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Neues aus der Theaterwelt (06.03.2005)
von Henner Kotte

Das Jungvolk tanzt nach andern Noten

Leos Bar ist Insidern bekannt. Dort spielt die Kapelle Swing. Dort singt man, tanzt, säuft. Oscar Leonhardt, der Chef, ist ein herziger Typ: schwul, temperamentvoll, im Widerstand. Man schreibt das Jahr 1941. Das Hitler-Regime hatte Deutschland im Griff, nicht nur die Noten des Swings waren verboten. Die Jungen und Mädel Max, Fritz, Emma u.a. lernen den Terror am eigenen Leib kennen. Durch Familien geht der Riß von Gefühl und Gewalt. Die Geschichte nimmt kein gutes Ende.
"Swinging St. Pauli" erzählt von Lebensfreude, Liebe und den Nazis. Ein Musical, das in Manchem an das legendäre "Cabaret" (auch auf dem Chemnitzer Spielplan) erinnert. Diesmal sind deutsche Helden in Gruppe naiv und haben letztlich no Chance. Der Swing war dazumalen tatsächlich untersagt, und bot so einem Autorenteam Idee und Komposition vom persönlichen Aufstand gegen Kleingeist und Befehl. Den sehen wir jetzt im Schauspielhaus und erstmals die neuen Studenten am Hause. Die präsentieren junge Menschen im Zweifel zwischen Aufbegehren und Anpassung, und machen ihren Auftritt zur wirklich guten Nummer. Sie singen, tanzen und können zeigen, was sie gelernt und so drauf haben (bis hin zum Salto). Da fällt keiner aus der Reihe und unangenehm auf. Regisseur Christian von Götz hat dem Stück gelassen, was es ist, und bleibt den Personen nah. Die Swingkapelle um Steffan Claußner ist wahrlich im Rhythmus. Und Star des Abends eindeutig Tilo Krügel als Barchef mit Haltung. Geschickt umgehen Regie und Spieler Peinlichkeiten, Tränenseligkeit und Agitation. Diese Geschichte als Parabel kann man glauben, weil sie uns glaubhaft dargeboten wird. Und zum Großteil bezieht die Inszenierung ihren Charme aus der unbekümmerten Spielfreude ihrer Protagonisten (hier wären alle die Namen zu nennen - allein der Platz). Das sieht sich gut an. Die Kommilitonen jener Chemnitzer Neuen traten fast zeitgleich in Leipzig erstmals auf die große Bühne und unters Scheinwerferlicht. In einem vermeintlich gegenwärtigeren Stück über Jugend und Gewalt haben sie ungleich schwereren Stand. Insofern, Chemnitz, Hut ab, der Einstand neuer Kräfte kann sich sehen lassen und beweist Talent. Mögen noch mehr solcher Geschichten auf uns warten. Wir sind begierig.

Über Kontinente ins Ich
Schiller, Connewitz und Janna Kagerer

Schiller ist nicht mehr, schon lange nicht. Zweihundert Jahre ruht er friedlich in der Gruft. So er kann. Denn heuer wird um den Herren viel Wesens gemacht. Um ihn uns ins Gedächtnis reinzuholen, um touristisch und anderseits Profit zu machen. Und wenige, die Schiller um Schillers Willen und Werke gedenken. Pünktlich zum Jahresbeginn sahen wir in den Connewitzer Cammerspielen "Schiller-Frauen". Ein lyrisch-dramatischer Abend und eine Collage mit Texten der klassischen Feder die sich dem "schwachen Geschlechte" widmen. "Denn ein gebrechlich Wesen ist das Weib."
Janna Kagerer beweist, dass auch bei Schillern die Frauen Meinung und Gefühle haben, und sich mitnichten hinter den dramatischen Helden verstecken. Königin Elisabeth widerspricht vehement, dass sie ein "gebrechlich Wesen" sei. "Die Jungfrau von Orleans" führte Heere in die Schlacht, bevor sie vor Volkes Augen verbrannte. "Kabale und Liebe" in vielen der Dramen Schillers. Janna Kagerer, Aleksandra Sitko, Diana Nitschke und Marc Hellmuth leihen den Damen Stimme. Sparsam die inszenatorischen Mittel. Rückzug auf den Text. Selten unterbrochen von Gitarrenklängen. Das hat eigne Art und eigne Stimmung.
Janna Ulrike ist der neue Name der Regisseurin. 1971 wurde sie als Ulrich Sebastian und Kind deutscher Diplomaten in Sao Paulo geboren. Mit den Eltern lernte sie Neu Delhi, Bonn, Bukarest und Barcelona kennen. Der Junge wechselte Schulen und Länder, die Herkunft der Eltern ist Süddeutschland. Die Liebe führte Uli als Zivi nach Leipzig, er blieb hier hängen, studierte Theaterwissenschaft. Doch da Studien meistens theoretisch, betrat Uli 1993 die Leipziger Bühne mit eigenen Texten und inszenierte. In der MB, dem theater fact, der NaTo, aber vor allem in den Connewitzer Cammerspielen hat man Ulis Inszenierungen gesehen. Seit 2000 arbeitet Uli, besser Janna, mit Anke Klöpsch und dem kleinen Theater im Werk II zusammen.
Uli ist Janna, und Janna ist Frau in einem männlichen Körper. Seit etwa drei Jahren zeigt Janna ihr Frausein öffentlich. Sie ist nach Berlin gezogen, weil dort Anonymität und Szene existieren. Doch nach Leipzig ist Janna zurückgekehrt und angekommen. Hier macht sie Theater. Hier jobbt sie als Tagesmutter. Hier lebt sie so, wie sie leben will. Möglichst ohne Kompromisse. Mit ihrer Freundin. Die "große Lösung", die Operation von Mann zu Frau, ist für Janna kein Thema. "Ich glaube einfach nicht, dass irgendwelche Ärzte, Psychologen und Juristen darüber entscheiden können, ob ich eine Frau bin oder nicht. Das kann nur ich allein, aus meinem ureigensten Gefühl heraus. Mir geht es vor allem um die Wahrnehmung und Akzeptanz meiner Mitmenschen. Wer die Frau in mir wahrnehmen kann und will, tut es auch, ohne dass ich ihm den Ausweis unter die Nase halte." Janna spricht vom "dritten Weg" als Alternative zu Versteckspiel und Transformation und verdrängt ihre Gefühle nicht. Sicher, Akzeptanz ist nicht aller Straßen unsrer Stadt. Schläge und dreckige Worte hat es gegeben. Auszurotten sind sie nicht, weil Toleranz eine Einsicht, die nicht in jeden Schädel passt. Janna weiß darum, aber sie lebt ihr Leben, das als Frau. "Ich will authentisch sein."
"Schiller-Frauen" war die erste Premiere des Jahres in den Connewitzer Cammerspielen. Sie feierten ihr Jubiläum. Seit fünf Jahren gibt es sie. Fast solang mit eigenen Räumen. Die sind gefüllt. Das Cammerspiel hat Aufmerksamkeit erregt und sich herumgesprochen. Im März wird es noch einen Schiller geben: "Die Jungfrau von Orleans". Das, was wir erwarten, wird es nicht sein. Janna Kagerer wird außerhalb unsrer Sehgewohnheit inszenieren. "Sehn wir doch das Große aller Zeiten / Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, / Sinnvoll still an uns vorübergehn."
Das Sich-selbst-Finden und sich dazu zu bekennen, fällt nicht leicht. Dies ist aller Neigungen, Sehnsüchte und Träume so. Janna Kagerer kennt sich als Mann und fühlt als Frau: "Ich glaube, es ist für alle Betroffenen das Beste, sich früher oder später dazu zu bekennen. Aber der Zeitpunkt ist wichtig. Wer noch nicht stabil genug ist, sollte dies langsam angehen. Allerdings gehört auch dazu, einfach mal was zu wagen, wenn man über sich selbst Klarheit verschaffen will."

Wahnsinn mit Schürze

Jeder Job birgt Risiken. Tante Lillis Reich ist der Haushalt, aber sicher ist man nirgendwo. Und so wechselt Lilli halbstündlich die Schürze und sammelt alles aus der Welt der Tupperdose. Sind ja auch praktisch: Von ganz klein bis ganz groß. Für Kochen und Frieren. Für Fisch oder Samen. Selbst als Nottoilette geeignet. Oh heilige Dose, deine Partys begeistern Millionen. In diesen Wahnsinn führt uns Tante Lilli ab sofort im Krystallpalast ein. Man hat das Vergnügen.
Lillis Partner heißt Herr Lüker und hat's noch nicht drauf, aber Klavierspielen kann er und singen. Im Duett mit Lilli wechseln beide die Stimmen. Auch sonst riskiert er manch kesse Lippe, hat jedoch gegen Hausfrauenpower no Chance. Antje Pode macht auf Spaghetti al dente und hangelt daran herauf und herab. Und danach führt sie vor, was Frau so einfällt, ist der Zug schon abgefahren: Sie wirbelt mit Koffern und Taschen und Apfelsinen. Spirella dagegen hält ihre Küche auf dem Mars sauber. Da finden sich allüberall ekelerregende Wesen (gar in ihrer eigenen Brust). Spirella jedoch kann die Viechter entsorgen, indem sie übers Seil hin und her hetzt. Eine außerirdische Nummer. Herren sind auch mit von der (Tupper)Party. Keine Frage. Tomek schmeißt Keulen und bunte Bälle und fängt sie auch wieder im Rock'n'Roll-Rhythmus. Herr Oguz Enigin macht erst auf spanisch und entpuppt sich als Türke, der zauberhaft mit Karten tricksen kann. Viele schweben ins Publikum als Souvenir. Zum Dank wird der Charmebolzen von Lilli zersägt. Irgendwann ist Schluß mit lustig, meint auch Housch-Ma-Housch und holt sich Musikanten auf die Bühne. Letztlich hat der ganze Palast Spaß an der Freud und gibt dem Manne den Takt vor. Ganz zum Schluß wird ihm Klebeband (ja das häßliche braune) zum Instrument, und selbst Lilli staunt, wozu ihr Haushalt fähig.
"Aufgedreht" heißt "Das Tupperdelirium" im Krystallpalast und zeigt, wie sich der Wahnsinn schleichend nähert. Auch uns. Wir sind begeistert und geben uns unter Lillis tuppernde Hände. Und wenn Lilli dann die Schürze rutscht, und sie im Bauchtanz den Laden schmeißt, gibt es kein Halten. Wir sind von der Tupperparty begeistert und kommen wieder. Wer hat schon alle Dosen im Schrank ...

Studenten im Zufallsgenerator

Der Buddy hütet 'ne Wohnung, da kommen die Kumpels vorbei und ziehen im fremden Wohnraum die Party voll durch. Bleibt nix heile, und der gute Sohn erst schmeißt die Bagage raus. Zehn Jahre danach treffen sich die Handelnden wieder: Beim G-7 Treffen, Genua. Die einen demonstrieren, die anderen schlagen im Sinne der Macht.
Fausto Paravidino zeigt uns die Lebenswege im Stück "Peanuts". Thomas Dehler hat dieses in der Neuen Szene inszeniert und stellt die Schauspielstudenten als AIP (Artisten im Praktikum) vor. Die Damen und Herren rezitieren fleißig und bewegen sich manierlich, allein der Funke springt nicht über. Die Personen bleiben Sprachrohr und werden nie Charakter. Mord und Totschlag lassen ein fades Gefühl zurück. Das mag weniger am Talente liegen als am Text, darzustellen mit mehr als Worten haben die Eleven noch nicht drauf. Julia Berke und Torben Kessler als "Alte" geben Beispiel, verlieren sich aber in der Masse.
Es scheint ein Kurzschluß für die Arbeit mit Studenten, Stücke zu wählen, die ihnen in Zeit, Gefühl und Lebensalter vermeintlich nahe liegen. In Chemnitz bewähren sich Kommilitonen im Musical und in der Nazizeit "Swinging Sankt Pauli" (siehe oben). Der dortigen Equipe gelingt es spielend zu überzeugen, den AIPs sieht man dort die Freude an. Hier in Leipzig kämpft man zwar mit harten und provokanten Bandagen, mich aber im Publikum treffen sie nicht. Schad irgendwie. Die in Chemnitz zogen einfach das bessere Los.

Dämonen und Clowns
Markus Dietz spielt ab 26. Februar 2005 mit dem Ende

Der Clown sitzt auf der Bühne und fragt sich. "Wenn ein vernunftbegabtes Wesen auf die Erde zurückkehrte und uns lange genug beobachtete, würde es sich dann nicht Gedanken über uns machen? ... Und ohne überhaupt so weit zu gehen, machen wir selbst ... wir selbst ... uns nicht manchmal ... Wenn man bedenkt, daß alles vielleicht nicht umsonst gewesen sein wird! ... Von da aus könnte sich ja die Menschheit von neuem entwickeln!" Der Clown denkt. Der Clown ist gerührt. Der Clown hat Hoffnung. Aber es ist ein "Endspiel", in dem der Clown mitwirkt. Es ist das Ende. Der Vorhang fällt.
Samuel Beckett ist der Meister des Absurden. Leipzig scheint den Dramatiker zu mögen. Waren es zum Amtsantritt des Intendanten "Glückliche Tage", sahen wir "Das letzte Band", das "Spiel" und "Warten auf Godot". Letzteres ein Publikumshit, was weniger an Regie als an der Kunst der Darsteller liegen mag. Die Schauspieler auch für Markus Dietz ein Grund, sein "Endspiel" hier zu inszenieren. Friedhelm Eberle und Stefan Kaminski sind die Clowns, die Antihelden, die angesichts zivilisatorischen Mülls philosophisch diskutieren. Das ist Komödie. Das ist Farce. Das ist tragisch. Das ist lächerlich. Das ist Theaterkunst der hohen Schule. Ein Klassiker, der Leipzigs Bühnenbretter entert: "Endspiel". Premiere am 26. des 2005er Februars.
Endspiel auch im weitren Sinne. Es ist Markus Dietz' letzte Inszenierung im festen Engagement am Schauspielhaus Leipzig. Seit vier Jahren sahen wir hier seine Kunst. "Die Dämonen" zeigte das intime Schlachtfeld Ehe. "Tod eines Handlungsreisenden" offenbarte Lebenslügen bis zum Tod. "Vineta" war Ostdeutschland nach der Katastrophe. Im "Traumspiel" kann Gottes Tochter die Menschen nicht begreifen. Jetzt das "Endspiel", dann ist Schluß. Was nicht heißt, Markus sei mit Leipzig fertig.
Doch gibt es Gründe, die einen Abschied leichter machen. Theaterfreundlich wurden letzter Zeit die kommunalen Diskussionen nicht geführt. Und absurd der Vorschlag, das Schauspielhaus aus städtischer Obhut und Finanzen zu entlassen. Auch Publikum verhält sich spröde, was nicht nur am Inszenierungsstil des Hauses liegt. Unsachliche Kritiken tun Übriges. Andrer Orte ist die Begeisterung für Markus' Arbeit größer, und für Künstler ist Ortswechsel nicht von Nachteil. Sicher, Markus Dietz wird Ensemble und Gewerke, das Umfeld seiner Arbeit in Leipzig vermissen. Das hat gestimmt. Trotzdem Schluß, Markus zieht näher zu Frau und zum Kind.
In Süddeutschland wurde Markus Dietz 1961 geboren. In der Familientradition lag ein Künstlerberuf nicht, Begeisterung schon. Peymann als Intendant in Stuttgart, Literatur und Interesse bestärkten und führten zum Schauspielstudium in Hamburg. Vornehmlich an Berliner Bühnen hat Markus gespielt, auch mit bekannten Namen: u.a. Heino Ferch. Filme hat Markus gedreht, auch mit den Stars: u.a. Götz George. Mitte der 90er gründete Markus seine eigene Truppe, führte erstmals Regie, der Erfolg gab ihm Recht. Psychologisches Feingefühl und detaillierte Arbeit mit den Spielern zeichnen seine Inszenierungen aus. Sie bleiben auch Leipzig im Gedächtnis. Jetzt haben andere Bühnen Markus Dietz gerufen. Er nimmt das Angebot wahr. So ist Bonn nicht weit von Bochum, von Frau und der Tochter, drei Jahre. Wir wünschen das Glück.
"Nichts ist komischer als das Unglück, zugegeben", sagen die Clowns. Deshalb wird auch Markus Dietz' "Endspiel" keine traurige Nummer. Weil absurdes Theater niemals traurig sein kann. Da ist dann das Theater genauso wie's Leben. Nehmen wir's heiter.

