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Unaufhaltsam drauf, drauf,
drauf - Brit-Drama made in Saxonia
von
Henner
Kotte
Einhalt war unmöglich
- in Berlin hatte alle Szene Spaß und ging vehement "Shoppen und
Ficken". Ein junger Mensch namens Thomas Ostermeier hatte eine Lawine losgetreten,
und die kommt seitdem auf alle Bühnen und Bretter drauf, drauf, drauf.
In der unscheinbaren Baracke des Deutschen Theaters hatte Ostermeiers Regie
die junge britische Dramatik salonfähig gemacht. Mark Ravenhills Stück
(s.o.) war entrée und trifft offensichtlich haargenauig den Nerv
auch des deutschen Publikums. Shocking major! Ältere Mitbürger,
gar monumentale Kritiker erschüttert die Drastik, die Gewalt dieser
Stücke, sie sehen mit solch Schockästhetik das gutbürgerliche
Theater der menschlichen Traditionen beraubt. Und irgendwo ist es ja wahr:
Freudenspendenden Humanismus kann der Zuschauer in der Dramatik schwer
ausmachen. Die beliebte psychologische Tiefenstruktur findet kaum in Andeutungen
statt. Statt dessen ganz nackter Sex und nackte Gewalt, nackter Tod, nacktes
Elend auf nackter Bühne.
Mittlerweile rollt diese Theaterlawine
durch sämtliche deutsche Lande. Sarah Kane, Edward Bond und und und,
der Namen, der Stücke kein Ende. Auch die sächsischen Metropolen
bieten keinen Einhalt und haben´s nunmehr drauf, drauf, drauf geballt,
wie letzte Premieren beweisen.
Initial gezündet hatte
Mark Ravenhills "Shoppen und Ficken" in besagtem Berlin. Ein zweites gutes
Stück vom Autor erlangt noch immerhin weite Aufmerksamkeit, dachte
sich das Staatsschauspiel in Dresden und brachte "Faust ist tot" zur deutschen
Erstaufführung. Das gespielte Ding läuft in Amerika ab, wo ein
Philosoph erst mit Madonna und später mit Bill Gates' Sohn aneinander
gerät. Wissenschaftlich postulierte der Denker "Der Mensch ist tot",
nun muß er erleben, daß tradierte Werte ihm in der "Schönen
neuen Welt" gar nix mehr nützen. Im rasanten technischen Zeitalter
behauptet sich der homo sapiens sapiens nur noch gewaltsam fürchterlich
schrecklich. Jan Jochymski inszenierte das Stück im Dresdner Theater
in der Fabrik aber seltsam, selbst beim mann-männlichen Sex bleiben
die Helden Schablone: Ich ficken, du Jane! Auch wenn die Welt der 90er
abstrakt Gegenstand der Handlung ist, kann das Drama nur über die
Emotionen des Betrachters gewinnen: es sind wirkliche Individuen, die da
handeln im Elend. Und bei allem lobenswerten Engagement der Protagonisten
(actors im besten Sinne des Wortes mit nötiger Präsenz und dem
Talent noch dazu), kommt mir diese Verlorenheit und dieser Kampf und diese
Sehnsucht der eigenen Person fast nicht rüber. Das ist wirklich schad
und nimmt der Sache zumindest eine Dimension. Doch diskussionswürdig
bleibt der Abend allemal. Faust ist eben tot und bleibt es. Oder?
Nicht mehr in der Residenz,
doch dafür in Leipzig suhlen sich die "disco-pigs". Da stehen sie
in der Welt der Grausamkeiten, die Kinder mit siebzehn, und wissen nicht,
was sie tun (sollen). Arbeit resultative Geld ist nicht, Heim, Familie,
Geborgenheit mußten schon längst daran glauben. So suchen sich
Ferklin und Schweinl den fun in der Disco und nehmen sich das, was sie
wollen und brauchen vom Schnaps bis zur Liebe. Bis es dann doch noch zoom
macht zwischen den beiden und happy irgendwie. Aber war dies denn alles?
Natürlich nicht, der Kampf ums beschissne Stückchen eigene Glück
gerät zur Katastrophe aus banalen, sehr nachvollziehbaren Gründen.
Die Inszenierung in Leipzigs Neuer Szene ist eigentlich keine. Enrico Lübbe
(hoffnungsfroher Assistent mit ersten Aufgaben) und seine Schauspielkünstler
probten das Stück so just for fun als Training für die hohe Kunst.
Die Proben überzeugten eine Leitung, die das Ganze kurz entschlossen
in den Spielplan hievte. Keine schlechte Entscheidung. Nur sollte keiner
der Besucher im eigentlichen Sinne Theater nun erwarten, diese Inszenierung
ist ein Etüdenspiel auf blanker Bühne mit Musik. Potzblitz, selbst
damit zeigt das Stück von Enda Walsh die ganze Wirkung: Man lauscht
dem Text auch hinter allen Worten und verfolgt, was die Schauspieler (auch
körperlich) draufhaben. Empfehlenswert.
Die "Angriffe auf Anne" finden
nicht mehr in Leipzig, sondern nunmehr in Dresdens TiF statt. Und eigentlich
weiß gar kein Mensch, wer Anne eigentlich ist. Und ich vermute, auch
Autor Martin Crimp hatte und hat keine Ahnung. Anne ist nicht greifbar,
weder in Realität noch in sonst so. Die Frau bleibt verschwunden.
Personen sprechen im Stück darüber, wen sie als Anne glauben
zu kennen: Terroristin, suizidgefährdet, liebende Gattin, Flüchtige,
Frau, Kunstfigur gar ... Anne wird Produkt unserer Vorstellungswelt und
Abbild einer Gesellschaft, die auf Persönlichkeit wenig Wert legt.
Crimps abstrakter Text ist Experiment. Jede Personifizierung auf offener
Bühne nimmt das Stück (ganz im Gegensatz zu Ravenhills Faust
s.o.) gnadenlos übel. Und Regisseurin Isabel Osthues ließ sich
verführen und versucht, ein getreuliches Bild dieser Anne auf der
Szene zu puzzeln. So gratulieren die Darsteller pausenlos happy birthday
und quatschen Crimps Text beim Psychiater und in der Talkshow dumm rum
und eigentlich wäre alles gesagt, wenn sie schwiegen. Da bot Armin
Petras` Regie in Leipzig weit mehr (auch reineweg optisch), doch diese
messestädtischen "attemps to her life" sind dorten nicht mehr im Spiel(plan).
Das alles war´s noch
lange nicht. Ein Blick in die Theatervorhaben nächster Zeiten beweist,
die Lawine moderner britischer Dramatik rollt auch in hiesigen Breiten
unaufhaltsam weiter und durch. Auch wenn eine Lehrergeneration in Deutschland
offensichtlich andere Vorstellungen von Bühnendramatik und sonst so
auch hat, sind diese Stücke voll drauf, drauf, drauf auf dem Nerv
der Zeit. Und ehrlich, wen kotzt die Frage nicht an: Was wollte uns der
Autor damit sagen? Alle die Texte sind Angebot und Aussage genug. Nur eben
sind sie nicht jedermanns Ding. Bleibt zu wünschen, daß neben
"Shoppen und Ficken" den Leuten Zeit genug für´s Theater noch
bleibt. Allen Lehrern und Kritikastern zum Trotz!
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