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Rave-Gottesdienste als Versuch der Inkulturation von Glaube und Jugendkultur

von Thomas Kammerer, Jugendpfarrer, geistlicher Leiter der Katholischen Jungen Gemeinde (kjg) München und Freising und der Mittleren Ebene (Dekanat) der kjg München-Trudering

1 Einleitung

Im letzten Jahr konnte man in den Medien immer wieder zum Thema Techno in der Kirche lesen oder hören. Heftige Diskussionen entbrannten über Techno-Nächte in Hamburger und Münchner Kirchen. Verbote der Kirchenleitungen erregten die Gemüter. Und überhaupt: Die Techno-Szene an sich ist durch die Berichte über den Gebrauch der Designerdroge Extasy immer mehr in Verruf gekommen. Drogen jetzt auch in der Kirche?
Es ist schade, daß sich die Auseinandersetzung mit einem Trend jugendlichen Musikgeschmacks in der Öffentlichkeit (fast) nur von den Auswüchsen her geführt wird. Gewiß, Drogengebrauch ist eine gefährliche und ungute Sache, doch bildet er bei weitem nicht das Herzstück der Techno-Kultur, daher muß man sich davor hüten, aus diesem Blickwinkel alles zu bewerten bzw. abzuwerten.
Für viele Jugendliche in unseren Pfarrheimen und Jugendverbänden gehört Techno-Musik zum Leben oder besser gesagt: ist Techno-Musik eine Lebenswelt, ein Lebensraum. Tagtäglich werden JugendseelsorgerInnen und JugendpflegerInnen auf Firmlings-Wochenenden, Jugendparties und im Gespräch mit Jugendlichen mit diesem Phänomen konfrontiert. Und wie so oft müssen Erwachsene feststellen, daß für sie diese Musik, diese Welt der Jugend fremd und unbekannt ist.
Auch für mich war Techno bis vor kurzem noch monotone, phantasielose Musik, die ich nur so nebenbei mal aus irgendwelchen Walkmen dröhnen hörte. Bis mich im Oktober letzten Jahres Jugendliche aus einer Pfarrei ansprachen, sie würden gerne mal einen Techno-Jugendgottesdienst feiern.
Zuerst war ich skeptisch, versprach aber, mich erst einmal näher mit der Sache zu beschäftigen. Es folgten viele Gespräche mit Jugendlichen, was für sie diese Musik bedeutet und was sie dabei empfinden. Daneben besorgte ich mir Fachliteratur zum Thema und begann, mir die verschiedenen Techno-Stile anzuhören.
In dieser Auseinandersetzung wurde mir immer klarer, daß dieser Musik, dieser Jugendkultur sehr wohl eine Verbindungsmöglichkeit zum christlichen Glauben, seiner Liturgie innewohnt.
So wagte ich zusammen mit den Jugendlichen ein erstes Experiment im Februar, das zu einem vollen Erfolg wurde. Je mehr ich mich damit beschäftigte, je mehr ich selbst erlebte, desto mehr wurde mir klar, es handelt sich hier um eine wichtige Aufgabe unserer Kirche: Die Verbindung von Glaube und Alltagswelt oder theologisch ausgedrückt: Die Inkulturation.
Davon soll im folgenden die Rede sein. Zuerst aber erscheint es mir sinnvoll, einige grundlegende Gedanken voranzustellen, um zum Einen dem Phänomen Techno näherzukommen und zum Anderen den Kontext aufzuzeigen, in dem die Begegnung von Kirche und Jugendkultur stattfindet.

