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Personalwirtschaft in der Diakonie zwischen Kungelei und Kostenorientierung

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von tk anno 2012

VIELFALT LEBEN - so lautet der kurze wie prägnante Slogan, mit dem die Baunataler Diakonie Kassel (bdks) als einer der größeren Arbeitgeber in der nordhessischen Region öffentlichkeitswirksam für ihre Dienstleistungen wirbt. Im Bereich der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM), Alten- und Suchthilfe und in betreuten Wohneinrichtungen nimmt das Unternehmen auch mittels von Tochterfirmen einen exponierten Status auf der Landkarte der sozialen Dienstleistungen im Kasseler Raum ein. Im Rahmen einer "Sanierung" der Unternehmensstrukturen hat man sich im Sommer 2012 nicht nur einen neuen Rufnamen gegeben, sondern tut augenscheinlich auch viel für seine Mitarbeiter (Einstiegsseminare inkl. Hospitationsmöglichkeiten der Einrichtungen, Feedback-Gespräche, Leitgedanken-Foren, etc.). Dass es sich bei all diesen förderlichen Maßnahmen um ein verdecktes Blendwerk handelt, wissen nur die Mitarbeiter, die ihren Arbeitgeber weitaus kritischer betrachten als diejenigen, die vor lauter Betriebsblindheit immer noch glauben, dass sie in einem von christlicher Nächstenliebe geprägten Arbeitsumfeld agieren. In der öffentlichen Wahrnehmung hat gerade die Diakonie neben der katholischen Schwester Caritas als eine der größten Arbeitgeber im öffentlichen Dienst massiv an Ansehen eingebüßt. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: mangelnde Transparenz in der finanziellen Abwicklung ihrer Geschäftsbereiche und wenig vorbildhafter Umgang mit den eigenen Mitarbeiten. Diese unerfreulichen Ränkespiele sind inzwischen auch bei ranghohen Kirchenvertretern angekommen. So gibt der Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Gerhard Robbers, zu bedenken, dass das oberste Ziel kirchlicher Einrichtungen nicht sein sollte, mehr Geld zu verdienen, sondern ein Vorbild im Umgang mit den Beschäftigten. Leider gebe es zu viele Betriebe, "die das nicht sind" (URL: http://www.idea.de/detail/frei-kirchen/detail/kirchentagspraesident-kritisiert-arbeitgeber-kirche.html; Abruf: 27.12.2012). Das von Robbers genannte Faktum wird von den betreffenden Diakoniebetrieben natürlich heftig bestritten. Wie mir der Geschäftsbereichsleiter Arbeiten der bdks in einem persönlichen Gespräch zu versichern versuchte, sei nicht Gewinnmaximierung das Ziel seines Unternehmens, sondern dessen Zukunftssicherung. Und dazu gehöre nun mal die Entlassung von Mitarbeitern, insbesondere derjenigen, die erst kürzlich eingestellt wurden. Statt fachlich kompetente Mitarbeiter in ihrem Arbeitsfeld zu unterstützen, sie an das Unternehmen langfristig zu binden und damit auch dem eigenen Anspruch von Wertschätzung und Qualitätssicherung gerecht zu werden, werden sie bereits nach wenigen Monaten wieder abgestoßen oder in Zeitarbeitsfirmen outgesourced, um die "Zukunftssicherung" des Unternehmens nicht zu gefährden. Die Einstellung neuer Mitarbeiter birgt offenbar zu viele finanzielle Risiken. Ralf Wurzenbacher hat in der Jungen Welt zu dieser Praxis Stellung bezogen und verweist auf die Darstellung des Verbandes Diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD):
"Demnach sollen sich die diakonischen Einrichtungen 'als Anbieter innovativer Dienstleistungen und mit einem klaren evangelischen Profil erfolgreich am Markt behaupten'. Allerdings richtet sich die gepriesene 'lebensdienliche Diakonie, deren Grundanliegen es ist, Menschen ein selbstbestimmtes Leben (...) zu ermöglichen, wohl nicht an die eigenen Mitarbeiter'." (URL: http://wolfgang-huste-ahrweiler.de/2011/01/14/christliche-ausbeutung-lohndumping-durch-auslagerung-hat-beim-diakonischen-werk-system-gewerkschaft-beklagt-%C2%ADknallharte-ausrichtung-als-wirtschaftsunternehmen-von-ralf-wurzbacher/; Abruf: 25.12.2012). Unternehmensinteressen werden auf dem Rücken von Mitarbeitern gnadenlos durchgedrückt. Auch der viel gepriesene "dritte Weg" erweist sich als Sackgasse, denn die Mitarbeitervertretungen (MAVs) haben kaum eine Handhabe, um gegen die Willkür der Personalabteilungen vorzugehen. Hinzu kommt der für Mitarbeiter in keiner Weise transparente Tarifvertragsdschungel, der aufgrund besonderer Klauseln im kirchlichen Arbeitsrecht zwar möglich, aber völlig irreführend ist. Als frisch eingestellter Mitarbeiter in der Diakonie sollte man ein gesundes Misstrauen gegenüber seinem Arbeitgeber zeigen und hellhörig werden, wenn in Dienstgesprächen über Personaleinsparungsmaßnahmen informiert wird. Völlig unerheblich ist dabei die