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Serenata A Tre   16.04.2007   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Kannte Friedrich Schiller Antonio Vivaldis "Serenata A Tre"? Falls ja, hatte er ihr Szenario gar im Hinterkopf, als er einen Satz wie "Da werden Weiber zu Hyänen" niederschrieb? Eine Frage, die wohl spekulativ bleiben muß, aber nichtsdestotrotz ein beredtes Licht auf Vivaldis "Anti-Pastorale" werfend, die er mit diesem Stück geschaffen hat, das in einer halbszenischen Aufführung auf der Bühne des vielleicht zu zwei Dritteln besetzten Großen Saales der Hochschule zu sehen ist. Halbszenische Aufführung bedeutet in diesem Kontext so viel, daß die drei Protagonisten zwar kostümiert sind, aber das Bühnenbild eher spartanisch daherkommt und auf den kompletten Theaterdonner verzichtet wird - so wie es auch original gedacht war, denn solche Stücke fanden häufig außerhalb der Opernhäuser ihre Inszenierungen. Interessanterweise ist der Unterschied zu den regulären Hochschulopernproduktionen der letzten Zeit aber gar nicht so gravierend, denn auch die hatten mit vergleichbar spartanischen Mitteln teils hervorragende atmosphärische Resultate erzielt, und das ist bei diesem Vivaldi hier nicht anders, zumal auch die Beleuchtungsabteilung einen hervorragenden Job macht und mit der Idee, die Bühne immer dann in düster-rotes Licht, das an ein Höllenfeuer gemahnt, zu tauchen, wenn die beiden Damen auf der Bühne mal wieder ihr drachenartiges Wesen hervorkramen, im positiven Sinne den Vogel abschießt.
Welchen Grund gibt es nun für die beiden eigentlich der Kategorie der Nymphen, also allgemein eher positiv belegten Wesenheiten, zugehörigen Damen, Charaktereigenschaften zu zeigen, die eigentlich wenig typisch für ihre Artgenossinnen sind? Der Stein des Anstoßes heißt Alcindo, ist - wie sich das sowohl für eine vernünftige Pastorale als auch für eine vernünftige Anti-Pastorale gehört - von Beruf Schäfer, gerade erst selbständig geworden und sich seiner neuen Freiheit ohne den wie ein Damoklesschwert über ihm schwebenden mütterlichen Pantoffel mehr als erfreuend, somit alles andere als gewillt, sich nahtlos wieder unter den Pantoffel einer Dame, und sei es noch so ein schöner, zu begeben. Da kann die vorgeblich in Liebe zu ihm entbrannte Nymphe Eurilla noch so viel werben (wie sich das gehört, tatkräftig unterstützt von ihrer besten Freundin Nice), der Stolz des Schäfers bleibt ungebrochen, und mit diplomatischer Kunst versteht er es stets, die Annäherungsversuche so abzuweisen, daß sowohl er als auch Eurilla ihr Gesicht wahren können. Diese kann und will sich nicht mit ihrer Niederlage abfinden, erschafft selbst holographische Welten, bleibt aber auch damit erfolglos, bis sie Alcindo bittet, ihr wenigstens Zuneigung vorzuspielen, worauf er sich auch einläßt. Damit nimmt aber das grausame Spiel seinen Lauf, denn Eurilla begnügt sich nicht mit seinem kleinen Finger, nicht mal mit der ganzen Hand, sondern reißt ihm praktisch den kompletten Arm aus, da er ihr nun doch verfällt, von ihr aber fallengelassen und vernichtet wird, weil er es gewagt hat, ihr so lange Widerstand zu leisten. Neben der vordergründig zwischenmenschlichen Handlung (die auch drei Jahrhunderte nach ihrer Niederschrift und Tonsetzung noch keineswegs an Aktualität verloren hat, eher im Gegenteil) gibt es auch kirchenpolitische Deutungen, welche die Nymphen als katholische Kirche samt der Heiligen Inquisition und Alcindo als abtrünnigen "Ketzer" ansehen; politische Deutungen mannigfacher anderer Art würden ebenfalls als nicht unplausibel erscheinen, aber wir wollen mal nicht spekulieren (und über real zwischenmenschliche schon gar nicht).
Die Aufführung im Hochschulkontext war durch mehrere internationale Seminare vorbereitet worden (u.a. eins zur Barockgestik - aber beispielsweise die Gestik der verschmähten Eurilla könnte zeitloser nicht sein), und das Barockorchester der Hochschule, das relativ symmetrisch im Orchestergraben sitzt, hat sich ebenfalls international verstärkt. Daß beispielsweise die Hornsektion selbstredend auf historischen Instrumenten spielt, also Naturhörnern, gehört nicht nur einfach dazu, sondern verleiht der Jagdarie 12 im ersten Teil (wo Eurilla zum ersten Mal ihren drachenartigen Charakter offenbart und folgerichtig auch zum ersten Mal die Höllenfeuerbeleuchtung angeknipst wird) durch die "schwankenden" Töne der Naturhörner einen bosheitstechnisch nochmals gesteigerten Charakter. Das Orchester hat über weite Strecken ausschließlich Begleitfunktionen zugewiesen bekommen, lediglich die Ouvertüre könnte man als selbständiges Konzertstückchen sinnvoll auskoppeln, und im Finale des ersten Teils bekommt die Violine Gelegenheit zu einer nicht sonderlich komplizierten, aber schönen Solokadenz.
Die drei Solisten erledigen ihren Job durch die Bank weg auf gutem bis sehr gutem Niveau, wenngleich bisweilen noch mit kleineren Steigerungsmöglichkeiten. So verfügt Jószef Gál als Alcindo über eine nasale, fast noch knabenhaft anmutende Stimme, in der der Schalk an zahlreichen Stellen durchblitzt, die aber in puncto Kontrastgestaltung speziell der schnelleren Läufe noch den einen oder anderen Wunsch offenläßt. Anastasia Perertyahina als Eurilla hat mit ein paar Startschwierigkeiten zu kämpfen und hätte generell ein wenig mehr stimmliches Durchsetzungsvermögen gebraucht (daß ihr Vivaldi mit Arie 3 gleich ein endlos-monotones Stück fast an den Anfang gesetzt hat, dafür kann sie ja nichts), steigert sich im Verlaufe der Aufführung aber und bringt in Teil 2, Arie 13 derart weiche Höhen zum Klingen, daß man trotz der Tatsache, daß es sich um den zweiten von drei Schlußschlägen, die sie gegen Alcindo führt (Mahlers Sechste grüßt aus späteren Jahrhunderten herüber ...), handelt, also um schiere inhaltliche Brutalität, dahinschmelzen könnte und feststellen muß, daß auch so etwas zum Arsenal der Waffen einer Frau gehören kann. Heidi Maria Taubert hat als Nice nicht so viel zu tun wie die beiden anderen, wirft trotz gedeckterer Stimme aber mehr Durchsetzungskraft in die Waagschale ud bekommt trotz leichter Startschwierigkeiten auch Arie 5 gut hn, in der ihr Vivaldi eine "gackernde" Stelle beschert hat, die sich Mozart inspirational für die berühmte Stelle in der "Zauberflöte" ausgeliehen haben könnte. So sind wir am Ende der Rezension wieder am Anfang angekommen, nämlich bei sich manchmal auf den ersten, manchmal aber auch erst auf den dritten Blick erschließenden scheinbaren, möglichen oder realen Querverbindungen. Wer die zu Hyänen werdenden Nymphen noch einmal sehen will: Am 22.6.2007 ergibt sich im Musikinstrumentenmuseum Leipzig die Gelegenheit dazu.



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