www.Crossover-agm.de "Sacro"-Pop - Ex und hopp?!
DownloadDownload

von Wolfgang Teichmann

Über Schwierigkeiten und Perspektiven populärer Musik in der gegenwärtigen kirchlichen Musikpraxis

A. Die Probleme fangen schon beim Namen an

Seit nunmehr über dreißig Jahren gibt es diesen Zweig der Kirchenmusik, der sich stilistisch aus Elementen des Schlagers, Pop, Rock, Blues und Jazz speist. Es ist schwer, Musik, die aus dieser Fülle populärer Musikrichtungen ihre charakteristischen Elemente ableitet, mit einem passenden Begriff zu belegen. Gebräuchlich sind die Bezeichnungen "NGL" (Neues Geistliches Lied) für die noch stark choralähnlichen Produkte (leicht erkennbar daran, daß sie gut auf der Orgel zu begleiten sind) und "Sacro-Pop" für die mehr Pop-Song-geprägten Lieder, oft von der Gitarre her entwickelt, mit ihren typischen kurzphrasigen, pausendurchsetzten Melodiemustern. Kürzlich las ich auch die Bezeichnung "Sacro-Jazz". Dabei stellte sich mir die Frage, warum diese Vorsilbe "Sacro-" überhaupt gebraucht wird. An der Art der Textinhalte allein kann es ja wohl nicht liegen.

Mir scheint eher, daß unter dieser Bezeichnung für die Kirche zurechtgestutzte Musik verstanden wird. Musik aus dem populären Bereich verliert aber an Unmittelbarkeit des Ausdrucks, wenn man ihr beispielsweise das Blues-Feeling wegnimmt oder im dezenten Piano die rockige Härte austreibt. Sie wird unverbindlich und angepaßt neutral.

Ich selber kann gut und gerne auf solche "zahnlose" Musik in der Kirche verzichten und benutze deshalb die Vorsilbe "Sacro-" auch nicht mehr. Hier wäre eine allgemeine Stärkung des musikalischen Selbstbewußtseins unter den Gruppen nötig.

Zurück zum Namen: Ich kann leider keinen genialen Vorschlag bieten. Gerade, weil das stilistische Feld so riesig und zwischen den extremen Polen Schlager und Jazz gesiedelt ist. In der weltlichen Musikszene gibt es eine Fülle von Stilbegriffen zur genauen Bezeichnung der Musik. Im kirchlichen Raum könnte man gleiches tun. Allgemein möchte ich den gesamten Bereich mit dem Begriff "populäre Musik" bezeichnen.

B. Schwierigkeiten aus der Sicht der Musiker

Ich selber leite seit Jahren Musikgruppen im kirchlichen Raum. Probleme ergeben sich regelmäßig im akustisch-technischen Bereich: Es ist nicht leicht, eine hallige Kirche mit einer schlagzeuggeprägten Musik zu beschallen. Manche Feinheiten des Arrangements verschwinden in einer dumpfen Klangwolke. Der Schlagzeuger muß extrem beherrscht und zurückhaltend spielen. Dabei bleibt dann oft die Spielfreude und das exakte Timing auf der Strecke. Dies gilt auch für die anderen Musiker. Eine mit Feeling spielende Band braucht auch eine gewisse Mindestlautstärke. Auch hier ergeben sich oft Probleme mit der Akustik, aber mehr noch Reibungen mit Küstern, Pastoren und älteren Gottesdienstbesuchern. Wobei das psychologische Moment nicht unterschätzt werden darf: Das Empfinden zu großer Lautstärke hängt auch eng mit Vorbehalten gegen Instrumente und Art der Musik zusammen. Ein Orgelpleno wird in der Regel kritiklos akzeptiert, während allein der Anblick einiger Kabel, Mikros und Gitarrenverstärker schon abschrecken, Ängste und Hörvorbehalte provozieren kann.

Auch die Abläufe von Gottesdienstveranstaltungen können aus Sicht von Musikgruppen Schwierigkeiten bereiten. So ist das gängige "Sandwich-Prinzip": Lied-Text-Lied-Text-Lied-usw. für die Musiker nicht ideal, weil sie sich nicht warmspielen können, sondern immer wieder gestoppt werden. Musikalische Lockerheit und Spielfreude können so kaum aufkommen.

C. Schwierigkeiten der Hörer

Junge Menschen wachsen mit populärer Musik auf, ihnen sind viele rhythmische, stilistische und klangliche Elemente unmittelbar vertraut. Überwiegend finden sich in den Gottesdiensten aber Menschen, die zu den Elementen populärer Musik weniger direkten Zugang haben, weil sie in ihrer musikalischen Entwicklung anders geprägt worden sind. Ihnen sind Choral und Orgel geläufiger als Songs mit Gitarre und Schlagzeug. Daher werden auch die genannten akustischen Probleme und die Frage der notwendigen Mindestlautstärke von ihnen weniger toleriert und häufig als zentraler Kritikpunkt genutzt.

