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Auf ein Neues und auf das
Alte
von
Henner
Kotte
Die Zeit des Urlaubs war vorbei,
und flugs stellten Theater Neues in die Szene. Jena gab ein umstrittenes
„Nachtasyl“. Das Dresdner TiF macht alles „super echt“ nach Tom Kummer,
und der dachte sich ja nun einfach mal so Gespräche mit Stars aus
und schriebs auch noch auf und renommierte Blätter druckten. Das ist
schon super echt, das mit den Zeitungen. Leipzig versank mit dem „Schiff
der Träume“, mehr oder weniger im Nichts. Wir machen uns auf an die
Saale nach Halle.
Platz da und dort Leute
„Ich war auf einem Platz in
Muggia bei Triest, einen ganzen Nachmittag lang, im Sommer. Es ist ja wahnsinnig
schön, diesem Treiben zuzuschauen. Zwischendurch kam ein Leichenwagen,
ein Sarg wurde aus einem Haus herausgeschafft, in den Leichenwagen hineingehoben,
und der Leichenwagen fuhr aus einer Gasse in die nächste. Es war sehr
seltsam, und da haben sich viele Leute rundherum versammelt. Nach fünf
Minuten war das wieder aufgelöst. Aber wer das gesehen hat, hat alles,
was nachher kam, natürlich anders gesehen“, sagt Peter Handke und
schrieb ein Stück: „Die Stunde, da wir nichts voneinander wußten“.
Darin ist Bühne der Platz in der Stadt, und über den schleichen,
spazieren, gehen Menschen langsam und eilig und wortlos. Früh bewegt
sich die Arbeitsmasse zur Schicht. Eine Frau ohne Obdach schiebt den Einkaufswagen
darüber weg. Der Moslem betet. Eine Hochzeitsgesellschaft, der traurige
Clown, Skater, Manager, Schlaflose. Die Schwangere (die ist wirklich echt)
erschüttern erste Wehen. Ein Paar trennt sich, andere finden. Der
Platz wird vermessen, gereinigt, patroulliert, überrannt. Wir Publikum
sitzen und schauen, das Leben läuft.
Die Geschichten werden nicht
erzählt, Handkes Stück bleibt ohne Sprache. Wir sehen nur für
Augenblicke Menschen, und das muß unsrer Phantasie genügen:
„Der Platz als Ankunft / als Zwischenstation / Übergang / Niemandsland
/ Bodenküßparadies“. Es ist eine ungewohnte Sicht im Theater,
wir Zuschauer sind Teil der Inszenierung, denn wenn wir kein Interesse
dran haben, sind auf dem Platz da vor uns nicht mal hübsche Bildchen.
Das Ausdenken bleibt uns selbst überlassen. Regisseur Volker Metzler
inszeniert damit seinen Einstand als Angehöriger der Leitungsebene
im Hallenser nt. Alle Darsteller des Ensemble wurden verpflichtet mitzuwirken.
An die dreißig Akteure bevölkern stets wieder die Bühne,
an die 300 Rollen werden gespielt. Das ist faszinierend, keine Frage. Gebannt
hängt der Blick an allen Menschen auf dem Platz da vor uns. Gut, sehr
gut. Manchesmal allerdings erträgt man das Zuviel des Guten. Zuviel
Theater. Zuviel Symbolik. Zuviel wollen, zuwenig gehenlassen. Die kleinen
Geschichten vom Du und vom Ich sind unkenntlich, sie verschwinden beinah.
Aber letztlich macht das nix. Wir können uns richtig satt sehen an
allem, was Mensch ist. Und was wir uns Ausdenken können, holla aber
auch! Einer coolen Stereotypin sind wahrscheinlich die Aktien gefallen.
Die Irre ist entwichen und findet sich bei Irren wieder. Die Polizeiaktion
stochert im Nebel Übeltäter. Moses tafelt. Ausgänger tanzen.
So ein Platz in der Stadt ist schon ein eigen Ding, und selten, daß
man dieses auch bemerkt. Dank dem nt denkt man einmal dran, und bei der
nächsten Überquerung des Marktes sieht man anders hin und durch.
„Ich glaube, die schönsten Inszenierungen im Theater sind immer die,
die am Leben vorbeigehen, aber so knapp, daß das Leben zu Klingen
anfängt.“ Also mittenrein ins Theater und Leben.
Ich muß noch mal was
von länger her sagen (denn dies war einfach richtig gehend, witzig
und gut).
Gümpf – und dann
leben Leichenteile
Gümpf! sagt der Assistent
mit dem Buckel. Gümpf! Und dann drückt er den Hebel. Durch´s
Flickwerk Mensch auf der Bahre fließt Strom. Resultat: Dr. Frankensteins
Schöpfung beginnt zu leben. Doch der technische Fortschritt ängstigt.
Das Monster ist nicht zu halten, bricht aus und hinterläßt eine
Spur der Gewalt.
Klar ist dieser Horror (fast)
jedem bekannt, und trotzdem zeigt ihn uns das Schauspiel in Erfurt nochmal.
Mit Erfolg! Starring: Fernando Blumen-thal und Gregor Trakis. Die Herren
geben zwei Männer, die alte Filme nur für sich so und heimlich
auf ´nem Boden wieder aufleben lassen. Aus Lust an der Freud und
am Kino spielen beide die Handlung durch und durch. Sie geben alle Rollen
höchstselbst von Dr. Frankenstein bis Monster, von Kleinkind bis Volk.
Und Sämtliches, was sie einkauften und was so auf dem Spielboden rumliegt,
wird Requisit. Der Kohlkopf gerät zum kranken Gehirn. Spaghetti klingt,
als würden Knochen brechen. Ein Schal wird Tier. Die Zahnbürste
Pfeife, Kamm oder Bart. Nicht nur da hat sich Regisseur Harald Richter
Wirth richtig viel einfallen lassen. Und es wirkt nichts affig, gestelzt
oder blöd. Aber vor allem machen die Akteure den Abend zum Spaß.
Wie sie die Rollen wechseln, in die nächste Szene springen, mit sich
selbst spielen und improvisieren (müssen), ist die Kunst des zur Schau
gestellten Spiels. Mit geringsten (aber prägnanten) Gesten schlüpfen
die Darsteller in immer und immer noch einmal andre Personen. Und der Zuschauer
sieht (Realität oder Spiel?) den ganzen Filmklassiker wieder. Das
Monster stelzt durch Wald und Wiesen. Doc Frankenstein lernt seinen Wahnsinn
schwer begreifen. Das tote Kind wird als Mahnmal vor sich hergetragen.
Volkes Wille brodelt heiß. Whow! Wahrhaftig, selten so gelacht aus
tiefer Seele.
Das Stück „Frank &
Stein“ von Ken Campbell ist beinah selbst schon wieder zum Klassiker gereift.
Es ist eine Komödie, die ganz und auf nix anderes als auf die Schauspieler
setzt. Da genügt nicht nur Talent und Lust an der Kunst, da braucht´s
Komödianten, die´s Handwerk verstehen. Nochmal: Fernando Blumenthal
und Gregor Trakis liefern eine beeindruckende tour de force und farce.
Den Zuschauer hält´s vor Heiterkeit kaum auf dem Sitz. Das ist
schwer zu machen und höchst selten. Da kann es nur heißen: Rein
in das Schauspiel und abgelacht kräftig. Danach alle Rollen selber
gespielt.
Übrigens gibt es Frankenstein
auch wieder im Kino. Nein, keine Neuauflage des alten Films, sondern eine
sehr sehenswerte Hommage an den Regisseur des Klassikers James Whale „Gods
and Monsters“. Auch dorten tolle Story, tolle Stars. Also zweimal hin und
geguckt. Es lohnt. Ehrlich.
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