www.Crossover-agm.de
Neues aus der Theaterwelt (04.05.2003)
von Henner Kotte



Quarter Life Crisis
Morgen 30. Was nun? fragt das TiF

Die Bühne ist weiter nix als ein sich drehender Kreis. Und auf dem steht Tony Steadman voll drauf. Mit dem Glas in der Hand geht er dann auf Menschen im Discobunker zu und läßt wissen: Morgen werde ich dreißig. Oh Gott. Der Angesprochene lächelt, bislang kannte er nur Midlifekrisen, die kommen idR fünfzehn Jahre später. Schrecklich, jetzt geht's eher schon los mit den Sinnkrisen um die eigne Existenz. Gesprächpartnerin Kate nimmt's philosophisch und professionell: Das Leben, eine Bühne, und wir die Akteure. Bingo. Die Bühne ein sich drehender Kreis und wir voll drauf und daneben. So einfach kann's sein.
Aber: Tony Steadman ängstigt sich ernsthaft vor der Zäsur seiner Lebensjahre. Verständlich. Dreißig hört sich nicht nur hornalt an, man ist es auch. Solch Datum ist Anlaß zurückzublicken auf die Wege, das Erreichte, die Erfolge. Nur stellt sich das Hochgefühl bei Tony nicht ein. Noch immer hängt er als kleiner Angestellter rum. Die Chance des Aufstiegs, kommt sie wieder? War sie da? Heather schien die Frau, mit der sich Tony Gemeinsamkeit vorzustellen vermochte. Nur er ging auf der Drehbühne an der Liebe vorbei. Und dann dieser Mr. Lamine, er kennt die Zukunft von Tony und überhaupt ... ist das Leben mit dreißig beschissen. Junge Jahre waren gewesen, auf die eine/r stolz Rückschau halten sollte. So locker, beschwingt wird das Leben nie wieder. Aber wenn man den Blick zurück weder im Zorn noch sonstwie wagen möchte und wagen will? Was für Chancen hat man denn gehabt? Kommen noch welche? Gibt's Hoffnung?
"Spiel mit Wiederholungen" nennt Martin Crimp sein Experiment mit Menschen im ersten Lebensdrittel. Und beweist letztlich: Vorbei ist's niemals. Tony Steadman bekommt die Chance, die dreißig nochmals glückvoll anzugehen. Philip Stemann (verblüffende Namensähnlichkeit zum Helden der Geschichte) inszeniert diese englische Gegenwartsdramatik auf der uns liebgewordnen Bühne TiF. Ging es Stemann in der Inszenierung "39,90" mit Befindlichkeit und Deutung arg daneben, ist ihm nunmehro ein adretter Abend gelungen, der uns in der Quarterlifcrisis und darüber anzuregen weiß. Eigentlich möchte man sich ja die Fragen zum eignen Leben in Härte so nicht stellen wollen. Doch nichts desto trotz: Man muß. Stephan Thiel ist Tony Steadman angenehm in all seinen Widerwärtigkeiten und -sprüchen. Thomas Martin zeigt sich wandelbar als Kumpel, Dämlack oder Guru. Die Damen Ute Baggeröhr und Katharina-Romana Schröter haben's ungleich schwerer mit dem schau spielen. Frau Schröter kann uns nicht überzeugen. Aber das tut der Geschichte keinen Abbruch, denn auch im wirklichen Leben kommen Gestalten steif und gezwungen daher.
Beeindruckend ist das Spiel mit den Möglichkeiten, die sich das Inszenierungsteam selbst sehr beschränkte. Die Bühne ein Kreis, der im Mittelteil rund läuft. Bildnerin Birgit Stoessels Idee ist so einfach wie assoziationsreich. Der Regisseur weiß damit umzugehen. So entfleucht die Liebe und der Job, und Heather strampelt sich in den Armen Tonys todmüd. Uns wird bewiesen, auch mit Sparsamkeit kann Kunst geboten werden. Gut so.
Mit einer Zähre im Auge muß der Kritiker bemerken: Wieder einmal und immer wieder kein Stück aus deutscher Feder, das unsre jungen Nerven und den Nerv der Zeit auch träfe. Die Engländer, vornehmlich Martin Crimp, sind auf den Bühnen unsrer Breiten drauf und drauf (stellten wir bereits vor Jahren fünf fest). Crimps "Angriffe auf Anne" zeigte auch das TiF ehedem. Wenn sich denn wirklich nix bei hier beheimaten Autoren findet, wäre es dann nicht auch Aufgabe hiesiger Theater, Autoren und Talente neu zu entdecken und zu fordern? Zu teuer kann die Suche doch nicht sein. Oder befindet sich deutsche Bühnenkunst auch in der Quarterlifecrisis? Über die kann man auch niemals hinweg kommen, wissen wir leidvoll aus eigner Erfahrung. Ist das das Ende deutscher Dramatik? Oder gibt's Gegenwart gegenwärtig nur made in england?