In den letzten Jahren ist eine deutliche Rückbewegung zum traditionellen Gottesdienst mit der gewohnten Musik zu beobachten. Die "Auftragslage" vieler kirchlicher Musikgruppen ist gegenwärtig nicht gerade üppig. Liegt es an den Gottesdienstbesuchern und deren Altersstruktur, liegt es an den Pastoren, die weniger Lust zum Risiko bzw. zum speziellen Vorbereitungsaufwand eines Gottesdienstes mit einer Band zeigen, liegt es an den gegenwärtig sehr "braven" Jugendlichen, die ihre Vorstellungen zuwenig in das Gemeindeleben (Kirchentage ausgenommen) einbringen? Wie dem auch sei, der Schwung ist zur Zeit ziemlich hin. Wenn man bedenkt, daß Musikgruppen sich vor zwanzig Jahren beispielsweise den programmatischen Namen "Kirchenwecker" gegeben haben, muß man sagen, daß heute von Euphorie auf diesem Sektor der Kirchenmusik nicht mehr viel zu spüren ist.

D. Warum dennoch populäre Musik in der Kirche?

Wenn man diese Situation mit all ihren Problemen und Schwierigkeiten bedenkt, könnte man der Einfachheit halber diese musikalische Strömung in der Kirche als inzwischen überholt und nunmehr beendet betrachten. Aber was bliebe dann: Der Standard-Orgel-Gottesdienst mit gelegentlicher Umrahmung durch Kirchenchor, Flötenkreis und Posaunenchor. Nichts gegen diese Gruppen, aber da fehlt doch dann etwas in der musikalischen Palette! Gerade wenn sich die Kirche bemühen will, auch vor dem Hintergrund zahlreicher Kirchenaustritte, Menschen in ihren (auch musikalischen) Alltagserfahrungen zu erreichen und anzusprechen, darf die Einbeziehung populärer Musik in das gottesdienstliche Geschehen nicht fehlen.

Was kann man tun, um wieder frischen Wind in das Geschehen zu bringen? Ich wünsche mir wieder mehr mutige Veranstalter, die kreative Gottesdienste anbieten, in denen Bands sinnvolle Aufgaben zu erfüllen haben: Nicht bloß ein paar brave Stücke mit "angezogener Handbremse", sondern Liedblöcke, in denen man sich freisingen und -spielen kann, Textverklanglichungen und freie Bandstücke, in denen es für Musiker genug zu tun gibt. Gebraucht werden verständnisvolle Kirchenvorstände, Pastoren, Diakone und Kirchenmusiker, die Jugendlichen, die sich musikalisch betätigen wollen, bei der Suche nach Übungsräumen, der Beschaffung von Instrumenten und geeigneten Anlagen vor Ort helfen. Verstärkt angeboten werden müssen Möglichkeiten qualifizierter Fortbildung in musikalischen, organisatorischen und den speziellen akustisch-technischen Fragestellungen.

Nicht zuletzt steigt die Akzeptanz populärer Musik im kirchlichen Alltag auch mit ihrem musikalischen Niveau und ihrer technischen Übermittlungsqualität.

Eine Musik, die es allen Gruppierungen in der Kirche gleichermaßen recht machen will, gibt sich selbst auf, verliert ihr Rückgrat. Deswegen möchte ich die Gruppen animieren, ihre Musik, d.h. die Musik, die ihnen selbst wichtig ist, die ein Stück ihrer Persönlichkeit ist, im kirchlichen Gebrauch nicht aufzugeben oder zu verharmlosen, nur um niemand vor den Kopf zu stoßen. Die Vorsilbe "Sacro" sollte überflüssig werden: Was zählt, ist gute, einfallsreiche Musik, die ihre typischen stilistischen Merkmale (und damit ihre Herkunft aus dem Blues, Gospel oder Jazz) nicht schüchtern versteckt. Der mehr traditionell geprägte Gottesdienstbesucher sollte in erster Linie die Lebendigkeit und Frische populärer Musik positiv wahrnehmen und die gelegentlichen Lautstärke- bzw. Akustik-Probleme als zweitrangig hinstellen.

Es wäre gut, wenn diverse Hilfestellungen für Bands in der Kirche auch auf höherer Kirchenebene deutlich gefördert würden. Die Posaunenchöre beispielsweise haben es da mit ihrem Posaunenwerk ungleich besser. Mit Blick darauf müßte über die Errichtung einer ähnlichen Institution für Musikgruppen in der Kirche bald und gründlich nachgedacht werden.

aus:

"für den Gottesdienst"
Arbeitsstelle für Gottesdienst und Kirchenmusik
Ev.-luth. Landeskirche Hannover
Sonderheft 39/40 - November 1992



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver