www.Crossover-agm.de Christliche Popularmusik und Bandarbeit
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von Thomas Feist

Überblick

In der von der EKD herausgegeben Dokumentation "Kirche und Kultur in der Gegenwart" (1) ist unter dem Kulturbegriff folgendes summiert: Musik, bildende Kunst, Architektur, Denkmalpflege, Spiel und Theater, Literatur, Archive, Bibliotheken, Museen. Der Musik sind in diesem Buch immerhin 53 von knapp 400 Seiten gewidmet, davon allerdings lediglich acht Seiten der populären christlichen Musik. Christliche Popularmusik ist statistisch betrachtet also nicht besonders relevant für die Kulturarbeit evangelischer Kirchen, da sie nur zwei Prozent in der Wahrnehmung kirchlicher Kultur ausmacht. Dem stehen elf Prozent in der Wahrnehmung traditioneller Kirchenmusik gegenüber. Ist christliche Popularmusik ein Sonderling, ein ungeliebtes Kind der Kirchenmusik, ein flüchtiges Jugendabenteuer?
Christliche Popularmusik nimmt in der Tat innerhalb der Kirchenmusik eine Sonderrolle ein. Diese drückt sich sowohl in der strukturellen Zuordnung als auch in der Gewichtung innerhalb der Kulturarbeit der evangelischen Kirche aus. Strukturell ist die Jugendmusik (wie christliche Popularmusik auch genannt wird) weitgehend von der traditionellen Kirchenmusik getrennt. Erstere wird zumeist von der kirchlichen Jugendarbeit getragen, letztere liegt in der Verantwortung des Kantorenamtes.

Die Bedeutung christlicher Popularmusik gewinnt als kulturelle Jugendbildung in den letzten Jahren stetig an Bedeutung. Dies liegt zum Großteil daran, dass dieses Medium vor allem für junge Menschen wie kein zweites geeignet ist, um persönlichen Glauben mit lebensweltlichen Bezügen in Verbindung zu bringen, zu reflektieren und auf einer abstrakten, künstlerischen Ebene öffentlichkeitswirksam präsentieren zu können. Es scheint nicht übertrieben zu sein, wenn christliche Popularmusik als ein zentrales missionarisches Medium benannt wird. Durch die homogene Verbindung persönlicher Glaubensaussagen und jugendkultureller "Bodenhaftung" kann eine authentische Verkündigung zentraler biblischer Inhalte erreicht werden, die an existentielle Fragen junger Menschen nahtlos anknüpft. Christliche Popularmusik ist sozial relevante Musik. Sie kann über Präferenzen soziale Bindungen positiv beeinflussen und sozialen Milieus den Anstrich des Verbindenden geben. Vor allem aber ist sie in der Lage, Orientierungsmuster für jugendliche Netzwerke bereitzustellen. Ihre soziale Wertigkeit ist also vor allem durch ihren dominanten Einfluss im Jugendalter bestimmt. In diesem Lebensabschnitt werden Grundmuster von Präferenzen ebenso in sozialen Akteuren verankert wie auch die Grundlagen für soziale und religiöse Kompetenz gelegt. Sie vermittelt diese Kompetenzen nicht über rationale Ansprache oder emotionale Experimente, sondern über ganzheitliches Nachvollziehen der durch sie vermittelten Formen und Inhalte. Dieses Nachvollziehen wird in eigene Lebensvollzüge eingebettet und geschieht in einer spielerischen Art und Weise. Zu beachten ist hierbei, dass das Spiel für Kinder und Jugendliche andere Dimensionen aufweist als für Erwachsene. Für Kinder und Jugendliche sind Spiel und Ernst miteinander unlösbar verbunden. Sie lernen spielend. Christliche Popularmusik ist also ein wichtiges Spielfeld für junge Menschen, um Christsein zu lernen.
Zu den Zielgruppen der christlichen Popularmusik zählen nicht nur Kinder, Jugendliche und Erwachsene in kirchlichen Kontexten. Zwar erreicht die Jugendmusik nicht eine so große Zahl von Interessenten außerhalb kirchlicher Bindung wie die traditionelle Kirchenmusik, dafür werden jedoch Zielgruppen erreicht, die in erster Linie über musikalische Präferenzen und jugendkulturelle Referenzmuster angesprochen werden. Dies führt wiederum zu einer stärkeren Bindung an die Protagonisten der Szene, so dass der oft beklagten Unverbindlichkeit bildungsbürgerlichen Kirchenmusikgenusses eine stärkere Zuwendung zu den Inhalten im Bereich christlicher Popularmusik gegenübersteht. Christliche Popularmusik ist kein auf Auszeiten vom Alltag hin ausgerichtetes kulturelles Artefakt, sondern wirkt in den Alltag der von ihr erreichten Menschen hinein. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Einblick
Die evangelische Landeskirche Sachsens hat das Potenzial christlicher Popularmusik frühzeitig erkannt. So gibt es seit mehr als drei Jahrzehnten den Bereich Bandarbeit innerhalb evangelischer Jugendarbeit. Die Aufgaben dieses Bereiches liegen vor allem darin, die christliche Popularmusik zu qualifizieren sowie Strukturen für die christliche Musikszene zu entwickeln und zu pflegen.

In Sachsen gibt es ungefähr achtzig christliche Bands, von denen einige ausschließlich Aufgaben der Kirchenmusik im Gottesdienst übernehmen, andere dagegen in missionarischen Arbeitsfeldern tätig sind. Die Bands im Raum der sächsischen Landeskirche lassen sich somit in zwei Lager unterteilen: die "nach innen" tätigen und die "nach außen" wirkenden. Erstere sind dadurch gekennzeichnet, dass sie überwiegend zur Ausgestaltung mehr oder weniger jugendgemäßer Gottesdienste zum Einsatz kommen. Sie sind regional fest gebunden, spielen in der Regel ausschließlich Fremdkompositionen und sind in ihrer Altersstruktur gemischt. Als missionarisches Pendant können die Bands gewertet werden, die zwar gemeindliche Bezüge in Form von musikalischer Beratung, Bereitstellung von Probenräumen oder Instrumenten haben, sich jedoch selbst vor allem als Gemeinschaft zur Erreichung des eigenen musikalischen und inhaltlichen Gruppenziels verstehen. Man könnte diese Musikgruppen auch als Konzertbands bezeichnen, da sie sich vor allem dadurch charakterisieren lassen, dass sie überwiegend durch Konzerttätigkeit öffentlich wirksam werden. Sie spielen überwiegend oder auch ausschließlich Eigenkompositionen und haben dadurch oft Schwierigkeiten, sich in liturgische Bezüge einzupassen. In der Gemeinde werden sie beispielweise auf Gemeindefesten oder im Rahmen gemeindlich verantworteter Konzertabende aktiv. Für überregionale Veranstaltungen sind sie das Potential, auf das Veranstalter von Jugendtagen, Gemeindebibeltagen oder christlichen Musikfestivals zurückgreifen können. Das ist allerdings nicht unproblematisch, da hier oftmals neben einem Konzertvortrag von den "Kirchenbands" wie selbstverständlich erwartet wird, dass die Gruppe auch den musikalischen Teil der Gottesdienste mit übernimmt, was dem Selbstverständnis der Konzertbands nicht entspricht.

Musikalisch reicht das Spektrum der sächsischen Bandszene von Country bis Hardcore. Neben der immer noch größten Fraktion der Folk- und Mainstreamrocker ist eine deutliche Zunahme "härterer" musikalischer Genres zu beobachten. Diese Strömung ist in Sachsen regional im Erzgebirge/Vogtland konzentriert und hängt mit den dort regelmäßig stattfindenden Konzerten des "härteren" Musikspektrums und einer dadurch vorhandenen dichten Publikumsstruktur zusammen. In der Minderheit befinden sich in Sachsen die Musiksparten HipHop, Country und Jazzrock. Dies sieht in anderen Landeskirchen jedoch völlig anders aus.

