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Vernon Reid & The Masque   28.02.2006   Halle, Objekt 5
von ta

Ins hallische Objekt 5 passen vielleicht hundertzwanzig Leute und der Laden ist tatsächlich bis auf den letzten Platz gefüllt. "Platz" heißt hier nicht nur, aber auch Sitzplatz, denn zwischen den Standhaften sind Bartische mit entsprechender Bestuhlung errichtet, auf denen man sich auch gediegen etwas Beinruhe gönnen kann. Passenderweise, denn Vernon Reid & The Masque sind keine exzessiven Stimmungsmacher, sondern laden eher zum verzückten Lauschen und Schauen an. Der einzige Tänzer des Abends verschläft die zweite Auftrittshälfte - am Boden liegend, direkt vor der Bühne.
Mit einer Viertelstunde Verspätung und zwei Songs, die ich nicht kenne, startet das Quartett in den Abend und hat mit Song Nr. 3, "Game Is Rigged", dem Opener des neuen und dritten Albums "Other True Self", den ersten Volltreffer in petto. Besonders die schnellen Unisono-Parts sind eine Audiovisualweide. Mr. Reid himself, in gelbe Sportklamotten gekleidet, schafft es tatsächlich, den ganzen Gig über vielleicht fünfmal auf seine grellbunte Gitarre zu schauen und spielt selbst Marathon-Soli übelster Sorte mit stoisch in die Luft bzw. sein Innerstes gerichteter Miene. Was am Anfang Langeweile ausstrahlt, entwickelt sich mit der Zeit zu echtem Charisma. Hier gilt schlicht das Motto: Let the Music do the Talking. Genauso sieht es auch Bassist Hank Schroy, dessen Füße wohl in der Bühnenmitte festgenagelt worden sind und der mit seinen Blicken den ganzen Bühnenboden wischt, aber dadurch rein sehtechnisch kaum etwas vom Publikum mitbekommen haben dürfte. Nicht weniger lustig ist Keyboarder Leon Gruenbaum. Der Mann pendelt beständig hin und her zwischen archaischsten Instrumenten, die er mal traditionell in Klavierspielhaltung und mal Akkordeon-like bedient, ruft aber ganz unarchaischerweise in jeder Pause neue Synthie-Sounds aus einem der zwei Bühnenlaptops hervor und kratzt sich an jeder zweiten schwierigen Stelle den Kinnbart oder die Denkerstirn, freilich, ohne sich dabei zu verspielen oder auch nur eine Miene der Anstrengung zu verziehen. Hat irgendwie, wie auch der ganze Rest der Belegschaft bis auf Powerdrummer und Gute-Laune-Garant Don McKenzie, etwas sehr Entspanntes bis Bekifftes und dürfte damit so ziemlich das Gegenteil eines, sagen wir: Steve Vai-Gigs sein, obwohl Vernon Reid & The Masque von dem, was dort musikalisch läuft, soooo weit gar nicht entfernt sind. Aber nun und hier: Zu ganzen zwei Ansagen lässt sich Meister Reid hinreißen, und als ob nicht jeder längst bemerkt hätte, dass es hier ausschließlich, nur und ausnahmelos um die Musik geht, werden die Bandmitglieder vollständig in beiden Ansagen vorgestellt. Und das ist mit der Vorstellung durch den Veranstalter zu Beginn des Gigs immerhin der gleiche Infoblock dreimal. Die über die Musik hinausgehend bekräftigte Inhaltslosigkeit wird nicht zuletzt durch eine kurze Konversation zwischen Reid und einem weiblichen Fan bewiesen, deren Beziehungsprobleme ihn angeblich zu einem Song inspiriert hätten. Zitat (übersetzt): "Vergiss nicht, er liebt dich, alles wird gut, blablabla, haha." Das ist witzig, ehrlich und etwas obskur, wie so viel an diesem Abend, auch die Musik. Die Songs sind in Ordnung, ähneln sich mit der Zeit jedoch stark, besonders an den harten Stellen sowie bei den Frickelsoli, an denen ohnehin keiner erkennt, ob sie improvisiert sind oder originalgetreu gespielt werden. Und richtige Brüller wie der Reggae-Spaß und - den Reaktionen nach zu urteilen - Publikumsliebling "Flatbush And Church Revisited", das ebenfalls sehr entspannte Depeche Mode-Cover "Enjoy The Silence" oder das beschwingte "Mind Of My Mind" sind leider in der Minderzahl. Das macht aber nichts, denn auf eigenartige Art und Weise unterhaltsam war's allemal, und das immerhin über eine zeitliche Distanz von zweieinhalb Stunden, zwei Zugaben inklusive. Ehrlich, handgemacht, unpathetisch, maskenlos, entgegen des Bandnamens. Und ich weiß endlich, wie man Vernon Reid ausspricht: Wörnen Uied.



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