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MozartNullSechs   15.12.2005   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

"Eine szenisch-musikalische Feier zum 250. Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart" lautet der Untertitel dieser Veranstaltung und offenbart unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten des Begriffes "Feier", die vor Jahren auch die Leipziger Songpoeten zwischenFall in ihrem Kultsong "Anja Müller hat Geburtstag" bereits offengelegt hatten. Auch "MozartNullSechs" entpuppt sich als Collage höchst divergierenden emotionalen wie situativen Zuschnitts, wobei als allererstes festzuhalten bleibt, daß die Musik des alten Wolfgang A. hier über weiteste Strecken kein widernatürliches Korsett oder gar ein harlekinartiges lächerliches Gewand übergestreift bekommen hat - die acht Sänger, je vier männlichen und weiblichen Geschlechts, beherrschen ausnahmslos ihr Fach, singen selbst dann noch irgendwie brauchbar, wenn sie nebenbei genüßlich eine Mozartkugel vertilgen (das muß man erstmal hinbekommen!) und besitzen die notwendige Souveränität, um von ihrem stabilen gesanglichen Fundament aus dort zu parodieren, wo es paßt - köstlich und nicht zu toppen die Szene, in der Altus Stefan Görgner dazu ansetzt, in eine seiner regulären Solopassagen jamartig diese gewisse Sequenz aus der Arie der Königin der Nacht einzuflechten, woran er nur durch Einsatz eines Hockers als Schlaginstrument gehindert werden kann.
Was passiert nun konkret in den reichlich 100 Minuten? Das Gerüst bilden 18 Mozart-Gesangsstücke, der Statistiker vermerkt sechsmal "La finta giardiniera", zweimal "Ascanio in Alba", fünfmal "Idomeneo", zweimal "Zaide", einmal "La finta semplice", "Tantum ergo" und "Das Kinderspiel". Mit diesem Gerüst wird ein (wenngleich musikalisch nicht chronologischer) Bogen um Mozarts Leben geschlagen, als Ergänzung dienen Sprechpassagen, etwa Auszüge aus Mozart-Briefen, Äußerungen Dritter über Mozart oder auch gleich der eröffnende Oktalog mit dem Eintrag aus dem Taufbuch der Dompfarre Salzburg, abgedreht umgesetzt, indem fast jeder der acht Sprecher eine andere Wortgattung übernehmen muß und der Text praktisch live zusammengesetzt wird (Peter Paul Haller beispielsweise ist für Satzzeichen zuständig, wirft also an den entsprechenden Stellen jeweils das Wort "Komma" o.ä. ein). Zu diesen Audio-Elementen gesellt sich noch das szenische Spiel, das durch eine Reihe skurriler, nicht mal nur doppel- sondern drei- oder vierfachbödiger Ideen geprägt wird. Die Geburts- und Taufgeschenkszene etwa hat einen kleinen Schlenker in Richtung "Das Leben des Brian" verpaßt bekommen, und die Achtermannschaft zu halbieren, um jeweils die eine Hälfte singen zu lassen, während die andere Hälfte mit den vier Singenden als lebende Figuren ein Mozart-Familienbild nachbaut, gehört zu den ganz großen Einfällen. Auch die Werbungsszene, wo man bildlicherseits nicht etwa Wolfgang und Constanze, sondern John Lennon und Yoko Ono verkuppelt und wo erstmals auch die eingesetzte Videotechnik eine tragende Rolle spielt, sammelt viele Pluspunkte ein, was allerdings nicht für jeden im Gesamtwerk verbratenen Einfall gilt. Der eine oder andere Hintergrund dürfte sich (wenn überhaupt) nur dem Mozart-Detailkenner und/oder Italienischkundigen erschlossen haben, denn - der Detailkenner hat es oben bei der Setlistaufzählung bereits bemerkt - von den 18 Stücken sind nur "Das Kinderspiel" und die beiden "Zaide"-Stücke in deutscher Sprache gehalten, der Rest dagegen in Italienisch. Dafür wäre es mal eine schöne Aufgabe für eine Diplomarbeit, allen geplant verbratenen und den vielleicht gar nicht absichtlich eingebastelten, aber im Geiste manches Zuschauers doch entstehenden Assoziationen nachzuspüren. Die im Programmheft müßten mengebedingt dann vermutlich in einer zweiten Arbeit untersucht werden - dort konzentriert man sich auf eine Betrachtung des Genieaspektes, wo neben einem "Heiratsantrag" Sören Kierkegaards an Mozart auch reihenweise