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Ein kunstvolles Stück Rasen
Ulrike Syha beschreibt für Besucher Lebensflächen
von Henner Kotte

Talkshows an sich sind schon reichlich abgefahren. Doch Emilia präsentiert die tatsächlich ultimative Runde mit Mitmenschen, die unter (Tabletten)Einfluß stehen, und die Produzentin bezeichnet solche Art Action als "Antibiotica Sounds". Whow! Viktor ist strahlend, leicht übernatürlich mit Jahrhundertgesicht und moderiert diese Show täglich. Sein angehender Sexualpartner Ruben verdient gut und gern Geld mit der Vermittlung von Lebensflächen und macht ein Geschäft mit "Heimatkonstruktionen". Diese und noch einige andre moderne Menschen begegnen sich auf einem "Kunstrasen" und der liegt ab 28. September auf der Leipziger Bühne aus.
Theaterdramaturgisch treffen sich auf der Bühnenspielwiese mehrere Leut und geraten mit Haltung, Strategie und Überlebenstaktik aneinander und aneinander vorbei. "Immer wenn ein Gesprächspartner geht, fragt sich Ruben, ob vorher überhaupt einer anwesend war." Ein jeder schafft sich höchstpersönlich die Illusion der eignen schönen, neuen Welt, und ein jeder hat seinen genauen Plan, wie für ihn Zukunft & Zusammenleben aussehen sollen. Dieses Dasein unter der Käseglocke ist selbstverschuldet, gewünscht und manches Mal auch nicht zu ändern, und deshalb zieht man's durch, gnadenlos, strategisch. Solche Art künstliches Leben ist beileibe nicht nur der "Kunstrasen". Denn der Avantgarde-Slogan lautet: "Organica sind sehr aprés". Deshalb stören in diesem Ambiente weder Biologie noch Umwelt, und persönliche Bedürfnisse werden Ereignis. Der Mensch sein Produkt. Und "Kunstrasen" wird Zeitgeistkrimi, denn die Natur der Sache schlägt zurück. "Wenn Menschen sich bewegen, die eine Pistole in der Hand haben, fällt es schwer, ihre Anwesenheit zu übersehen."
"Kunstrasen" bietet surreale Ansichten und ist ein fantasievolles Stück Gegenwart, das sich gängigen Interpretationen entzieht. Autorin Ulrike Syha verzichtet auf Regiehinweise und vertraut ihren Text ganz den Akteuren an. Susanne Knierim wird die kunstvolle Verschachtelung der Sätze, Szenen und Perspektiven inszenieren. Uns Zuschauer erwartet Kunst und Theater der Gegenwart und die Schauspieler Julia Berke, Angela Meyer, Patrick Imhof, Stefan Kaminsky und Oliver Scherz. Ort: Schauhaus, kleine Bühne "Horch und Guck". Zeit: September, 28., 20.00 Uhr.
Man mag es bedauern, daß nicht jedermanns erste Gedichte, Romane, Stücke Öffentlichkeit erlangen. Meist, und dann zu Recht, ist bei ihnen Dramaturgie, Wortwahl, Satzbau arg mangelhaft oder einfach nicht vorhanden. Schade wär's, wenn wirklich gute kunstvolle Texte übersehen würden. Ihren "Kunstrasen" hat Ulrike Syha Kollegen zu lesen gegeben, sie arbeiten wie sie am Theater und urteilen fachlich, nicht nur mit Sympathiebonus. Die Reaktionen waren sehr verschieden, fielen aber positiv ins Gewicht. Mehrmals konnte man deshalb vor der tatsächlichen Premiere dem "Kunstrasen" in inszenierter Lesung folgen. Als Susanne Knierim den Text erhielt, hatte sie schnell Ideen der Bühnenpräsentation. Mittlerweile steht Ulrike Syhas erstes Stück nicht nur vor der Uraufführung, sondern es ist auch professionell unter Vertrag in einem angesehenen Verlag. Weitere Bühnen zeigen Interesse. Und das aus gutem Grund.
Ulrike Syha ist Jahrgang 1976 und kennt Theater bereits aus dem Effeff. In Wiesbaden geboren, zeigte sie schon in Darmstädter Schulzeiten Interesse für die Bühnenbretter und tat auch manches in dieser Hinsicht mit, doch Schauspielerin war niemals Ulrikes Berufswunsch. Nach dem Abitur folgte ein Praktikum am Darmstädtischen Staatstheater. Danach Bewerbungen zum Studium der Theaterdramaturgie. Die Leipziger Hochschule hat sie in diesem Fach immatrikuliert, aber Ulrike lag die Praxis näher. Und so ist sie erst auf Honorar tätig, später angestellt am Leipziger Schauspiel als Assistentin und arbeitete u.a. zusammen mit Regisseuren wie Wolfgang Engel und Konstanze Lauterbach und Michael Thalheimer. Erfahrungen, die bei ihrem Schreiben nutzen. "Kunstrasen" gibt Regie und Akteuren keine Anweisungen, das Bühnenbild bleibt bei der Autorin leerer Raum. Die Kunst und alle Fantasie des Inszenierungsteams ist so gefordert, keiner ist an eine Regel gebunden. Auch die Personen des Stückes fragen sich stets, was wahr war und wahr ist und ob überhaupt. "Wenn Ruben alleine gewesen wäre, hätte die Welt ganz anders ausgesehen. Vielleicht. Aber eigentlich nicht."
Ulrike Syhas Wunsch und Perspektive sind die einer Autorin. Ihr zweites Stück ist in Endfassung. Ideen für weitere aufgeschrieben. Wir können gespannt sein. Und sind es. Toi toi toi.



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