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Neues aus der Theaterwelt (04.04.2004)
von Henner Kotte

Horch! Man nimmt es hin. Guck!
Des Schauspiels kleinste Bühne gibt sich den Schuß

Ende gut, alles ... Nee. Das "Horch&Guck" macht die Schotten dicht. Ab Sommer 2004 wird dort abgebaut, läuft nix mehr. Schad. Denn schien uns doch die kleine Bühne als eine, die mit Konzeption der Beliebigkeit zu trotzen wußte. Das Stadtsäckel gibt Finanzen nicht mehr her und somit: Cut! Wie ehedem das Tanztheater der Irina Pauls.
Schlußendlich hat man sich was einfallen lassen. Acht Autoren wurden gebeten, schriftlich zu hinterlegen, was ihnen zum Abschied einfällt. Die Handschriften machen einen Theaterabend mit Höhen und Tiefen, denn Text und Autoren haben verschiedene Qualität. Claudia Klischat überhöht Armee, Geschwisterliebe Muttertod, daß man nicht folgen mag. Ulrike Syha (ehedem vor Ort uraufgeführt) stellt Arbeitslose und Imitatoren sehr witzig vors Preisschwein. Ralf N. Höhfeld zeigt kurios den Glauben an die Psychiatrie. Falk Richter (auch H&G-erfahren) läßt eine WG unzertrennlich werden. Henning Borchert philosophiert alltäglich "Übersee", und der Regisseur spielt außerhalb. Klasse Idee! Und restlichen Texte von Ingrid Lausund, Ulrich Hub und Händl Klaus wären zusammenzufassen: "Was mache ich hier eigentlich?" Regisseur und Bühnenchef Ulrich Hüni interpretiert ansehnlich, überraschend, mit Verve. Nur ganz selten fällt ihm zum Wort nix ein. Gelungen ist ein Abend, den man öfter zu sehen wünschte, weil er beweist, was Theater ausmachen kann. Und Schauspieler. Melika Foroutan, Andreas Keller, Michael Schrodt und stumm assistierend Jörg Malchow sind auf Höhe von Mimik, Gestik, Interpretation. Wahrlich: Des Sehens wert dieses Konglomerat unterm Titel "Lebt wohl! Und danke für den Fisch." Aber leider nicht lang.
Die Inszenierung nimmt den Abschied hin. Akzeptiert wortlos den Bühnentod. Kein Aufschrei der Macher! Kein Kontra des Hauses! Keine sichtbare Wut der Beteiligten! Schicksalsergeben setzt man sich den Kopfschuß selbst. Ich hätte erwartet, daß man im Untergang die Meinung sagt. Ist doch eh alles gelaufen. Und läuft so noch weiter. Kein Text, der konkret den Bühnenabschied zum Thema hat. Kein Autor, der auf Stadt und Politik Bezug nimmt. Der Honoratior und Mitverantwortliche Girardet saß im Publikum. Der Mann wird sich gefreut haben, das Theater funktioniert so, wie er u.a. wollen: Kein Wort, keine Demonstration, das Schauspielhaus setzt der Entscheidung nix dagegen. Wohl auch nicht, wenn das Rathaus die städtischen Bühnen nächstens in die freie Marktwirtschaft entließe. Man nimmt es hin, weil die Umstände halt böse Umstände sind. Wir andern machen's Maul auch nicht auf. Seien wir ehrlich.

Auch Massaker? Massaker auch.
Das TJG provoziert die Diskussion (auch künstlerisch)

