www.Crossover-agm.de Kritische Überlegungen einer Kritikerin zu kritischen Leserbriefen und sonstigen Äußerungen, die Kritiken kritisieren
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von Kerstin Braun

Kritiker(innen) werden oft mit Eunuchen verglichen: Sie könnten einem zwar erklären, wie eine bestimmte Sache zu bewerkstelligen sei, nur selbst tun könnten sie sie nicht. Daher fühlen sich negativ kritisierte Künstler und deren Anhänger gelegentlich genötigt, dem Widersacher, dem anscheinend irgendwas fehlt, ein paar Takte zu erzählen, um ihm mitzuteilen, dass er aus diesem oder jenem Grunde nicht den blassesten Schimmer einer Ahnung hätte (weil nämlich schon Justus Franz vom Künstler begeistert gewesen sei), gar nicht wüsste, wieviel Mühe hinter dem Werk steckt (Mühe allein genügt nicht) und überhaupt einen Erziehungsauftrag zu erfüllen hätte (Genau! Kampf gegen die Justusfranzisierung der Gesellschaft!).
So viel Polemik muss sein, damit der Leser liest (auch das wird Kritikern häufig vorgeworfen: Sie äußerten sich polemisch, in unangemessenem Tonfall, nur um ihrer eigenen Lust an überspitzter Kritik und Formulierkunst zu frönen und sich somit quasi selbst darzustellen. Ich gebe zu, dass das gelegentlich zutrifft ...). Aber wir - hier spreche ich für die CrossOver-Redaktion, der Rest ist meine persönliche Meinung - wollen weder Leser noch Künstler als Gegner sehen und nehmen Kritik, aus unserer Sicht berechtigte und auch unberechtigte, ernst, da wir meinen, dass auch in Polemik wenigstens ein Fünkchen Wahrheit stecken kann, über die es lohnt, zu diskutieren und für sich selbst nachzudenken (Siehstewoll, das sollte auch für Polemik von Kritikern gelten!). Wir haben diskutiert und ich wurde offiziell beauftragt, doch noch einmal selbst nachzudenken, zumal ich diese Diskussion auch aus einer anderen Musikzeitschrift kenne, die sich mit einer relativ kleinen Szene beschäftigt, und deren Kritikern daher zuweilen große Beschmutzung des kleinen Nestes vorgeworfen wurde.
Lassen wir also die Polemik möglichst weit beiseite und fragen wir uns: Was ist der Sinn oder Unsinn einer Kritik? Der Künstler schickt sein Werk ein, weiß zumeist nicht, wem es in die Hände fällt, und hofft selbstverständlich auf freundliche Aufnahme. Er tut dies vielleicht zu dem Zweck, eine freundliche Besprechung in seinen Pressespiegel zu heften und anderen zum Beweis seines Könnens vorzulegen. Möglicherweise tut er es auch, um selbst zu erfahren, wie andere sein Werk beurteilen (er macht sich, so würde man in Leipzig sagen, "nacksch" und ist damit auch besonders verletzbar). Ganz bestimmt tut er es auch, um überhaupt der Welt mitzuteilen, dass ein neues Werk da ist, das man käuflich erwerben kann, und diesem Anliegen ist allein mit der Veröffentlichung einer wie auch immer gearteten Kritik Genüge getan.
Form des letzteren Anliegens müsste eigentlich nach den Gesetzen journalistischen Anstandes eher die Anzeige sein, wenn man den Inhalt unbedingt positiv haben will, und die wird teuer, hat aber den Vorteil, dass man selbst bestimmen kann, was drin steht. Überlässt man seine CD einem Kritiker, so kann man allenfalls noch versuchen, diesen durch Geld oder Freundschaft zu einer günstigen Besprechung zu bewegen, was genau genommen auch nicht den Sitten journalistischen Anstandes entspricht, aber allenthalben in der freien Wirtschaft eifrig praktiziert wird. Dies sichert der Rezension einen Platz im Pressespiegel, führt aber auch zunehmend dazu, dass den Betrachter solche Pressespiegel überhaupt nicht interessieren, da sie wissen, dass da sowieso nur Loblieder versammelt sind, die von irgendwelchen Leuten geschrieben wurden, die eh keine Ahnung haben. Gehört der Künstler aber zu denen, die sich vom Licht anderer Meinungen beleuchtet sehen möchten, dann sollte ein Kritiker, der tatsächlich Kritik übt, zu seinen besten Freunden gezählt werden, denn er ist anscheinend einer, der ihm die Meinung ins Gesicht sagt und nicht eitel lobhudelt, um Zeilen zu füllen. Und merke: Nur Kritik, nicht Lob, bringt den Menschen, auch den Künstler, wirklich weiter (das erlebe ich jedenfalls selbst so, wobei ich auch gelegentliches Lob nicht missen möchte).