2 Techno - Jugendkultur mit religiöser Dimension

2.1 Jugendkultur oder konsumorientierter Modetrend

Der Begriff "Kultur" bezeichnet das Phänomen, daß der Mensch "in seiner geistigen Erkenntnis und Freiheit" (1) sich selbst, sein Leben und seine Umwelt gestaltet. Es schafft sich einen Lebensraum, in dem er sich wohlfühlt, der ihm in seiner konkreten geschichtlichen Daseinsweise und Situation entspricht.
Birgit Richard hat kritisch die Merkmale und Symptome der Techno-Szene untersucht (2). Sie kommt zum Ergebnis, daß es sich wahrhaftig um eine Kultur handelt. Bei allem Konsum, der in der Szene genauso vorhanden ist wie in unserer Gesellschaft als Ganzer, gestalten die Jugendlichen ihre Szene wesentlich selbst. Sie bestimmen den Kleidungsstil, die Umgangsformen und die Fortentwicklung der Musik. Mehr als in allen bisherigen Musikszenen ist der Weg zwischen Konsument und Produzent von Musik kürzer geworden. Jeder Jugendliche hat selbst die Chance, zum Produzenten, zum DJ zu werden. Man kann also von einer demokratischen Szene (3) sprechen. Gesellschaftliche Unterschiede werden in der Szene unbedeutend. Sie ist "wie keine andere Jugendkultur prädestiniert, unterschiedlichste Gruppen von Jugendlichen und Postadoleszenten einzubinden. Sie ist damit eine integrative jugendkulturelle Bewegung" (4). Der Einfluß der Wirtschaft mit ihren Interessen auf die Techno-Szene ist zwar vorhanden, aber begrenzt. Die Kleidungs- und Konsumartikelproduzenten hängen im Gegenteil den Vorlieben und Interessen der Jugendlichen hinterher. Auch die Tatsache, daß große Firmen als Sponsoren von Rave-Veranstaltungen auftreten, "schließt natürlich nicht aus, daß die Jugendlichen 'ihr eigenes Ding daraus machen' und ihren Spaß haben ohne hinterher Kunden der Sponsoren zu sein" (5).
Insgesamt versteht sich die Szene als "community", die sich ganz bewußt von anderen gesellschaftlichen Teilkulturen abgrenzt und vom Gedanken "friedlichen, gewaltfreien Zusammenlebens und -feierns auf der Grundlage einer gegenseitigen Akzeptanz" (6) geprägt wird. Dies manifestiert sich in den Begriffen "love, peace, unity, respect", die sich die Jugendlichen auf die Fahnen geschrieben haben.

2.2 Ausweg aus dem tristen Alltag

Die Techno-Kultur ist für die Jugendlichen ein Ausweg aus dem als trist und perspektivlos empfundenen Alltag. Jugend steht heute - ohne das genauer ausführen zu müssen - unter einem großen Druck: Identitätsfindung ist in der pluralen Gesellschaft zu einer enormen Belastung geworden; Arbeitslosigkeit hängt als Damoklesschwert über fast jedem; die Zukunftsaussichten sind verdunkelt durch Umweltkatastrophen, Zusammenbruch des Sozialstaates, fehlende glaubwürdige Sinnangebote, Enttäuschung durch das politische System (und die daraus resultierende Ohnmachtserfahrung), gesellschaftliche Prämissen für den Wert des Einzelnen "Erfolg" und "Leistung" usw. Auf diesem Hintergrund ist wohl die Flucht verständlich. Es ist eine Überlebensstrategie, die sicher nicht nur der jungen Generation anzulasten ist.
Das Musikerleben im Techno mit seinen gleichmäßigen Grundbeats, die oben beschriebene Akzeptanz der unterschiedlichsten Menschen durch die Szene, das Spüren des eigenen Körpers im Tanz ermöglicht es, wenigstens für eine begrenzte Zeit sich von diesem Druck, den Belastungen zu befreien, keine Rolle spielen zu müssen, ganz bei sich selbst zu sein. Gerade für Männer und Jungen, die sich aufgrund ihrer Sozialisation schwerer tun als Frauen und Mädchen, mit den o.g. Alltagsbelastungen umzugehen, ist Techno erstmals ein Raum, sich im ekstatischen Tanz, bei dem es keine Zuschauer gibt, sondern sich alles permanent in rhythmischer Bewegung befindet, frei und unbelastet zu fühlen (7).

