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Concerto grosso zudrängender Leiber
Das Dresdner TiF bringt die Liebe aufs Wort: Gier
von Henner Kotte

Da kommen die Liebenden oder irgendwelche daher und nehmen sich knallhart ins Visier. Angelegt kurz und Schuß, Schluß. Aber sie sind nicht tot, diese Menschen, sie leben weiter und sind unter uns auf der Jagd. Die Zombies, sie suchen die Liebe, und damit haben sie uns. Wir gehören zum Club und sind unabdingbar dabei. Das, was uns mit uns bleibt, ist die Gier, die Gier auf den anderen, die Gier auf schnelle Lust, die Gier auf das bißchen "Müll abkutschieren", weil man ja nicht einfach raus kann aus seiner Haut und dem Trieb. Gefühle hat und ahnt ein jeder, man würde sie gerne auch zeigen und teilen.
Doch die Barrieren zwischen Mitmenschen lassen Beziehungen scheitern, wenn solche überhaupt je im Rahmen des uns Möglichen lagen. Und bei den Alternativen Sex oder Nosex ist nur eine Entscheidung möglich, überlegen kann da kein Normaler. Drauf und runter und drauf und weg ist Slogan bei diesem Roulette. Rien ne va plus. Gern oder ungern, wir spielen mit, weil es die Natur Sache eben ist. Nur "warum kann keiner mit mir Liebe machen, so wie ich geliebt werden will?"
Freud-, friedvoll ist die Bestandsaufnahme keineswegs, die das TiF uns bietet. Utopisch allerdings nun auch wieder nicht. Autorin Sarah Kane entschied über ihr Leben selbst, mit tödlichem Ausgang. Zuvor aber hat sie der Welt ihre Theatertexte auf die Bühne gekotzt. Schöngeister und andere Zuschauer waren geschockt. So gewalttätig, brutal, ohne Ausweg, wie die Kane es beschrieb, kann, darf, ist die Welt nicht. Niemals! Und so sorgte bereits der Autorin erstes Stück "Zerbombt" für einen handfesten Theaterskandal. Das will in diesen alles erlaubenden Zeiten wohl etwas bedeuten. "Gier" war der Sarah Kane ihr letztes Stück. Und wie es bei letzten Werken öfter ist, sieht und liest und interpretiert der Philologe vieles hinein (nie heraus). Und desterwegen nimmt es nicht Wunder, daß mancher ein eindeutig Hohelied auf den Selbstmord in der "Gier" erkennt.
Nun gut, gut geht im Stück wirklich nichts. Männer und Frauen, sie sind Paarasiten. Sie saugen aus, demütigen, foltern und foltern sich selbst. Brutal und subtil. Grad so, wie es den Partner am meisten trifft. Zweisamkeit ist ein Ding der Unmöglichkeit. Gier regiert und der Haß aufeinander. Und so geht es immerfort. Immerfort. Ohne Ende. Wenn man sich das Ende selber nicht antuen kann oder will. Und deshalb ist es sehr logisch, daß sich die Akteure zu Beginn der menschlichen Hatz einfach erschießen. Aber dann leben sie wieder und sind unter uns. Sie sind mittendrin. Das ist Theater.
In sächsischen Landen hat man Schwierigkeiten mit der Kane. Selten und nur im kleineren Rahmen wird diese Frau hergezeigt. Leipzig gar schob die Vorstellung einer eigenen "Gier" vehement von sich. Charaktere der Spielleut ließen Gemeinsamkeiten nicht zu. Das TiF hat's geschafft und läßt seit Januar die Meute auf uns los. Sechs Schauspieler reden nur über eins, klar, und über das Scheitern. Nur sind ihre persönlichen Erfahrungen mitnichten individuell. Derselbe Frust hat sie im Griff. Der Abgesang auf die Liebe ist Chorwerk, ein jeder singt mit: Die Alte. Der Junge. Die Mutter. Der Chef.
Und als Chorwerk hat es Nora Somaini uns auch in die Fabrik gesetzt. Da hört man die traditionelle Kunst des miteinander Sprechens. Concerto grosso. Feinste Nuancen werden deutlich, auch wenn alle das gleiche zu sagen haben. Die Akteure Martin Brauer, Kati Eckerfeld, Christiph Krix, Anna Stieblich, Jörg Thieme und Petra Wolf nutzen die Stimmen als Instrument. Beeindruckend. Und trotz aller Melodie in den Sätzen sitzt der Schock tief über das, was gesagt wird. Nein, an Liebe läßt uns der Text nicht denken. Nicht mal dran glauben läßt er uns. Ohne Hoffnung werden wir ins nächtliche Dresden entlassen. So ist das. Die Menschen nennen es Leben.
Das Chorstückwerk ist Abstraktion. Und meistenteils wird es auch so dargeboten. Da hat die Inszenierung starke Seiten. Nur wenn wir uns in solche Anonymität begeben, sind die Gesichter als Bühnenbild ohne Sinn (Friederike Feldmann/Kerstin Drechsel). Das ist eher einfallslos, als daß es Personen hinter den Sprachrohren entdecken ließe. Und ganz der Abstraktion traut auch die Regisseurin (noch) nicht und ist bemüht uns auch die privaten Geschichten zu zeigen. Die wollen wir auch, weil wir es ja sonst nicht aushalten würden mit uns und der Kane. Wir wollen schon sehen, daß es andren Leuten viel beschissner noch geht, wir noch nicht zum Chor gehören. Doch genau in diesem Punkte wird angedeutet, nichts erzählt. Die Dimension blendet Regisseurin Somaini für/gegen uns aus. Schade irgendwie.
Trotz alledem! Ja zur Kane. Ja zur Gier (weil ja andres nicht bleibt). Ja zum TiF. Lust, auch aufs Theater, ist nicht tot zu kriegen. Ergebt Euch! Und gebt die Hoffnung neben aller Gier auch nicht auf. Denn wenn es Liebe nicht gäbe, warum gäb‘ es das Wort.
 
 





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