www.Crossover-agm.de Steve Rowe: "Was sollte ich denn sonst tun ...?"
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Doro Wiebe über ihre ganz persönlichen Eindrücke von einer Pressekonferenz der australischen Heavy-Metal-Band Mortification

Es ist die christliche Heavy-Metal-Band. Nein. Falsch. Er ist die Heavy-Metal-Band. Steve Rowe, Frontmann von Mortification. Die einzige Konstante in 13 Jahren Band-Geschichte. Der Mann, der den Krebs besiegt hat. Jetzt sitzt er mir und einem Haufen anderer Journalisten gegenüber und wirkt auf seinem Stuhl sehr klein. Er trägt schwarz, sogar in den langen, strähnigen Haaren. Nur seine Haut ist ungewöhnlich hell. Neben dem dünnen Mann lehnt ein Stock.
"Ich habe alles erreicht, was ich wollte," sagt er mit dieser Stimme, an die ich mich in der nächsten halben Stunde erst noch gewöhnen muss. Es ist nicht sein australischer Akzent, es ist die berieselnde Gleichförmigkeit, die anstrengend ist. Und er spricht so leise, dass niemand wagt lauter als unbedingt nötig zu atmen.

Abstruse Angst
Steve erzählt von seiner letzten Welttournee. Und den großen Erfolgen seiner Band, nach denen eigentlich niemand gefragt hat. Er hat darüber nachgedacht, Mortification aufzulösen, weil ja alle Ziele erreicht waren. Aber dann hat er doch weiter gemacht. Ich will wissen, warum. Hat er inzwischen neue Ziele? "Ich werde immer Musik machen. Das ist es, was ich mache. Ich schreibe Lieder. Nehme sie auf und gehe damit auf die Bühne." Bevor ich meine Frage wiederholen kann, erzählt er schon davon, dass das Reisen schwierig geworden ist. Weil er Lähmungserscheinungen hat. Und dann zählt er genau auf, wie viele Stunden er in den letzten Monaten von einem Ort zu einem anderen geflogen ist. Wie lange er an dem Ort war und wohin er dann geflogen ist. Ich frage noch mal nach seiner Motivation. "Christlich oder nicht, Mortification ist die erfolgreichste australische Heavy-Metal-Band aller Zeiten," antwortet er. Irgendwie fühle ich mich nicht ernst genommen. Immerhin sagt er dann noch: "Ich will Musik machen für andere Leute, die Metal mögen. Viele Menschen haben durch Mortification den christlichen Glauben kennen gelernt."
Danach erzählt er völlig zusammenhanglos von Drogen in der Heavy-Metal-Szene und dass er eine Viertelmillion Platten verkauft hat. Darf man einen Musiker wie ihn in einer Pressekonferenz unterbrechen? Ich lasse es bleiben. Egal, wovon er gerade spricht, ich wage nicht, länger als fünf Sekunden woanders hinzuschauen als in sein fahles Gesicht. Aus irgendeinem Grund habe ich die abstruse Angst, dass er mich sonst anschreien könnte. Oder mich mit seiner kalten, schmalen Hand mit den vielen Ringen berührt.
Was riecht hier eigentlich so penetrant? Es muss eine Mischung aus Grufti-Parfum und dick aufgetragener Theater-Schminke sein. Mir wird schlecht. Ich schaue zur Tür. Vier Sekunden lang.

Von Leukämie geheilt
Steve Rowe erzählt davon, dass ihm 1997 ein Engel erschienen ist. Und klingt dabei wie ein heiserer Nachrichtensprecher. Nur unbeteiligter. Damals hatte er Leukämie. "Ich lag im Bett. Es war sechs Uhr morgens. Ich bin aufgewacht und der Raum war voller Licht. Und da war eine vornehme Gestalt. In diesem Stadium der Leukämie hatte ich ständig ganz extreme Schmerzen. Aber plötzlich waren sie weg. Also dachte ich: 'Ich sterbe!' Ich habe gefragt: 'Wer bist du?' Er hat geantwortet: 'Ich bin ein Engel und ich bin hier um mich persönlich um dich zu kümmern.' Ich sagte: 'Geh nicht weg!' Er sagte: 'Das tue ich nie.' Seitdem habe ich keine Angst mehr vor dem Tod. Aber niemand glaubt mir diese Geschichte." Er scheint zu erwarten, dass ich behaupte, ihm zu glauben. Ich denke kurz darüber nach, ihm den Gefallen zu tun. Und bin dann doch lieber still.
Während der gesamten Pressekonferenz hat Steve bisher viermal den Kopf gedreht. Sonst hat sich außer seinem Mund noch nichts an ihm bewegt. Ich versuche, sein Alter einzuschätzen. Und scheitere kläglich. Er könnte 30 sein. Oder 50. Wieder erwähnt er, dass er sehr erfolgreich war. Ich überlege, welche Rolle das jetzt spielt. Und ob tatsächlich irgendjemand in diesem Raum noch nicht notiert hat: "Mortification = Erfolg".
Nach dem Besuch des Engels soll Steve Rowe von der Leukämie geheilt gewesen sein. Aber kurz darauf wurde ein Gehirntumor festgestellt. Seit der Chemotherapie hat Steve Lähmungserscheinungen. "Ich breche auf der Bühne regelmäßig zusammen," erzählt er. "Der Arzt hat gesagt, ich darf nicht mehr in einem Flugzeug reisen. Aber, na ja, was sollte ich denn sonst tun ...?" Steve Rowe lebt für die Musik. Zum ersten Mal in meinem Leben tut mir jemand aus diesem Grund Leid. Ist das noch Auftrag oder schon Selbstaufgabe? Leid oder Leidenschaft? Tagelang geht mir seine hilflose Frage nicht mehr aus dem Kopf. "Was sollte ich denn sonst tun?"

Doro Wiebe arbeitet freiberuflich als Musikredakteurin und Moderatorin.
Aus: Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen (dran 5/2003)
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