www.Crossover-agm.de
J.B.O., Atze Bauer   22.04.2005   Glauchau, Alte Spinnerei
von rls

Nach einem mehrmonatigen Break bliesen J.B.O. zum zweiten Teil ihrer Tour kreuz und quer durch die United States Of Blöedsinn, und mit Glauchau wählten sie dabei auch einen Ort, wo sie noch nie als Headliner gespielt hatten (jawohl, solche Orte gibt es tatsächlich ...): Bisher hatte der Tourtroß, wenn er in Westsachsen halt machte, stets in Chemnitz gastiert, in Glauchau war die rosa Rocktruppe dagegen bisher nur auf dem Woodstage-Festival präsent gewesen. Bei einer entsprechenden Publikumsbefragung entpuppte sich das Auditorium als über weite Strecken schon J.B.O.-gigerfahren, aber es meldeten sich auch etliche Frischlinge in der nicht ganz gefüllten Spinnerei.
J.B.O.-gigerfahren ist auch Atze Bauer, der im Vorprogramm auf die Bühne kletterte und - das sei vorweggenommen - den eindeutig stärksten Eindruck eines Supportacts seit den legendären Roh 1997 hinterließ. Äußeres Zeichen dafür war, daß er nur nach dem ersten Song mit den bekannten J.B.O.-Mantras ("Gebt mir ein ...") aus dem Publikum leben mußte, nach Gigende aber mit lauten Zugabeforderungen wieder hervorgeholt wurde und selbst, als er in der Umbaupause beim Abbau seiner Technik mit Hand anlegte, vom Publikum mehrmals mit "Atze, Atze"-Sprechchören gefeiert wurde - sowas hab' ich überhaupt noch nicht erlebt. Hatte er sich dieses positive Echo aber auch verdient? Partiell schon. Brillante musikalische Leistungen durfte man von dem gitarrespielenden und singenden Alleinunterhalter (der bei einigen Liedern von der Sony-Hausband - also einem DAT-Band - unterstützt wurde) selbstredend nicht erwarten, aber der Komikfaktor seiner Texte stimmte über weite Strecken, wenngleich seiner Erhöhung halber bisweilen Reimkonstruktionen angewandt wurden, die jeden Germanisten in einen suizidalen Gemütszustand versetzt hätten, zumal sie mit wirklich gekonnten Reimen wild durcheinander plaziert waren, also keine absichtliche Verunsicherungstaktik dahintergesteckt haben kann. Ganz besonders deutlich wurde diese Krux in "Ich trink ein Bier auf Hartz IV", dem Quasi-Titeltrack von Atzes aktuellem Tonträger, welcher neben einem hymnischen Chorus im wesentlichen aus einer kombinierten Aufzählung von alkoholischen Getränken und Politiker- bzw. Parteinamen bestand (also nach dem Prinzip "'Bitte ein Bit' auf die Ulla Schmidt"), welche sich eben durch den erwähnten Wechsel von sprachlich brillanten und stirnkräuselnden Kombinationen auszeichnete. Auch an aktuellen Thematiken kam der selbsternannte Liederchaot nicht vorbei - so hatte er sich ein T-Shirt mit der Titelseite der Bild-Zeitung vom 20.4. anfertigen lassen, wo die monströse Headline "Wir sind Papst" prangte, was ihm selbstredend einige bissige Kommentare wert war. Nicht neu, aber immer wieder wirkungsvoll war auch das Einstreuen des gleichen Textes auf unterschiedliche musikalische Motive - in diesem Falle des Refrains von "Marmor, Stein und Eisen bricht", welcher im Zugabenteil (dann mit stilechter Langhaarperücke) selbst auf "Paranoid", "Enter Sandman" und finsteren Death Metal paßte und bei manchem Zuhörer Erstaunen hervorgerufen haben mag, daß man auch aus einer Akustikklampfe mit einem entsprechenden nachgeschalteten Verzerrer finsteres Death Metal-Riffing hervorbringen kann. Nicht alle Erkenntnisse des Sets wiesen eine solche Tragweite auf, auch die Humortiefgründigkeit war Schwankungen unterworfen, aber irgendwie paßte das Level offenbar genau zum Publikum. Reaktion: siehe oben.