Platz da!
Schau: "Haus & Garten" & Gestühl

Wir können und setzen und sitzen gut. Das Schauspielhaus hat die Renovierung sich selbst zum Vorteil überstanden, der Vorhang in der Bosestraße geht wieder auf. Daß sich dies im Rahmen von Zeit und Finanzen hielt, vernahmen wir ungläubig, denn andre kommunale Bauwerke verschlingen Erhebliches an Aufwand mehr. Nun können wir rein in den großen Saal und hören viel besser, auch von den billigen Plätzen, und sehen so gut, denn die Reihen sind steiler, und wir haben richtig Raum fürs Bein. Vor allem: es sitzt sich beinah so gemütlich wie auf Omas Sofa. Und da das Haus offen, wird auch gespielt. Herr Intendant Wolfgang Engel hat's sich nicht nehmen lassen, führte selbst Regie und zeigt uns sein "Haus & Garten".
Der Titel ist Programm, und der Zuschauer muß zweimal hin, um zu verstehen. Denn, voll logisch, wenn man im Garten sitzt, bekommt man nicht mit, was sich im Hause drinnen so abspielt. Und bei einem einmaligen Besuch kennt man dann nur die eine Seite der Geschicht. Manches gar müßt unverstanden bleiben. Es ist ein heiteres Stück englischer Dramatik, was uns da im Schauhaus erwartet. Und nach all der tiefen, schweren Kunst auf großer Schauhausbühne, macht es froh, solch Inszenierung anzusehen.
In der Familie Platt hat's stets die Frauen bös erwischt, da die Herren wahre Karrieristen waren. Nunmehr ist Teddy an der Reihe, auch ihn steht alles noch bevor. Gar der Staatschef hat ihn angefragt. Nun denn. Da muß er seine Gattin überzeugen, ihn zur Kenntis zu nehmen. Die Geliebte muß schnellstmöglich von ihm lassen. Nur die Damen verhalten sich mitnichten, wie von ihm gewünscht. Nun gibt es eine Anzahl von Mißgeschicken und Tragödien, von Ehekrächen und wirklicher Liebe. Der Reiz ist, das es in Praktika zwei Stücke sind, die allein wenig Sinn machen. Neben der auffällig leichten Hand des Regisseurs beeindrucken Lust und gute Laune sämtlicher Akteure. Brilliant führt Susanne Stein als mißachtete Frau Platt die Geschicke des Hauses. Frank Apitz' Hochmut bröckelt Stück für Stück. Marco Albrecht stehen die tragikomischen Helden wie stets gut zu Gesicht. Constanze Becker ist herrlich französisch überspannt. Doch diese Hauptfiguren müssen die Darstellern spielerisch freuen. Und sie tun's. Schwerer haben es da die Personen, die ohne den großen Auftritt aus ihrer Situation was machen müssen. Simone Cohn-Vossen zeigt ihre Kunst großartig im Kleinen. Unbedingt erwähnt muß werden, daß die Logistik des Abends allen Mitwirkenden vieles abverlangt. Nicht nur die Spieler meistern's mit Bravour.
Fazit: Schön gesessen, auch gelacht. Ein Abend des Vergnügens. Auf Nächstes im erneuerten Hause sind wir echt gespannt. Stellt sich letztlich nur die Frage: Geht's der Betrieb am Floßplatz nun den Bach runter? Wär schad. Nicht nur wegen der kurzen Wege für den Rezensenten.

Treuebonus: Abgepackte Scheiße
Hysterie und Super Markt auf offner Bühne im nt

Der Einlaß erfolgt mittels Drehkreuz. Raus kann dann keiner ohne Peinlichkeit. Vielleicht piept's. Wir nehmen Platz, und den Blick versperren Regale voll mit Joghurt und Müsli, Katzenfutter, Wein und Milch. Wir sehen kaum durchs Warenangebot durch. Da endlich kommt ein Herr Kassierer und macht uns vor seiner Arbeit erst mal an: Von wegen warum wir im Theater sitzen? Was wir denn hier wollen. Und überhaupt ... Wir haben verstanden: Ein Theaterabend der tiefsinnig-philosophischen Art soll's nicht werden. Ganz nah dran am Puls der Zeit ist das "Hysterikon", und damit das nt am neuen Markt.
Autorin Ingrid Lausund fand es opportun, uns unsre Welt im Supermarkt zu zeigen. Und deshalb bestürmt den Kassierer allerlei lustiges Volk. Worin wir uns und andre wiedererkennen. Der schüchterne Junge, der fast gefragt hätte. Das Mädchen mit dem Impuls für die wahre Liebe. Der Mann, den 98 Heiligenbildchen den Glauben raubten. Der Mörder. Die Aufgemotzten. Die Hure, die in der Tiefkühltruhe bläst. Der Alte, der verendet. Es ist schon ein reichlich schräges Klientel, das den Wagen durch den Einkaufstempel schiebt. Und das Stück bietet Reiz zum Lachen, Denken, Philosophieren. Die Akteure sind auch wahrlich gut drauf. Tobias Schulze hat alle Fäden gottgleich im Griff. Andreas Range gibt die Abziehbilder der jüngeren Generation authentisch. Danne Hoffmann zeigt das Quentchen Übertreibung, die nie peinlich werden kann. Monika Pietsch wagt die ihr zugeschriebenen Rollen professionell. Da liegt was in der Luft an gegenwärtig heitren bösen Spiel.
Jedoch bleibt das "Hysterikon" seltsam ohne Hysterie. In der Weite des Bühnenbilds von Suse Tobisch verläppert sich das Trashpotential des Stückes erstaunlich schnell. Trotz des Raumes bleibt die Figurenauffassung von Regisseur Dietmar Rahnefeld arg eng. Auslauf hätte er den Spielern doch gestatten können. Übertrieben hätten uns all die unglaublichen Geschichten vor den Latz geknallt werden müssen. "Der Hysteriker muß seine Emotionen massiv, überzogen und theatralisch vortragen, um sich besser zu fühlen, besser wahrzunehmen." Da die Inszenierung jedoch im täglichen Warenangebot des theatralischen Supermarktes verbleibt, nimmt sie sich viel von sich selbst. Das ist wirklich schad.
Scheiße im Plastikbeutel überreicht der Herr Kassierer manchen Kunden. Allein solch Fakt deutet an, wohin die Hysterie des Abends gehen könnt. Auf der Bühne erscheinen all die Kranken bereits auf ihrem Weg der guten Besserung. Dramaturgin Susanne Range als Ärztin hat da viel geleistet und die Schauspieler wieder eingepaßt ins Allbekannte. Ich hätte die Typen unbehandelt viel, viel lieber gesehen. Aber das kann ich dann in meinem Supermarkt wieder tun. Da sind sie echt. Wie ich auch.

Wolt- und andle Aklobatik
Del Klystallpalast splicht deutsch und tulnt chinesisch

Noch wählend wil die Plätze suchen, kommt ein schüchtelnel, kleinel Mann und flagt so lum ein wenig latlos. Keinel vom Publikum kann ihm helfen, so gelät das Männlein auf die Bühne und wild velstoßen. Spätel sehen wil ihn wiedel, diesen Mann, da läuft el an del Decke, spielt Gitalle und singt sehl schön. Und natüllich haben wil längst begliffen, Lloyd Kandlin gehölt zum Ploglamm dazu. Und das heißt momentan im Klystallpalast: "Sagenhafte Altisten".
Da könnt man nun elwalten, daß voluminöse Damen in höchsten Tönen Opeln tlälleln: Wagnel, Mozalt und Puccini. Daß dem nicht so ist, bemelken wil lecht schnell an Gebäude und Ambiente: Im Klystallpalast gibt's Valieté. Heitelen Auges machten Mitwilkende und Machel asiatische Splechschwieligkeiten zum Namen ihles Ploglammes: Altist heißt Altist. Eben.
Valietékunst made in China waltet stets mit atembelaubenden Kunststücken auf. Die Tellel del Jonglage fallen nicht. Ganze Polzellanwäldel dlehen. Eine zielliche Dame stemmt sich pel Hand in Stand und velschlingt sich. Hellen wilbeln an Gummis im Dach vom Palast, daß es schwindelt. Und wilklich zeugen China-Löwen Nachwuchs sehl possiellich. Das ist Aklobatik hohel Schule, hohel Kunst. Dem stehen die Gäste aus Südaflika mitnichten nach. Liza und Julie Klug baumeln an Lingen und Seilen, stehen auf Bällen und haben Spaß dlan. Elwähntel Hell Kandlin velsucht im spätelen Abend seine Gitalle vom Bühnenhimmel zu holen. Klappt elstmal nicht, und del Alme kämpft sich hinan und stülzt immel wiedel hinab. Publikum muß helfen. Manch spitzel Schlei hallt dulch die Leihen, nicht nul del del Gattin.
Logo, den ploglammatisch schwieligen Lautmaleleien asiatischel Zunge setzt del Confelenciel deutsche Woltaklobatik entgegen. Das macht Malcus Jeloch ganz famos. Man flagt sich nul velwundelt, was dies denn fül Zwischenstücke zul Altistik sind. Abel nicht alles muß elklält welden können. Wil hölen hin und sehen zu. Staunen. Und das soll das Valieté mit uns auch tun.

Aufhören! Aufhören? Anfangen!
Alix Dudel präsentiert sich und Artisten

Alles, aber auch alles hat irgendwann anfangen müssen. Alles, aber auch alles wird irgendwann zu Ende gehen. Nunmehro hat die neue Show mit dem Namen Alix Dudel im Krystallpalast begonnen. Und daß sie aufhört, mag man sich nicht sobald wünschen. Jedenfalls einen Abend lang nicht, auch wenn das Programm den beziehungsreichen Titel "Anfangen & Aufhören" trägt.
Alix Dudel weiß, auf sich aufmerksam zu machen und stürmt durch die besetzten Reihen. Doch nicht nur auf sich läßt sie aller Augenmerk richten, auch auf jene, die an ihrer Show teilhaben sollen. Und da wird man des Sehens nicht satt. Thomas Endl jongliert mit Feuer, Keulen und Bällen. Girisho ist erstmal Depp, dann Sportsmann am Trapez. Petra hadert mit dem Seil und rollt dran auf und nieder. Oleg Shalimow verwechselt den Skihang mit dem Trampolin und gibt das Zeichen: Abgefahren. Johei! Die Zebras entführen uns in Afrikas Weiten und lassen Pyramiden, Salti, Schrauben sehen, daß der bange Gast nur hoffen kann, daß die Bühnendecke sehr weit oben ist. Unbestritten, das ist Artistik hoher Schule und russisch bester Tradition. Still begeistert Bablu Mallik. Was dieser Mensch aus Indien mit seinen Händen zaubert, ist poetisch, verblüffend und politisch. Solche Kunst des Schattenspieles sah man bislang nicht. Ob Hasen, Tauben, Joschka Fischer, ... Bablu Mallik zeigt sie mit allen Fingern. Schad, daß auch ein solcher Programmpunkt unweigerlich ein Ende haben muß. Schad.
Und zwischen allen Stühlen, Menschen, Dingen: Alix Dudel. Sie singt von Männern und Gespenstern, von Krawattenträgern und der Liebe. Liebevoll begleitet, am Piano Uli Schmid. Die Show hat die Dame fest im Griff, sie bildet gar ihr Publikum Griechisch und Latein. Ein wenig schaut der Gast dann aus wie ein Pennäler, der der Frau Lehrerin nicht folgen mag. Weil eben der Frühling vor der Türe steht, und nicht Bildungsdurst, sondern das große Gefühl am Erwachen ist. Auch Frau Alix Dudel kennt das. Sie wird gar von dieser Jahreszeit entjungfert: Wörtlich auf offener Bühne. Wo sonst? Leider kommt das Ende, weil es kommen muß. Denn alles, aber auch alles fängt irgendwann an und hört irgendwann auf. Leider, wie gesagt.

Es werde Weib
Dr. Frankensteins Enkel bastelt im Krystallpalast am Menschen

Fräulein Meyer hat sich verliebt. In ihren Chef. Aber der hat nur sein Idealbild im Kopf von wegen blond, groß und prachtvoll im Äußeren überall. Und da es solche Frau einfach nicht gibt auf der Welt, muß sie sich Dr. Frankensteins Enkel eben selber herstellen. Logo, klappt nicht auf Anhieb: Und so hüpft als erstes Renfield aus der Retorte. Der ist potthäßlich. Nicht eben schlau. Und findet im Saal seine wirkliche Mutter. Fräulein Meyer singt sich ihren Schmerz von der Seele und faßt Mut.
Wir Publikum müssen uns auf einiges gefaßt machen an diesem Abend im Krystallpalast. Denn dortige Show kitzelt die Nerven. Nicht nur daß schreckliche Experimente mit Menschen passieren, nein, diese Geschöpfe vollbringen Erstaunliches. Zum Beispiel besingt das Double Bata Ilic "Michaela" und fällt darob der Putze in die Hände und macht mit dieser Partnerakrobatik. Holla. Der so genannte Mr. Wilson diaboliert und beweist, daß Gefängnisstangen bezaubernd schwingen können. Verblüffend. Und die reizende Caroline schwingt Reifen um Reifen um Reifen um ihren Körper, ist aber leider nicht Frankensteins Fall. Schade. Dann rennen stets Monster über die Bühne. Gruslich. Und der Herr Doktor bittet gar viele Menschen aus dem Publikum, ihn bei seinen Forschungen zu unterstützen. Diese Opfer aus dem Volk nehmen's gelassen und überraschen sich selbst und alle anderen. Toll.
Während wir uns bei all den Attraktionen gut unterhalten, leidet Fräulein Meyer schrecklich. Aber wie's bei herziger Kunst so ist: Der Doktor erkennt letztlich doch die wahre Schönheit, die von innen strahlt. Und so läßt er zum Schluß die Hosen fallen und macht damit Fräulein Meyer glücklich. Nach dem Happy End löscht Renfield endgültig das Licht. Wir wollen nicht stören und wenden uns voll Lust unseren Traumpartnern zu.

Bürger, rettet den Hund!

"Mein Neger" ist ein großer, schwarzer Hund, und der ist angeleint auf offner Bühne den ganzen langen Abend lang. Das Stück schrieb Arne Sierens und gab Regisseur André Turnheim den Rat: "Du hast kein Drama, kein Stück, eigentlich hast Du nichts außer den Schauspielern, die etwas erzählen wollen." Wollen wollen die Studenten der Schauspielschule vielleicht, aber reinweg nix kommt rüber. Kein Charakter (außer der der Frau am Boden: Nicola Ruf), kein Profil, auch sämtlicher körperlicher Einsatz läuft gegen Dach und Wände. Das ist selbst dem guten Hund zuviel: Er jault und bellt und bellt und jault. Wir Publikum sollten uns von diesem Theaterabend nicht anleinen lassen.
Bürger, rettet den Hund! Menschen vom Theater, nehmt das Stück vom Spielplan und sagt keinem, daß dies die Abschlußarbeit der Studenten Matrikel 2000 sei. Bitte nicht.

Geschlechtersorgen auch zum Frühstück? Ja.

Dem Bruce hat die Psychologin geraten, eine Annonce von wegen Sex aufzugeben. Nun trifft Bruce Prudence und macht alles falsch. Aber eigentlich steigt ja Bruce mit Bob ins Bett und so recht klar ist weder ihm noch der Psychotante, warum er plötzlich Frauen möchte. Egal. Der Bob ist Tunte und zerdeppert erstmal Geschirr, von wegen Prudence. Die schmeißt mit Torte. Und der Elch von der Psychoeule schweigt.
Sicher: Ernstgemeint kann solch Verwicklung im Geschlechterleben nicht sein (die sind eher tragisch). Also eine Komödie, und als kleine bezeichnet sich ja auch das theater fact und spielt uns manchmal sehr heitre Sachen vor. Diese heißt: "Trotz aller Thearapie" und Ev Schreiber hat inszeniert. Katja Schäfer, Sabine Kaminsky und die Stefane Haschke und Senf sind gut drauf und können durchaus Lachen machen. Wenn man noch in Rechnung stellt, wie's mit den Finanzen freier Bühnenkunst von bundes-, freistaats- und kommunaler Hand bestellt ist, ist dies Kunst auch andrerweise. Und als Leckerli zum Sonntagsbrunch kann man diese Therapie auch besuchen. Dann sagt man nur noch: Guten Morgen, guten Appetit.

Bretter wie Beton
Kein Raum für's Pflänzchen Liebe: "Romeo & Julia" im Schauhaus

Kein Vorhang, Bretter vernageln den Blick zur Bühne. Drauf steht "R&J" und wir erwarten: Die große Liebe. Dann beginnt's Spiel. Zweie werfen mit Messern. Einer kommt, den können sie nicht leiden. Das heißt: Krieg. Und die Bühne voll ausgekleidet mit hellem Holz erinnert fatal an Neubausilos en masse. Ganz hinten steht braun ein Teil rum, das sieht aus wie die Schrankwand der 70er selig. Und genau dort im Schrank findet sie dann auch statt, die Nacht der Nächte von "R&J". Aber man weiß, wie's ausgeht. Wirklich nicht gut. Die großen Gefühle, die Liebe an sich hat keine Chance.
"R&J", der Klassiker hat wieder auf die Leipziger Bühne gefunden. Aber man sieht die jungen Lover ja auch immer wieder gern. Die Julia, kaum 14. Der Romeo, der erste männliche Riten durchkämpfen muß. Und vom Ende hat man gehört und gelesen, man hat es auch selber erlebt: Die ersten Lieben sind im Ausgang selten glücklich.
Zweie werfen mit Messern. Einer kommt, den können sie nicht leiden. Das heißt: Krieg. Der herrschende Prinz kann die Sippenkämpfe nicht unterbinden. Man sticht und haut und stirbt. Klar, daß sich feindliche Lager einfach nicht lieben können. Regisseur Enrico Lübbe vertraut dem alten Text der Tragödie und läßt sich die Mimen choreografiert bewegen (die Fechtszenen stehen allen Musketieren gut). Das Bühnenbild des Hugo Gretler holt das Geschehen assoziativreich ins Gegenwärtige, läßt aber Gefühle kaum zu. So bleiben jung Romeo und holde Julia merkwürdig emotionslos. Daß da wirklich was abgeht zwischen den beiden, mag man kaum glauben. Paar-Darsteller Torben Kessler und Julia Berke zeigen Gefühle sehr verhalten. Wie auch der anderen Ausbrüche zurückgenommen oder theatralisch wirken. Können sie's alle nicht besser? Oh doch, die Schauspielerriege mit Dieter Jaßlauk, Marco Albrecht, Ellen Hellwig, Michael Schrodt, Susanne Stein, ... (Reihenfolge ward bedacht) handelt dem Regisseur gemäß. Aber wo denn, wenn nicht anläßlich von "R&J", darf man sein Gefühlsspektrum auf den Bühnenbrettern rauslassen? Wo, wenn nicht hier? Vielleicht aber, läßt unsere Zeit all die Regungen nicht wirklich zu. Wer weint beim Anblick junger Krieger? Wer ist beglückt, wenn sich ein Pärchen auf dem Marktplatz knutscht? Wer geht dazwischen, wenn zwei sich schlagen? Wer zeigt Gefühl und schämt sich nicht? Wer honoriert uns diese Ehrlichkeit? Insofern handeln alle Beteiligten dem Ambiente gemäß. Bretter wie Beton, Absage an die Natürlichkeit. Und so ist es konsequent, daß diese Liebe, dieser Tod einem weniger nah geht. Geht er uns an?
Nachdem die Mär der großen Liebe zu Tode gegangen ist, sind sie wieder da, die Zweie, und werfen Messer. Und werfen Messer.

