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Neues aus der Theaterwelt (10.08.2003)
von Henner Kotte



Dame läßt Männer spielen
Anne Osterloh bringt das Gesamtwerk Shakespeares auf die Bühne

Der Autor ist Pflicht. Pflicht in Schule und Theater, Pflicht in jedem Bücherschrank. Ohne seine Stücke wär Weltliteratur nicht das, was sie ist. Die Schicksale seiner Gestalten sind uns vertraut. "Romeo und Julia" - Synonym der wahren Liebe. "König Lear" zeigt die Undankbarkeit der Nachgeborenen. "Hamlet" verzweifelt an dem ihm zugefallenen Job. Und "Othello" und "Der Sturm", "Richard III.", "Was ihr wollt". Kaum einer, der sich in Gänze an William Shakespeares Werk erinnern tät. Schön wär's, all die guten Stücke in verständlich kurzer Form auf die Bühne zu bringen. Und "ist es Wahnsinn, so hat es doch Methode", Adam Long, Daniel Singer und Jess Winfield haben tatsächlich "Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)". Wir nun können der 37 Stücke auf der Sommerbühne der Moritzbastei folgen. Wahnsinn.
"Aus Spöttern werden oft Poeten." Sagte man vor Jahren noch "welch Frevel", ist die Komödie heute bereits Kult. Drei Männer eignen sich die Worte Shakespeares an, schaffen (fast) alle in kurzer Zeit. Ist nicht grad solch Fast-Food-Kultur Ausdruck unserer Zeit? fragt Regisseurin Anne Osterloh. So spielen Tom Wolter, Nikolaus Kühn und Simon van Parys nicht nur klassisches Theater, sie zeigen Gegenwart und allen Spaß.
Erstmals ist Schauspielerin Anne Osterloh Regisseurin. Das ist im freien Theater auch Konzept: Nicht nur ein Job muß da getan werden. Seit drei Jahren arbeitet Anne frei, was heißt, fest gehört sie einem Ensemble nicht mehr an. Wir sahen sie "Nach dem Regen", zur "Stunde der Liebe", als "Gretchen 89ff.". Nach mehreren Jahren Stadttheater empfindet Anne die Off-Kultur angenehm und spannend, auch wenn man auf einiges verzichten muß und mehr selbst tun muß für den Erfolg. Siehe Regie.
Anne Osterloh ist Kind der Hallenser Südstadt. Am 17. November 1968 ward sie geboren (das exakte Datum sei genannt, weil die Künstlerin der Geschenke harrt). Kindergarten, POS, Schauspielschule in Berlin. Engagements in Nürnberg, Stuttgart, Greifswald. Anne zeigte die klassischen Rollen. Sie war Julia, Lady Macbeth und Antigone. Ihren Wohnsitz hat Anne in Berlin, auch wenn man sie oft in Halle/Leipzig sieht bei der Inselbühne, in der Theatrale, im Varieté Krystallpalast. Familienleben bei diesem Hin und Her? Sicher, auch wenn Sohn Victor oft nicht bei der Mutter ist, manchmal aber steht er mit ihr auf der Bühne.
"Weil in der Kürze des Witzes Seele ist, Weitschweifigkeit der Leib und äußre Zierrat, fass' ich mich kurz", meint Polonius im Stück "Hamlet". In diesem Sinne hätte vielleicht Shakespeare die Adaption seines Gesamtwerks für gut befunden. Für Anne Osterloh paßt es in unsre Zeit und in den Sommer. Und da gehört ja Shakespeare unabdingebar hin: "Ein Sommernachstraum". Das Team zeigt viel mehr als diesen vom 21. bis 31. des Monats August. Da hat der Wahnsinn doch Methode.

