www.Crossover-agm.de Christliche Popularmusik - ein Zeichen des Glaubens heute
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von Thomas Feist

I. Sage mir, woher Du kommst und ich sage Dir, wer Du bist
oder
Die Genese von Popularmusik

Bevor ich zum Aggregatzustand von Popularmusik im spezifischen Sinne, nämlich als christlicher Popularmusik komme, erlauben Sie mir ein paar Anmerkungen zur Genese von Popularmusik. Die Geschichte ihrer Entstehung ist nicht nur auf das Engste mit religiöser Praxis, also lebendigem Glaubensvollzug, verbunden, sie kann uns auch wertvolle Hinweise über ihr heutiges religiöses Potenzial geben.

Zu Beginn möchte ich gern ein paar definitorische Ansätze von Popularmusik nennen, die uns für ein gemeinsames Verständnis hilfreich sein können.

- Popularmusik ist Musik.
Diese scheinbar triviale Aussage scheint vor dem Hintergrund des Kommerzialismusvorwurfes an die Adresse der Popularmusik notwendig zu sein. Auch die Popmusikforschung selbst trägt mit ihren vor allem soziologisch ausgerichteten Studien dazu bei, den vor allem musikalischen Charakter von Popularmusik zu verschleiern. Popularmusik ist also vor allem Musik. Hiermit wird nichts über die Qualität ihres kommerziellen, soziologischen oder auch theologischen Potentials ausgesagt. Es wird mit diesem Verständnis jedoch eine klare Aussage darüber getroffen, dass vor allem die interdisziplinär ausgerichtete Musikwissenschaft, die sich als Kunst- wie auch Kulturwissenschaft versteht, in der Lage wie auch in der Pflicht ist, Grundlegendes über Popularmusik auszusagen.

- Popularmusik ist ein synthetisches Gebilde.
Sie zeichnet sich durch einen großen Variantenreichtum auch deswegen aus, weil sie kein homogenes musikalisches Objekt ist, sondern soziologische, kulturelle, religiöse und wirtschaftliche Komponenten in synthetischer Form integriert. Ihre Zusammensetzung bedingt eine angemessene Untersuchungsstrategie. Mit herkömmlichen Strategien der Ästhetik, der Formenlehre und der musikalischen Analyse ist sie in ihrem Wesen nicht zu erfassen.

- Die Begriffe "Popularmusik", "Popmusik" oder "Populäre Musik", um nur einige zu nennen, meinen das gleiche Phänomen, bezeichnen jedoch nicht das Selbe.
Der Untersuchungsgegenstand bleibt gleich, die jeweilige Forschungsperspektive variiert. Es ist zulässig - und in unserem Fall der Klarheit halber auch angeraten -, von Popularmusik zu sprechen und Popmusik oder Populäre Musik mit zu meinen.

- Popularmusik ist nicht auf ihre populären, trivialen Bestandteile reduzierbar.
Popmusik ist sowohl Kunst als auch populäre Musik. Als von einem schöpferischen Individuum entworfenes Gebilde ist sie zweifellos mit Kriterien der Kunst zu messen. Im Gegensatz zum Unterhaltenden, Trivialen zielt sie nicht ausschließlich auf Ablenkung oder Zerstreuung, sondern auf Entertainment. Ein Blick ins Wörterbuch genügt, um klar zu machen, worin der Unterschied liegt. Demnach ist der Begriff "Entertainment" auf verschiedene Situationen und Ebenen anwendbar und bezeichnet sowohl private wie öffentliche Unterhaltung und Belustigung als auch Gastfreundschaft, Bewirtung, Fest und Gesellschaft.

Popularmusik wird von einigen polemisch, aber durchaus zu Recht als "amerikanischer Bastard" bezeichnet. Sie ist eine offenbar illegitime Mischform zwischen europäischer Musiktradition und afroamerikanischer Musizierpraxis: Niemand will für ihre Entstehung verantwortlich sein. Die Schwarzen Kirchen Amerikas waren Brutstätten der Popularmusik. Hier kam es zur musikalischen Mischform, die wir heute Popularmusik nennen, durch die Vermischung der religiösen, ekstatischen Praxis schwarzer Sklaven und der Dogmatik weißer Missionare. Die religiöse Praxis der Sklaven entstand dabei nicht unter der Voraussetzung freien Handelns, sondern durch das Verbot ihres ursprünglichen Ahnenglaubens. Musik war ein Medium, welches die Rhythmen der überlieferten Religion Afrikas mit den Inhalten christlicher Lehre verbinden konnte. Popularmusik entstand also nicht zuletzt auf Grund von Sanktionen und Zwängen. Die in der amerikanischen Verfassung von 1789 eingeführte Trennung von Staat und Religion schaffte dazu ein religiöses Macht- und Kontrollvakuum, unter dessen Einfluss sich neue religiöse Praktiken ausbilden konnten, wenn nicht gar mussten.

Es zeigen sich interessante Parallelen zur Gegenwart, wenn man an dieser Stelle den Kulturbegriff ins Spiel bringt. Sprechen wir heute von amerikanischem Einfluss, dann beklagen wir oftmals den damit einhergehenden "kulturellen Verfall" Europas, den damit scheinbar zwangsläufig verbundenen Niedergang von Tradition und kultureller Identität. Als Indikator der "Amerikanisierung" von Gesellschaften wird oft die Popularmusik ausgemacht. Sie ist demnach ein Anzeichen für zunehmende Kulturlosigkeit, für die Usurpation der Kultur durch die Unterhaltung. Adorno ist vielleicht der bekannteste, aber bei weitem nicht der einzige und der letzte Autor, der hier einen eindimensionalen Begriff von Unterhaltung fälschlicherweise mit "Entertainment" gleichsetzte. Die Folgen dieses Missverständnisses sind bekannt. Zweifellos ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, Konturen der amerikanischen Mischkultur festzuhalten. Es scheint wesentlich einfacher, dies als Kulturlosigkeit zu benennen und der europäisch verinnerlichten Trennung in die Segmente Hochkultur und Trivialkultur gegenüber zu stellen.

Die Genese von Popularmusik verrät uns viel darüber, warum ihre Wirkungsgeschichte seit über mehr als einhundert Jahren eine Geschichte des Erfolgs ist. Es lässt sich fragen, warum die Popularmusik genau zu einer Zeit entstanden ist, die als eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs charakterisiert werden kann. Denn ziemlich genau mit ihrem beginnenden Siegeszug in Europa, mit den ersten Tin-Pan-Alley-Bands und dem Aufklingen des Jazz ist zum erstenmal von der Postmoderne die Rede. Bereits 1917 taucht dieser Begriff bei Rudolf Pannwitz als philosophisch geprägter Kulturbegriff auf. (1) Pannwitz lehnt sich mit seinem Gedankengang zur Postmoderne an Nietzsches Analyse der Moderne in ihren prognostizierten Endpunkten der Dekadenz und des Nihilismus an.

Halten wir uns neben dem gesellschaftlichen auch den politischen, wirtschaftlichen und technischen Kontext zu Beginn des Siegeszuges der Popularmusik vor Augen.

Die Desillusionierung Europas wird durch die traumatische Erfahrung am Ende des 1. Weltkrieges vorangetrieben. Zum erstenmal ist durch den Begriff "Weltkrieg" eine Ahnung dessen greifbar, was heute als "Globalisierung" in aller Munde ist. Die Desillusionierung greift auch in der Wissenschaft um sich. Die Formulierung der Heisenbergschen Unschärferelation markiert ebenso wie die Relativitätstheorie Einsteins den Beginn vom Ende einer modernen Wissenschaftsgläubigkeit. Wissenschaft ist fortan kein Religionsersatz mehr.

Das Entstehen der modernen Massenmedien bedingt die Erschaffung des virtuellen Raumes. Musik ist nun nicht mehr vom Ort ihres Erklingens abhängig, sie wird allgemein verfügbar und nimmt so einen immer größeren Raum im öffentlichen und privaten Bereich ein. Dies ist zusammen mit der Nachfrage nach leicht zu konsumierender Massenware ein Umstand, der populärer Musik einen vorher nicht da gewesenen Platz zuweist. Dieser Platz wird schnell von der Popularmusik eingenommen, da auch sie situativ flexibel, Klassik hingegen in ihrer Aufführungspraxis situationsabhängig ist.

Betrachten wir diese Entwicklung etwas genauer, so werden wir feststellen, dass die Installation der modernen Massenmedien nicht nur die Verbreitung und Popularisierung populärer Musik, sondern auch die Komponierpraxis im klassischen Bereich beeinflusste. Die Entzauberung der spätromantischen Musik durch das Potenzial ihrer Verfügbarkeit ließ Kunst zu Kitsch werden.
Die massenhafte Komposition und Verbreitung von Salonmusik schuf eine neue Leichtigkeit der Klassik, in der Gefühl als konfektionierte Struktur nur auf eine oberflächliche und leicht zu erfassende Wirkung hin ausgelegt war. Der Bezug auf die Kompositionspraxis des Barock benötigte in einer entzauberten Welt dessen Fundierung im zutiefst Religiösen nicht mehr.

Ein wesentlich erhöhter Freizeitanteil kann als Voraussetzung für Entertainment angesehen werden. Die Ausweitung der Freizeit ist dabei nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich und ökonomisch - im Entstehen der Freizeitindustrie - zu sehen. Der zeitliche Faktor korrespondiert mit der eben skizzierten Allverfügbarkeit von Musik. Ihre räumliche Ebene weist der Freizeit nicht mehr die Landpartie, sondern die Vergnügungsareale der wachsenden Städte zu. Damit verändert sich zugleich der Charakter der Freizeitgestaltung. Er wird städtischer, geprägt durch die kulturelle Vielfalt der Metropolen. Die adäquate Klangkulisse dafür ist die Popularmusik.
Ihr durch den Rhythmus vorgegebener urbaner Charakter korrespondiert mit dem Rhythmus der Städte - dem Straßenverkehr ebenso wie der akustischen Allgegenwart von Maschinen. Das urbane Potenzial der Popularmusik trifft sich mit dem urbanen Grundrauschen der Städte - ein Phänomen, welches sich bis in die Gegenwart hinein beobachten lässt: Ist vom Sound New Yorks oder Shanghais die Rede, geht es um die klangliche Charakterisierung von Metropolen durch Popularmusik.

Popularmusik ist ein Phänomen, welches durch die Synthese klanglicher und religiöser Ebenen entstanden ist. Vom Ursprungsland Amerika nach Europa gekommen, entfaltete sie allerdings erst im europäischen Kontext ihren bis heute kulturprägenden und sinnstiftenden Charakter. Dies ist durch ihre Bindung an den Begriff der Jugendkultur zu verstehen.

Die ersten Jugendkulturen entstanden in England und breiteten sich dann auf dem europäischen Festland aus. Die Voraussetzungen für Jugendkulturen wurden jedoch in Westeuropa, vor allem in Deutschland, geschaffen. Hier lässt sich gut beobachten, wie Kulturtransfer im Zeitalter der Massenmedien mühelos große Entfernungen in kürzester Zeit überbrücken kann. Das Phänomen der Jugendkultur ist durch einen Paradigmenwechsel erklärbar, der Anfang des 20. Jahrhunderts den Begriff der Jugend in ein neues Licht rückte. Jugend war - ausgehend von antikem Verständnis - bis dahin ein ästhetisches Ideal. Als solches war es überzeitlich gültig und nicht an die Biographien von sozialen Akteuren gebunden. Mit dem Entstehen der Freikörperkultur wurde Jugend ein erreichbares Ideal. Dieses Ideal war nicht mehr überzeitlich, sondern in die Zeit eingebettet und mit dem eigenen Körper verbunden. Die Utopie der ewigen Jugend war damit geboren - eine Utopie, die Segen und Fluch zugleich war und bis heute ist.

Die Individualisierung des ästhetischen Ideals und die auf soziale Akteure bezogene Verlängerung der Jugendphase entspricht nicht nur der postmodernen Fokussierung auf das Individuum, sie entspricht auch einem wesentlichen Moment der Popularmusik. Dieses energetische, durch die Betonung des rhythmischen Elements hervorgerufene Moment steht in der Popularmusik für das Drängende, das Aufbegehren, das Sich-nicht-mit-der-Situation-Abfindende. Utopie und Auflehnung, Sehnsucht und Rebellion sind äußere Kennzeichen von Popularmusik, sicht- und hörbar bis heute in Bühnenpräsenz und Performance ihrer Akteure, in treibenden Rhythmen, in sphärischen, unwirklichen Sounds.

Popularmusik ist in ihrer Genese also durch afrikanische, afro-amerikanische und europäische Wurzeln gekennzeichnet. Sie ist ein Hybrid verschiedener Kulturen und gerade deswegen in einem so hohen Maße auch in unübersichtlichen Zeiten, in oszillierenden Kulturen und paradoxen Situationen anpassungsfähig. Durch die inhaltliche und wesenhafte Kopplung von Popularmusik mit Jugendkulturen ist sie bis in die Gegenwart hinein eine junge Musik geblieben, die sich aus einem sich immer mehr erweiternden Reservoir gleicher und variierter Patterns ständig neu erfindet.

II. Spezielle Qualität von Popularmusik

Es wird oft und kontrovers diskutiert, ob Musik wertfrei ist. Diese Frage spielt auch hinsichtlich der Popularmusik eine wichtige und zentrale Rolle. Hier muss die Antwort lauten: Ja und Nein.
Popmusik kann theoretisch mit jedem Wert aufgeladen werden. Das zeigen Vergleiche von Werten, wie sie beispielsweise im Bereich Metal, Hardcore und ähnlichen Stilrichtungen anzutreffen sind. Christlicher und satanistischer Metal nutzen dieselbe Musik für diametral entgegengesetzte Wertvermittlung - um nur ein besonders auffälliges Beispiel zu nennen. Die Vielgestaltigkeit christlicher Popularmusik zeigt genau diese Möglichkeit der Aufladung von Musik mit Werten. Säkulare Popmusik nimmt ihrerseits auch christliche Werte - oft in verfremdeter Gestalt - als Material ihrer Aufladung. Popmusik kann mit jedem Inhalt aufgeladen werden, denn sie ist in ihrer Struktur genau auf das Uneindeutige, Veränderliche bzw. Prozesshafte angelegt.
Nein müsste die Antwort lauten, wenn sich Inhalt und Ästhetik widersprechen. Zwar gibt es in der Popularmusik einen größeren Spielraum für Verknüpfungen von Form und Inhalt, auch er ist jedoch begrenzt. Die Grenze wird durch den Faktor der Sachgemäßheit bestimmt. Dieser steuert, ob eine authentische Verbindung von Musik und Inhalt erfolgen kann. Problematisch ist, dass der Faktor der Sachgemäßheit stets nur am Einzelfall, unter Berücksichtigung der sozialen Akteure und in der konkreten Situation überprüft werden kann. Eine generelle Grenzziehung zwischen Zulässigem und Unzulässigem ist empirisch weder möglich noch sinnvoll. Dazu ist der Bezug der Sachgemäßheit von einer zu großen Anzahl einzelner Indikatoren abhängig.

Religiöse Qualität der Popmusik stellt sich vor allem durch Aufladung ihrer synthesebedingten Leerstellen her. Diese Leerstellen sind ein wichtiger Hinweis, warum sie als wichtiges Transportmittel für christliche Inhalte zu gelten hat: Sie stellt Platz für Botschaften bereit, ihre Bestimmung ergibt sich aus denjenigen Inhalten, die in die Leerstellen eingefügt werden. Im Zusammenspiel mit der sie bestimmenden Ästhetik der Authentizität sind die Leerstellen die entscheidenden Komponenten für ihren sachgemäßen Einsatz. In ihrer hochgradig ausdifferenzierten Form stellt Popularmusik Leerstellen an einer Vielzahl von Anknüpfungspotentialen bereit. Ihre zentralen Parameter sind gleichzeitig auf Grund ihrer religiösen Herkunft als genuin religiös charakterisiert. Die Verallgemeinerung, dass Popularmusik wie kein anderes Medium für die Vermittlung religiöser Inhalte geeignet ist, erscheint daher zulässig.

III. Das System Christliche Popularmusik

Christliche Popularmusik hat mittlerweile eine Selbstständigkeit, Spezialisierung und Ausdifferenzierung erfahren, die sich auch in ihrer theoretischen Fasslichkeit niederschlägt. Ob ihr Siegeszug enthusiastisch bejubelt oder mit aller Gewalt zu verhindern gesucht wurde, spielt für das Ergebnis im Rückblick keine Rolle. Auch die Kritiker der christlichen Popularmusik sorgten durch ihre Fokussierung auf den ästhetischen Gegenstand mit für ihren Erfolg. Christliche Popularmusik stellt empirisch heute keine Randerscheinung mehr dar, sondern bildet ein eigenes System, welches sich über spezifische Codes, Operationsweisen und Abgrenzungen definiert. Die Darstellung christlicher Popularmusik als System schafft eine wissenschaftliche Objektivität, deren ihre Analyse dringend bedarf. Befreit von unzulässigen subjektiven oder institutionalisierten Werturteilen ist diese Theorie dazu geeignet, christliche Popularmusik im Verbund mit ästhetischen, theologischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Bezügen zu beschreiben.

Ihre ästhetischen Optionen erhält christliche Popularmusik durch ihren Bezug auf die Ästhetik der Popularmusik. Hierbei ist zu beachten, dass der Faktor Authentizität mit der ästhetischen Ebene verbunden ist. Dies bedeutet, dass eine nicht-authentische Form christlicher Popularmusik auch ästhetischen Kriterien nicht genügt. Dies heißt auch, dass eine übergroße Pädagogisierung christlicher Popularmusik zwangsläufig zu ungenügenden ästhetischen Ergebnissen führen muss.
Ästhetik ist neben dem Kulturbegriff und dem Begriff der Kunst ein zentraler Punkt in der Debatte.
Kulturen operieren entweder nach ethischen bzw. moralischen, kommunikativen oder auch nach ästhetischen Kriterien. Dabei gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen (Sub-)Kulturen, kommunikativen (gesellschaftlichen) Kulturen und Binnenkulturen. Subkulturen und Hochkulturen operieren nach jeweils eigenen ästhetischen Prinzipen. Beispiele hierfür sind neben der Popkultur auch die Kultur im Umfeld des Konzertsaals. Gesellschaftlich normierte Kulturen richten sich nach kommunikativen Parametern aus. Beispielhaft seinen hier die deutsche, französische oder auch die amerikanische Kultur genannt. Binnenkulturen entscheiden nach religiösen, ethischen oder auch moralischen Kriterien. Beispiele für Binnenkulturen sind Kirchen, Gewerkschaften, aber auch der Kulturraum Europa.
In soziologischer Perspektive formuliert: Soziale Beziehungen werden entweder (vorwiegend) auf Grund gleicher ästhetischer oder gleicher ethischer/moralischer oder gleicher kommunikativer Präferenzen von sozialen Akteuren gewählt. Die Stabilität der Präferenzen hängt vom ästhetischen, religiösen, ethischen, moralischen oder kommunikativen Potenzial (Kapital) der Akteure ab.

Binnenkulturen sind in unserem Kontext die uns besonders interessierenden Kulturen. Es sind über religiös oder ethische Parameter organisierte Gebilde, welche die ästhetische und kommunikative Heterogenität der sie umgebenden Gesellschaft in sich abbilden. Dies ist ein Grund, warum man Schwierigkeiten mit der Heterogenität z.B. der Musik hat. Kirchen als religiös und moralisch organisierte Gebilde urteilen mit diesem Instrumentarium über ein Medium, welches sich nur mit ästhetischen Kriterien fassen lässt.

Ihre theologischen Optionen erhält christliche Popularmusik nicht nur durch ihre historische Herkunft als musikalisch-theologisches Gebilde, sondern auch über die Ähnlichkeit zwischen gültigen Kriterien für Popularmusik und Theologie. Für beide gilt: Mit zunehmendem Grad ihrer Generalisierung verlieren sie ihre empirische Grundlage. Dies birgt die Gefahr, dass generalisierte Aussagen entweder empirisch nicht verifizierbar sind oder durch die Empirie widerlegt werden. Je mehr sich Popularmusik und Theologie dagegen auf den Einzelfall richten, um so geringer ist allerdings auch die Reichweite der auf solche Art gewonnenen Aussagen. Im Extremfall weisen sie gar keinen theoretisch nutzbaren Mehrwert auf. Popularmusik und Theologie kennen die Spannung zwischen rationaler Erkenntnis und transzendentaler Offenbarung. Beide Verfahrensweisen sind für sie zulässig und bedingen einander. Wer versucht, Popularmusik einseitig als inszenierte Form der Kapitalvermehrung dazustellen oder sie auf ihren emotional-vegetativen Charakter zu reduzieren, wird keine brauchbaren Aussagen über sie aufstellen können.

Christliche Popularmusik ist sozial relevante Musik. Sie kann ebenso wie Kunst über Präferenzen soziale Bindungen positiv wie negativ sanktionieren. Sie kann ebenso wie Kitsch sozialen Milieus den Anstrich des Verbindenden geben. Vor allem aber ist sie in der Lage, Orientierungsmuster für jugendliche Netzwerke bereitzustellen. Ihre soziale Wertigkeit ist also vor allem durch ihren dominanten Einfluss im Jugendalter bestimmt. In diesem Lebensabschnitt werden Grundmuster von Präferenzen ebenso in sozialen Akteuren verankert wie auch die Grundlagen für soziale und religiöse Kompetenz gelegt. Sie vermittelt diese Kompetenzen nicht über rationale Ansprache oder emotionale Experimente, sondern über ganzheitliches Nachvollziehen der durch sie vermittelten Formen und Inhalte. Dieses Nachvollziehen wird in eigene Lebensvollzüge eingebettet und geschieht in einer spielerischen Art und Weise. Zu beachten ist hierbei, dass das Spiel für Kinder und Jugendliche andere Dimensionen aufweist als für Erwachsene. Für Kinder und Jugendliche sind Spiel und Ernst miteinander unlösbar verbunden. Sie lernen spielend. Christliche Popularmusik ist also ein wichtiges Spielfeld für junge Menschen, um Christsein zu lernen.

Christliche Popularmusik, die als System beschrieben wird, zeigt ihre Einbettung in kulturelle Zusammenhänge. Dabei fällt auf, dass sie kulturverbindenden Charakter besitzt. Sie vermag es, binnenkulturelle und allgemein gültige kulturelle Strukturen gleichzeitig anzusprechen. Mit der Sicht auf die Kultur der Kirchen, die vor allem binnenkulturelle Merkmale aufweisen, ist dies eine wichtige Feststellung. Durch christliche Popularmusik kann es dem zu Folge nicht nur gelingen, christlich konditionierte Menschen anzusprechen und somit binnenkulturell relevant zu sein. Auch zum Erreichen nichtkirchlicher Menschen ist sie hervorragend geeignet. Dieser Umstand erhält vor allem durch eine auf die jeweilige Situation der Rezipienten ausgerichtete Kommunikationsstruktur christlicher Popularmusik höchste Bedeutung. Christliche Popularmusik ist kein auf Auszeiten vom Alltag hin ausgerichtetes kulturelles Artefakt, sondern wirkt in den Alltag der von ihr erreichten Menschen hinein. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Kaum ein anderer Bereich ist für die Kritiker der Popularmusik so wichtig wie der ihr immanente ökonomische Bezug. Es wurde und wird oftmals vermutet, das Popularmusik allein oder vorrangig ein kommerziell gesteuertes Phänomen ist. Empirisch ist diese Vermutung allerdings nicht haltbar. Die von der Soziologie festgestellte Unmöglichkeit, Musik auf kommerziellen Erfolg hin zu produzieren, wird durch die Analyse des Musikmarktes eindrucksvoll bestätigt. Von allen Musikstücken, die in diesem Bereich produziert werden - und das ist nur ein Ausschnitt der gesamten Musikproduktion -, bringen nur 2-3 Prozent den Plattenfirmen auch Gewinn. Die moderne Systemtheorie stützt diese Beobachtung. Christliche Popularmusik funktioniert nach völlig anderen Kriterien als der Musikmarkt. Beide Systeme sind zwar kommunikativ gekoppelt, Kommunikation existiert jedoch lediglich als Potential. Demnach können sich Markt und Popularmusik gegenseitig beeinflussen - steuern können sie sich allerdings nicht. Die kommerzielle Ausrichtung von Popularmusik ist demnach ein Vorurteil, welches sich durch Ausschnitte der Empirie zu bestätigen scheint. Wissenschaftlich ist diese Beobachtung jedoch nicht haltbar.

Die wissenschaftlich objektive Untersuchung christlicher Popularmusik zeigt, dass diese nicht nur historisch gesehen ein geeignetes Medium für die Aufladung mit christlicher Botschaft ist. Durch ihren synthetischen Charakter kann sie diesen Inhalt mit anderen Ebenen koppeln und dadurch nachhaltig gestalten. Dies ist in einer Zeit, die durch den Wandel, die Uneindeutigkeit und eine hohe Komplexität gekennzeichnet ist, ein strategischer Vorteil. Christliche Popularmusik vermag durch ihre systemische Gestalt, die Komplexität der Welt zu reduzieren. Die Schlüsselworte dafür lauten: Ästhetik der Authentizität, Wirkungsentfaltung in der Lebenswelt sozialer Akteure und Trägermedium durch Bereitstellung von inhaltlichen Leerstellen.