2.3 Religiöse Dimensionen

Mystik und Ekstase sind Begriffe, welche die religiöse Dimension des Techno andeuten. Es geht um unmittelbare Erfahrung des Anderen, einer anderen Welt oder theologisch gesprochen: der Transzendenz. In dieser Erfahrung wird man ergriffen vom Glück, daß das, was man im Alltag erlebt und erleidet nicht alles ist. Da gibt es noch etwas, das darüber hinausgeht.
Der meist durchgehend gleiche Grundrhythmus der Musik kann den Menschen in eine meditative Stimmung versetzen, ähnlich wie bei explizit religiösen Meditationstechniken, z.B. dem Rosenkranzgebet, den Gebetsmühlen asiatischer Religionen. Aus dem Alten Testament sind uns aus dem jüdischen Bereich musikalische Techniken bei prophetischen Verzückungen zumindest in der Frühzeit Israels bekannt (z.B. Elischa in 2 Kön 3,15).
Auf der Musik kann man gleich einem Fluß die Belastungen schwimmen lassen, man fühlt sich geborgen und getragen. Es ist ein berauschendes, ekstatisches Gefühl, das jemanden ergreifen kann. Nun sind Rausch und Ekstase, Mystik und unmittelbare Erfahrung des Transzendenten im Christentum lange Zeit in den Hintergrund getreten, wenn nicht sogar verpönt gewesen. Die Gründe dafür aufzudecken ist hier nicht meine Aufgabe, und natürlich liegen in diesen vom Verstand nicht unmittelbar greifbaren Erfahrungen auch Gefahren. Es zeigt sich aber zunehmend, daß Glaube nur im Gleichgewicht rationalen Erkennens und Zustimmens und mystischen Erfahrens und Ergriffenseins möglich ist (8). Stimmen wir dem zu, dann zeigt sich im Erleben von Techno die Chance und die Notwendigkeit der christlichen Pastoral. Alle oben beschriebenen Phänomene sind nämlich zuerst einmal wie alle Lebenswelt ambivalent, mehrdeutig. Wer oder was wird erfahren? Von wem oder was wird der Tanzende getragen? Das Erlebnis der Musik ist somit auch offen für die Erfahrung Gottes, wenn sie in den richtigen Deutungszusammenhang gestellt wird. Diese Offenheit muß allerdings nicht automatisch und notwendig zu dieser Begegnung mit Gott führen (dies gilt übrigens auch für anerkannte Meditiationstechniken wie den Rosenkranz). Die Ambivalenz aller Lebenswelt kommt hier zum Ausdruck (9). Festzuhalten gilt aber: Jugendliche, die solche Erfahrungen des Getragenseins, der Begegnung mit dem ganz Anderen im Techno machen, stehen ganz nahe an der Schwelle zur Transzendenz, d.h. zur Begegnung mit Gott und seiner Liebe.

3 Inkulturation und plurale Gesellschaft

"Der Bruch zwischen Evangelium und der modernen Kultur ist ohne Zweifel das Drama unserer Zeitepoche", schreibt Papst Paul VI in seiner Enzyklika "Evangelii nuntiandi" (10). Für uns als Kirche stellt sich die Frage, wie dieser Bruch überwunden werden kann. Und: Ob es sich wirklich um einen Bruch zwischen Evangelium und Kultur oder um eine zunehmend deutlicher werdende Differenz zwischen christlich-katholischer Kultur und anderen Kulturen in der pluralen und multikulturellen Gesellschaft handelt.
Das Evangelium vom Reich Gottes ist nicht an irgendeine Kultur gebunden. Es richtet sich an alle Völker und Kulturen. Inkulturation des christlichen Glaubens verfolgt also das Ziel, "den Anbruch des Reiches Gottes in einer konkreten Zeit und an einem konkreten Ort voranzutreiben" (11).
Nun müssen wir aber unterscheiden zwischen dem Evangelium und seiner kulturellen Gestalt im Katholizismus (12). Alles, was wir an religiösen Ausdrucksformen und Theologien kennen, ist bereits die Konkretisierung des Evangeliums in Zeit und Ort. Inkulturation kann also nicht bedeuten, einer anderen Kultur nur das eigene bereits inkulturierte Evangelium zu übergeben. Es muß vielmehr zu einer "dialektischen Begegnung" (13) des christlichen Glaubens und einer bestimmten Kultur kommen, "durch die die Kultur bestätigt, hinterfragt und zum Gottesreich hin verwandelt wird und durch die gleichzeitig der christliche Glaube bestätigt, hinterfragt und durch diese einzigartige Form seiner Verwirklichung bereichert wird" (14). Es geht der Inkulturation also um gleichwertige Begegnung, gegenseitiges Lernen und die gemeinsame Weiterentwicklung auf das Reich Gottes hin. Kirchliche Kultur steht also nicht über oder jenseits anderer Kulturen, sondern hat die Aufgabe in allen Kulturen nach Gott und seinem Wirken zu suchen, ihn zu erkennen und zu benennen, damit das Evangelium erfahrbar und wirksam werden kann.
In der pluralen und multikulturellen Gesellschaft von heute bezieht sich die Aufgabe der Kirche zur Inkulturation des Evangeliums nicht nur auf ferne Völker und Kulturen. Vielmehr muß die Kirche sich innerhalb unserer Gesellschaft als eine von vielen Kulturen und Teilkulturen verstehen lernen, um ihrer Sendung gerecht zu werden. Erst dann ist wirkliche Begegnung und gegenseitige Befruchtung möglich. Dies gilt in unserem Zusammenhang auch für die Auseinandersetzung mit der Jugendkultur.
Dies bedarf allerdings eines guten und freien Selbstbewußtseins unserer Kirche und ihrer Vertreter, da die Begegnung und das Bemühen um Inkulturation auch die eigene Kultur im oben genannten Sinn verändert und bereichert. Offenheit, Dialogbereitschaft und der Mut, Neues zu versuchen gehören wesentlich zu einer gelingenden Inkulturation. "Prüfet alles, und behaltet das Gute" (1 Thess 5,21). So ist das Experiment, der Versuch, das Gemeinsame zu finden, wesentlich Bestandteil der Inkulturation im ganzheitlichen Sinn der Einheit des Glaubens aus Rationalität und Mystik. Dies gilt auch und im Besonderen für den Bereich des religiösen Feierns, die Liturgie.

4 Rave-Gottesdienste - ein Erfahrungsbericht

Auf dem Hintergrund der bisherigen theoretischen Überlegungen zu Techno und Inkulturation ist der folgende Erfahrungsbericht zu lesen. Er stellt einen Versuch dar, der Jugendkultur zu begegnen und ihr im Feiern des christlichen Gottesdienstes einen Raum anzubieten zur gegenseitigen Bereicherung.

4.1 Ziel und Zielgruppe

Im Gegensatz zu manch anderen Bestrebungen im Zusammenhang von Techno und Kirche war das Ziel unserer Gottesdienste nicht die Werbung von Jugendlichen aus der Szene für die Kirche. Es ging nicht darum, Jugendliche, die sich von der christlichen Gemeinde entfernt hatten, zu "missionieren". Wir - das heißt die fünfköpfige Vorbereitungsgruppe von Jugendlichen und ich als Jugendpfarrer - wollten die Jugendlichen in unseren Pfarreien ansprechen, also die, die sich im Grenzbereich zwischen kirchlicher und Techno-Kultur bewegen, d.h. in beiden Kulturen (noch) beheimatet sind. Ihnen wollten wir zeigen, daß sie mit ihrer Eigen- und Einzigartigkeit auch weiterhin einen Platz in der Kirche haben. Sie sollten sozusagen die Mittelsmänner und -frauen für die Annäherung an diese Jugendkultur sein.
Mit der Hineinnahme der Techno-Musik in die klassische Liturgiefeier verfolgten wir das Ziel, dieses Phänomen in den christlichen Deutungszusammenhang zu stellen, also Antwort zu geben auf die o.g. Fragen: Wem begegne ich im ekstatischen Tanz? Von wem bin ich in dieser "Meditation" getragen?
Daher wählten wir bewußt den Kirchenraum mit seiner explizit christlichen religiösen Bedeutung und die Eucharistiefeier, welche die deutlichste und intensivste Form der mystischen Begegnung mit Gott im Sakrament darstellt. Wir konnten ja aufgrund der Zielgruppe davon ausgehen, daß die Eucharistiefeier für die TeilnehmerInnen einen bekannten Raum verkörpert.

4.2 Thema und Inhalt

In der Darstellung beschränke ich mich auf den zweiten Gottesdienst vom Juli 1996, über den auch in den Medien berichtet wurde. Als Thema wählten die Jugendlichen "Hat mein Leben überhaupt noch Sinn"? Hintergrund bildeten die steigenden Selbstmorde von Jugendlichen in letzter Zeit.
Die Vorbereitungsgruppe bereitete dazu Zeitungsberichte in Form einer Radio-Nachrichtensendung auf. Diese wurde in den dunklen Kirchenraum über Lautsprecher gestellt.
Anschließend formulierte ein Mitglied der Gruppe eigene Fragen, die ihm beim Hören des Berichts gekommen waren. "Was belastet einen Menschen so stark, daß er das Leben nicht mehr er-tragen kann"? In diese Frage mündeten die Gedanken. Anschließend wurden die Mitfeiernden eingeladen, in den Stein, den sie am Eingang bekommen hatten, all die Belastungen ihres eigenen Lebens hineinzudenken. Nach einer kurzen Stille (untermalt mit meditativer "Chill-Out"-Musik (15)) wurden die Steine von einem zum anderen weitergegeben und schließlich vor dem Altar aufgehäuft. Der Teil schloß mit einem zusammenfassenden Gebet. Es folgte zum Gloria-Lobgesang der erste Tanzteil.
Als nächstes wurde der Bibeltext "Der Gang Jesu auf dem Wasser" (Mt 14,22-33) verlesen und von mir ausgelegt ("Ich habe jemanden, der mich hält, wenn mir das Wasser bis zum Hals steht").
Nach einer Überleitung schrieben die Mitfeiernden auf Postkarten "Wofür es sich für mich lohnt zu leben". Diese wurden dann an einer Schnur quer durch die Kirche aufgehängt.
Zur Gabenbereitung spielten wir "Rave Maria", eine Techno-Bearbeitung des Ave Maria von Charles Gounod. Dazu wurde getanzt. Das Hochgebet wurde mit einem ruhigen Musikstück von Dune ("in the end") unterlegt und führte so zu gesammelter und dichter Atmosphäre.
Der Friedensgruß und die Danksagung nach der Kommunion boten nochmals Gelegenheit zu tanzen.
"Den Belastungen des Lebens einen Sinn zugestehen, weil jemand da ist, der sagt: Es ist gut - ich halte dich, ich trage mit". Unter diesem Satz stand der Abschluß des Gottesdienstes. Dazu wurden die Steine leicht mit Goldfarbe besprüht als Zeichen, daß durch diese Feier die Belastungen nicht einfach weg, vielleicht aber ein bißchen wertvoller geworden sind. Dann wurden die Steine ausgeteilt und die Mitfeiernden eingeladen, sich auch eine Postkarte als Andenken und zum Weiterdenken mit nach Hause zu nehmen. Ein irisches Segensgebet und einige Techno-Tanz-Stücke schlossen den Gottesdienst ab.

4.3 Resonanz und Bewertung

Die Resonanz auf den Gottesdienst war sehr positiv. Neben vielen begeisterten Jugendlichen ist zu vermerken, daß gerade auch die anwesenden Erwachsenen (Eltern, Pfarrangehörige, Jugendseelsorger etc.) sehr beeindruckt waren und den Wunsch äußerten, das nächste Mal wiederzukommen. Das Thema machte viele Jugendliche betroffen, besonders natürlich diejenigen, in deren Umfeld in letzter Zeit ein Selbstmord vorgekommen war.
Im Ganzen wurde in allen Rückmeldungen gewünscht, in dieser Richtung weiterzuarbeiten.
Ich selbst erlebte den Gottesdienst als sehr dicht, die Teilnehmer waren Großteils sehr konzentriert dabei und schafften es immer wieder, nach dem Tanz sofort zur Ruhe zu kommen. Dabei habe ich gemerkt, daß es sehr auf meine eigene Person als Zelebrant ankommt, ob ich fähig bin, die Mitfeiernden in die gottesdienstliche Atmosphäre hineinzulenken.
Die Mitwirkung der Vorbereitungsgruppe war diesmal wesentlich intensiver als beim ersten Gottesdienst und es war zu spüren, wie ihr Gespür für Liturgie und Glaube durch die Vorbereitung gewachsen war. Die Symbolik des Steins wurde als sehr gut empfunden; die meditative Hintergrundmusik zu Hochgebet und "Vater Unser" vertiefte das im Wort Gesprochene und erreichte eine konzentrierte und bewußte Mitfeier. Für mich hat sich gezeigt, daß es sich lohnt, in diesem Bereich weiterzuarbeiten. Das Experiment zeigt, daß es gelingt, Jugendlichen das Gefühl von Kirche und Liturgie als eine Art Gegenwelt zu ihrer eigenen Lebenswelt zu nehmen. Darüber hinaus können sie durch die Feier dieses Gottesdienstes neue Deutungsmuster in ihre Welt und Kultur hinübernehmen und bei aller Flucht vor dem Alltag und seinen immer größer werdenden Problemen vielleicht wie Jona gerade dort den Anspruch und Zuspruch des Evangeliums entdecken.

5 Ausblick

Techno und Gottesdienst bleibt weiterhin ein heiß diskutiertes Thema in unserer Kirche. Dabei spielen manchmal auch Ängste vor Neuem und Unbekanntem eine Rolle.
Den Skeptikern möchte ich sagen, daß ich nicht der Meinung bin, daß Techno sich als genuine Gottesdienstmusik in unseren sonntäglichen Gemeindemessen durchsetzen soll. Darum geht es auch bei unseren Versuchen nicht. Es geht vielmehr um die Seelsorge, die Sorge um die Jugendlichen, die nicht mehr in der traditionellen Kirchenkultur eine Heimat finden, daher nicht selten als "Ungläubige" beschimpft werden, jedoch auf ihre ganz eigene Weise - bewußt oder unbewußt - Berührung suchen und finden mit dem ganz Anderen, mit dem Größeren, dem Transzendenten, die Begrenztheit der Welt überschreitenden, eben mit Gott, dem Gott, den wir als Kirche verkünden. Theologische und musikalische Überlegungen sind wichtig und gut, sie müssen aber immer den konkreten Menschen, sein Heil, seine Hoffnung auf Leben in Fülle in den Mittelpunkt stellen.
Ich bin nicht wie z.B. der Kirchenmusikprofessor Dr. Markus Eham der Meinung, daß es sich bei Techno um eine bereits zu Ende gehende Kulturform handelt und die Kirche jetzt bereits zu spät daran ist, auf diesen Zug aufzuspringen (16). Und selbst wenn es so wäre, daß dieser Trend nicht mehr lange dauert, so leben heute und jetzt Jugendliche unter uns, in unseren Gemeinden, die ernst genommen werden wollen. Der Pastoral, der Verkündigung des Evangeliums darf es nicht darum gehen, "ewige" Antworten zu geben, dann würde sie sich selbst zu Gott machen. Das Einzige, was sie in ihrer menschlichen Begrenztheit zu geben vermag, ist eine Antwort, die heute und jetzt den Menschen anspricht und ergreift, ihn in den Rausch versetzt, den die Jünger am Pfingsttag erlebten (Apg 2,1-13): Die überschäumende Ergriffenheit vom Geist Gottes, seiner Liebe.
Hierzu wollen unsere Rave-Gottesdienste ein Beitrag sein.

Anmerkungen

(1) Rahner, Vorgrimler, Kleines Theologisches Wörterbuch 248
(2) Richard, Love, peace and unity. Techno - Jugendkultur oder Marketing Konzept?
(3) vgl. ebd. 318
(4) ebd. 320
(5) ebd. 322
(6) ebd. 319f
(7) vgl. ebd. 320f
(8) vgl. Bürkle, Rationalität und Ekstase, 53
(9) vgl. Sauer, Mystik des Alltags 61ff
(10) Paul VI, Evangelii nuntiandi 20
(11) Groome, Inkulturation als Aufgabe der Pastoral 82
(12) vgl. Baum, Inkulturation und multikulturelle Gesellschaft 69f, ebenso Lumen Gentium 58
(13) Groome a.a.O. 83
(14) ebd.
(15) i.e. ruhige meditative Musik, die in den Ruhezonen einer Techno-Party (Chill-out-Bereich) zur Entspannung gespielt wird.
(16) Eham, Aufschwung mit Techno? 67

Literaturverzeichnis

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Boller, Urs, Die Geschichte der Christenheit beginnt mit einem Rauscherlebnis, in: RL-Zeitschrift für Religionsunterricht und Lebenskunde, 1996 (25. Jg.), Heft 1, Seite 3-4
Bürkle, Horst, Rationalität und Ekstase, Eine Aufgabe für Glaube und Theologie, in: Geist und Leben 1986 (59. Jg.), Heft 1, Seite 48-54
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Eham, Markus, Aufschwung mit Techno?, Grundsätzliche Überlegungen zu einem aktuellen Phänomen, in: Gottesdienst 1996 (30. Jg.), Heft 9, Seite 65-67
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Grom, Bernhard, Was ist Mystik? Versuch einer Psychologie ohne Psychologismus, in: Stimmen der Zeit 1991 (116. Jg.), Heft 12, Seite 810-820
Groome, Thomas, Inkulturation als Aufgabe der Pastoral, in: Concilium 1994 (30. Jg.), Heft 1, Seite 82-94
Haas, Alois M., Mystik als Suche und Findung von Sinn, in: Geist und Leben 1994 (67. Jg.), Heft 3, Seite 189-205
Heumann, Jürgen, Mythen des Alltags in der Jugendkultur. Eine Problemanzeige, in: Religion heute 1994, Heft 3+4, Seite 117-118
Jäger, Willigis, Mystik - Weltflucht oder Weltverantwortung? in: Concilium 1994 (30. Jg.), Heft 4, Seite 332-339
Kögler, Ilse, "Everybody's looking for an answer" Religiöse Motive in der Pop- und Rockmusik, in: Lebendige Katechese 1995 (17. Jg.), Heft 2, Seite 117-120
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© Thomas Kammerer 11. September 1997



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