www.Crossover-agm.de
Prog At Church III mit Steve Hackett   02.10.2006   Reichenbach, Peter-Paul-Kirche
von rls

Die Hintergründe dieser Veranstaltungsreihe hat der Rezensent ja bereits im Review zur Debütausgabe mit RPWL am 3.9.2005 beleuchtet; zur Zweitausgabe im April 2006 mit den Pink Floyd-Coverern Echoes konnte er leider nicht dabeisein, aber nun wieder zum Drittling mit dem ehemaligen Genesis-Gitarristen Steve Hackett. Daß das Resultat eine der schwierigsten Liverezensionen erfordern würde, die er jemals zu schreiben hatte, hätte er vorher nicht vermutet, obwohl er bei genauerem Nachdenken vielleicht schon hätte eine Vorahnung haben können.
Aber der Reihe nach, zunächst die Fakten: Die Kirche war nicht ganz gefüllt, aber für die Tatsachen, daß gleichzeitig das Reichenbacher Bürgerfest lief und der am Eingang zu entrichtende Obulus mit 30 Euro nicht gerade familienfreundliche Ausmaße besaß, konnte man auch mit dieser Auslastung durchaus zufrieden sein. Hackett spielte die erste Hälfte des Gigs solo, nur mit seiner Akustikgitarre bewaffnet, deren Korpus er aber gleichzeitig auch als Percussioninstrument benutzte; Gesang gab es hier keinen und nahezu keinen auch im zweiten Teil, als sein Bruder John an der Flöte sowie Roger King an den Keyboards die Besetzung zum Kammermusik-Trio aufrüsteten. Dieses Trio bestritt also die zweite Sethälfte und die beiden Zugabesongs. Generell fiel der sehr ausgewogene Sound auf, nur selten gab es beim Trio Intensitätsschwankungen, und die Lichtshow blieb spartanisch (anfangs pro Song eine einzige stationäre Einstellung!), aber durchaus wirkungsvoll, wenngleich die Wirkung auch mal nach hinten losging, wenn nämlich im zweiten Teil einer der blauen Scheinwerfer mehrmals minutenlang so nach hinten gerichtet wurde, daß er die hinteren Reihen zur temporären Erblindung bringen ließ. Dieses kleine Problem bildete nur einen Mosaikstein in der Generaleinschätzung des Rezensenten, hier einen der enttäuschendsten und langweiligsten Gigs seit langer Zeit erlebt zu haben, mit der er allerdings, gemessen an den Publikumsreaktionen, fast allein dastand - ein Paradoxon, das beispielsweise fast genau zehn Jahre zuvor mit dem todlangweiligen Metallica-Desaster in der Leipziger Messehalle 7 ein ebenbürtiges Exempel finden kann.
Woran lag's, daß der Gig in emotionaler Hinsicht einen weiten Bogen um den Rezensenten machte? Mehrere Faktoren dürften eine Rolle gespielt haben, deren einer im Songmaterial Hacketts verborgen liegt. Der Rezensent besitzt drei der Hackett-Soloscheiben und muß konstatieren, daß diese sehr auffälligen Qualitätsschwankungen unterworfen sind. Nimmt man beispielsweise mal "Spectral Mornings" her, stößt man auf den sehr starken, ja brillanten Opener "Every Day" - und danach fast nur noch auf ein wohl innovativ gedachtes, aber einfach nur langweiliges zusammengewürfeltes Gemisch aus allen möglichen Stilen, die bei drei nicht rechtzeitig auf den Bäumen waren; zweifellos kompetent eingespielt, aber seelenlos. Über das aktuelle Album "Wild Orchids" kann man ein ähnliches Fazit ziehen (wenngleich es durchaus möglich ist, daß hier innerredaktionell verschiedene Meinungen herrschen; warten wir also mal Thomas' zugehöriges CD-Review ab), über die noch stärker kammermusikalisch angehauchte "Metamorphosis"-CD lasse ich mich mal lieber gar nicht aus. Hardliner aus der sogenannten E-Musik rümpften und rümpfen ja immer wieder die Nase, wenn Vertreter der sogenannten U-Musik in ihr Territorium eindringen - zu Unrecht, wenn man etwa Deep Purples "Concerto For Group And Orchestra" hernimmt, aber leider zu Recht, wenn man Hacketts kammermusikalische Versuche heranzieht, die, würde nicht Hacketts Name auf dem Cover stehen, rein aus musikalischen Gründen niemand kaufen würde. Roger Kings Solonummern, die in den zweiten Teil eingestreut waren, halfen leider wenig, diesen Status im Set irgendwie zu überschatten, und das äußere Zeichen für diese Einschätzung bildete die Tatsache, daß das "Foxtrot"-Medley mit Abstand den stärksten Applaus hervorrief und somit allenfalls eine stärkere Genesisifizierung den Set vielleicht noch hätte retten können. Gewiß, spieltechnisch gab es an diesem Abend absolut nichts auszusetzen, aber die Seele, die schon im Songmaterial weitestgehend fehlt, die konnte auch das solistische oder gemeinschaftliche Musizieren nicht hervorzaubern, wenngleich es zumindest einige wirklich ergreifende Momente gab. Aber die emotionale Distanz war und blieb zu jeder Sekunde spürbar, und die hatte vielleicht auch einen strukturellen Hintergrund: RPWL hatten den Debütgig damals als spezielles Konzert begriffen und auch eine spezielle Setlist gespielt, mit der sie einen besonderen Event schufen; für Echoes war es, wenn ich richtig informiert bin, ebenfalls ein Einzelgig. Hacketts Konzert aber war in eine Tour eingebunden, "business as usual" also, und das merkte man überdeutlich - der Gig war für ihn einfach nichts Besonderes, wenngleich er das in den Ansagen natürlich anders herüberzubringen versuchte. Aber daß beispielsweise trotz stehender Ovationen des kompletten Publikums (außer dem Rezensenten natürlich) nach dem zweiten Zugabensong eine weitere Zugabe offensichtlich nicht mal in Betracht gezogen wurde, sondern umgehend das Licht angeschaltet wurde und die Konservenmusik wieder ertönte, verriet den Gewöhnlich-Status nur zu deutlich. Auch fiel auf, daß Cheforganisator Uwe diesmal keinerlei Begrüßungsworte o.ä. sprach, sondern lediglich 20 Minuten vor Gigbeginn per Durchsage das Fotografieren mit Blitzlicht untersagte - auch dies ein kleines Zeichen emotionaler Distanz, obwohl es durchaus möglich war, daß Hackett keine Begrüßung wollte (wenn dem so gewesen sein sollte, stellt ihn das aber auch nicht grade ins zugänglichste Licht). Der Gerechtigkeit halber sei aber angemerkt, daß verschiedene Anwesende nach dem Gig noch mit Hackett sprachen und dieser sich da sehr fannah gezeigt haben soll.
Nun könnte sich mancher Leser die Frage stellen, warum der Rezensent, wenn er schon so nörgelt und das mit dem Songmaterial ja eigentlich schon vorher wußte, überhaupt erst zum Gig gegangen ist. Dafür gab es drei gute Gründe. Erstens ist das Prog At Church eine hochinteressante Veranstaltungsreihe, die prinzipiell immer unterstützenswert ist, unabhängig davon, wer nun gerade spielt. Zweitens hat Hackett ja die Genesis-Klassiker in der Hinterhand (von denen es, da war sich der Rezensent mit dem Rest des Publikums sicher einig, noch mehr im Set hätten sein dürfen) und außerdem ja wie erwähnt mit "Every Day" bereits bewiesen, daß er hervorragende Songs schreiben kann, wenn er denn will; das "To Watch The Storms"-Album beispielsweise, das der Rezensent nicht besitzt und so nur auf seine Qualitäten spekulieren konnte, gilt bei vielen Anhängern als Klassiker, und so war zumindest eine gewisse Hoffnung auf eine sich auf die Highlights konzentrierende Setlist vorhanden - daß sich diese nicht erfüllte, konnte ja niemand ahnen. Drittens schließlich kommt es durchaus nicht selten vor, daß auf Konserve wenig begeisterndes Songmaterial live noch ganz andere Qualitäten entfaltet - aber auch diese Hoffnung sollte sich nicht erfüllen, zumal der Rezensent auch noch alleine anwesend war und den Gig so nicht mal zur gemütlichen Kuschelstunde mit einer schönen Frau umfunktionieren konnte, was aufgrund des tranquillitären Gestus weiter Teile des Gigs im Prinzip durchaus möglich gewesen wäre, gestört dann lediglich durch drei offensichtlich nicht mehr ganz nüchterne Gestalten der Prollprogfraktion, die den größten Teil der ersten Sethälfte eine Bank weiter hinten rechts saß und ein nur bedingt atmosphärentaugliches Verhalten an den Tag legte, zwar nach einiger Zeit dann verschwand, bis dahin dem Rezensenten aber auch schon gründlich die Laune verdorben hatte, was Hackett letztlich nicht kompensieren konnte.
So war der Rezensent wohl fast (aber eben nur fast, denn in der Mailingliste von progrock-dt gab es zumindest einen weiteren Mißgestimmten) der einzige Besucher, der die Kirche mit dem unschönen Gefühl im Magen verließ, hier gerade Ressourcen (nicht zuletzt Zeit!) zum Fenster hinausgeworfen zu haben, denn die Standing Ovations nach dem zweiten Zugabesong hatten sicherlich nicht die Freude, daß der Gig nun endlich vorbei sei, als Ursache. Steve Hackett, der aufgrund seiner Genesis-Mitwirkung immerhin einen Legendenmantel mit sich herumträgt, mal live gehört und gesehen zu haben ist sicher eine interessante Erfahrung, und der Rezensent (der prinzipiell ja kein Kostverächter der von Hackett gebotenen Stilistiken ist, wenngleich seine musikalischen Prioritäten woanders liegen) hat aus dem für ihn todlangweiligen Abend definitiv gelernt, daß er diese vermutlich kein zweites Mal machen muß. Das soll niemanden davon abhalten, sich seine eigene Meinung zu bilden, denn schließlich gab es in der Kirche an diesem Abend auch ein paar hundert Leute, die diese Einschätzung offensichtlich nicht teilten. Damit schließt der sich sowohl beim Gig als auch beim Reviewschreiben im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und einem guten körperlichen Zustand (wenn man schon ein halbes Stündchen vor Gigbeginn da ist, kann man ja in der Kirchenbank, die übrigens auch einem Menschen von der Körpergröße des Rezensenten ausreichend Platz bot, sogar noch ein kleines Schläfchen halten) befunden habende Rezensent diese Akte und wartet gespannt, was Uwe beim nächsten Mal so auffährt.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver