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Probe, Durchlauf, Vorhang, Action: Low- und Highlights – Ein Bühnenrundgang
von Henner Kotte

In den Zeiten knapper Kassen wird allerorten gespart, alldieweil es keinen anderen Ausweg gibt. Sagt man. Trotz sämtlicher Fusionierungen, Stillegungen, An- und Abgesänge: Das Theater lebt! Auch in hiesigen Breiten. Natürlich reicht's für's Alphabet nicht hin, aber wir haben uns bemüht, etwas mehr als das gemeinhin Angesagte wahrzunehmen.

Altenburg/Gera: In Altenburg steht ein schönes Theater nebst angeschlossenem Heizhaus. Dort wird der Zuschauer gewahr, was so abgeht, wenn Träume und Tatsachen ins Monströse gearten. „Fette Männer im Rock“ ist mitnichten eine Travestie-Show, sondern eine schaurige Mär vom Fressen und Gefressenwerden. Mutti und Sohn stürzen ab auf eine einsame Insel und ernähren sich notgedrungen vom Fleisch der andren Passagiere. Ins wirkliche Leben danach findet sich keiner rein. Makaber und ein Kommentar zur Zeit. Manchmal etwas lang geraten, kann's Publikum darüber lachen (vorausgesetzt, man mag schwarzen Humor gut leiden). Im gleichen Hause auch die „Lederfresse“. Da wär einer so gern Macho und wahnsinnige Horrorfigur. Deshalb spielt er allein mit sich solche Träume mal durch. Bis ihn die Freundin erwischt. Und die Nachbarn kommen. Und die Polizei die Kontrolle verlangt. Schließlich ist der Traum aus. Helmut Kraussers Stück hat Bühnen und Länder erobert. Zu Recht. Hauptdarsteller und Inszenierung brauchen sich nicht zu verstecken. Klasse. Publikum muß nur hinsehen wollen.
Bautzen: Da gerät eine Dame nebenbei rein in's Geschäft und offenbart dem Berater letztlich alles, was sie so frustet. Der sagt ihr auch alles unter der Folter. Und dann gehen beide wieder allein ihrer Wege. „Grillparzer im Pornoladen“ ist ein deftiges Stück österreichischer Landen und zeigt so einiges über Wünsche und geschluckten Frust. Und man kann sich die sexuellen Accessoires mal ohne Scheu genau betrachten, sie liegen im Theater aus. Gutes Ding, nichts für Leute, die über Sex nur hinter vorgehaltener Hand sprechen.
Chemnitz: Auf einer kleinen Hinterbühne wird die Stadt „Zerbombt“. Autorin Sarah Kane ist skandalumwittert und ihre Stücke sind der blanke Horror. Den mag nicht jeder sehen, dachte sich wahrscheinlich der Regisseur und deshalb bleibt vom Ekel nicht viel übrig. Zwei im Krieg gestrandete Personen machen sich fertig und werden fertig gemacht brutal, gewaltsam. Was vom Stücke übrig blieb (im Text steht nämlich all das Fürchterliche drin), erregt kaum, und fast gutgelaunt geht man in den weitren Abend. Dabei hätt man kotzen müssen. Ehrlich.
Dessau: Dort im Wald sind die Räuber los im Musical „Das Wirtshaus im Spessart“. An sich ist dies ja 'ne dufte Geschichte von Verwechslungen, bösem Tun und Liebe, Liebe. Was aber im anhaltinischen Theater auf der Bühne gezeigt wird, wirkt vermottet und albern. The Fifties strike back im Geist und im Outfit. Dann lieber rein in den alten Film mit der Lilo, der Pulver.
Dresden: Das TiF ein bißchen am Ende der Stadt hat ja mittlerweile einen Namen für Theater neben der Norm, ist also stets gut für neue Stücke, neue Sicht und neuen Mut. Die „Stellungskriege“ zeigen Situationen, die wir zu kennen glauben im Miteinander Tun und Lassen. Da sind die Schauspieler richtig gut drauf, das schaut sich nicht nur gut an, es kann der Anlaß sein, auch mal drüber zu reden. Was will Theater mehr.
Halle: Das neue theater kämpft für den Freieden und präsentiert uns den veralteten Hit „Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde“, was weiter nichts bedeutet. Man tut so als wäre die Zeit anno 70 stehen geblieben, und was damals Friedenskampf hieß, zieht man jetzt auf der Bühne gnadenlos durch. Dieses Geschwätz wurde von der Gegenwart längst zerbombt, kein Thema, um mitzumachen, einzugreifen. Schön zur Unterhaltung und zum Sinne-baumeln-Lassen dagegen die unglaubliche story „Schwere Jungs und leichte Mädchen“ in der Oper. Dorten wird eine Gangstermär erzählt, die an die Spielfilme der schwarzen Serie denken läßt. Nur nimmt sich die Geschichte nicht ernst (heute), und genauso wurde sie auf die Bretter gestellt. Unterhaltung very best.
Jena: Die Stadt hat ein Theaterhaus und ein neues Ensemble. Auf der allerkleinsten Bühne (die ich kenne), werden „Heimspiele“ geboten. Einakter erzählen von zwei sehr einsamen Menschen. Der Herr treibt „K.s Kasperlespiele“ vor sich hin und probt immer wieder, wie er's mit Frauen gern hätte. Wird nix. Fräulein Rasch hingegen hat nichts mehr zu proben, sie hat abgeschlossen mit allem, auch mit dem Leben. Kein „Wunschkonzert“ hilft. Sorgfältig wie immer macht sie einfach mit sich Schluß. Zwei beeindruckende Inszenierungen. Zwei Schauspieler, die ihre Kunst beherrschen. Wenn man nicht wüßte, dass man im Theater saß ...
Leipzig: Dort zeigt das Schauhaus den Ausstand der oft diskutierten Regisseurin Konstanze Lauterbach. „Lulu“ ist Frau, Weib, Göttin, Mythos und die Männer liegen ihr zu Füßen. Später sind sie tot. Alle. So recht greifbar ist das Stück nicht, unzählig die Interpretationen, und kein Germanist, der nicht daran seine Weisheit schult. Die Lauterbach hat's Stück ohne Phrasen inszeniert, und sie hat aus Schablonen Menschen gemacht. Das sieht sich gut an (wenn auch manchmal zu lang), aber es ist ein Abend erster Güte. Schade, die Lauterbach geht aus der mitteldeutschen (sogenannten) Provinz hin in die Weltstadt Berlin weg.

Der Rundblick beweist, Theater ist im Landstrich präsent und muß sich, Tatsache, nicht verstecken hinter den großen und großmäuligen Häusern. Man muß nur auch das Kleine sehen wollen. Wir haben's getan und können diskutieren. Nicht über die leeren Geldsäckel (wer hat die nicht) sondern über die Kunst, über das Leben, über uns. Und mehr macht die Bühnenkunst auch nicht her, da kann man Euripides, Shakespeare, Goethe fragen und sich selber.



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