allein aufgrund der durchaus gutklassigen Umsetzung der Hochschul-Musical-Studenten ja auch gerechtfertigt war.



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