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20. Leipziger Minifestival der Liedinterpreten    06.11.2001     Leipzig, Moritzbastei
von rls

Ein geschickt gewählter Titel der Veranstaltungsreihe ließ eine Programmausweitung auch auf Formationen, die dem klassischen Liedermacherklischee "Alt-68er mit Wandergitarre" ganz und gar nicht entsprechen, zu, und drei Künstlerzusammenschlüsse, die zwar dem Terminus "Liedinterpreten" sensu lato, nicht aber dem Terminus "Liedermacher" sensu stricto entsprachen, sorgten zur Jubiläumsauflage für eine gut gefüllte Ratstonne in der altehrwürdigen Moritzbastei ("gut gefüllt" ist in bezug auf die absolute Besucherzahl aufgrund der geringen Platzkapazität allerdings nicht mißzuinterpretieren).
Das absolute Highlight, dies sei vorweggenommen, stand bzw. saß in Gestalt von Peregrina gleich zum Auftakt auf der Bühne. Daß Torsten Reiprich eine Schwäche für nicht mehr ganz rezente Lyrik hat, dürfte bekannt sein, und so stolperte er eines Tages über Eduard Mörike bzw. über dessen nicht eben glücklich zu nennende Beziehung zu einer gewissen Maria Meyer. Selbiges Wesen sollte pseudonymens Peregrina von nun an einen Teil von Mörikes Dichtung durchziehen, und ebenjenen Teil erweckte Torsten wieder zum Leben. Mit Kathrin Kiehl hat er dafür eine kongeniale Partnerin gefunden. Nicht nur, daß nur wenig Phantasie dazugehört, in ihr eine Peregrina zu erkennen (der Lateinkundige übersetzt Peregrina mit "die geheimnisvolle Fremde", was sie auch für mich trotz diverser Ereignisse der Vergangenheit immer noch ist), auch ihre musikalischen Fertigkeiten bildeten einen reizvollen Blumenschmuck auf dem von Reiprichs Gesang und Gitarrenspiel umgepflügten Boden, sobald sie sich ein wenig warmgespielt hatte (der eine oder andere luftigere Ton der Altflöte zu Beginn sei ihr verziehen). Akustische Wohlfühlergebnisse blühten besonders, wenn sie das Xaphoon auspackte, ein extrem eigentümliches Blasinstrument, kleiner als eine Piccoloflöte und mit einem warmen Ton, phasenweise an ein Saxophon erinnernd und quasi eine akustische Entsprechung zur Schönheit Peregrinas bildend, die nicht in allen, aber doch in vielen Texten des "Ein Stündlein wohl vor Tag" betitelten Programms präsent war und ist. Generell ist festzuhalten, daß der lyrische Charakter der dichterischen Ergüsse Mörikes eine angemessene Umsetzung erfuhr, auch wenn man Kathrin nicht jede Rolle, die sie aufgrund der Texte zu spielen bzw. zu singen hatte, so richtig abnahm, zumal ihr prinzipiell die warmen, samtigen, fast anschmiegsamen Lagen mehr zu liegen scheinen als die fast rezitativartigen Deklamationen, wie sie beispielsweise in der "Ballade vom Mummelsee" gefordert waren. Aber das ist wahrscheinlich nur ein völlig subjektiver Eindruck von mir, vielleicht auf einem Wunschbild basierend, das der Geburt einer Venus Illegitima recht nahe kommt (zum Glück wird der gleichnamige Therion-Track wohl nie im Peregrina-Repertoire auftauchen, anderenfalls würde ich wohl sterben). Bevor ich jetzt noch mehr wirres Zeug von mir gebe, hier noch die harten Fakten: 10 Songs plus "Lied eines Verliebten" als Zugabe (meine Güte, das kann doch schon wieder als Anspielung verstanden werden ...), Highlight der furiose "Feuerreiter", transparenter Sound, ordentliche musikalische Leistung, großes Potential. Punkt. Aus. Tosender Applaus.
Hernach hätte wohl jeder Künstler Schwierigkeiten gehabt, das Niveau zu halten. Mit Amapolas und Melusine betrat eine höchst eigenartig benamte wie besetzte Formation die Bühne. Gitarrist und Zeitweilig-Schlagwerker Thoralf Priesicke repräsentierte den Amapolas-Pol (nicht sinnbildlich, denn der Name bedeutet "Mohnblumen" auf spanisch, aber historisch, denn ein Teil des Sets bestand aus Nummern, die er mit seiner gleichnamigen Band schon gespielt hatte), während neben ihm drei Damen Platz nahmen, die ansonsten auf den Melusine-Meeren segeln und die gelegentlich instrumentelle Unterstützung gaben, sich im weiteren aber auf Gesangsarbeit konzentrierten. Ulrikes sehr hohe Stimme kam dabei nur selten zum Einsatz, den Hauptteil bestritten Ilka (eine Lage tiefer) und Carola (zwei Lagen tiefer), wobei die Möglichkeiten mehrstimmiger Arrangements noch zu wenig genutzt wurden. Rein musikalisch klang's trotz der Konzentration auf Eigenkompositionen irgendwie, als wenn eine Liedermacherformation mit genannter Besetzung Standards der Pop- und Rockmusik covern würde. Jedenfalls begannen mein Nachbar und ich nach einiger Zeit ein lustiges Ratespiel, wo wir diese oder jene Passage im Original schon mal gehört zu haben wähnten (Pe Werner war dabei, auch Silly und selbst AC/DC - glaube niemand an einen Scherz: es gibt tatsächlich schon Liedermacher-Bearbeitungen von "Highway To Hell" und anderen Gassenhauern der Gebrüder Young). Bis auf Carolas wirklich ausdrucksstarke Stimme blieb letzten Endes im wesentlichen nur die Erkenntnis haften, daß sich manche Frauen (wie eben die namensgebende Melusine) im Badezimmer durchaus in einen Drachen verwandeln können, obwohl die ganze Darbietung unterm Strich keineswegs schlecht war.
Zu Sebastian G. Birr und Jan Mareck, die den Abend beschlossen, brauche ich nicht sonderlich viel zu sagen, denn der Chansonier und sein Pianist boten zu einem guten Teil das schwarzhumorige Tucholsky-Programm, mit dem sie auch schon den Liedertour-Gig am 8.9.2001 in Prießnitz bestritten hatten, und sie waren mal wieder in guter Form. Allerdings fanden im zweiten Teil des Sets auch einige Werke ihren Platz, deren Texte aus Birrs eigener Feder stammten. Birr ist sicher kein zweiter Tucholsky, aber beispielsweise das kultverdächtige "Honigbrot" lieferte eine ansprechende dichterische Visitenkarte ab und brachte das Publikum mehr als nur zum Grinsen (mancher Anwesende mag sich nur zu oft im Text wiedererkannt haben). Den letzten großen Lacher produzierte allerdings der generell sehr songdienlich agierende Pianist Mareck bei der Zugabe, als er, mit einer Hand so gut wie möglich weiterzuspielen versuchend, mit der anderen Hand die widerspenstigen Noten zu ordnen suchte, die ihm schlußendlich vollends zu Boden fielen. An Peregrina kamen Birr & Mareck in meinem persönlichen Ranking nicht vorbei, aber am "Lohnend"-Status der gesamten Veranstaltung haben alle drei Acts ihren Anteil gehabt.
 






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