Wieviel Ahnung von Musik sollte nun ein Musikkritiker haben? Die CO-Redaktion kann es sich nicht leisten, ausgebildete Musikwissenschaftler zu bezahlen, wenn sie sich auch im Einzelfall einen leistet, nur eben nicht bezahlt ... Wenn dann ausgerechnet einem solchen vorgeworfen wird, er hätte vermutlich keine Ahnung von Musik, staunt der Laie, und der Wissenschaftler wundert sich. Ansonsten sollte allgemein, weil ständig in Form von Aufrufen zur allgemeinen Mitarbeit deutlich gemacht, bekannt sein, dass es sich bei der Redaktion vorwiegend um eifrige Menschen vielerlei Alters handelt, die Interesse an Musik haben und sich in ihrem speziellen Bereich ein wenig bis sehr viel besser auskennen als der Schnitt der an diesem Bereich ebenfalls interessierten Leserschaft (um das mal einigermaßen vorsichtig auszudrücken). Manche Kollegen werden bei ihren Besprechung intensiver auf das eine oder andere Instrument eingehen, weil sie sich damit auskennen; andere werden vertrackte Vergleiche mit anderen Künstlern dieser Richtung oder anderer Richtungen anstellen, denen wieder nur diejenigen der Leser folgen können, die über ein entsprechendes Tonarchiv verfügen. Manche werden weiterhin nur feststellen, dass ihnen eine Platte gefällt oder nicht gefällt und dazu ein Bild malen.
Aber eine Kritik soll doch wenigstens objektiv sein ... A Schmarrn! Eine Kritik soll bitte, bitte nicht objektiv sein, noch nicht einmal sein wollen. Musik soll berühren, aufrütteln, besänftigen - oder am Ohr vorbeiplätschern, aber ein Kritiker aus dem Gestein, nicht Holz, der Objektivität (der übrigens ebenso theoretisch ist wie das absolute Vakuum oder die endlos parallelen Linien) wird das eine vom anderen nicht zu unterscheiden wissen; einer aus Fleisch und Blut mit eigenen Gefühlen und einer eigenen Meinung schon! Er soll mir bitte sagen, ob eine kleine Schülerband witzige Einfälle hatte oder die Platte mit viel Liebe (Liebe, nicht Mühe!!), wenn auch noch vielen Fehlern eingespielt hat, weshalb man sie in all ihrer Unverdorbenheit schön findet, oder ob andererseits der Profimusiker nur Etüden herunterrasselt, was allenfalls den anderen Profimusiker interessiert, der sich an der Rasselei beteiligen möchte; unter Gitarristen soll dieser Sport ja besonders verbreitet sein. Objektiv sind die technisch doch gut - aber mit lebendiger Musik haben sie oft nichts mehr zu tun.
Übrigens scheint allerorten auch zur "Objektivität" zu gehören, dass man in dieselbe Kerbe haut wie andere Kritiker und sogenannte Kenner der Szene (weil man das dem eigenen Ansehen oder den innerstädtischen Verflechtungen des Zentralorgans schuldig zu sein meint). Dies findet bei CrossOver nicht statt: Hier wurde zum Beispiel eine Platte gelobt, die in allen mir bekannten Zentralorganen der eigenen Stadt nur Häme erntete, weil der Chef der Kapelle sich aus vielerlei Gründen allgemein bekannter Unbeliebtheit erfreut. Unsere Kritikerin wusste von alledem nichts und fand die Platte einfach nur schön. Punkt.
Was eine Kritik, oder nennen wir sie vielleicht lieber Besprechung, meiner Meinung nach sollte: Die Richtung beschreiben, Besetzungen nennen, auch Namen, und positive wie negative Bewertungen begründen. An diese Vorgaben versuche ich mich zu halten, zumal ich (leider) kein Kritikereunuch bin. Ich bin durchaus in der Lage, das eine oder andere Instrument zu spielen, wenn auch nicht meisterlich (auch leider). Und ich weiß auch, wieviel Mühe es kostet, eine Platte einzuspielen, und dass Mühe allein eben leider nicht reicht (manchmal reicht auch noch das Geld nicht). All dies hindert mich in meiner Funktion als Kritikerin aber auch gelegentlich daran, schlecht zu nennen, was schlecht ist, da die Kritik als Bumerang mich selber treffen könnte, so dass ich eher vorsichtig kritisiere, damit nicht am Ende noch einer kommt und sagt: Hör dir mal deine Platte an, denkste wohl, du kannst das besser?? Da wäre es schon leichter, sagen zu können: Tja, ich kann leider gar nicht, sonst könnte ich vielleicht schon besser! Ich bin nur Kritiker: Mach du gefälligst gute Musik!
Auch den Erziehungsauftrag weise ich weit von mir, nicht nur, weil ich meinen ehemaligen Beruf als Lehrerin an den Nagel gehängt habe. Wollen wir uns denn von Medien erziehen lassen? Kreiden nicht wache Menschen manchen Medien genau das an: dass sie über ihren Informationsauftrag hinausgehen und uns alle zu unmündigen Bürgern verziehen wollen? Ein Kritiker sollte informieren, nämlich über Neuerscheinungen und allenfalls noch über seine persönlichen Vorlieben. Verfolgt man dann nämlich als Leser die Rezensionen und kennt womöglich auch die Platten, so kann man ungefähr herausfinden, ob man geschmacklich oder von den Ansprüchen her mit dem Kritiker übereinstimmt oder ob man genau das gut findet, was der Kritiker verreißt (in letzterem Falle kann dann auch ein Verriss positive Wirkung haben!). Aber es wird und soll dem Kritiker nicht gelingen, den Rezipienten zu seinem Geschmack zu erziehen. Höchstens anzubieten: Guck mal, hör mal, hier ist auch noch was, das sich lohnt. Oder auch nicht.
Schließlich sind da noch die kleinen Geplänkel um
- Polemik, falsche Tonfälle, gar Häme: Reiht jeder Kritiker nur die Objektivitäten und die eigene Meinung aneinander, so liest sich jede Kritik gleich und keiner liest sie mehr. Eine eigene Note sollte gestattet sein, und was der eine als Schlag unter die Gürtellinie empfindet, ist für den anderen ein kumpelhafter Stupser in die Seite. Also wird die Diskussion weitergehen ...
- die nichtkommerzielle Szene, Mühe und Nestbeschmutzung: Ich kann als Kritiker doch dem Leser nicht allen Ernstes eine Platte empfehlen sollen, die mit viel Mühe eingespielt wurde, aber völlig sch...ade klingt. Allenfalls kann ich - und wenn das ausdrücklich irgendwo vermerkt ist, werde ich das auch tun - auf soziale Komponenten hinweisen (dass die Band zum Beispiel verhaltensgestörten Jugendlichen eine Möglichkeit zu sinnvoller Tätigkeit bietet). Wenn mir das keiner sagt, kann ich es aber nicht wissen, und Recherchen über den Hintergrund jeder zu rezensierenden Platte sind eigentlich nicht Aufgabe des Kritikers; hier ist der Absender gefragt, dafür gibt es von den großen Plattenfirmen einen Beipackzettel, den sich auch jeder kleine Künstler selbst schreiben kann, und sei es mit der Hand (bei CO wird alles gelesen). Und: auch in einer kleinen Szene muss es mir erlaubt sein, schlechte Produktionen zu kritisieren, ohne gleich enthauptet zu werden; auf dass die Qualität besser und die Szene größer werde.
Alles in allem wird dieser Beitrag das Dilemma des Kritkers nicht lösen. Ebensowenig wird er dazu führen, dass künftig in CrossOver jeder Künstler die Kritik - positiv wie negativ - bekommt, die er meiner Meinung nach verdient hätte, weil meine Meinung nur eine von vielen ist. Vielleicht wird er aber dazu führen, dass Kritiker, Künstler und Leser/Hörer ihre Positionen überdenken und hier im Forum oder per Leserbrief ihre jeweiligen Meinungen diskutieren. Das sollte mich freuen.



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