Meißen, Hildesheim, Hannover, Littleton und Erfurt. Die Schlagzeilen über Schule und Gewalt, sie reißen nicht ab. Die Diskussion läuft aller Orten, aller Medien, aller Lehrer, aller Schulen. Bei solchem Interesse bleibt das Theater nicht außen vor, darf es nicht bleiben. Also hatte man Idee und Buch und ließ flugs eine Geschichte bühnentauglich schreiben. Und weil's Thema so brisant, gibt's "Ich knall euch ab" im Triple. Was heißt, die Uraufführung des Theatertextes sehen wir in Dresden, Rostock, Düsseldorf.
Gerri packt's nicht und ist allem Hohn und Spott der Klasse ausgeliefert. Einzig Ben, der Fremde, fühlt mit ihm. Also ziehen die beiden sich zurück und vor den Computer, bauen Pläne vom Tod der bösen Klassenkameraden, Lehrer, den eignen inklusive. Deshalb bestücken sie die Schule mit Bomben und nehmen 60 Menschen als Geisel. Schluß: Gerri drückt ab in den eignen Kopf. Die Geiseln, nun wieder erstarkt, treten den Benni ins Koma. Selbst zur Trauerfreier herrschen die Fronten.
Solch Stück muß Brisanz doch einfach haben, dachten sich gutgläubig die Theater und ließen sich von Felix Huby und Boris Pfeiffer den zugehörigen Text liefern. Allein, was auf der Bühne sichtbar, sind Phrasen, bestätigte Vorurteile und kurze Schlüsse. Die psychologische Motivierung der Knaben ist beinahe weggelassen, so daß es schwer fällt, die Handlung überhaupt zu glauben. Sportler sind dominant und böse. Sensible haben keine Chance. Computer machen alles möglich. Die Eltern stehen voll daneben. So einfach, liebe Autoren, läßt sich das Phänomen "Gewalt an Schulen" leider nicht erklären. Und ich bedaure die Lehrer, die mit diesem kurzgeschossenen Text nun die Diskussionen vor Ort führen müssen. Ich fürchte, Robert Steinhäuser wird als Idol erst aufgebaut.
Die Regisseurin Anette Straube konnte diesem Texte nicht vertrauen. Sicher. Aber ihre Charakterführung der Personen verstärkt den Eindruck des Agitprop-Theaters noch. Und das legt auf psychologische Durchdringung leider keinen Wert. So brüllen die Helden ewiglich. So begreifen die Lehrer ihre Schüler niemals. Und manch Szene, die völlig daneben läuft. Allein, wir müssen loben: Dominik Breuer trifft Amokläufer Ben in Gestik, Mimik, Sprache sehr genau. Auch die bösen Sportlerbuben zeigen neben der Athletik Schauspielkunst. Und Roland Florstedt ist nun bei Leibe kein Trainer, aber behördliche Lehrkraft wunderbar. Logisch: Theater soll Diskussionen anstoßen. Doch muß der Theatertext dem Thema angemessen sein. "Ich knall euch ab" ist einfach schlecht. Gesellschaftliche, schulische, private Ursachen werden abgebürstet, so daß das Spektakel nur übrig noch bleibt. Das kann ich auch in der Bild-Zeitung lesen. Doch: Diskutieren wir!

Lachen Macher
Tom Reichel und Gohglmohsch stehen wieder: Einmalig! Letztmalig!

Die Show macht Laune: "Laß Dich denunzieren. Deutsche zeigen Deutsche an". Doch das ist nicht alles. Pure Arbeitsverweigerung brachte die deutsche Industrie an den Abgrund. Der RaF (Recht auf Faulheit) e.V. macht Politik. So kann das nicht weitergehen, sagt die Weltgemeinschaft und stellt Deutschland unter UNO-Truppen.
Nein! Noch ist es nicht soweit. Noch sind Show und Blauhelme auf unseren Straßen Utopie. Aber genau dies haben wir doch schon einmal gesehen?! Ja. "Wider stehen. Wieder legen" hieß das gute Stück. Vor zehn Jahren hatte es Premiere, seitdem ist's Legende. Wie die Truppe, die es schuf: Gohglmohsch. Nun sind Meigl Hoffmann, Matt Liebsch, Mischa Kreft und Tom Reichel wieder da. Einmal. Das Letzte. Am 26. April 2004. Moritzbastei. Danach geht nix mehr. Oder doch. Am Weltkampftag aller Werktätigen bringt sich Gohglmohsch unter den Hammer. Die Devotionalien der bewegten Zeit können wir ersteigern. Und auf welchen Schrank paßt kein Blauhelm?
Zum Termin sehen wir auch Tom Reichel wieder auf Bühnenbrettern. Vieles aus dem Stück entstammt seiner Feder. Böse Texte schreibt der Tom noch immer. Wir hören/sehen sie im Mixer-Keller, sie spricht und singt Johannes Kirchberg und andre Künstler mehr. Geschrieben hat Tom seit er schreiben kann. Ungefähr seit 1976. Aufgeführt wurden die Werke u.a. vom Pionierkabarett seiner Heimatstadt Pirna. Später wollte Tom an Leipzigs hohem Hause Germanistik studieren. Man ließ ihn nicht. Umlenkung nach Potsdam, Lehrer, aber "Können Sie denn Musik?" Jaja, so lustig waren (sind?) unsre Germanisten.
In Potsdam traf Tom Reichel Mischa Krefft. Der kann Klavier. Darauf in Leipzig wollten's Wille und Zufall, Meigl Hoffmann zu begeistern. Das Gohglmohsch war grad entstanden, und "Wider stehen Wieder legen" wurde zweites Programm, erstes mit eignen Texten. Auch der Hoffmann schrieb. Nicht immer pünktlich, und die Historie behauptet, daß Meigl drauf vier Liter Bananensaft wegtrinken mußte. Wie dem sei, am 17. April 1994 feierte das Programm Premiere. Die Kritik überschlug sich. Preise gab's für. Publikum kam immer wieder. Das Ende ist jedem Stück immanent. Wir haben letztmalig die Chance zu sehen. Sagenhaft.
Tom Reichel ist Autor, versteht sein Metier. Nicht ausschließlich für's Kabarett schreibt er. Filme sind in Planung. Ein Theaterstück zur Geschichte Europas. Lieder gibt es. Liebe auch. Und an Ideen mangelt es Tom nicht. Wer denn schon weiß, daß Tom die Marke Cabinet seinerzeit vom Cabinet-Preis überzeugte. Eigentlich hat er den auch verdient. Doch wer bitte ehrt die Autoren?



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