Bedeutung des Arbeitsfeldes im Rahmen qualitätsorientierter Prozesse. Letztere dienen auch nur zur Aufrechterhaltung einer makellosen Fassade, um Auditoren zu beeindrucken und sich Zertifikate abzuholen. Fachliche Begrifflichkeiten und Paraphrasen wie "Teilhabe am Arbeitsleben", "Inklusion" und "personenzentrierter Ansatz" mutieren zu Euphemismen, die im Beschäftigungsalltag der Werkstätten zwar perpetual heruntergebetet, mit dem behinderten Menschen, wenn überhaupt, nur partiell und unter ganz bestimmten Voraussetzungen im betrieblichen Interesse "kostengünstig" umgesetzt werden. Auch die Kooperationspartner der Behindertenwerkstätten und Kostenträger beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen orientieren sich ausschließlich am Kosten-Nutzen-Prinzip, das den behinderten Menschen zur "Verhandlungsmasse" degradiert. Wohlfahrtsverbände präsentieren sich stets als "Erfüllungsgehilfe alles Guten", damit der Staat die Gemeinnützigkeit auch weiterhin pekuniär belohnt, vgl. URL: http://www.wiwo.de/politik/deutschland/wohlfahrtsverbaende-erfuellungsgehilfe-alles-guten/7397380-2.html; Abruf: 25.12.2012. Nicht zuletzt fungieren die Beschäftigten in den Werkstätten als Eier legende Wollmilchsäue, da sie für externe Kunden Dienstleistungen erbringen, wofür die Unternehmen selber Personal einstellen müssten. Der wohlwollend nickenden Öffentlichkeit wird dieses Wirtschaftsmodell selbstverständlich als Win-Win-Situation verkauft. Ob ein Reha-Beschäftigter in den ersten Arbeitsmarkt wieder integriert werden kann, entscheiden nicht etwa die zuständigen Fachkräfte, die mit den Klienten eng zusammenarbeiten, Entwicklungsberichte, Förder- und Hilfepläne erstellen, sondern die Kostenträger "nach Aktenlage".
Hinter den Hochglanzfassaden der Zentralverwaltungen diakonischer Unternehmen verschanzt sich inzwischen eine ganze Personalabwicklungsindustrie, in der Einzelschicksale keine Rolle spielen. Entsetzt musste ich feststellen, dass es inzwischen keinen Unterschied mehr macht, ob hinter einer Unternehmensphilosophie das christliche Menschenbild steht oder der humanistisch-atheistische Geist weht; Hauptsache, die Einnahmen sprudeln. Nun sollte aber nicht der Denkfehler begangen werden, dass es sich hier lediglich um ein frustgesteuertes schwarzmalerisch gezeichnetes Szenario meinerseits handelt. Denn diese Vorgehensweise hat inzwischen System in der Diakonie und darüber hinaus in großen Teilen des Sozial- und Gesundheitswesens. Für die Aufwertung des Unternehmens wird die Abwertung des Mitarbeiters bewusst lanciert. Mittlerweile ist auch zu Wissenschaftlern und fachkundigen Beobachtern vorgedrungen, dass in der Diakonie Praktiken Anwendung finden, die jedwedem Anspruch christlich-sozialen Handelns zuwiderlaufen. "In der Selbstvermarktung immer auf der Seite der Armen - die Diakonie. In der Personalwirtschaft immer knallhart kostenorientiert", illustriert die Ärzte Zeitung ein Foto, auf dem ein überdimensionales Diakonieplakat zu sehen ist, um dann auf eine im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung durchgeführte Studie zu verweisen. "Personalkosten zu drücken, steht auch in den von Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden betriebenen Kliniken und Pflegeeinrichtungen ganz oben auf der Tagesordnung. Vor allem in den Einrichtungen der Diakonie stünden der Anspruch auf eine christlich orientierte Mitarbeiterführung und dem tatsächlichen Umgang mit dem Personal zunehmend im Widerspruch, stellen Wissenschaftler fest." (URL: http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/pflege/article/817781/soziale-kaelte-diakonie.html; Abruf: 26.12.2012).
Als ehemaliger Mitarbeiter einer Einrichtung der bdks und somit Betroffener kann ich nur davon abraten, die Diakonie als Arbeitgeber zu wählen, denn ein Blick hinter die Kulissen lässt deutlich werden, in was für einer von Täuschung und Heuchelei geprägten Geschäftsumgebung Personalpolitik betrieben wird. Denjenigen, die geschäftliche Verantwortung tragen, schreibe ich ins Stammbuch, dass sie grob fahrlässig mit beruflichen und privaten Existenzen spielen. Statt Mitarbeiter mit Leitgedanken einzulullen, sollten sie selbst prüfen, inwieweit und ob eben diese auch für sie gelten und maßgeblich handlungsleitend sind. Solange die Mitarbeitervertretungen aber kaum Handlungsspielraum besitzen, um solchen Machenschaften wirksam entgegenzutreten, werden Mitarbeiter weiterhin willkürlich entlassen oder zu Dumpinglöhnen in Zeitarbeitsfirmen outgesourced - selbstverständlich alles unter dem Primärziel Zukunftssicherung des Unternehmens.

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