www.Crossover-agm.de Gesungene Bekenntnisse. Wenn Sprache und Musik ihre geistlichen Kräfte messen ...
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von Thomas Feist

Gesungene Bekenntnisse haben in unseren Kirchen eine nach Jahrhunderten zählende Tradition. Angefangen von den gregorianischen Chorälen über die uns bekannten wortgewaltigen Luther-Lieder des Gesangbuches bis hin zu den verschiedensten zeitgenössischen Formen zwischen Taizé-Gesängen, Neuen Geistlichen Liedern, Gospel und popmusikalischen Varianten. Genau so alt wie die Geschichte der gesungenen Bekenntnisse ist jedoch auch der Streit, ob wohl Musik oder doch eher die Sprache das geeignete Medium ist, den christlichen Glauben zu bezeugen. Was heutzutage kaum noch für eine Fußnote in theologischer Diskussion gut ist, nämlich die Frage, ob die durch den Pfarrer im Gottesdienst ausgeführten liturgischen Formeln in psalmodierender Form ausgeführt oder lediglich gesprochen werden, trennt andererseits mit Wucht benachbarte Konfessionen in diejenigen, deren Bekenntnisse grundsätzlich gesprochen und andere, deren Bekenntnisse grundsätzlich gesungen werden. Dass Musik bewusst oder unbewusst zur Verstärkung von gesteigerten Zuständen, zu denen zweifellos auch das kollektive Bekenntnis und das gemeinsame Gebet gehören, eingesetzt wurde, ist von Beginn dieser Praxis an stets kontrovers diskutiert worden. Die Musikgeschichte und die Theologiegeschichte ist von einem kontinuierlich anhaltenden Streit darüber geprägt, ob das irrationale Moment der Musik einen zentralen Platz im Leben der Menschen und im Gotteslob innehaben dürfe. Diese Frage wurde weder durch Plato noch durch das Tridentiner Konzil oder gar die Streitschriften Adornos gegen die emotionale Überwältigung der Menschen durch die Unterhaltungsmusik entschieden. Aus diesem Grund ist wohl auch der Durchschnittszeitgenosse dieser endlosen Debatte überdrüssig. Es ist ihm keine existentielle Frage mehr, ob die Antwort auf die Gretchenfrage gesungen oder gesprochen sein sollte.
Abgesehen vom Streit um den richtigen Ton und das richtige Wort wird ganz besonders im Hinblick auf zeitgenössische Formen von Bekenntnissen die alles entscheidende Glaubensfrage gestellt: "... wenn Dein Kind dich morgen fragt ... dann sollst du sprechen! oder: ... dann sollst Du singen!" Was dem Einen als Ebene erscheint, die lediglich die staubtrockene Ratio des Vernunftmenschen anzusprechen in der Lage ist, kommt der Anderen vor wie ein klangtrunkener Exkurs in die esoterischen Gefilde blasser Ästheten. "Um Gottes Willen: Klarheit!" rufen die Einen, "Um Gottes Willen: Ganzheitlichkeit!" die Anderen. Und so versuchen in verschiedenen Genres immer wieder die Bekennenden, solche Lieder zu schreiben, die Sprache und Musik in gelungenen Synthesen verknüpfen. Diese Versuche sind wie alles Menschenwerk vor Irrtümern nicht gefeit. Und ganz nebenbei bringen sie manches mal - wenn auch unfreiwillig - so etwas wie den Schimmer eines spezifisch christlichen Humors hervor. Im Einzelnen sind die neuen Bekenntnislieder so vielfältig wie widersprüchlich. So konzentriert sich zum Beispiel ein ganzer Zweig christlicher Lobpreismusik ganz auf das an der musikalischen Verpackung aufgeklebte Bekenntnis und vermenschlicht dieses zu einem kollektiven Schunkelerlebnis. In Erlebnisberichten von Beteiligten klingt dies dann so wie in folgendem Zitat zu lesen: "Wir sangen beschwingte geistliche Bekenntnislieder, begleitet vom Musikteam mit Gitarre und Keyboard." Auf der anderen Seite dröhnen christliche Heavy-Metal-Bands, die ihren Zuhörern ihr Bekenntnis unmissverständlich und kompromisslos um die Ohren schlagen. Dazwischen gibt es die eher Nachdenklichen, deren Antworten auf die Fragen ihrer Kinder sich schwer tun mit dem Einfachen. Diese findet man am ehesten bei der Gilde der Liedermacher. Hier sind die Grenzen zwischen christlichem Bekenntnis und sozialkritischer Aussage, getragen vom Gebot der Nächstenliebe, fließend. Bob Dylan fasste diesen ambivalenten Charakter anlässlich eines Kommentars zu seiner Platte "Biograph" von 1985 mit den Worten zusammen: "Man kann meine Sachen nicht nehmen und übersetzen, nicht einfach verbalisieren; ich schreib ja keine Bekenntnislieder." Hier hat das Bekenntnis eine ganz subjektive Färbung, ist mehr persönliches Glaubenszeugnis als verallgemeinerbares Statement. Und so erhält vor allem die Art, wie ein Lied geschrieben wird, bekennenden Charakter. Dylan sagt dazu: "Ich halte meine Wertvorstellungen gern biblisch geradlinig durch - ich bin gern Teil von dem, was sich nie ändern wird." Die Frage "Was wirst Du sagen, wenn Dein Kind dich morgen fragt?" gerät so auch zum "Wirst Du auf die Frage deines Kindes auch übermorgen noch die gleiche Antwort geben?".
Eine ganz spezielle Art, Sprache und Musik nicht nur zu verbinden, sondern Bekenntnisse auch in sinnliche Formen zu gießen, ist der Gospel. Ausgehend von einer ganzheitlichen theologischen Sichtweise, die eher am Text des Deuteronomiums als an paulinischen Unterscheidungen orientiert ist, wird das Bekenntnis im Gospel zur transportablen Vergewisserung des Bundes zwischen den Christen der schwarzen Kirchen Amerikas und Gott. "Queen" Esther Marrow, eine der Protagonistinnen des Gospels, umschreibt es mit den Worten: "Unsere Musik ist unser Licht, unser Leben, unser Erbe und unser persönliches Bekenntnis. Mehr noch als von der Kraft und dem Glauben an Gott getrieben, ist Gospelmusik vor allem eines: Inspiration. Man muss kein guter Christ oder Kirchgänger sein, um die von positivem Lebensgefühl beseelten Songs für sich selbst zu verinnerlichen." Gospel erscheint in seiner Gestalt geradezu als Umsetzung des 47. Psalms, in dem es heißt: "Klatscht in Eure Hände, ihr Völker alle, jauchzt Gott zu mit jubelndem Schall!". Sein gesungenes und getanztes Bekenntnis ist in der Lage, im Gegensatz zum Neuen Geistlichen Lied und dem überwiegenden Teil der Lobpreissongs nicht nur innerkirchlich relevant zu sein. Mittlerweile füllt er Konzertsäle der ganzen Welt, ist bei international renommierten Jazzfestivals ebenso zu Hause wie in den Tempeln der klassischen Musik. Und trotz aller marktorientierten Regeln, die im Musikbusiness gelten, ist es ihm gelungen, authentisch zu bleiben. So authentisch, dass auch auf eine säkulare Leserschaft hin ausgerichtete Printmedien wie die Leipziger Volkszeitung sich in einer Rezension zu einem Konzert der "Harlem Gospel Singers" zu folgendem Kommentar hinreißen lassen: "In wallenden Gewändern bewegen sich die Sänger lachend zum swingenden Rhythmus. Mit dem ganzen Körper singen sie, tanzen und klatschen in die Hände. Die Grenzen zwischen atemberaubenden Gesang und ekstatischem Schreien sind fließend. Die 'Harlem Gospel Singers' bleiben nah am authentischen Gospel - trotz der professionellen Vermarktung ihrer fulminanten Show begeistern sie mit elementarer Kraft und dem ehrlichen Gottesglauben ihrer Vorfahren. [...] Es gibt keine Trennung mehr zwischen Zuhörern und Interpreten - Musik als Gemeinschaftserfahrung. Die Botschaft Gottes setzt bei den Stars Kräfte und Gefühlsschwemme frei: Bei der Zugabe 'Jesus loves me' liefen einigen Sängern vor Rührung Tränen übers Gesicht. So was kann nicht inszeniert sein, sondern kommt von Herzen."
Die Verbindung sprachlicher und musikalischer Elemente in unseren Bekenntnissen ist in der Lage, Menschen zu erreichen und Menschen zu berühren. Wenn beide Ebenen gegeneinander ausgespielt werden, sind theologische Missverständnisse und missionarische Kraftlosigkeit die Folge. Wenn unsere Kinder uns also morgen fragen sollten, dann sollten wir am besten singen ...

Aus: Zeitschrift für Gottesdienst und Predigt 01/05



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