So gesehen ist christliche Popularmusik nicht nur eine zentrale Herausforderung für die Gegenwart. Als global verbreitetes Cross-Culture-Phänomen ist sie schon jetzt gerüstet für die Kommunikationsaufgaben der Zukunft. Denn die postmoderne Gesellschaft ist durch die Zunahme von Cross-Culture-Phänomenen geprägt. Man ist sowohl Christ als auch Metal-Freak, Buddhist als auch Popmusikliebhaber, Europäer und musikalischer Weltbürger.
Popularmusik ist ein vor allem kommunikativ charakterisierbares Medium. Sie ist cross-ethisch, cross-ästhetisch, cross-sozial. Sie ist durch ihren synthetischen Charakter das Medium schlechthin heutiger Cross-Culture-Phänomene. Auch deshalb ist sie so beachtenswert für die Kirchen. Denn sie schafft es, ethische/moralische und kommunikative und ästhetische Kriterien in sich zu vereinen. Sie ist von der Ästhetik her Pop, aber eben auch christlich, sie ist englisch oder deutsch, aber auch christlich. Sie spricht durch dieses Cross-Culture-Operieren soziale Akteure auf verschiedenen Ebenen an. Auch deshalb ist sie so ein "Erfolgsmodell" unserer Zeit.

IV. Glaubenszeichen
oder
Popularmusik als musikalische Entsprechung der Postmoderne

Popularmusik kann mit Fug und Recht als musikalische Entsprechung der Postmoderne bezeichnet werden. In der Postmoderne entsteht durch das Vakuum der geschwundenen Gewissheiten der Bedarf nach einer Musik, die Leben, Transzendenz und Unterhaltung miteinander verbindet.
Popularmusik wurde als hybrides Phänomen beschrieben, das durch synthetische Anordnung seiner Komponenten gekennzeichnet ist. Damit entspricht das Prinzip der Popsynthese ebenso postmodernem Synkretismus und dem Patchworkdesign individueller Lebensentwürfe wie auch der Wahlfreiheit bzw. dem Wahlzwang der Akteure in der postmodernen Gesellschaft.
Soziale Akteure schaffen sich im "Anything goes" ihr eigenes Setting, Biographien sind - zumindest in Westeuropa - nicht mehr zwangsläufig durch die Geburt vorherbestimmt. Ausgehend von dieser Beschreibung kann man entweder in das Lamento vom Verlust der einen Wahrheit oder die Resignation über Unübersichtlichkeit und das Fehlen von Orientierungen und Sicherheiten einstimmen. Denkbar ist allerdings auch, in der Postmoderne das biblische Prinzip der Gleichwertigkeit aller Menschen und die Dekonstruktion menschlicher Hierarchien zu erkennen. Dies ist eine Frage der Beobachtungs- und Deutungsperspektive. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Ein Deutungs- und damit verbunden ein Wahrheitsmonopol lässt sich durch die Perspektive der Erkenntnis nicht ableiten.

Popularmusik entspricht in ihrer jeweils von der Perspektive des Beobachters abhängigen Wandelbarkeit der Ungewissheit postmoderner Zeiten, in denen mehrere Standpunkte nebeneinander um die Wahrheit konkurrieren. Der Wahrheitsanspruch gerät dabei oft in den Bereich der Ideologie. Dafür gibt es genug Belege, wenn wir uns den Diskussionsprozess um die Popularmusik vor Augen halten. Für die Wissenschaft ist Ideologie jedoch Gift. Gerade im Bereich der Musik fallen uns dafür reichlich Beispiele ein, die dies illustrieren. Die Einführung der Zwölftonigkeit ist durch ideologische Kämpfe ihrer Befürworter und Gegner ebenso gekennzeichnet wie die Auseinandersetzung um die Popularmusik. Beide Beispiele zeigen, wo der Fehler liegt. Musik lässt sich sicher durch ästhetische Kriterien beschreiben, ideologische, theologische oder moralische Parameter sagen über sie nichts aus. Musik kann in gesellschaftliche Prozesse einbezogen und ideologisch konnotiert werden - aus diesem Grund hatten es die so genannten Formalisten im sozialistischen Lager ebenso schwer wie Wagner-Aufführungen im heutigen Israel -; Musik ist und bleibt jedoch zunächst vor allem Musik.