Zitate von Herren des Spektrums Brian Jones bis Kurt Cobain zu finden sind, die sich pointiert mit der Rolle des (scheinbaren) Genies im Zeitalter des Zerfalls der westlichen Gesellschaft im Sinne Oswald Spenglers ausienandersetzen; gleichermaßen lustig wie nachdenklich ist der Text von Gottfried Benn über die Laster und Krankheiten der gemeinhin als Genies betrachteten Schöpfer der Vergangenheit von Alkoholmißbrauch (Alexander der Große, Händel und Myriaden weitere) bis hin zu klinischer Schizophrenie (Newton, van Gogh und auch noch etliche andere), der in der Frage "Gibt es überhaupt ein gesundes Genie?" gipfelt. Als gesund konnte zweifelsohne auch Mozart nicht durchgehen, was ihn nicht vom Schaffen abhielt, aber auch multifunktional angreifbar machte. Angegriffen wird der Österreicher in "MozartNullSechs" auch, allerdings so richtig herb erst ganz zum Schluß. Bis dahin hat man einen gekonnt eindramaturgisierten Platzwechsel des Publikums (das mit seinen Stühlen von der einen Seite des Großen Probesaales auf die andere rückt, weil im zweiten Teil die Traversen gebraucht werden, auf denen das Publikum im ersten Teil noch gesessen hat), der zudem durch einen fröhlich durchs Gewusel marschierenden und die Arie "Con certe persone" schmetternden Simon Schnorr untermalt wird (ein einzigartiges Element), den Höhepunkt des ganzen Spiels (nämlich Tina Hermanns "Tantum ergo", das sie mit verbundenen Augen auf den amphitheaterartigen Traversen zu singen hat und dort vom die verschiedenen Mozart beanspruchenden oder auch ablehnenden Bevölkerungsschichten symbolisierenden verbliebenden Sängerseptett hin und her gestoßen wird - möchte nicht wissen, wie lange das gedauert hat, bis diese nicht ungefährliche Szene probeseitig fixiert war, selbst wenn die Augenbinde nicht völlig undurchsichtig gewesen sein sollte) sowie einige weniger geglückte Übergänge, denen etwas die spielerische Leichtigkeit des ersten Teils abgeht, hinter sich. Das Finale transportiert mit einem keineswegs nur latenten ausländerfeindlichen Touch (wer sich besser mit der Mozart-Biographie auskennt als der Rezensent, sollte ermitteln können, wo der Salzburger solchen Ressentiments begegnet sein könnte) die genannte Auf-Mozart-und-sein-Werk-Einprügel-Szene (was die Indoktrinierung und/oder Versaubeutelung Mozartscher Werke angeht, hat er ja ungewollt gar keinen so großen Rückstand zu Johann Sebastian Bach), die zudem beweist, daß (wenn man die Erfolgsbilanzen der Nationalmannschaften mal außen vor läßt) das Klischee doch stimmt, daß Männer besser Fußball spielen als Frauen. Von den sieben auf die Bildleinwand schießenden Personen (auf der Young-Ryung Lee zu sehen ist, die gerade eine Arie singt) treffen nämlich alle vier Herren regulär dorthin, wo es Mozart wehtut, von den Damen dagegen lediglich Tina Hermann. Letztgenannte ist übrigens neben Stefan Görgner zweifellos die Entdeckung dieser Aufführung, also finden sich sozusagen zwei Gleichere unter sechs weiteren Gleichen. Zu den Gleichen gehört übrigens auch die Klavier- und Dirigierfraktion (wiewohl ein Dirigent, der auf den ersten Blick lediglich eine Pianistin dirigiert, irgendwie mehr als skurril aussieht - erst auf den zweiten Blick entdeckt man seine hintergründige Koordinationsfunktion), während einem die Reinigungskräfte der Hochschule mehr als leid tun, denn mit Material vom Reis über Kreide bis hin zu Tonnen von Papierschlangen und einer Art simuliertem Kunstschnee-Pulver geizt die Aufführung nicht, und das Zeug liegt dann hinterher im ganzen Raum verstreut. So bleibt die Erinnerung an eine vom Publikum sehr positiv angenommene, musikalisch wertvolle, unterhaltsame und größtenteils stringente Revue mit lediglich einigen dramaturgischen Schwächen - wie das Genie Mozart darauf reagiert hätte, bleibt allerdings rein im spekulativen Bereich. Humor hatte er ja, das ist bekannt. Aber ob das gereicht hätte? Keine Ahnung. Ist aber auch (wie bei zwischenFalls Anja Müller) egal.



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