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Faust recht und Faust willig
von Henner Kotte

Vor Zeiten haben wir mit großen Augen hineingestarrt, und manchmal haben wir ein kleines Stückchen bekommen dürfen. Heutzutage ist es usus, gewissermaßen unabdingbar: Der Mensch wälzt Kataloge, um sich gut zu informieren. Das Blättern ist zwanglos und verpflichtet zu nichts, läßt der Phantasie freien Lauf, und man kann denken, was wäre wenn. Die Jahresprogramme einschlägiger Theater sind bildschön gedruckt, keine Frage. Jedoch beschleicht mich manchesmal das Gefühl, als läse ich den trocknen Lehrplan Deutsch der Klassenstufen 1-12. Entweder kenne ich die Namen nicht oder ich kenn sie und finde sie nicht eben geil. Die Generation XXL des modernen Menschen bleibt so wie ein bissel außen vor dem Bühneneingang. Sehr selten ist das Stück allein schon provokant, bleibt zu hoffen, daß der Regisseur aus Klassik & Co. was draus macht. Das meine Hoffnung.
99, das weiß jedes Kind, ist das Jahr des großen Dichters Denkers Goethe. Und deshalb haben viele Städte ganz den ihren: FAUST. Weimar hatt´n, völlig klar. Dessau kriegt´n wieder I und II. Nach Chemnitz kommter. Und in Leipzig ist es soweit gewesen, die Pforten des Schauhauses öffneten und der Faust zweier Teile wird von nun an gespielt. Ausverkauftes Haus hat sich die Leitung erhofft, ausverkaufte Häuser wird es nun geben, gar zusätzlich muß man das Stück in die Spielplanung hieven. Soweit so gut.
Wolfgang Engel, seines Zeichens städtischer Leiter der Bühne, inszenierte den Gewaltakt deutschen Dramas und nahm Mensch Faust als Ausgang und Ende allen Geschehens. „Die Verzweiflung dieses Intellektuellen Faust hat für mich mit einer Sinnsuche zu tun – und nicht mit einem Zustand“, meinte der Macher. Desderwegen sind logischerweise alle Handlungen die Kopfgeburten Fausts. Für dieses Denken machte Horst Vogelsang die Bühne ganz schwarz: „Wie in einer Black-Box konkretisieren sich die Orte durch das Spiel. Dazu kommen assoziative Bilder (Allegorien etc.). Personen (Gruppe) tauchen aus dem Dunkel auf (aus der Gedankenwelt) und formieren sich im Kreis. Der Kreis als Welt.“ – Die Welt im Kopf. Verblüffend ist der Ansatz nicht. Und da es im Kopf eh wenig der Farbe hat, wird auch der Abend im Saal recht sparsam beleuchtet. Und im Dunkel werden die Worte gesprochen, Probleme gedacht, gehofft und gebangt. Der schönste Augenblick des Lebens läßt noch immer auf sich warten, weiß ein jeder, dunkel bleibt´s im Jammertal. „Da ist´s vorbei! Was ist daraus zu lesen?“ fragt Mephisto angesichts des toten Doktor Faust, „Es ist so gut, als wär es nicht gewesen, und treibt sich doch im Kreis, als wenn es wäre“. Damit scheint die Sache endgültig rund.
Wer es so sehen mag, der sieht´s. Mir ist der Koloß dieser Vorstellung zu statisch, zu farblos. Es ist eine Inszenierung fürs Bürgertum der Bildung, für Schüler vor der Prüfung. Vor allem in der Tragödie erstem Teile wird der Text deklamiert in Erstarrung und Erfurcht. Bis Gretchen dann kommt, und den Doktor die Lust überfällt. Geschändet sitzt die dann auf der Walpurgisnacht drauf (schöne Idee), doch was drunter da abgeht, ist verschämter als nachmittags Pastor Fliege. Dann schon lieber Deckel drüber über Gelüste, Lüste und Laster wie gehabt. Im zweiten Teile wird es bunter, doch ist Fausts Wanderung durch diese große Welt nicht eben einfach zu verstehen. Aber dafür ist es ja unser aller Goethe. Und Engel schafft es, manches richtig klar auf die Bretter zu stellen. Fausts Grablegung erfolgt zu nächtlicher Stunde auf dem Johannesfriedof (Bustransfer inklusive). Dort ist die Black-Box dann bunt und doppelt. Wie im echten Bauerntheater streiten sich Himmel und Hölle um die Seele des Verstorbenen. Nun ja, das schreibt der Lehrplan eben vor, das alles.
Die Schauspieler gestalten den Abend, keine Frage. Matthias Hummitzsch und Johann von Bülow geben Faust ganz im Sinne der Regie. Voll-Teufel Peter Kurth ist Sinnenfreude und Lebenslust. Jedoch hat er es auf dem Friedhof als Animator der Massen sehr schwer, und mephistophelischer Witz gerät zur Anmache dumm. Die Damen Bianca Nele Rosetz und Lisa Martinek holen den Denker Faust gefühlvoll ins Leben. Aber nur ungerechter Weise hebe ich diese Namen aus dem Ensemble heraus. Fünfzehn Akteure geben mit ihrer Person diesem Abend Gewicht. Beeindruckend auch die Arbeit all der Menschen hinter den Kulissen. Ich hoffe, sie allesamt haben das Recht, sich nach jeder Vorstellung dem Publikum zeigen zu dürfen, um die verdiente Anerkennung mit Applaus zu erhalten. Neun Stunden Klassik fast pur, auch das Publikum folgt und wird gefordert. Und der Willigen kein Ende, allüberall Engagement für einen solchen Faust`schen Tag. Das kann nicht falsch sein.
Mir bleibt zu sagen: Der Denker denkt im klassisch schwarzen Ambiente den ganzen langen Abend lang. Das ist sein Recht. Aber denkt auch er nicht außerhalb von dem, wo er nun mal leben muß. Zwar entdeckt ich manches neu am alten Text, doch so unter die Haut wie Schroth in Schwerin (dunnemals leider) und Engel selbst in Dresden (auch verdammt lang her) geht mir diese Inszenierung nirgendwo. Aber vielleicht sind dies die Zeichen der Zeit, und ich alter Sack habe sie nur nicht erkannt. Deshalb ziehe ich mich erst einmal zur Sinnsuche zurück. Das ist ja auch was. Hoffentlich seh ich nicht schwarz.



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