Auf den Bereich der Popularmusik bezogen bedeuten diese Ausführungen, dass nicht nur die soziologische Musikkritik im Gefolge Adornos oftmals falsche Schlüsse durch die Auswahl falscher Beurteilungskriterien gezogen hat. Es bedeutet auch, dass der Erkenntnisgewinn einer rein theologisch ausgerichteten Popularmusikdeutung nicht überbewertet werden darf, da sie musikwissenschaftlich gesehen meist dilettantisch ist. In meiner Studie "Musik als Kulturfaktor" konnte ich zeigen, wie durch spezifische Beobachtungsmethoden, zu denen auch die theologische Perspektive zählte, Missverständnisse in der Zu- und Einordnung popularmusikalischer Objekte quasi vorprogrammiert sind. Diese Missverständnisse sind durch logische Schlussfolgerungen allein nicht aufzudecken. Hier werden zusätzliche Beobachtungspositionen als Korrektiv benötigt. Fehleinschätzungen durch einseitige Betrachtung sind der Musikwissenschaft nicht fremd. Oft gelingt es ihr jedoch, diese durch Methodenvielfalt zu erkennen und zu korrigieren. Popularmusik benötigt zu ihrer Untersuchung jedoch nicht nur musikwissenschaftliche Methoden, sondern einen interdisziplinären Forschungsansatz. Neben der Musikwissenschaft sind es vor allem Kulturwissenschaft, Soziologie, Semiotik und Theologie, die brauchbare Untersuchungsergebnisse hervorbringen. An dieser Stelle sind die Interdisziplinären Symposien Popularmusik und Kirche, welche die Arbeitsgemeinschaft Musik in der evangelischen Jugend - heute Bundesverband Kulturarbeit - mit Unterstützung der Theologischen Hochschule Friedensau seit vielen Jahren durchführt, Wegweiser und Orientierungspunkte. Der interdisziplinär geführte wissenschaftliche Dialog zwischen Kirchenmusikern und Popmusikern, Theologen und Musikwissenschaftlern, Philosophen und Jugendforschern in der Verbindung mit musikalischer, journalistischer und theologischer Praxis bringt uns nicht nur im Verständnis, sondern auch in der Frage einer angemessenen Haltung popularmusikalischen Phänomenen gegenüber weiter.

Popmusik wirkt vermittelnd zwischen Gesellschaft, Kulturen und Akteuren. Sie ist deswegen jedoch nicht zwangsläufig Mittelmaß. Sie kann durch ihre synthetische Struktur, die Leerstellen für außermusikalische Verknüpfungen bereitstellt, prinzipiell mit jedem Inhalt aufgeladen werden. Dabei entspricht sie den Erfordernissen der Postmoderne, Verschiedenes und auch scheinbar Gegensätzliches mit- und ineinander zu verbinden. Durch ihre Struktur ist Popularmusik in ihrem Wesen auf das Uneindeutige, Veränderliche bzw. Prozesshafte angelegt. So gelingt es ihr, lebendige Bezüge zu Biographien herzustellen, deren Kontinuum der Wechsel ist. Es gelingt ihr auch, die vagabundierende Religiosität unserer Zeit im Moment der Rezeption einzufangen. Sie ist ebenso massenkompatibel wie auf das Zwiegespräch des Einzelnen mit sich selbst, mit seinen Wünschen, Erwartungen, Hoffnungen und mit Gott hin ausgerichtet. Popularmusik ist - wie wir gesehen haben - von ihrem Ursprung her ein religiös determiniertes Artefakt. Sie ist als solches jedoch prinzipiell offen für jedes Thema, für jede Perspektive. Im Gegensatz zur Kunst des 20. und auch des 21. Jahrhunderts, die sich als Diesseitsreligion (2) auf die Erfüllung des Jenseitigen im Hier und Jetzt orientiert, ist Popularmusik ein im Erklingen noch inkomplettes Gebilde. Es entfaltet sein religiöses Potenzial erst im Akt der Rezeption.
Wir sehen eine zunehmende Zahl von jungen und nicht mehr ganz so jungen Menschen, die ihren Glauben mit und durch christliche Popularmusik artikulieren.
Wir sehen eine zunehmende Zahl von jungen und nicht mehr ganz so jungen Menschen, die bei der Suche nach dem Sinn des Lebens von christlicher Popularmusik begleitet und geleitet werden
Wir sehen, dass der Heilige Geist sehr wohl in der Lage ist, sich dieses Mediums - neben vielen anderen - zu bedienen. Wir müssen ihn nur lassen ...

(1) Pannwitz, Die Krisis der europäischen Kultur, Nürnberg 1917, S. 64
(2) Soeffner et al

Referat gehalten auf dem Kongreß MUSIXUSE, veranstaltet von der Kirche der STA, Europa/Afrika-Division in Genf, Mai 2006



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