Angesichts der Hölle: Spaß
Andreas Range: Vom Schwiegersohn in Teufels Küche

Na sicher: Vor lauter Wissensdurst verspricht sich der Doktor alles und noch viel mehr vom Pakt mit dem Teufel. Der Beelzebub haut seine Hand in diesen Vertrag sehr freudig drein, ist's doch eine Seele dazu, die in seiner Hölle ewiger Verdammnis schmoren wird. Die Saga vom alles wissen wollenden Doktor Fausten/Faustus/Faust ist als Gedicht und Moritat, als Volksbuch und Roman, als Stück und Tragödie Goethscher Hand einsichtig. Auch Halle läßt die Geschichte sommers wieder sehen. Manfred Wekwerth übersetzte die Version des Stoffes von Christopher Marlow und inszeniert, wir können unseren Bildungsehrgeiz und Wissendurst, unsere Theaterleidenschaft im August/September im Dom zu Halle befiedigen. Und "Doktor Faustus", wie wir ihn zu kennen glauben, ist es nicht. Versprochen. Klar doch, die Rolle des Dr. Faust ist eines Schauspielers Traum, mehr noch die Rolle des Bösen. Klassisch. Sie kann Legenden schaffen, wir erinnern uns. In Halle heißt Mephisto Andreas Range. Der ist uns seit mehr als einem Dutzend Jahren vom nt bekannt. Wir sahen ihn in "Richard III." und in der "Mausefalle", im "Guten Mensch von Sezuan" und dem "Hysterikon". Ganz Hauptheld des Theaterabends ist Andreas Range selten, doch nie sei gesagt, daß Nebenrollen Nebensache wären. Sind sie nicht, ob Pfarrer, Polizist, Pilot. Andreas Range testete in "Indien" Schnitzel, er kaufte "Kunst", die keiner sah (noch können wir dieser "Kunst" ansichtig werden und empfehlen das heitre Stück mit dem trocken kolossalen Titel.) Sangeskunst zeigt Andreas Range in den Revuen á la nt. Gitarre spielt Andreas bei der Emmanuel-Striese-Gedächtnis-Combo, sagenhaft. Er singt mit Erfolg als Handtasche und Rucksack. Schau spielen heißt nicht, immer nur sprechen. Sicher einige, die sich an Stimme und Gesicht erinnern.
Schauspieler war nicht sein erstes Ausbildungsziel. Im Harz ist Andreas Range anno 60 geboren, groß geworden, Ballenstedt. Er verweigerte den Waffendienst der DDR, begann in Halle/Saale sein Studium der Theologie. Das war's ihm nicht, Andreas ging ans Theater Karten abreißen und machte extern sein Diplom. Dazumalen war dies möglich, hieß, Andreas war Ensemble-Mitglied, spielte, die Dozenten lehrten die Schauspielkunst vor Ort. Abschluß. Engagements. Neues Theater Halle/Saale.
Im Familienleben Kontinuität. Verheiratet ist Andreas mit seiner Schülerliebe, ward junger Vater. Zwei Söhne studieren, die Tochter ist 17. Gattin Susanne Dramaturgin im Haus auf der Theaterinsel. Zum idealen Schwiegersohn wurde Andreas Range via TV. "Einfach genial" fuhr er mit Erika Krause Auto und entdeckte Erstaunliches in unsrer Gegend. Zufall war's, der ihm den Job verschuf, ewig währt im Fernsehen aber nix. Gut, daß wir uns in dieser Hinsicht auf das nt verlassen können, dorten bleibt uns seine Person erhalten. Ein seltener Fall der jahrelang nachvollziehbaren Beziehung: Ein Schauspieler und seine Stadt. Kontinuität - Charaktereigenschaft oder Zufall?
Jetzt ist Andreas Range Mephisto. Dem "Doktor Faustus" ist er nicht nur Gehilfe und Versorger. Dieser Mephisto warnt: Immer den Fun und immer den Spaß ohne Pause? Hat sich der Doktor gar der Spaßgesellschaft übergeben? Ist ihr erstes Opfer? Insofern zeigt die alte Mär erstaunlich gegenwärtige Seiten. Mephisto - ein Mensch mit Gewissen? Andreas Range schweigt, was wäre Theater, wenn wir alles schon wüßten? Wollen wir nicht, und lassen uns überraschen, um zum Augenblicke sagen zu können: Teufel, war der gut!
Termine: 21., 22., 27. und 28. August, 3., 5. und 6. September 2003



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