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Narziss, Misery Speaks   05.04.2007   Leipzig, Kulturbundhaus
von rls

Dieses Package fungierte als Opener für ein dreitägiges Minifestival unter dem Motto "East Vs. West", das titelgemäß Bands des orientalen und des okzidentalen Teils Mitteleuropas im Billing "gegeneinander" antreten ließ. Mit dem Gegeneinander war das bei besagtem Gig natürlich so eine Sache, denn hier machte sich eher ein freundschaftlicher Wettkampf um die besten Zuschauerreaktionen breit, ansonsten herrschte ein entspanntes Miteinander zwischen den Bands, die ja nicht nur Labelkollegen sind, sondern sich auch gegenseitig durchaus zu schätzen wissen schienen. In besagtem Wettkampf fuhren die Ossis Narziss - das sei vorweggenommen - allerdings einen klaren Punktsieg über die Wessis Misery Speaks ein.
Auf Misery Speaks war der Rezensent allerdings besonders gespannt gewesen, schließlich hatten es die Münsterländer mit ihrem selbstbetitelten Full-Length-Debüt geschafft, eines der stärksten Alben des insgesamt nicht sonderlich arm an Veröffentlichungen gewesenen Jahres 2006 vorzulegen, und auf dem großen Stapel der noch ungehörten CDs liegt auch noch ihr 2001er Sechstracker "Psycho-Trauma-Phobia", welchselbiger übrigens eine noch zu vier Fünfteln durch Langhaarfrisuren gezierte Mannschaft zeigt, wohingegen sich das Verhältnis mittlerweile umgekehrt hat, den Bassisten als einziges Mitglied mit Mehr-als-Pilzkopf-Länge zurücklassend. Aber irgendwie geht diese optische Veränderung schon als Indiz durch, daß Misery Speaks mit der seit real ca. zwei oder drei, für manche gefühlt aber vermutlich schon seit 15 oder 20 Jahren durch die Lande rasenden Metalcorewelle wenig bis nichts am Hut haben, sondern, falls der Sechstracker auch schon so klingt wie das neue Werk, allenfalls zu den Pionieren dieser Welle zu rechnen wären, die zwar zumindest teilweise aus der Hardcoreszene stammten, aber mehr nach Göteborgdeath klangen als viele Göteborgdeather selbst. Damals, um die Jahrtausendwende, wurden Labels wie Goodlife oder Lifeforce, auf denen diese Pioniere veröffentlichten, noch weithin belächelt, bis, ja bis sich ihre Aufbauarbeit verselbständigte und besagte Metalcorewelle, die etwa zeitgleich auch Amerika überspülte, loszurasen begann. Misery Speaks brauchten letztlich fünf Jahre, bis sie mit besagtem Album zu Potte kamen, ernteten darauf zwar vielerorts euphorische Pressereaktionen, hatten aber schon akut mit dem Problem der Marktübersättigung zu kämpfen - ein Punkt, den Kollege Tobias in seinem Albumreview auch schon ansprach, daraufhin aber die Feststellung tätigte, daß das der Klasse des Albums prinzipiell keinen Abbruch tun würde, womit er sich exakt auf einer Argumentationslinie mit dem Konzertrezensenten befindet, welchselbiger hochgradig neugierig war, ob das Quintett das hochklassige Material denn auch live adäquat umsetzen könne. Um es vorwegzunehmen: Nicht ganz. Das lag nicht explizit an der Band selbst, sondern am Sound, denn die angehörs des Leipzig-Gigs des Packages In Flames/Children Of Bodom/Dark Tranquillity/Arch Enemy irgendwann gegen Ende des letzten Jahrtausends aufgestellte These, daß Melodic Death live wenig beglückend ist, wenn man die Gitarren nicht glasklar durchhört, fand hier ein weiteres Mal ihre Bestätigung. Okay, so schlimm wie damals war's nicht, man konnte (auch dank nicht übertrieben hoher Lautstärke) schon noch etliches erlauschen, aber es gingen eben doch etliche Feinheiten verloren, sah man etwa im Intro von "I Am Never Enough" die Finger der Gitarristen über die Griffbretter flitzen, ohne aber mit entsprechenden klanglichen Ergebnissen belohnt zu werden. Der Soundmensch versuchte zwar gegenzusteuern - das aber zu dem Preis, daß man das intensive, im Gegensatz zu vielen Göteborgbands in tieferen Regionen angesiedelte Gebrüll des Sängers zumindest sporadisch kaum noch vernehmen konnte, während das auflockernde Gekreisch des einen Gitarristen und die wenigen Gangshouts des Bassisten meist hörbar blieben. So herrschte also eine gewisse Unausgewogenheit vor, die zwar immer noch