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Neues aus der Theaterwelt (05.06.2005)
von Henner Kotte

Immer verliebt
Stefan Schießleder zeigt Gefühle

"Nein keines Weibes Brust erträgt der Liebe Andrang, wie sie klopft in meinem Herzen." Ja, sicher, die Legende besagt, daß Männer an unerwiderter Liebe mehr leiden denn Frauen. Herzog Orsino hat's nun ganz gewaltig erwischt. Doch die Angebetete Olivia zeigt weder Herz noch Interesse. "Ach, deren Liebe heißt nur Lust, nicht Regung des Herzens." Dem Herzog bricht die Welt zusammen. Er will sein Glück erzwingen und hat keine Chance. Wir amüsieren uns darüber.
Klingt klassisch und nach Komödie. Ist es auch, und von wessen Hand? - Wie des Sommers immer wieder, Shakespeare hat's geschrieben, wir sind begeistert und schauen immer wieder zu. "Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter! Gebt mir volles Maß!" - "Was ihr wollt" gibt's ab 28. Mai 2005 auf des Schauhauses großer Bühne in der Regie von Antoine Uitdehaag. Liebeswirren, Liebesirren, ungeahnte Familienbande nicht nur beim Herzog, aber bei dem ganz gewaltig. Der Darsteller muß und wird uns Gefühle zeigen, seine Sehnsucht und sein Hoffen. Prädestiniert für Liebeshelden qua Alter, Figur und offenem Lachen: Stefan Schießleder. Wir sahen ihn grübeln bei "Liebelei" - "Die Weiber sind ja so glücklich in ihrer gesunden Menschlichkeit." Er war fesch, aber unschuldig mit "Floh im Ohr", intrigant und wenig nett im Gefolge des "Don Karlos". Nun wird Stefan Herzog voller Liebessehnsucht. Tragisch, er wird die Verehrte nicht gewinnen. Romantisch, er findet die Liebe unter Männerklamotten. Und wir begreifen: Liebe als Selbstzweck und Illusion macht wenig Sinn. Das ist klar, auch wenn es manche nicht begreifen wollen, nicht begreifen können. "Weswegen sollt' ich nicht, litt es meine Herz, wie der Ägypt'sche Dieb in Todesnot mein Liebstes töten: wilde Eifersucht, die oft ans Edle grenzt?" Diesmal geht es glücklich aus. Wir atmen auf.
"Des Herzogs Liebeswahn muß glaubhaft werden, nicht lächerlich", sagt Stefan, "er ist nur in die Idee der Liebe verliebt". Daß wir dem Herzog die Gefühle abnehmen, dafür hat Stefan studiert. Nein, seine Eltern entstammen nicht dem Kunstbetrieb und machten ihm den Einstieg leichter. Zuerst entschied sich Stefan auch fürs Studium andrer Fachbereiche in München. Vier Semester. Mehrere Scheine. Dort stand Stefan auf der Bühne. Dort spielte er Theater. Dort entschied er sich anders und für eine andre Stadt. Er bewarb sich auf der Schauspielschule Essen mit einem Text von Franz Xaver Kroetz, für ihn als Niederbayer kein Problem. Schauspielexamen im Ruhrpott, das legten auch andere Schauspieler unserer Stadt in Essen ab. Dann Stefans erstes Engagement in Heidelberg. Jugendlicher Liebhaber das Rollenfach, und er lieh vielen der Helden Person und Stimme bis hin zum Romeo: "... und so im Kusse sterb ich." Er starb. Immer wieder.
Seit 2003 steht Stefan auf der Leipziger Bühne. Mit Erfolg. Seine vier Wände stehen in Plagwitz. Das ist ein wenig außerhalb des Troubles. Das ist ein wenig weg vom Streß. Entspannen kann Stefan beim Schwimmen. Und nicht nur er bedauert und stellt erschüttert fest: Die Hallen und Hallenzeiten werden knapper bis unmöglich. In der Früh halber sieben ist nicht die Trainingszeit eines Schauspielers, sie kann es auch nicht sein. Und so stellt sich die Frage immer öfter: Wo?
Sicher liest Stefan nicht nur Bühnentexte. Philip K. Dick ist derzeit Favorit. Sicher hört Stefan Musik. Bob Dillon. (Sic - Anm. rls) Ist es Zufall, daß auch der liebenskranke Herzog Orsino in dieser Inszenierung auf diese Rhythmen steht? Wie er ist Stefan Schießleder, der 32jährige Schauspieler, verliebt. Immer. Und das Leben ist schön. Mehr konnte ich zum Thema nicht erfahren und versuche, diese Aussage zu deuten.
"Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter! Gebt mir volles Maß! Daß so die übersatte Lust erkrank' und sterbe." - Die Gefühle wogen hoch nicht nur im Theaterspiel. Wir sehen Stefan Schießleder und eine Komödie. Eine Komödie von Shakespeare. Es ist Sommer. Jedenfalls fast. Glückliche Zeiten.

Zerstörung der Klischees französisch
Lionel Spycher beleuchtet das europäische Haus

Da sitzen sie nun drin im Hotel und müssen miteinander. Der Deutsche ein fleißiger Autohandelsvertreter. Der Russe trinkfest. Die Engländerin exaltiert. Und der Franzose ist der ideale Geliebte. Doch Vorurteile sind keine Basis des Miteinander. Keine der Personen entspricht ihrem nationalen Klischee. Genüßlich werden Charaktere und Egoismen bloßgelegt. Die sind keinesfalls so herzig, wie wir sie gern hätten. Die Gefühle füreinander sind belastet, die Handelsbeziehungen auch. Enthusiasten sähen's gern anders, doch das Hotel Europa ist keine Idylle.
Das klingt wie das politische Theater zur Einigung unseres Kontinents. Ist es auch. Doch auf der Bühne eines Schauspielhauses kann weitaus härter und lächelnden Auges mit Fakten und Vorstellungen umgegangen werden. Und so ist "Der Springer in der Schwebe" keineswegs politischer Talk, sondern witziger Kommentar und ein böses Stück zur Gegenwart. Bereits zur letzten "Woche des französischen Theaters" hatte Lionel Spycher sein Drama hören lassen. Dies Jahr gibt es dieses auf der Bühne. Der Autor inszeniert höchst selbst. Ein Drama der besondren Art und so nicht erwartet.
Auch Lionel Spycher entspricht nicht den Klischees: Franzose. 33 Jahre. Auf den Bühnen der Welt daheim. Zum einen mit seinen Theatertexten. Bereits sein Erstling "Pit-Bull" zeigte das Menschenleben in der Katastrophe. Im Ghetto der Neubauviertel herrscht Gewalt. Mord nicht ausgeschlossen. Obwohl sich Autor Lionel Spycher an die Fakten eines wahren Falles hält, geht sein Stück weit über die französischen Vorstadt-Grenzen hinaus. Diese Sozialerfahrungen teilen die Industrienationen allesamt. Und so nahmen sich Bühnen von Downunder bis Übersee des Textes an. Auch die unserer Breiten. Als nächstes schoß Lionel "9mm" erneut in den Erfolg. Aufführungen folgten international. Das Deutsche Schauspielhaus Hamburg verpflichtete Lionel als Hausautoren. Abschlußarbeit eben jener "Springer in der Schwebe".
Dramatiker im eigentlichen, meint Lionale Spyxher, ist er nicht. Er ist Theatertechniker, weiß Licht zu setzen. Dies ist erlernter Beruf. Die Texte geschrieben hat er eher nebenbei. Und er hat sie selber inszeniert. In Barcelona sammelte er dafür seine eigene Theatertruppe. Monate im Jahr ist er auf Tour, und dann hat er mit der klassischen Vorstellung von Theater nichts im Sinn. Mit seinem Berufe schon: Lionel Spycher setzt das Licht bei Rockkonzerten. Bei den ganz großen Nummern: AC/DC ... Arbeit als Vergnügen. Trotz der internationalen Reputation spürt der Autor keine Verpflichtung, keinen Drang sich ans nächste Stück zu setzen. Wenn mir so ist, dann schreibe ich ... Ein wenig ist diese Haltung zu bedauern. Ich sähe gern mehr solches Theater. Doch andrerseits: Leben ist jetzt.
"Der Springer in der Schwebe" ist jener Zustand in der Luft, wo man abgesprungen und noch nicht gelandet, die Situation ohne festen Grund. Fest steht der Tag der Premiere für das Stück: 18. Mai 2005. Es eröffnet die "Tage des französischen Theaters" am Thalia Halle. Und da erwartet uns neben der Zerstörung der Klischees auch "Perlino" von Fabrice Melquiot. Der ist, logo, auch Franzose und erzählt die Geschichte zweier Jungen, die neben Schule und Elternstreß auch Träume haben. Sicher, auch dieses Stück ist nah dran an den Gefühlen und an unserem Leben in den großen Städten. Regie führt erstmals Juliane von Sivers. Premiere 20. Mai 2005.
"Woche des französischen Theaters" - ein Klischee? In des Wortes Bedeutung ist ein Klischee eine "eingefahrene Vorstellung". Diese sind am Thalia vom 18. - 22. Mai nicht zu erwarten. Aber wenn sich dieses unorthodoxe Herangehen einfährt, wäre dies ein Klischee, das sich sehen lassen kann und sollte.

Europa im Pool (Eine Alternative zum eben gelesenen Text)

Ein Kontinent ist abgesprungen und hängt noch in der Schwebe. Europa klingt als Idee sehr gut, allein, wieviel Ideen sind bereits gescheitert? Politik gerät ja landesüblicherweise selten auf Theaterbühnen. Lionel Spycher wagt im Thalia das Experiment und zeigt uns das Miteinander/Gegeneinander der Nationen. Im Hotel begegnen sich ein russischer Mafioso, eine Exzentrikerin aus England, ein französischer Galan und ein korrekter Mann aus Deutschland. Sie haben Handels- und sexuelle Beziehungen. Sie saufen und spritzen, sie schreien und fressen, und am Ende liegen zwei der Nationen tot im Pool. Hat sich was mit Europa, oder?
Klar, es ist ein Spiel mit den Klischees und Vorurteilen, und denen ist schwer beizukommen. Autor und Regisseur Lionel Spycher zerstört sie genüßlich. "Demokratie ist so ein bissel wie haute cuisine", da sind wir dann mittendrin in der Kochshow. Keiner kann sagen, ob's Essen auch schmeckt. Schad, der Witz geht der Geschichte ein bissel verloren. Sätze hängen bedeutungsschwer im Raum. Das Ende ist diffus und (bildlich, nicht theatralisch) eine Katastrophe. Da wagt es ein Autor, unserer Gegenwart ganz gegenwärtig einen Spiegel vorzuhalten. Europa im Sprung - Absturz inklusive.
Das Thalia hat gewagt, es hat gewonnen. Die Nationen respektive Schauspieler Berndt Stichler, Enrico Petters, Anke Stedingk und Sascha Tschorn haben Lust, es gemeinsam zu wagen. Ein wenig mehr Verve könnte diese kontinental private Story noch lebendiger machen. Im Text liegen mehr Potenzen, als der Regisseur wohl selber sieht. Aber vor allem: Hier ist Theater mitten in der Diskussion und hat 'ne Meinung. So oft sind im Metier die Stellungnahmen nicht. Und wenn, dann sind die Reden genauso tröge, wie die der Politik. Das Thalia legt uns anläßlich der französischen Woche eine echt gute bilaterale Zusammenarbeit auf die Bretter. - Geht also doch miteinander.
Wir können und wir sollten diskutieren. Ängste, Phrasen, Wahlbeteiligung, der Verfassungsstreit haben Ursachen. Vielleicht sieht man gar unsere Europa-Abgeordneten im Thalia auf den Sitzen und danach mit Publikum und Wählern im Gespräch. Europa ist gesprungen und seine Landung ungewiß.

Arbeit, Liebe, Suff
Susanne Stein vergießt "Die bitteren Tränen der Petra von Kant"

Petra von Kant steht mitten im Leben. Im Alter. Im Job. Sie ist Designerin und eben kam der Anruf, Lafayette will ihre Arbeit haben. Was will diese Frau an Erfolg noch mehr? Klar: die Liebe. Die erscheint in Person von Karin Timm. Das Mädchen ist unverbraucht und schön. Petra macht sie zum Model. Doch die Liebe scheitert, weil sie scheitern muß. Denn dem Autoren des Theatertextes scheint die Liebe "das beste, hinterhältigste und wirksamste Instrument gesellschaftlicher Unterdrückung zu sein". Und so sind "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" weniger ein Lesbendrama denn Spiegel von Abhängigkeiten, Macht und Unterdrückung im ganz Privaten. Rainer Werner Fassbinder schrieb dies Theaterstück anno 1970, es ist sehr gegenwärtig. Jetzt sehen wir es in der Neuen Szene.
Frauen haben den großen Auftritt. Voran Susanne Stein in der Titelrolle. Sie zeigt jede Regung, jeden Gefühlsausbruch überdeutlich nachvollziehbar. Klasse. Ihre übergroße Liebe ist Julia Berke. Ihr nimmt man jeder Phase Zuneigung, Aufsässigkeit und Angewidertheit, die Vehemenz des eignen Glücksanspruchs ab. Daran muß die Ältere verzweifeln, halten kann sie dieses Mädchen nicht. Logo, der ist Selbstverwirklichung wichtiger denn Mitleid und Gefühl. Darauf einen Schnaps. Sehr zum Wohl. Flankiert wird dieses Liebespaar von Liv-Juliane Barine als Herzensfreundin, Ellen Hellwig als Mutter, und Franziska Junge kommt als Tochter in Uniform. Stets präsent als Fußabtreter und Lakai ist die männliche Marlene alias Aurel Manthei. Ganz in echt, diesem Kollektiv glaubt man die Verwirrung der Gefühle und ist tief beeindruckt. Unentschieden dagegen wirken Andre Turnheims Regie und das Bühnenbild im Ganzen. Tragödie, Rührstück, gar Parabel? Realismus, Abstraktion? Was soll uns geboten werden? Bühne und Kostüme Christine Trittharts statten die Geschichte eigenartig unverständlich aus. Eine Wohnung will's wohl sein, worin die Heldinnen handeln, worin das Drama spielt. Aber Jagdhüttenzauber, Orientfeeling und Lagerhallenambiente passen einfach nicht zusammen und sie bebildern nichts. Warum ein fernöstliches Budoir, wenn darinnen nix passiert? Warum ein gelbes Bühnentuch ohne wirkliche Funktion? Was bitte soll der tote Tiger, der an "Dinner for one" erinnert? Auch erinnern soll? Und selbst die exaltierteste Künstlerin wird sich keinen Findling ins Zimmer rollen. Zumal, welch Diele hielt diesen aus? Ebenso daneben wirkt die Kostümierung. Schulmädchentracht, Reifrock und Großmutters rosé Pyjama gehören ins Komödienstadl á la Peter Steiner, nicht hierher. Denn dieser Text bedarf der ablenkenden Kulisse nicht, sie stört. Sie stört gewaltig. So nämlich kann die Inszenierung zum Kammerspiel nicht werden, obwohl sich die Artisten, wie dort üblich, messerscharf und sehr genau lebendigen Leibes sezieren. Und sie tun es auch bangig gut. Zwiegespalten bleibt der Eindruck. Hohe Schauspielkunst hat man gesehen. Der Rest - geschenkt.
Faßbinder zeigt uns in seinem Werk oft Leute, "die, um das leben zu können, was ihnen lebenswert erscheint, sich halt in Rollen begeben, die eigentlich nicht die ihren sind". Insofern ist uns Petra von Kant sehr ähnlich. Und unter uns: Welche Rolle spielt gerade ihr? Vor Chef? Vor Mutter, Vater, Kind? Vor eurem Liebsten? Ist's an der Zeit, aus der Rolle zu fallen? Darauf einen Schnaps. Sehr zum Wohle.

Sachsen ist das Paradies
"Sündenfälle" im Krystallpalast

Wer hätte das gedacht: Der Baum samt Schlange, Apfel, Eva stand in Sachsen. Jedenfalls auf der Bühne des Krystallpalastes. Da schmeckten sie alle die Frucht der Versuchung und geraten in die Hölle: Damen, Herren, gar der Pianist. Auch wenn sie vor dem letzten Vorhang überm Feuer sitzen, sie haben den Spaß. Wir hatten ihn auch.
"Sündenfälle" präsentiert das Krystallpalast-Varieté. Logo, als erstes langweilt sich das biblische Paar, dann kommt die Schlange Annett und überreicht die Lebenslust. Reiseführerin Katrin Troendle schmettert "Let me entertain you" und ab geht's in die Gefilde der Finsternis. Gunnar Erik, magisch dunkel, zeigt was der Teufel so kann, außer Sex-Appeal hat der Kraft und führt auf Händen vor, was Normalo auf zwei Füßen nicht kann. Uxorius sind zwei Damen, die mit Eleganz am Trapez aus der Hölle fliehen wollen. Keine Chance. Und wir sehen, selbst mit ausgefeilter Körperbeherrschung entkommt man seinen Sünden nicht. Robin jongliert farbig über die Höhen der Tiefe. Er bleibt im roten Anzug und in der Glut. Ganz schwarz wird's bei den Hits des Roland Kaiser: "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben". Wem singt die Troendle das? Selbst Dornröschen treibt's mit Fröschen und hat blutige Wände. Gar unser August, der ganz starke Gerd Voigt, liebt das Feuer und setzt Kerzen auf Messers Schneide. Ups, dann sind Adam und Eva plötzlich alt und verfettet, aber die Liebe auf Rädern (nicht das Essen!) bringt sie wieder in Schwung. Nein wirklich, diese Hölle hat paradiesische Züge.
Mit diesem Programm kehren die Varieté-Gründer Katrin Troendle und Regisseur Bert Callenbach an ihren Wirkungsursprung zurück. Die Hölle ist aus einem Guß. Herr Nitzschke am Klavier ein formidabler Begleiter. Alle wahrlich Ensemble. Sagt man in der Hölle Kollektiv? Auch im ultimativen Abgrund kommt es nämlich aufeinander an. Allein hat ein jeder wenig Spaß - wer wöllte widersprechen? "You, only you, give me Fiebärr". So fühlt man sich bis hin zu den Kostümen tief beeindruckt. Wenn so die Hölle ist, verzicht' ich auf das Paradies. Das Paradies liegt in Sachsen! Wer entertaint me?

Du lebst ja nicht vom Moos allein
Franziska, Aleksandar, Liebe und Legenden

Nichts geht über die Liebe
Wenn sie wegbliebe
Was bliebe uns noch
Im Leben ein Loch

"Für Paula war es von Anfang an die große Liebe. Nur Paul hat die einfachsten Dinge auf der Welt nicht begriffen und ihr nicht gesagt: Ich liebe dich." Meiner Person ist ja der Film gegenwärtig und seine Protagonisten Winfried und Angelika. Heute sagt man zum Ereignis Kult. Es hat Spuren hinterlassen. Das Spreeufer, wo Paul und Paula ablegten, wurde in ihrem Namen umgetauft. Keine Frage, das Finden und Verlieren dieser Liebe ist filmreif und auch Stoff fürs Theater. So hat Autor Ulrich Plenzdorf "Die Legende vom Glück ohne Ende - Die Geschichte von Paul und Paula" bühnentauglich geschrieben. Leipzig hat sie bereits sehen können. Im Jahre 1987 hieß der Paul Dirk und die Paula war Frauke. Heute tragen sie die Namen Aleksandar und Franziska.
Die jungen Spieler sind sich der Legende bewußt. Auch die Inszenierung von Uta Koschel wird auf Wiedererkennungswert setzen. Doch sind natürlich Franziska Junge und Aleksandar Radenkovic nicht meine Person, die die Liebenden livehaftig erlebte. Und doch sind auch sie von dieser Geschichte bezaubert, weil wirklich gute Liebesgeschichten nicht nur über die Liebe an sich erzählen, sondern viel mehr. Und so freuen wir uns, daß sich Bettina Riebesel als "Meine Person" erinnert und die Crew der Schauspielstudenten diese Legende uns wieder erzählt.