J.B.O. hatten gegenüber dem ersten Teil der Blöedsinn-Tour die Setlist (soweit ich mich an die damalige noch erinnern kann) nur marginal umgestellt, weswegen ich den Leser für die grundsätzlichen Angelegenheiten auf mein Chemnitz-Review vom 09.10.2004 verweisen kann. Die einzige Änderung, die mir spontan auffiel, war diejenige, daß Luciano Pavarotti, der selbstredend wieder als Gaststar dabei war und offensichtlich einen größeren Fundus an AC/DC-Nummern beherrscht, als man auf den ersten Gedanken vermuten könnte, diesmal nach "Roots Bloody Roots" noch "Highway To Hell" (oder in seinem Italienisch for runaways: "Autostrada del diabolo") intonierte, wo es im Herbst noch "Whole Lotta Rosie" (welches speziell durch seinen furiosen Instrumentalpart noch mehr Spaß gemacht hatte) zu hören gegeben hatte. Diese weitgehende Übereinstimmung gab also Gelegenheit, die Aufmerksamkeit auch verstärkt auf das eine oder andere Detail sowohl band- als auch publikumsseitig zu legen. Erstaunlicherweise brauchte letzteres beim Opener "Eine schöne Geschichte" einige Aufforderungen, bis die untermalende Geräuschkulisse bei der Schlacht der Armee der Langeweile gegen die Krieger des Spaßes richtig funktionierte, zeigte sich dann aber im wieder erstaunlich früh positionierten ersten Mitsingteil (nämlich gleich danach in "Verteidiger des wahren Blödsinns") sehr stimmgewaltig und verharrte im Rest des wiederum überlangen Sets irgendwo zwischen diesen beiden Polen, erreichte in der Summe also nicht ganz den Enthusiasmusfaktor des Chemnitzer Publikums vom letzten Herbst, wiewohl Hannes von der Bühne herab selbstredend etwas anderes behauptete. Apropos Hannes: Der übernahm diesmal einen auffällig großen Teil der Publikumskommunikation, während Vito sich merklich zurückhielt und Ralph zwar bisweilen dazu beizutragen versuchte, aber durch ein zu leise eingestelltes Mikro technologisch daran gehindert wurde. Hannes wiederum demonstrierte, daß er seinen Beinamen "G. Laber" zu Recht trägt, allerdings ließ er bisweilen etwas die humorgeschmackliche Treffsicherheit vermissen. Das ging mir schon in Chemnitz etwas auf den Keks (wenngleich es nicht im Review erwähnt wird) und diesmal wieder: Die dämliche Haßtirade auf Scooter und Jeannette Biedermann unterschritt noch das Niveau der Szene mit Atze Schröder vor einigen Jahren in "7 Tage 7 Köpfe", in der ohne Hintergrund "Zuckowski, du Arschloch" gebrüllt wurde und die mir diese Sendung endgültig verleidete; das Publikum spielte damals wie heute leider nur zu gerne mit. Daß Hannes von der katholischen Kirche nix hält und das auch kundtut, daran hat man sich mittlerweile ja gewöhnt - aber eine Band, die in ihrem Glashaus auch stilfremde Werke umzüchtet (ich sage nur "Go West", das als "Ein Fest" wieder im Zugabenblock auftauchte), sollte mit Steinwürfen auf die außerhalb des Hauses wachsenden Mutterpflanzen eher vorsichtig sein. Hochgradig unterhaltsam und paradox zugleich war erneut das im Set auftauchende "Danke für diesen guten Morgen" (die Mixtur aus autorkompatiblen und autorinkompatiblen Textzeilen hat nach wie vor was), zu dessen situativer Umdichtung mir diesmal das passende Nachbarobjekt fehlte. Zum Schwachpunkt des Gigs sollte erneut das auf Platte eigentlich sehr reizvoll-psychotische "Voll im Arsch" werden, da man Ralphs Gesang auch diesmal nicht verstehen konnte und somit lediglich der psychotische Aspekt der Musik relevant blieb (und der hält sich bekanntlich in Grenzen, wie man aus der Studioversion weiß). "Tutti Frutti" fehlte erneut im Set, und auch das Drumsolo hätte niemand wirklich gebraucht, wenngleich es natürlich nicht schlecht umgesetzt war. Ansonsten aber bewegte sich der Gig auf dem von J.B.O. mittlerweile gewohnten hohen Niveau (den kleinen 2001er Live-Schwächeanfall mal außen vor gelassen), koppelte geschickt lustige Covers wie ein speedlastiges Beatles-Medley mit Szenenhumor (als Vito irgendwann mal scheintot umfiel, intonierte das Publikum auf Hannes' Aufforderung heimatgerecht "Lebt denn der alte Vito C. noch?") und über weite Strecken gelungenen Eigenkompositionen, so daß die klassische Manowar-Pose am Ende von "Carry On", welches in seiner Verkleidung als Bandhymne "J.B.O." erschien (der Rezensent gönnte sich den individuellen Spaß, zeilenweise den Originaltext mitzusingen), erneut einen starken, an die Chemnitz-Vorstellung aber nicht ganz heranreichenden Gig schloß.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver