www.Crossover-agm.de Metal oder Metal - Zum Teufel mit dieser Musik?
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© Julia Förster August 1997

 Wer fürchtet sich vor Rock-Musik? Niemand. - Längst ist sie radiotaugliches Allgemeingut geworden. Doch wenn die Gitarren härter und die Stimmen aggressiver klingen und der Begriff "Metal" oder – etwas altmodischer – "Heavy Metal" ins Spiel kommt, ist es vorbei mit der Ruhe.

In diesen Tagen etwa tritt die amerikanische Skandal-Band Marilyn Manson in Deutschland auf; in Dessous. Ihre CD heißt "Antichrist Superstar". Ist das gefährlicher Satanismus? Ein Fall für Sittenwächter? Ist das dumm und brutal? Oder gar alles zusammen?

Tanzen ist nicht gleich tanzen. Die einen wiegen sich zu harmonisch unaufdringlichen Klängen auf der Tanzfläche, nippen nebenbei an ihrem Sekt und achten darauf, sich von ihrer Schokoladenseite zu zeigen. Andere springen, schütteln Köpfe und Haare zu metallischem, eindringlichem Lärm, Schweißperlen im Gesicht. Ihre Umwelt nehmen sie gerade mal wahr, wenn sie auf fremden Füßen gelandet sind.

Metal ist Musik, die ihren ganzen Körper packt, wild und vor-laut. Sie läßt sich nicht zur Hintergrundmusik degradieren, weil harte Gitarren den Adrenalinspiegel heben und aggressiver Gesang die Aufmerksamkeit erzwingt. Und wenn Marilyn Manson über die Bühne toben, dann überschütten sie ihr Publikum mit energischem, wütendem Industrial-Metal und mit Haß-Tiraden auf die u.s.-amerikanische Kultur und Gesellschaft, auf verlogene Religiösität.

Ein gutes halbes Jahr ist es her, daß sich Marilyn Manson, die Band aus Miami, in Amerika eine riesige Fangemeinde erschlossen hat, die Charts bis auf Platz drei erklomm und bei Moralhütern Entsetzen verbreitete. Immerhin heißt das heißbegehrte Album "Antichrist Superstar"; der Name Manson erinnert an den Satanisten Charles Manson, der den Ritualmord an der Schauspielerin Sharon Tate zu verantworten hat. Die Band ist schrill, der Sänger selbst sieht aus wie ein gefallener Engel in Strapsen.

Ihre Provokationen gehen nicht ins Leere. Wegen einer Bombendrohung mußte ein Konzert in New Jersey am Halloween-Tag vier Stunden verschoben werden. Der deutsche Managementleiter der Band, Hinrich Stürken, war dabei: "Es wird vermutet, daß religiöse Fundamentalisten für die Bombendrohung verantwortlich sind." Auch die Phantasie der Fans nahm bisweilen bizarre Formen an: Sie interpretierten in die Texte der Band eine Ankündigung hinein, nach der sich der Sänger live auf der Bühne das Leben nehmen wolle. Im Internet wurde über den Termin diskutiert.

Mit Ozzy in den Selbstmord?

Ist das ein weiteres Indiz dafür, daß zu Metal gefährliche, teuflische Rituale und Ansichten gehören? Schließlich taucht der Begriff "Heavy Metal" in den Medien fast immer in diesem Zusammenhang auf: Ein 14jähriger wirft sich vor den Zug, und der Name seiner Lieblingsband - Pantera - fällt. Eltern machen Ozzy Osbourne oder die Band Slayer für den Selbstmord ihrer Kinder verantwortlich und ziehen vor Gericht.

Der bekannteste Fall ist der des Judas Priest-Fans James Vance. Er und sein Freund wollten gemeinsam Selbstmord begehen. Der Freund starb, James überlebte den Versuch mit einem grausam entstellten Gesicht. Seine Eltern klagten gegen Judas Priest. Ihre Argumentation: Ihr Sohn sei ein zufriedener Junge in einer glücklichen Familie gewesen. Nur die satanische Musik von Judas Priest könne ihn zu einer solchen Tat getrieben haben. Konkret behaupteten sie, in einem Song sei die Botschaft "Tu es" rückwärts eingespielt, und die habe die Jungs willenlos in den Selbstmord getrieben.

Im Gerichtssaal wurde daraufhin Heavy Metal vorwärts und rückwärts angehört. Der Richter entschied, daß die "Botschaften" zufällig waren. Die glückliche Familie dagegen entpuppte sich in Kreuzverhören der Verteidigung als ein Dickicht aus Drogenproblemen, Gewalt gegen Mutter und Kinder und blindem religiösem Eifer. Die Band wurde freigesprochen, die Eltern legten Berufung ein. James Vance starb einige Jahre später – als Ursache wurden Depressionen vermutet.

"Das sind bestimmt nicht nur die Dumpfbacken"

Sind die Nächte ruhigen Schlafs also gezählt, wenn der Nachwuchs eine Vorliebe für Metal entwickelt? Wilfried Ferchhoff, Pädagogik-Professor an der Uni Bielefeld, sieht's gelassen. Schließlich sei es die Logik der Medien, Befürchtungen zu schüren, denn das rage nun mal aus dem Einerlei heraus und sei damit interessant. Ferchhoff beschäftigt sich mit Jugend und Jugendkultur. Und das nicht nur wissenschaftlich. Wenn er von der "Binnenperspektive der Subkultur" spricht, heißt das, er weiß auch aus praktischer Erfahrung, wovon er redet. Sein Fazit: Der ganze Metal-Bereich wirkt fremd und bedrohlich - auf Außenstehende. "Einige Leute hätten das gern so. Auch unter Politikern gibt es genügend Leute, die ihre Wertvorstellungen gefährdet sehen, und deshalb aus einer Subkultur ein Feindbild konstruieren und dramatisieren." Metal bietet sich da hervorragend an. Denn Außenstehenden fallen hauptsächlich extreme Auswüchse ins Auge, und auf Konzerten bietet sich ihnen ein befremdlicher Anblick. Langhaarige Menschen zwischen 12 und 32 schleudern wild ihr Haar zu etwas, was Liebhaber harmonischer Klänge nicht zwangsläufig als Musik gelten lassen. Sind Metal-Fans schlicht gestrickt? Ferchhoff weist das als Vorurteil zurück: "Das sind bestimmt nicht nur die Dumpfbacken, besonders in der neueren Szene." Zur neuen Szene gehört auch Marilyn Manson.

"Männer, die aussehen wie Frauen, vom Teufel gesandt, uns das Verderben zu bringen. Wieviel Angst muß man da jetzt haben. Ist das jetzt Entertainment? Oder darf man dieser Sache ohne Abschluß im VHS-Kurs Tiefenpsychologie gar nicht erst gegenübertreten?" - grübelte die Zeitschrift Metal Hammer, bevor sie ausführlich über das Treiben und die Absichten der schrillen Typen informierte. Den Begriff "Antichrist" versteht Marilyn Manson demzufolge nicht als Bezeichnung für einen realen Satan, sondern als "Kollektiv-Zweifel am Christentum, den jeder einzelne in sich trägt." Es mache ihm Spaß, wenn Menschen nicht in der Lage seien, Dinge wie Ironie, Sarkasmus und Zynismus zu verstehen, verkündete der Sänger. Verantwortung für mögliche Mißverständnisse, für fatale Reaktionen bei labilen Fans, will er nicht übernehmen.

Melodiöseren, aber düsteren Sound mit einer guten Prise Vampirschauer bieten fünf zurückhaltende, schwarzgekleidete Portugiesen. Ihre Band Moonspell ist eine weitere jener neuen Bands, die sich mit verdächtigen Themen beschäftigt. Werwolfgeheul, Titel wie "Mephisto", "Opium" und "Vollmondwahnsinn" verbreiten dunkel-mystische Stimmung. Den Texten der Platte Irreligious (Unreligiös) werden literarische Qualitäten zugesprochen.

Fürchtet euch nicht!

Blasphemisches, wohin man sieht. Und doch kann Ingolf Christiansen darüber lachen. Dabei erwartet man gerade von ihm strenge Worte. Christiansen ist Beauftragter für Weltanschaungsfragen der evangelisch-lutherischen Landeskirche und Mitglied der Enquete-Kommission des deutschen Bundestages: "Sogenannte Sekten und Psychogruppen". Sein Motto ist offensichtlich: "Fürchtet Euch nicht!" Er betrachtet den Zusammenhang zwischen Metal und Satanismus sehr differenziert - und mit beeindruckendem Fachwissen. Als gefährlich stuft er Formen des Black und Death Metal ein, in denen explizit Tötungs- und satanische Rituale besungen werden. Als Bedrohung sieht er auch einige Bands aus Frankreich und Polen, die Black Metal, Satanismus und Neofaschismus miteinander verbinden. Diese Bands distanzieren sich von jenen, die mit Okkultem lediglich spielen oder provozieren wollen. "Die wirklich gefährlichen Bands agieren im Untergrund. Deren Zeitschriften gibt's nicht einfach so am Kiosk."

Den Anteil dieser extremen Black Metal-Bands am gesamten Metal-Bereich schätzt Christiansen vorsichtig auf zwei bis vier von 100 Bands. Von der großen Rundum-Gefährlichkeit, die noch vor zehn Jahren in den Schriften der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen eindrucksvoll beschworen wurde, müsse man sich "insofern lösen, als das alles sehr spekulativ war". Das Buch "Wir wollen nur deine Seele - Rockszene und Okkultismus" verbreite lediglich naheliegende Vorurteile. Der Rolling Stones-Titel "Sympathy for the Devil" wird dort schlicht mit "Sympathie für den Teufel" übersetzt. Ein Blick ins Wörterbuch reicht, um festzustellen, daß "sympathy for" "Mitleid mit" heißt. Der Bandname AC/DC wird kurzerhand als Abkürzung für AntiChrist/Death to Christ (Christus den Tod) übersetzt. Sonst ist die Bezeichnung als englische Abkürzung für Wechselstrom/Gleichstrom bekannt.

Christiansen hat durchaus auch Extremfälle erlebt: "Es gibt Jugendliche, die eine einzige Stelle immer wieder, immer lauter hören, die ihr Zimmer schwarz anstreichen und neurotische oder psychotische Strukturen aufweisen." Aber die Frage, wo Ursache und wo Wirkung ist, muß offenbleiben. Genau wie im Fall derer, die harte, "brutale" Musik hören und versuchen, sich das Leben zu nehmen. Was war zuerst da? Die Musik oder die Verzweiflung? Möglich ist, daß es der depressive Blick auf eine trostlose Zukunft ist, der in den Tod führt - und nur als Zwischenstation zu einer Musik, die nicht von der heilen Welt schnulzt, sondern zu einer, in der gerade Abgründe und Widersprüche des Lebens ihren Platz finden.

Der letzte Kick

Mit und durch Metal kann man, wie in jeder Subkultur, seinen Platz finden, kann sich abgrenzen. Jugendforscher Ferchhoff sieht auch das Bedürfnis, in einer Welt ohne Rituale noch einen Kick zu bekommen. Scheinbare oder tatsächliche satanische Botschaften könnten diesen Kick bieten. Kirchenmann Christiansen ergänzt: "Jugendliche müssen was erleben. Und diese Sehnsucht kann auch in Richtung Satanismus gehen. Das ist auch ein Manko kirchlicher Jugendarbeit. Eine Aufgabe müßte es sein, Extreme erleben zu lassen." Oft stellt er bei seiner Arbeit mit betroffenen Jugendlichen und deren Eltern fest, daß es zwischen ihnen keinerlei Kommunikation mehr gibt. "Die Eltern wissen oft überhaupt nicht, was in ihren Kindern vorgeht. Vielleicht haben sie das nicht gelernt."

In Amerika scheinen einige Eltern recht genau zu wissen, was ihre Kinder hören. Um so weniger können sie es offenbar tolerieren: Sie sollen dazu aufgerufen haben, alle Karten eines Marilyn Manson-Konzerts aufzukaufen, damit ihre Kinder keine mehr bekommen. Das zumindest behaupten Gerüchte. Für Deutschland erwartet Hinrich Stürken, der zuständige Managementleiter, einen reibungsfreien Tourablauf. Da werden die Bandmitglieder, die der Sänger gern mit Mikroständern bewirft, wohl das größte Risiko eingehen.

Ein Kurztrip durch Raum und Zeit

Blut auf der Bühne. In den Siebzigern gab's das bei Ozzy Osbourne frisch von Fledermäusen, denen er den Kopf abbiß. Damals beeindruckten auch Alice Cooper und KISS mit schrill-schrecklichem Outfit. Satanisches Getue gehörte zu ihrem Image wie die geschminkten Gesichter. Mit Iron Maiden, Venom und Slayer etablierte sich Anfang der Achtziger eine Schar antichristlicher Bands, die sich weniger schrill als martialisch gaben. Das Blutrot blieb – und stach neben Totenköpfen von Plattenhüllen und Konzertplakaten. Schön böse und sehr auffällig.

Die Symbolik ist allerdings oft drei Nummern abschreckender als die Musik. Und im großen Plattenregal mit der Aufschrift "Metal" oder "Hard & Heavy" machen solche Bands ohnehin nur einen Teil aus. Unter A greift man dort etwa nach Accept, den ehemaligen Altmetallern aus deutschen Landen. Rauhe Kerle sind das – allerdings recht bodenständige. Gleiches gilt heute für die Scorpions. Bei ihnen bleibt das Ohr an herzzerreißenden Schmachtsongs wie "Still loving you" hängen. Zuckersüße Melodien plätschern gerade bei den klassischen Heavy Metal Bands. Da gibt's "Love", soviel das Herz begehrt. Manowar hingegen verkünden, "lauter als die Hölle" zu sein, beängstigen aber eher durch außergewöhnlich dummes Macho-Gehabe.

Ebenfalls unter M: das Schlachtschiff des Genres, Metallica. Diese Veteranen werden nachgespielt, was die Gitarre hergibt. Selbst klassische Cellisten haben Metallica für sich entdeckt. Vor allem ihre Balladen stehen hoch im Kurs. Und auch ihr Imagewechsel – mit Kurzhaarschnitt und Westerngitarre – und eine Ode an "Mama" heizten die Liebe der Metallica-Fans weiter an. Bei Sepultura dagegen wenden sich ungeübte Ohren überfordert ab, zu aggressiv, zu anstrengend. In ihrer Heimat Brasilien hatten Sepultura den Status von Nationalhelden inne. Nicht "Herz und Schmerz" hatten sie das zu verdanken, sondern vor allem Texten, in denen sie Mißstände ihres Landes an- und die Suche nach kulturellen Wurzeln einklagten. Und natürlich ihrer Musik: der lauten, brutalen.

Hart und ausgesprochen "politisch korrekt" geht es auch zu, wenn Metal mit gerappten Texten kombiniert wird. Ein häufiges Thema: Rassismus. Den Böhsen Onkelz hingegen wurde Rassismus vorgeworfen. Inzwischen sind sie geläutert und zur erfolgreichsten deutschsprachigen Metal-Band aufgestiegen. Rammstein wiederum sind ohne nennenswerte Anfeindungen zu echten Großverdienern geworden, obwohl sie ihre makabren Texte in kaltem, brutalem Befehlston präsentieren und bei ihren Auftritten die Pose des "Machthabers" lieben.

Fern der Großverdiener und Plattensupermärkte erlebten die Bands, die Satanisches durchaus ernst meinen, Anfang der Neunziger einen Boom in der Szene, der auch heute noch anhält. Vor allem aus Skandinavien kommen extreme Bands, die den Kult um Tod und Teufel pflegen. Der neue Hang zur düsteren Tendenz geht – gemäßigt – auch in die alternativen Formen des Metal ein, in denen sich Pop, Pathos und harter Rhythmus sehr gut vertragen mit durchtriebenen Provokationen und satanisch lyrischen Spielereien. Marilyn Manson und Moonspell sind Beispiele für diese Mischung; die Stars des chartverträglichen, düsteren Metal sind Type O Negative. Letztere umflochten bei ihren Konzerten im vergangenen Jahr Mikroständer mit roten Rosen. Während Peter Steele, der Sänger mit den langen schwarzen Haaren, melancholische Balladen über Tod und Liebe sang, wehten Schneeflocken über die Bühne. Blut floß nicht.

Dieser Text ist im Original zu finden bei www.contextredaktion.de/szene.html



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