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Epische Statik und eine verdammte
Pflicht
Im Halleschen nt recherchiert
ein schreckliches Mädchen "Eisermanns Tod"
von
Henner
Kotte
Herr Eisermann war 87, als
er verbrannte. Er hatte sich einen Molotow-Cocktail gebastelt und diesen
in einen Zeitungskiosk geworfen. Doch schlug der Anschlag fehl, und Herr
Eisermann starb bei der Aktion.
Selbst schuld. Die Polizei
nimmt diese Tat als die eines verwirrten Greises und schließt die
Akten. Warum der Mann das Feuer legte, interessiert Ermittler nicht. Bis
dann die junge Rebecca Fengler in diesem Falle recherchiert und unangenehme
Fragen stellt. Der Staatsanwalt und der Kommissar vom LKA, sie sind entrüstet.
Doch Rebecca Fengler bleibt beharrlich, kommt der Geschichte auf den Grund
und bringt den alltäglichen Antisemitismus ans Licht. Denn Jakob Ruben
Eisermann war Jude und begegnete dem Haß an vielen Orten und immer
wieder.
Andreas Knaup hat die Ermittlungen
betreffs "Eisermanns Tod" 1999 als Stück für den Rundfunk verfaßt.
Regisseur Peter Sodann hörte davon und bat den Autoren, den Stoff
für's Theater umzuschreiben. Am 21. Juni war nunmehro dieser Fassung
Uraufführung im nt. Klar, das Stück hat's in sich. Mit dem Thema
und auch so. Denn das, was erzählt wird, wird erzählt. Die Handlung
gerät zur Handlung nur im Sinne des Wortes: Sprechtheater. Und natürlich
bietet ein Frage-Antwort-Spiel an Aktion wirklich nicht viel. Und deshalb
sitzen drei Personen den Abend lang an einem langen Tisch (Bühne und
Kostüme: Jürgen Müller) und reden.
Manchmal werden Zeugen zur
Verdeutlichung hinzu gebeten. Manchmal haben sie den Tod dieses Juden echt
satt und wollen nichts mehr davon hören. Und auch wahrhaftig: Es ist
schon reichlich harter Tobak, der betroffen macht und trifft.
Herr Eisermann hat Theresienstadt
und Auschwitz überlebt. Seine Jugendliebe nicht. Lea Stern (Beate
Schulz) schor man die Haare vorm Gas. Und mit solch Echthaar fertigte Maskenbildner
Karl-Heinz Schünzel (Reinhard Straube) neue Gesichter im Sozialismus.
Eine Fotografin (Marie Anne Fliegel) sucht beste Beleuchtung für Eisermanns
ewig jüdische Züge. Und auch deshalb fühlt sich der Herr
Eisermann vom alten Ungeist verfolgt. Offensichtlich sitzt der Haß
und die Mißachtung tief und fest im deutschen Menschen und wird kaum
als Untat zur Kenntnis genommen. Die Ankleiderin (Hannelore Schubert) vergißt
z.B. einfach den Wunsch des alten Juden an der Klagemauer abzulegen. Der
Sohn des Kommissars schert sich Glatze und macht Randale, an der Erziehung
kann das nicht liegen. Gar Zeitungen drucken die rechten Parolen ungestraft
ab. Darob ist Herr Eisermann ehrlich empört und erhebt seine Stimme
laut. Doch Herrn Eisermann hört kein Mensch zu. Er verstummt, und
damit richtiges Licht auf all die Ereignisse falle, wirft Herr Eisermann
Feuer. Leider nur haben Polizei und Staatsanwalt diese Todesursachen übersehen
(wollen?). Erst die Naive mit Herz kann sie darauf aufmerksam machen und
verhilft der guten Sache ein wenig zum Siege.
Alle Darsteller (ausnahmslos)
zeigen ihre Rollen menschlich. Vor allem Kommissar Wenlohr nehme ich seine
Wandlung ab. Lutz Teschner nuanciert sehr fein den Frust, die Unlust, das
Gewissen des Beamten. Johannes Gabriel als Staatsanwalt ist glatt und liegt
mit seiner Meinung rechtlich richtig. Daniela Voß als Journalistin
Rebecca Fengler ist nervend, zart und unbeirrt überzeugend. Überhaupt
erinnert dieses schreckliche Mädchen an "Das schreckliche Mädchen"
Lena Stolze und den Film von Michael Verhoeven. Auch dort wurde Vergangenheit
entdeckt. Auch dort kämpfte eine Frau einsam gegen das Vergessen.
Auch dort wurde man das ungute Gefühl nicht los.
"Eisermanns Tod" spielt mit
einem ungleich gröberen Raster als der ehedem Oscar-nominierte Film.
Im Stück von Andreas Knaup agieren weniger Menschen, alle Personen
sind nur Prototypen von Haltung. Der Ewig-Gestrige. Die Aufgeregt-Dumpfe.
Der Oberflächliche. Die Geschundne. Der Karrierist. Viele der Bilder
sind schrecklich und beeindrucken wirklich. Nur manchmal tut der Autor
des Guten viel zuviel. Die Fotografin ist nicht nur latent rechts, nein,
sie verhökert auch illegal Pornos. Der Kommissar ist im Herzen gerecht,
aber sein Sohn ist brutal. Man weiß stets ganz, was uns der Autor
sagen möcht: Menschen schaut hin und vergeßt nicht! Das ist
aller Ehren wert. Und aller Ehren wert hat es Peter Sodann inszeniert.
Nur sehr lebendig wird dieses Stück zum Thema nie. Da die Klischees
überstrapaziert und Schauspieler nur als Sprachrohr benötigt
werden. Einiges hätte man der Wiederholung wegen streichen sollen.
Einiges wär besser weggelassen, weil zu dick aufgetragen. Weniger
hätte nicht die Sache, doch aber das Stück besser gemacht. Insgesamt
ist der Theaterabend gut und richtig und steht in bester antifaschistischer
Bildungstradition. Nichts und niemand ist vergessen. Wir erinnern uns,
und wir haben verstanden: Wir sind in der Pflicht.
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