Es ist zu beobachten, dass sich die Formen des Engagements in Musikgruppen in den letzten Jahren grundlegend gewandelt haben. Während bis in die späten 90er Jahre hier vor allem kontinuierliches Arbeiten im Vordergrund stand, ist jetzt auch hier der Wandel zur einzig feststehenden Größe geworden. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Als wichtigsten kann man die allgemeine "Verjüngung" der sächsischen Bandszene benennen. Der Altersdurchschnitt der Bands ist im Verlauf der letzten Jahre kontinuierlich gesunken. Damit sind allgemein altersübliche Prozesse verbunden, die bis ins ehrenamtliche, kirchliche Engagement der betreffenden Personen hineinreichen. Hier wäre vor allem die gesellschaftliche Forderung von regionaler Mobilität und zeitlicher Flexibilität zu nennen. Betrifft dies nur einzelne Mitglieder der Bands, können Abwanderung oder Verschiebung zeitlicher Freiräume im allgemeinen kompensiert werden. Sind die Bands, wie vor allem bei der nachwachsenden Musikergeneration zu beobachten, durch eine homogene Altersstruktur gekennzeichnet, führt dies oftmals zur Auflösung der betreffenden Musikgruppen. Diese Fluktuation ist von den Anleitendenden, oft Gemeindepädagogen oder älteren musikbegeisterten Ehrenamtlichen, schwer zu verkraften, da es mühevoll ist (und im Zuge der geringer werdenden Anzahl von Jugendlichen wird sich dieser Trend noch verstärken), Jugendliche für gemeinsames Musizieren im Rahmen einer gemeindlich gebundenen Musikgruppe zu gewinnen. Dies ist dadurch erklärbar, dass eine Band immer nur so gut ist wie ihr schwächstes Mitglied und besonders am Anfang der musikalischen "Karriere" eine Menge Anleitung und vor allem Motivation von außen kommen muss.

Die Musikgruppen selbst erwarten von der Bandarbeit des Landesjugendpfarramtes vor allem Angebote im Servicebereich (dieser erstreckt sich von praktisch-musikalischen Fragen wie die Beratung vor einem Instrumentenkauf bis hin zu Hilfeersuchen bei Vertragsproblematiken und Steuerrecht), die Durchführung von Bandtreffen und christlichen Musikfestivals, Hilfestellung bei Förderanträgen für kirchliche und öffentliche Mittel und die Durchführung von Schulungen vor allem in den Bereichen Musikpraxis und Tontechnik.

In den letzten Jahren wurden eine ganze Reihe von Kommunikationskanälen für die Bands bereitgestellt (Bandsuchmaschine des Landesjugendpfarramtes, moderierte Newsgroup im Internet, Diskussionsforum beim Netzwerk CrossOver). Die Aufrechterhaltung der Kommunikation zwischen den Musikgruppen und ihren verschiedenen musikalischen, inhaltlichen und performativen Ansätzen ist für die Struktur landeskirchlicher Musikarbeit eine notwendige Voraussetzung, um christliche Popularmusik möglichst effektiv präsentieren zu können und damit deren missionarisches Potenzial zu unterstützen.

Ausblick

Die in der Bandarbeit institutionalisierte kirchliche Förderung und Unterstützung christlicher Popularmusik ist nicht nur eine zentrale Herausforderung für die Gegenwart. Christliche Popularmusik ist als global verbreitetes Cross-Culture-Phänomen schon jetzt als ein wichtiges Medium für die Kommunikationsaufgaben der Zukunft erkennbar. Auch deshalb ist sie so beachtenswert für die Kirchen. Denn sie schafft es, ethische/moralische und kommunikative und ästhetische Kriterien in sich zu vereinen. Sie spricht durch dieses Cross-Culture-Operieren junge und junggebliebene Menschen auf verschiedenen Ebenen durch ihren authentischen Charakter an und kann Kommunikation über christlichen Glauben und davon abgeleitete Lebensentwürfe auch in postmoderner Beliebigkeit und Unübersichtlichkeit gewährleisten.
Der Trend im Bereich der christlichen Jugendkultur geht zu weniger, dafür größeren Events. Diese werden für das Zusammengehörigkeitsgefühl der kirchlich gebundenen Jugendlichen als unerlässlich erachtet. Das Problem dabei ist, dass es für immer weniger Jugendliche immer mehr wichtige Events gibt und die Kirchen sich in diesem Bereich in einer direkten Konkurrenzsituation zu einer Reihe professioneller Veranstalter befinden, die zunehmend "Musik mit Sinnangeboten" vermarktet.
Durch die Reduzierung oder gar den Wegfall kirchlicher Strukturen ist zukünftig immer mehr die Eigeninitiative der musisch Interessierten gefragt. Letztlich wird christliche Popularmusik in kirchlicher Verantwortung nur dort eine Überlebenschance haben, wo mehrere kirchliche Träger oder Kooperationen kirchlicher und freier Träger gemeinsam tätig sind, sich Verantwortung, Arbeitsaufwand und finanzielles Risiko teilen.

(1) EKD: Kirche und Kultur in der Gegenwart, GEP, Frankfurt/Main 1996

Wird veröffentlicht in PGP - Zeitschrift für Religionspädagogik



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