www.Crossover-agm.de Musik zwischen Altar und Bordell
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von Thomas Feist

Musik ist ohne Erotik nicht denkbar, Erotik nicht ohne Musik. Zwar versucht es die Musik zuweilen auf Umwegen: sie beansprucht Autonomie oder lässt lediglich körperlose Annäherungen gelten. Zwecklos ist jedoch all dies Bemühen, da Musik ihrem eigentlichen Wesen nach Klang gewordene sinnliche Beziehung und keine rationale Konstruktion ist. Erotik ohne Musik ist dagegen wie eine Liebeserklärung in Paragraphenprosa oder die chemische Gleichung für das, was beim Küssen passiert. Befunde können so erfasst werden, das Eigentliche nicht. Über erotische Wirkungen von Musik zu schreiben, ist vor dem Hintergrund des eben gesagten ein Unding. Man muss das Vokalorgan von Tom Jones auf dem Album "Reload" hören, die Bewegungen der Sängerin Beyonce vor der akustischen Tapete ihrer Stimme beim Video "Dangerously In Love" sehen oder sich unter die Teenies beim O-Town-Konzert mischen.

Musik, Liebe und Religion leben in ihren aktiven Formen Klingen, Erotik und Glauben. Bei allen Dreien geht es um interpersonale Beziehungen und diese finden wir sowohl außerhalb wie innerhalb von Kirchen. Wie sehr sich kirchliche und randgesellschaftliche Kreise kreuzen, wie sehr die Musik heimatlos zwischen Bordell und Altar wandelt, zeigt die frühe Geschichte der Rockmusik. Im Blues wurden zunächst per Parodieverfahren geistliche Anbetungstexte in weltlich-lüsterne Reime übertragen. Später hielten die Soul-Musik und der Funk, welche das umgekehrte Verfahren praktizierten, in den schwarzen Kirchen Amerikas Einzug und mit ihnen eine liturgische Reformation der Gottesdienste.

Zumeist war der Einzug des heiligen Textes im Gewand der weltlichen Musik vom Protestlärm der Kirchen begleitet. Einst der Gospel, heute die Praise-Musik. Die Begründungen bleiben dabei annähernd gleich. Es ist der Rhythmus, der an den Geschlechtsakt erinnert und so unweigerlich unser Fleisch anspricht. Hier sind sich überraschend Kneipenmusiker und Priester einig - trotz offenbar unterschiedlichen Erfahrungshorizonten. Aber irren nicht auch beide gemeinsam? Ist nicht der Geschlechtsakt selbst auf seinen Kontext angewiesen? Ob er in einer Liebesbeziehung, im Bordell oder als Mittel der Macht vollzogen wird? Rhythmus also kann es nicht sein. Viel wichtiger für die erotische Wirkung der Musik ist ihre Schwingung, ihr Groove. Und dieser Faktor ist so wesentlich für ihre Qualität, dass es schon lange keine Frage seitens der Musikerschaft mehr ist, ob in musikalischer Verkündigung dieses Moment zum Tragen kommen sollte oder nicht.

Musikalische Erotik ist Hingabe - nicht die durchschaubare Anmache, die Gleichzeitigkeit von Konzentration und Tagtraum. Kein Widerspruch zur Hingabe in Glaubensvollzügen. Ist es nicht so, dass schon lange und immer wieder in vielen Bereichen der Kirche Gott in vollwertiger (unkastrierter) Musik lebendig erfahrbar wird? Ganz historisch in der Christusminne der Hildegard von Bingen, die durch eigene Form, Ich-Erfahrung und Intimität gekennzeichnet ist. Hier werden biblische Aussagen in dialogischer Form verarbeitet, Eigenschöpfungen in jesuanischem Geist kreiert. Freiheit und Respekt bedingen und ergänzen sich. Jahrhunderte später der Klassiker "american pie" von Don McLean, der sich direkt auf Psalm 137 bezieht. Und heute?

Sucht man in christlichem Liedgut, wird man zwar allerorten das Wort "Liebe" finden, einen direkten körperlichen Bezug wie in Frank Josephs Song "Gott sagt: Ich liebe dich", wo es heißt "Gott sagt: Ich mag dich/ich will dich/ich brauch dich/ich liebe dich!" (vgl. dazu Matthias Reim: "[verdammt] ich lieb Dich/ich brauch Dich/ich will Dich [nicht verlier'n) haben jedoch Seltenheitswert. Meist werden die Lieder entweder so in den gottesdienstlichen Rahmen gezwängt, dass sie außerhalb von diesem nicht lebensfähig sind oder das Spannen vor den Karren der Kunst lässt himmlische Begegnungen nicht mehr zu. Am fündigsten wird man auf der Suche nach dem Sowohl-als-auch im Bereich des Lobpreis, der Anbetungssongs und zwar am ehesten dort, wo Anbetung und Hingabe in Eins fallen, die Leidenschaft für Gott hörbar wird. Das südschwarzwäldische Janz-Team ist hier ganz vorne dran und auch in meiner sächsischen Heimat gibt es Talente. Da heißt es beispielsweise in den Songs der Wahlleipzigerin Katrin Meinhold: "Du bist der Regen in meiner Wüste. Du bist die Sonne, die mich zum Blühen bringt", "Ich laufe in deinen Arm. Mein stolzes Herz hast du längst schon durchschaut, mit deiner Liebe erweicht, völlig aufgetaut" oder "Jetzt steh ich vor dir, ganz in deine Liebe eingehüllt. Du bist unbeschreiblich schön und deine Augen machen mir Mut".