ausreichte, um eine anständige metallische Dröhnung von der Bühne zu pusten, aber die Filigranitätsanhänger im Publikum wie den Rezensenten nicht ganz zufriedenstellen konnte. Nichtsdestotrotz bestach das Quintett durch immens hohe Spielfreude, und das, obwohl der Set eine gefühlte niedrigere Durchschnittsgeschwindigkeit besaß als das Album (obwohl auch Gewitter wie "Hate Remains" in der Setlist nicht fehlten). Allerdings sprang der berühmte Funke nur auf einen Teil des Publikums über, obwohl der Sänger zumindest zu Beginn des Sets eine engagierte Propagandapolitik zu betreiben versuchte, sich aber phasenweise dadurch selbst ausbremste, indem er einige Ansagen tätigte, während seine Kollegen noch Gitarrengedröhn erzeugten, und hier und da gar in einen herb shoutenden Tonfall verfiel, was beides nicht zur besseren akustischen Entschlüsselbarkeit seiner Botschaften seitens des Publikums führte. Ein paar Enthusiasten bangten fleißig, gegen Ende des nicht allzulangen Sets (das kommt dann wohl wieder aus der Hardcoretradition ...) begannen zwei, drei Figuren auch mit einem winzigen Circle Pit, und der Rest des Auditoriums spendete wohlwollenden Applaus, aber richtige Stimmung wollte nur partiell aufkommen, und die Tatsache, daß sich nach dem Schlußapplaus schnell Schweigen verbreitete und niemand eine Zugabe forderte, sprach Bände.
Bei Narziss, die nach einer relativ kurzen Umbaupause die Bühne betraten (dafür hatte sich der Gigbeginn schon genug hinausgezögert ...), sollte sich einiges zum Positiven ändern, vor allem der Sound. Zwar lagern die Jenenser deutlich näher am Hardcore als Misery Speaks, aber auch sie haben ihre alten Iron Maiden-Platten ausgiebig studiert und dementsprechend kubikmeterweise Gitarrenmelodien in ihrem mit Metalcore sicher nicht falsch bezeichneten Sound untergebracht - und die hörte man tatsächlich deutlich besser durch als die von Misery Speaks, so daß die Filigranitätsanhänger auf ihre Kosten kamen. Daß die Dröhnungsfetischisten ebenfalls nicht leer ausgehen würden, damit war von vornherein zu rechnen gewesen, und so bangten die ersten zwei Reihen fleißig, während dahinter bisweilen ein kleiner Circle Pit angezettelt wurde. Daß sich der Sänger in deutscher Sprache artikulierte, könnte auf Platte zwar einen Originalitätsbonus darstellen, hatte aber für die Livesituation mangels akustischer Verständlichkeit keine praktischen Auswirkungen, wobei die Ursache gedoppelt zu suchen ist, einerseits im kreischenden Stil, andererseits bei den wenigen Cleanpassagen dann doch wieder im Sound, denn - das sollte sein einziges größeres Manko bleiben - diese Passagen gingen akustisch restlos unter. (An dieser Stelle ein großes Sorry an das optisch nicht unansehnliche langhaarige weibliche Wesen namens Dana für die durch die Umgebungslautstärke bedingte eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit wie -willigkeit des Rezensenten.) Aber auch ohne explizites Verstehen von engagiertem Textgut wie "Gotteskrieger" oder "Das Tier" (wobei doch etliche Figuren im Publikum textsicher mitsangen) blieb der Genußfaktor der Kompositionen auch in der Livesituation auf einem hohen Level, wozu nicht zuletzt einige geschickt eingestreute untypische Auflockerungen beitrugen, schon mit dem entspannten Klavierintro beginnend und sich beispielsweise auch auf eine Handvoll der langsamen Passagen erstreckend, die mit klassischen Hardcore-Breakdowns wenig zu tun hatten, sondern eher im klassischen Doom verwurzelt zu sein schienen. Das Publikum wußte die Darbietung der fünf kurzhaarigen Thüringer durchaus zu goutieren und forderte im Gegensatz zu Misery Speaks von ihnen auch Zugaben ein. Somit gingen Narziss als Punktsieger vom Feld, und der Abend sollte mit einer HC-Disco namens "Suizide Danze" fortgesetzt werden, die nur den taktischen Fehler beging, mit zwei klassischen Dancefloorfegern zu starten, für die nun ganz und gar nicht das richtige Publikum anwesend war, weshalb sich der Raum rapide zu leeren begann und sich der Rezensent dieser Bewegung spontan bis fluchtartig anschloß.



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