Spaziergang im Volkspark
Nico Ehl ist der Gipfel der deutschen Literatur

Kein Schüler, dem nicht "Faust" im Magen lag. Kein Schüler, der nicht rezitierte: "Vom Eise befreit sind Strom und Bäche / durch des Frühlings holden, belebenden Blick ..." Und kein Schüler, der nicht bemerken musste: "Allein der Vortrag macht des Redners Glück." Noten hingen ab vom "Faust" und Aufsatzthemen. Kein Zweifel, Goethes Tragödie in zwei Teilen ist unbestritten der Gipfel deutscher Literatur. Daran kann keiner vorbei. Das muss einfach sein. Und das ist rechtens. Ich meine es ernst.
Jedem Theater gereicht es zur Ehr', hat es dies Stück Weltliteratur im Spielplan drin. Der Regisseur wird sich um eigene, neue Sichtweis' bemühen. Wir sahen "Faust" 24 Stunden, doppelt oder vierfach. Manch Inszenierung ward Legende. Und glücklich der Spieler, der Fausten Gestalt und Stimme leihen darf. Das sind nicht viele. In Halle heißt er Nico Ehl.
Bislang hat man sich den Helden als erfahrenen Manne vorgestellt: Vergeistigt. Mit Bauch. Jenseits der 50. Nur der "Urfaust" im Schülertheater war jünger. Darsteller-Not und -Alter gehorchend. Nico Ehl ist Jahrgang '78 und ab 16. Februar der neue "Faust" im Volkspark. Dort inszeniert Annegret Hahn das gute Stück. Es wird den Zuschauer nicht auf den Sitzen halten, das Ensemble des Thalia Theaters nutzt Räume und Gänge des selten bespielten Hauses. Auch dies ist außerhalb der Tradition: Bislang saß man im Stuhle und ließ sich klassisch unterhalten. "Welch Schauspiel! Aber ach! Ein Schauspiel nur!" Jetzt folgt man Fausts Reise durch die "kleine Welt" in des Wortes Sinn.
"Faust" ist zweifellos eine Herausforderung. Für jeden Darsteller. Für Nico Ehl ist es (fast) die erste Rolle im Engagement. Vor anderthalb Jahren hat er sein Studium beendet. Dabei war es so sicher nicht, dass er Schauspieler würde, auch wenn er bereits in Klasse fünf den "Kleinen Prinz" gegeben hat. Nein, regelmäßig spielte er nicht im Schülertheater. Und auch die Eltern sind nicht im Kunstbetrieb tätig. Gut Theater gesehen hat er in seiner hessischen Heimat bei Kassel. Doch erst eine Reise gen Krakau, nach Polen, machte ihm seinen Berufswunsch wirklich und endgültig klar: Das will ich tun! In Berlin war Nico Zivi und hat mitgewirkt in der Szene. Danach die Bewerbung an der Schauspielschule Charlottenburg. Eine private Bildungsstätte - Studiengebühren inklusive. Das hieß: Jobben. Schlafwagenschaffner, Kartenabreißer an den Toren der neuen "Schaubühne Berlin" und dergleichen artverwandte Tätigkeiten mehr. Abschlussinszenierung sommers 2003, ein bisschen independent Film und Berliner freie Szene: "Spielzone" und "Hundehotel". Letzteres Stück hat Annegret Hahn, die Intendantin des Thalia Theaters, gesehen. Nico hat sie überzeugt. Nico hat in Halle vorgesprochen. Jetzt ist er "Faust".
Auf der Thalia-Bühne gestanden hat Nico bereits - logo, in kleineren Rollen: "Ganze Tage, halber Nächte" , bei "Peter und der Wolf", als Freund von Erfurts Attentäter "Level 13". Demnächst zeigt er sich im DDR-Revival "Sonnenallee" auch musikalisch. Nico ist von Halle fasziniert. Der alte Stadtkern. Eine Stadt im Aufbruch. Chancen sieht er und alte Lasten. "Was ihr den Geist der Zeiten heißt, / Das ist im Grund der Herren eigner Geist, / In dem die Zeiten sich bespiegeln."
Ab 16. Februar ist der "Faust" jung, Mitte zwanzig, und heißt Nico Ehl. Und nicht nur Schulklassen werden ihn im Volkspark zu sehen kriegen. Hoffe ich mal, denn "Faust" ist der Gipfel der deutschen Literatur, und selten sah man ihn jugendgemäß. "Verzeiht! Es ist ein groß Ergetzen, / Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen; / Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht, / Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht."



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