Die Liebe schlägt zu
Die Wunde hast du
Liebe ist Leben
Es sei ihr vergeben
Treten Sie ein in den Liebesverein

Paula: Franziska Junge ist 1981 und in Zschopau geboren, sofort nach dem Abi hat sie es auf die Bühne gezogen. In München studierte sie das Musicalfach. Doch da sie empfand, daß mehr noch auf einer Bühne möglich sein kann, hat sie sich nochmals in Leipzig beworben. Wir sehen sie im Schauhaus zu Leipzig und als Paula natürlich. Aber sie ist auch Pauls zweite Liebe, denn es ist ja eine "Legende vom Glück ohne Ende".
Paul: Aleksandar Radenkovic ist Jahrgang 1979 und stammt aus einem serbischen Nest. Mit acht Jahren ist er nach Frankfurt gezogen, manche seiner Familie kamen nicht mit nach Deutschland. Er kann Tomatensaft perfekt servieren, ein Jahr lang war er Lufthansa-Steward. Aber perfekte Bedienung kann das Leben nicht sein, also an der Bühne Regieassistenz und doch Lust, darauf zu stehen. Sein Talent ward erkannt, er ist Franziskas Kommilitone, Matrikel 2002.
Die Studenten präsentieren uns als ihre Abschlußarbeit "Peanuts" in der Neuen Szene und erfahren, wie es ist, täglich mit den Kollegen Kunst zu bieten. Nicht immer ist man so gut drauf. Nicht immer ist es der Kollege. Wie sind die Reaktionen des Publikums? Jeder Spieler trägt für seine Außenwirkung selber die Verantwortung, sagen die Studenten. Es ist eine Suche, es ist eine Lust. Jede Inszenierung, jede Aufführung ein Aufeinanderprallen von Menschen, Charakteren, Launen. Welcher Job bietet solch Abwechslung? Hat diese Forderungen? Diese Berufswahl war richtig.
Franziska und Aleksandar konnten wir auch filmisch sehen, sie waren in der Dok Schillers Bekannte. Dreharbeiten sind mit der Bühne kaum zu vergleichen, und Filme nicht mit einem Theaterstück. Es wird keine Wiederholung der Paul-und-Paula-Filmlegende. Die Protagonisten heißen auch nicht Winfried und Angelika. Es sind Franziska und Aleksandar.

Geh zu ihr und laß deinen Drachen steigen.
Geh zu ihr, denn du lebst ja nicht vom Moos allein.
Augen zu, dann siehst du nur diese eine!
Halt' sie fest und laß deinen Drachen steigen!

Parkbühne im Clara-Park - Termine: 9., 10., 13., 17., 20., 24., 26. Juli 2005

Pausenspiel im Bundestag
Peter Sodann verliert seine letzte Schlacht

"Aus einer alten Chronik" erzählt Heinrich von Kleist das Schicksal des Michael Kohlhaas. Weltliteratur hat er geschaffen. In vierzig Sprachen wurde die Novelle übersetzt. Die Faszination, die von ihr ausgeht, hat seitdem zahlreiche Dichter und Forscher beschäftigt und dazu veranlaßt, sich mit dem Geschehen und seiner Bedeutung für gegenwärtige Zeit auseinanderzusetzen. In der Fassung des neuen theaters kommt Michael Kohlhaas in den Bundestag. Gut, daß die Abgeordneten dort grad Rauchpause haben und deshalb Zeit, dem Kohlhaas seine Tragödie mitzuspielen.
Die Story geht auf einen wahren Fall zurück. In Nähe Dübens nahm der Junker von Zaschwitz einem Hans Kohlhase die Rösser. Als der sie wieder haben wollt', waren die zu Schanden auf dem Acker gelaufen. Kohlhase wollte sie und ihren ursprünglichen Wert zurück, er fühlte sich betrogen. Also zog er vor Gerichte, ihm ward jedoch nicht Recht gegeben. Also zog er ins Feld, brandschatzte, raubte und tat Gutes an den Armen. Er war seiner Zeit den Obrigkeiten arger Schrecken. 1540 ward der Rädelsführer zu Berlin enthauptet. Kleist machte aus dem Gerichtsfall Literatur und stellte die Frage: Was tut man, wenn man auf rechtlichem Wege sein Recht nicht erlangt? Diesem Thema trauten auch Bernhild Bense, Erhard Preuk und Peter Sodann, sie schrieben ihre Sicht auf die Geschichte und lassen diese im nt nun zeigen. Ist der Beginn im Bundestag noch leidlich witzig, verliert sich dann die Handlung wie im Parlament in endloses Gerede. Wie und wer mit welchem Inhalt sagte was und Briefe schrieb und handelte, den Aussageprotokollen kann man maximal zehn Minuten folgen, dann erlahmt das Interesse merklich und der Überblick. Die dramatische Potenz des Stoffes wird in diesem Falle leider nicht erspürt, sie wäre möglich, andernorts hat man auf der Bühne Kohlhaas lebendig längst gesehen: Wittenberg, Leipzig und und und. Zusätzlich erschwerend, daß am Spielort Halle wie im Bundestag kein Bühnenbild existiert. Zum Nächsten wird den Akteuren kaum ein Requisit an und in die Hand gegeben. Die Anzugträger und die eine im Kostüm leihen zwar vielen Personen Stimme, jedoch keiner ein Gesicht. So sprechen sie sich den Wolf, das Publikum kann nicht verstehen. Dies Spiel ist wiederum genauso lahm wie im Parlament oder in billiger Anleihe der Talk bei Sabine Christiansen. Warum, zu welchen Zweck sehen wir die Parlamentsentfremdung? Keine Ahnung. Einzig Kohlhaas fällt aus der Kleiderordnung und der Politik und kommt als historische Gestalt daher. Etwas Individualität wird Sodann als Schauspieler damit gegeben. Die andern gehen leider in ihrer grauen Masse unter. Schad.
Welch Sinn und tiefere Bedeutung Regisseur Peter Sodann mit diesem Inszenierungsstil verfolgt, bleibt mir ein Rätsel.
Peter Sodann geht als Intendant des Hauses. Er muß die selbst geschaffene Theaterinsel verlassen, eine Oase der Kultur. Durchgesetzt bei sozialistischen Behörden, gebaut mit Engagement und Idealen. Ein Hort des Kunstsinns. Halle ist stolz und darf es sein. Peter Sodann ist zu rechtens Institution und städtischer Held. Das Gehen kann diesem Intendanten nicht leichtfallen. Er wurde zum Verlassen seines Hauses gezwungen. "Michael Kohlhaas" war Peter Sodanns Abschlußarbeit hier vor Ort. Sozusagen letzte Schlacht und Vermächtnis. Ein unwürdig Schauspiel bleibt's, ob behördlich oder inszenierungstechnisch betrachtet. Das Kohlhaas-Syndrom ist psychologisch, unangemessene Reaktion auf einen zu geringen Anlaß. Sollen wir dieses in der Geschichte sehen? Der Text ist undramatisch. Die Inszenierung kalt und leer. Die Schauspieler sprechen ihre Sätze als leblose Puppen. Was soll's? Weder Kohlhaas noch Sodann haben solchen Abgang verdient. Sind dafür aber in eigner Person verantwortlich zeichnend.

Es graust das Lachen. Es lacht das Grauen
Mal "Ganz unter uns" im nt

Der Dennis hat 'nen alten Schlitten, Neil würd' ihn nehmen für seine Frau. Aber von wegen Geld und dem Geburtstag, Pam will selbst zahlen. Sie ist emanzipiert. Auch Dennis' Gattin Vera funktioniert. Sie erträgt Dennis' alte Mutter, die niemals verwindet, daß ihr der Sohn entgleitet. Und fordert Vera endlich Hilfe für sich im Kampf und gegen dies Schrapnell, da lacht der Dennis, weil ja Lachen bekanntlich alle Probleme erträglicher macht. Auch Neil findet die Forderungen seiner Frau obszön, mitten in der Nacht will die. Da muß er schlafen, Arbeit ruft. Und überhaupt, so wie erträumt ist gar nix. Das Ersparte weg, Frau auch. Doch die kommt wieder. Und wir im Theater sehen vier Akte und die Geburtstage der Helden mit. Glückwunsch. "Hauptsächlich will ich etwas sagen über die Angst und das Mißtrauen, das die Menschen füreinander haben. Über die Tatsache, daß Männer und Frauen sich immer noch nicht besonders gut zu verstehen scheinen", sagt der Autor Alan Ayckburn.
"Ganz unter uns" nennt er sein bitterböses Ehedrama, das oben genannte Helden zueinander führt. Wußten die Duellanten im Klassiker "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" genau, was sie tun, so quälen sich Dennis und Vera, Neil und Pam aufgrund von Unverständnis, Desinteresse und Langeweile. Sie kennen die Gefühle ihres Partners nicht, sie wollen sie nicht kennenlernen. Sie reden sich ein, sie lieben einander. Wirklich und ehrlich. Diese zweisam Grausamkeiten müssen in der Katastrophe enden. Die kommt, und Dennis und Pam und der Neil, sie haben alle nix begriffen. Vielleicht ist die Mutter glücklich, sie hat ihren Sohn wieder. Vera hat sich in sich zurückgezogen und sieht dem Leben nur noch zu. Da lacht der Dennis, und wir lachen auch.
Die Kommode des nt zeigt dieses bizarre Ehe(un)glück und trifft genau den Ton, der uns erschreckend Lachen macht. Andreas Range, Anja Pahl, Peter W. Bachmann, Marie Anne Fliegel und Danne Hoffmann sind weniger Darsteller als Du und Ich. Das ist des Schauspiels hohe Schule. Vorstellbar ist nämlich das Palaver in jedem Hause, jedem Raum. Keine Geste übertrieben. Kein Wort, das man nicht selber sagen tät. Die Monster sind unter uns. Wir sind sie selber. Regisseur Hilmar Eichhorn hat die Gratwanderung in erstaunlich festem Griff. Es ist ein Vergnügen sich diesem Drama hinzugeben. Es ist eine Komödie. Wir können Lachen. Herzlich und aus vollem Halse. "Die Menschen nehmen ihre Mahlzeit, und inzwischen ist ihr Leben gemacht oder ihr Leben ruiniert." Über Unglück lacht sich am Besten. Erschüttert sehen wir die menschlichen Wracks. Jeu, merken wir's noch? Wo stehen wir? Der Dennis lacht weiter und lacht und lacht. Uns steckt das Lachen im Halse.
"Ich befinde mich auf einem Kreuzzug, daß Theater Spaß machen kann", meinte Alan Ayckburn, seines Zeichens weltweit gespielter Autor. Schnell spricht man hin, Ayckburns Stücke seien Boulevard-Theater. Sicher nutzen sie die Mittel. Sicher tragen sie ein leicht Gewand. Doch dahinter lauert der Abgrund Klafter tief, das dann ist dann mitnichten Boulevard, das ist hohe Kunst, die schweineschwer zu machen ist. Wir ziehen den Hut vor dem Ensemble. Klasse Stückwahl. Klasse Regie. Famose Darsteller. Wir haben den Spaß. Auf daß das Haus voll werde.
Am Ende steht der alte Schlitten noch immer in der Garage. Auch die Paare gehen in die Zukunft. Weiter so, nächstes Jahr ist wieder Geburtstag. Wir sind dabei.

Namentlich Brisant
Glauchau, Halle, Prominews: Griseldis Wenner

17 Uhr 15: Jingle, Logo, Flash - dann kommt sie auf uns zugelaufen: Griseldis Wenner. Sie moderiert seit zehn Jahren das Boulevard-Magazin der ARD "brisant". Im Wechsel mit Herrn Alexander Mazza präsentiert sie uns die News von Promis, Mord und Totschlag, Katastrophen und den Alltagsheiterkeiten. Sie ist eines der Aushängeschilder des deutschen TV. Dafür bekam sie die "Goldene Kamera". Wir sahen Griseldis Wenner sportlich beim Biathlon, in Abendkleid auf Galas, wir sehen sie ... selten anders. In Latzhose und Gartenhandschuh wirkt sie im hauseignen Stückchen Garten. Leger in Jeans und Pullover liest sie im Schulhort vor. Und logo, könnte man Griseldis beim Einkauf, Spaziergang und im Restaurant begegnen. Denn, obwohl sie uns einen halben Monat "brisant" macht, Allüren hat sie keine: "Ich weiß, woher ich komme."
Griseldis Wenner wird 1970 geboren in Sachsen, Bezirk Karl-Marx-Stadt, wohnt im Elternhaus in Callenberg bei Waldenburg. Gemeinhin nennt man dies Provinz. Sie ist es, wenn auch nicht weit vom Schuß und hinter sieben Bergen. Abitur in Glauchau. Studium. Deutsch und Englisch wollte Griseldis unterrichten lernen und hörte die Grundlagen der Pädagogik. Abbruch, Wechsel der Richtung und im Krankenhaus gejobbt. Dann ihre Delegierung im Zuge der Kaderpolitik zum Studium der Sprechwissenschaft. Diese universitäre Ausbildung ist spezieller und war für Kommilitonen im strengen Numerus Clausus begrenzt. Zumal, den Studiengang gab's nur in Halle an der MLU. Die Wissenschaft vom Sprechen hat zum Gegenstand, natürlich, Dialekte, Aussprache hochdeutsch, aber vornehmlich widmet sich das Studium der Behandlung von Defekten der Sprechorgane und dem Sprechen trotz Lähmung, Mißbildung oder Operation. Richtig sprechen muß die Studentin können, Griseldis kann's, auch wenn sie schnell ins breite Sächsisch zu fallen vermag. Nu gugge ma da ...
Und warum, wenn das Radio Stimmen sucht, nicht mal vorsprechen? Anfang der 90er war Griseldis' Stimme im privaten Rundfunk sachsenweit zu hören. Dann in Bayern. Später SAT 1 - Regional-TV in Hessen, Rheinland-Pfalz. Und sicher ist, bei Karrieren spielt der Zufall oft 'ne Rolle. Wer soll denn glauben, daß der Brisant-Chef einfach Radio hörte und sagte: Die Frau möcht' ich haben? Griseldis Wenner kam zum Vorstellungsgespräch und erfüllte nicht nur die Anforderungen, sondern auch manch gesuchtes Klischee.
Im zehnten Jahr moderiert Griseldis Wenner "brisant", oft sieht man sie auch im anderen TV-Format: "Polizeiruf 110", "In aller Freundschaft". Auf "Schloß Einstein" erscheint sie als rasende Reporterin. Wie im wirklichen Leben hat sie dort der Kinder zwei. Manchmal kann man ihr auch außerhalb der Glotze begegnen. In der Hortgruppe des jüngeren Sohnes liest sie. Aber auch auf der Buchmesse Leipzig. Sie unterstützt die Kampagne "Deutschland liest vor" von Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf. "Es gibt ganz unterschiedliche Orte, an denen vorgelesen wird. Wichtig ist, die Kinder dort abzuholen, wo sie sind. Deshalb sind wir nicht nur in Schulen oder öffentlichen Bibliotheken, sondern es gab zum Beispiel auch eine Vorleseaktion bei McDonalds."
Nein, Griseldis Wenner fühlt sich nicht prominent. Sie verfolgen keine Paparazzi, keine Fans. "Woher ich komme, gibt es keine Allüren." Und so ihr Griseldis Wenner trefft, Hand ausgestreckt und "Guten Tag" gewünscht. "Auch mein Leben ist gewöhnlicher, als manch einer meint. Ich habe einen Arbeitstag, wie jeder andere." Auch der Alltag unterscheidet sich nicht von dem andrer Mütter, Ehefrauen. Sie fährt die Söhne zum Fußball-Training und auch zum Spiel. Sie züchtet Rosen im Gärtchen vor'm Haus. Sie schmiert Stullen und trinkt einen Wein. Und manchmal trifft man Griseldis Wenner bei weniger "brisanten" Veranstaltungen. Grad eben haben wir sie in der Leipziger Moritzbastei beim Vorlesen ihrer alten Schulbücher getroffen.
Ihr Name Griseldis steht wirklich auf der Geburtsurkunde. Das liegt am Vater, auch der las gern vor. Und bereits der Hans Sachs schrieb vor knapp einem halben Jahrtausend von einer huldreichen Frau dieses Namens. Griseldis taucht auf als Prinzessin im Märchen. Sie ist Titelheldin einer Oper. Und bei Hedwig Courths-Mahler wird Griseldis mit der reinen Liebe belohnt. Manches trifft auf Griseldis Wenner auch zu. "Und ist es nicht schön, einen Namen, wie kaum eine andre zu tragen?"

Genial und früh verstorben
Nicht nur die Fans begeistert: "Falco meets Amadeus" in der Oper

Yeah, die Hitparaden sind unvergessen. Nicht nur in Germany No. 1: "Out of the Dark, into the Light". Und der Song interpetierte sich wie des Künstlers eigner Abgesang. Falco war tot. Seine Musik noch heute top. Wow! Zumindest auf ein weiteres musikalisches Wunderkind ist Österreich bannig stolz: Wolfgang Amadeus Mozart. Auch er mußte früh begraben werden. Auch seine Kindheit wenig glücklich. Auch er war von seiner Genialität mehr als überzeugt. Auch seine Rhythmen begeistern heute noch Millionen in Konzerthallen und auf Bühnen. Und nahm Mozart mit dem "Requiem" seinen Tod vorweg? Zwei Biografien, die Parallelen und theatralen Stoff in Fülle bieten. Über kurz erlangte das Musical "Falco meets Amadeus" legendären Status. Erstmals ist das Spektakel außerhalb des Kommerzes anzusehen. Ein weitrer Coup des Opernhauses Chemnitz.
Daß Legenden aufeinandertreffen, ist gern gewählter Theaterstoff: Elisabeth vs. "Maria Stuart". Che Guevara kommentiert das Leben der "Evita". Burkhard Driest vertraute den privaten Geschichten und verschränkte Falcos mit Amadeus' Schicksal. Zwischendrin und immer wieder Hit an Hit: "Jeanny", "Zauberflöte", "Don Giovanni". Durchs Leben führt der "Kommissar" (Muriel Wenger). Die Handlung rekonstruiert Falcos Leben nach dem Tode. Wolfgang Amadeé, er kommentiert. Das ist witzig. Das ist schräg. Das hat die Potenz zum Kassenschlager.
Das Chemnitzer Ensemble ist gut drauf. Die Choreografien sind ein Augenschmaus. Die Bühnentechnik reizt all ihre Möglichkeiten aus und schafft in Fülle neue Bilder. Das Publikum ist echt versucht, die Melodien mitzupfeifen. Zumindest am Schluß bekommt es die Chance und nimmt begeistert Anteil. Bis dahin inszenierte Matthias Winter besser als jede Samstagabend-Show des Fernsehens. Die Protagonisten Matthias Otte und Andreas Kindschuh ziehen ihre Register, das Publikum liegt ihnen zu Füßen. Rechtens. Die Geschichte ist einfach so perfekt auf die zwei beiden zugeschnitten, daß alle andren hinter jenen stehen (müssen). Hat hier die Inszenierung ihre Höhepunkte, pendelt sie im ganz Privaten etwas unentschieden hin und her. Hier vertraut der Regisseur den Geschichten doch nicht ganz und bleibt sehr klein in Wort und Geste. So erscheinen diese Zwischenstücke nicht wirklich dazu zu gehören, sie sind außen vor. Da hätte der Atem durchaus größer sein, bei Legenden ist in der Rücksicht alles groß. Selbst der Gang auf Toilette.
Ich gebe zu, es sind meine kleinen Mäkeleien. Was bleibt, ist ein fulminanter Opernabend. Und wiederum hat Chemnitz bewiesen, daß sogenannte "kleine Häuser" große Stücke perfekt in Szene zu setzen wissen, vgl. "Les Miserables", "Cabaret". Und ehrlich, unserer Breiten fehlt den meisten Häusern diese Programmatik, der Atem und das Selbstvertrauen. Glückwunsch, ich bin ehrlich stolz. "Rock me Amadeus" - gleich noch einmal.



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