Die Deutschen haben's schwer mit sinnlicher Sprache. Wird sie trotzdem in christlichen Kontexten verwendet und auch noch mit emotional aufgeladener Stimme vorgetragen, wird diesen Interpreten schnell der Vorwurf gemacht, sie würden eine schlüpfrige Jesus-Erotik zelebrieren. Also wandern sie aus, die christlichen Lobpreistalente. Ins Englische. Da klingt vieles körpernäher, sind Liederbücher und CDs mit dem Titel "In Love with Jesus" keine Ausnahme. Dieser Umstand wird jedoch auch heftig von Kritikern bemängelt. Ein klassischer Ausspruch von Theo Lehmann heißt: "Hier [im Englischen. Anm. TF] kommt es verständlicherweise nicht mehr darauf an, verständlich, sondern einfach 'high' zu sein."

In der Welt der weltlichen Musiktexte wimmelt es scheinbar selbstverständlich von Beziehungen zwischen Erotik und Gotteswort. Wie zu Urzeiten der Poesie durchzieht das In-Eins-Setzen irdischer und himmlischer Freuden aktuelle Songtexte der Charts. "In dieser Nacht hörte ich Glocken klingen und auf den Schwingen der Lust hört' ich Engel singen" dichtet die Band ohne Namen und schließt ihren Song "Sex Control" mit dem Hinweis "auch für dich war's die heilige Nacht". Der vor allem bei Teenies beliebte Popstar Ben fischt wie unzählige seiner Zunftgenossen im Meer des Segens. In seinem Song "Gesegnet seiest Du" singt er "Gesegnet seiest du und all deine lieblichen Fehler. Die Zukunft bist du, denn du bist das Licht, das mich leitet", und "Gesegnet seiest Du weil deine Liebe mich trägt". Die weibliche Antwort lautet bei Christina Aguilera im Song "Blessed" so: "Du seiest gesegnet wegen all der Zärtlichkeit, die Du mir zeigst" und "Du bist wie ein beantwortetes Gebet".

Ohne ein auf das geliebte Gegenüber transformiertes Evangelium keine wahre Leidenschaft? Ohne Glauben an die Möglichkeit übermenschlicher Bestimmung füreinander keine wahre Erfüllung? Britney Spears trällert "Tief in meinem Herzen weiß ich, dass nur du da bist. Und von Anfang an wusste ich: Ich lasse dich niemals gehen, denn ich liebe dich so" im Song "Deep In My Heart" Die zweigeschlechtliche Casting-Combo Bro'sis behauptet "Heaven must be missing an angel", und wir erfahren "Baby, Du bist unglaublich für mich. Vielleicht bist Du der Grund für meinen Glauben. Jedes Mal wenn ich Deine Stimme höre, wenn ich Deinen Kuss schmecke, sagt mir das: Dem Himmel muss ein Engel fehlen" und "Du bist der Ausdruck von Liebe, du bist die Antwort auf alle meine Gebete. Es ist, als hättest du mir eine höhere Liebe von dort oben mitgebracht".

Moderne Pop-Psalmen lassen sich mehr- und um- statt eindeutig lesen. Und so sollte Vorsicht geboten sein beim Umgang mit Chiffren, die wir nicht verstehen, bei allzu Deutlichem, das uns aufs Glatteis führt. Handreichungen für Religionspädagogen wissen dies allerdings oft nicht. Gedankliche Irrgärten, attestierte Weltfremdheit und unfreiwillige Komik sind oft die Folge wenn weltliche Psalmen, eindeutig - nämlich als christliches Material - identifiziert werden. Ausnahmen wie der Song "What If God Was One Of Us" in der Interpretation von Joan Osborne, der ohne weiteres als Reflektion des Christushymnus in Philipper 2 gedeutet werden kann, sind selten. Aber es gibt sie. Machen wir uns auf die Suche nach den himmlischen Liebesliedern. Liebevoll.

Hier findet man weitere Informationen:
CrossOver. Netzwerk für Jugendkultur. [www.xo4u.de]
Lyrics 3000 [www.lyrics3000.de]
Lyricsuche [www.lyricsuche.de]

Aus: Zeitschrift für Gottesdienst und Predigt (ZGP), 2/2004. Copyright Gütersloher Verlagshaus (www.gtvh.de)



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