Tot auf Bestellung
Die Theaterturbine spielt riskant und setzt auf Verbrechen

Wo bitte soll der Mensch ums Leben kommen? Die Frage des Moderators ist ernst gemeint. Auf offner Bühne wird einer sich den Tod geben müssen. Im Weinkeller wird gerufen. Mit Knoblauchbrot wirft ein anderer ein. Dann wendet sich der Moderator zu den Akteuren, und sein Finger trifft Herrn Uwe Sachs. Dieser eine muß nun sterben im Weine voll mit Knoblauchbrot. Herr Sachs schafft's in sein Ende angemessen heiter. Beifall vom Publikum verdient.
Zur Crime-Time ruft die Theaterturbine einmal im Monat. Theaterturbine heißt: Improvisationstheater. Worunter wir verstehen müssen, vor der Vorstellung hat keiner der Spieler 'ne Ahnung, was er on stage dann tun wird. Ist er Opfer, Mörder, Mafiakiller? Alte Tante, schwuler Cop? Verendet er an Lungenembolie, Steckschuß, indianischem Pfeilgift? Ein Herr Moderator hat uns zuvor die Regeln erklärt. Und dann ist alles, was passiert, Idee und Anregung von uns aus dem Zuschauerraum. Klar, ohne Klischees kommt kein Krimi aus. Marlow ermittelt mit Whisky in der Hand. Tode gibt es unwahrscheinlich. Lottogewinne reicht man rüber, und familiärer Zwist macht Katastrophen. Doch Witz beim Ganzen, was die Akteure alles sagen, tun, erfinden sie live. Lange Zeit zum Überdenken der Situation bleibt da nicht. Und wir Hingucker können selbst entscheiden: gefiel's oder so was von vergeigt? Doch ganz gegen den Baum jedoch kann's eigentlich nicht gehen, denn wir Publikum sind mittendrin und überlegen: Wie, was würde ich in diesem Krimi tun? Und was tun die da vorn?
Seit gut einem halber Jahr drehen die Handwerker an der Theaterturbine. 13 sind im Training, denn, verständlich, ohne Training geht Theater, zumal das der Improvisation, mitnichten. Manche der Spieler kennt man her vom Angesicht, standen sie doch bereits auf einigen Bühnen der Stadt: Karin Werner, Raschid D. Sigdi, Thorsten Giese, Franziska Endres, Uwe Sachs, ... andere werden zum Ensemble stoßen. Und dreimal im Monat können wir ihr schnell erfundenes Theater unterm Namen "Crime Time" und "Riskante Spiele" sehen: Im Lofft. Im Kosmos. Doch nicht nur da. Da die Theaterturbine mit solchem Konzept kurz entschlossen reagiert, ist es vorstellbar und Ziel, alle (?) Personen, Produkte, Themen angemessen auf die Bühne zu bringen. Ausgeschlossen wär es nicht, daß die Truppe für einen höchst persönlich ein Theaterstück kreiert. Mit den Verantwortlichen könnte man darüber reden. Aber man kann sich auch erstmal über diese Form der Bühnenkunst anonym www.theaterturbine.de überzeugen. Und in den Kontakt mit ihnen kommen kann man auf diesem Wege auch. Logisch.
Improvisationen: Zum Beispiel "Stop". Ein Mime friert in der Szene ein, ein anderer setzte an seiner Stelle fort. So kann man sich grad noch im Blumenladen befinden, schwupps, spielt man im Daimler-Chrysler weiter. War es grad die Mutti, die einen zur Rede stellte, fällt man, potz-blitz, dem Müllmann um den Hals. Ein nächste Stück ist Pantomime. Darauf kommt's klassisch á la Mozart. Die heil'gen Namen der Kulturgeschichte kein Tabu, es kann durchaus passieren, daß Schiller wie James Bond gegeben wird oder gegeben werden muß. Denn, nicht vergessen, wir Publikum können, dürfen, sollen unsere absurden Vorschläge den Akteuren auf die Bühne rufen. Was draus zu machen ist dann deren Profession.
Natürlich: Bei allem Spaß, harte Arbeit ist das auch. Prospekte entwerfen, drucken. Plakate hängen. Zuseher vom Konzept überzeugen. Für Karin und Thorsten ist's ein Full-Time-Job. Eingespielt sieht man das Team: 4.4. mit'm Krimi im Kosmospolitan. Die riskanten Spielchen erlebt man 19. Märzen im Lofft sowie 5. und 17.4., Kosmos.
Wir haben die "Crime Time" genossen. Wie andere auch. Und wir kommen wieder, denn niemals könnt man das gleiche Stück erleben. Das liegt in der Natur der Sache. An unsrem Abend stiegen vier total Tote aus der Grube und waren nach Vorschlag sehr bizarr verendet. Und dann stellt sich zur Veblüffung raus: Sie waren miteinander arg im Bunde. Hormone spritzten, Brust und Blut. Und mit Zentrifugalkraft wurde geschleudert ... die Lacher waren auf Seiten des Publikums. Auch auf denen der Spieler, denn auf was man so kommt beim Weiterspinnen eines banalen Stoffes, das verblüfft manchmal sogar einen selbst.
Man sieht sich, sagen wir, und wir haben der mörderischen Ideen eine Menge im Gepäck. Wie wär's denn mit Tod durch Zahnstein oder Schweiß? Erstochen mit dem Geigenbogen oder Streichholz? Wie hätten's gern ein bissel like "Seven", "Psycho" oder "Derrick". Ist das drin? Und nun müssen die von der Theaterturbine noch ja-sagen und nicken, und dann müssen sie es uns zeigen. Mörderisch. Einfach.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver