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Zweitweise Theater:
Tobias Schulzes neue Welten
von
Henner
Kotte
Da war's passiert. Er hatte
ihn nicht kommen sehen, den alten Mann. Bremsen konnte er nicht, ausweichen
grad mal, so daß Schlimmstes nicht passierte. Trotzdem stand er später
als Angeklagter vor dem Richter, und der verurteilte ihn wegen zu schnellen
Fahrens.
Ein halbes Jahr Sozialarbeit,
und ausgerechnet beim Unfallopfer, dem alten Mann. Der ist 86, Witwer,
starrsinnig, verwahrlost und Jude. Ross Gardiner kommt jedoch vorbildlich
und gewissenhaft jede Woche Donnerstag zu seinem "Besuch bei Mr. Green".
Sozialarbeit ist dies auch, aber der junge und der alte Mann offenbaren
einander ihre Lebenslügen. Und fassen neuen Mut miteinander und jeder
für sich.
Tobias Schulze gibt im Stück
von Jeff Baron den jungen Ross Gardiner. Der alte Mr. Green ist Günter
Grabbert, und den kennt Publikum seit Jahren, Jahrzehnten. Seit 1957 zeigte
Grabbert seine Kunst am Leipziger Schauspiel, auch in Halle war er Gast.
Letztens als "Nathan der Weise" neu inszeniert zu Bad Lauchstädt.
Grabbert gehörte zu den "Drei von der K", wirkte mit in "Zahn um Zahn",
war eines der Gesichter des Fernsehns in der DDR. Als jener verbitterte,
einsame Mr. Green ist er im Zweipersonenstück der Partner Tobias Schulzes.
Und der ist keine Dreißig, im allerersten Engagement, und jene Inszenierung
ist Herausforderung. Sicher beeindruckt Tobias Schulze die Darstellungskunst
und -art des Mimen Grabbert, aber "in meinem Alter hatte auch er nicht
mehr Erfahrung". Und so ist es ein bißchen wie im Stück: Generationen
gehen aufeinander zu, gezwungenermaßen, später freiwillig. Angst
vor großem Namen hat er nicht, Tobias Schulze, klar aber, Lampenfieber
gibt's vor jeder Premiere.
Seit dem Frühjahr 2000
zeigt Tobias Kunst am nt, doch eigentlich Schauspieler wollte er gar nicht
werden. Sicher ist Tobias zu Schulzeiten aufgetreten, war Gründungsmitglied
einer eignen Truppe, tat spielen, schreiben, Bühnenbilder bauen. Sein
weiterer Weg allerdings führte ihn ins Studium der Philosophie. Dorten
jedoch schreckten Tobias Kommilitonen vom fünfzigsten Semester an
aufwärts und andre Langweiler. Fachrichtungswechsel zur Psychologie,
zur Soziologie, zu PR und andrer Werbung. Fest stand für Tobias danach
eins: Das nicht! Und so hat er sich beworben an der Schauspielschule in
Berlin, sein Talent überzeugte (auch die Eltern). Und es überzeugte
die Verantwortlichen vom nt. Tobias wurde engagiert. Gesehen haben wir
ihn in "Platonow", "Kopenhagen" oder der "Minna von Barnhelm".
Als Tobias hier am Hause vorsprach,
war Halle im Regen und reizte nicht zum Optimismus. Warum seine Wahl trotzdem
auf diese Stadt fiel? "Sicher hätte es andre Möglichkeiten gegeben,
aber Halle ist spannend." Halle hat bühnenmäßig einen guten
Ruf, ist ostdeutsche Großstadt mit Arbeitslosigkeit, Neubaugebieten
und Universität. Und Tobias kam nicht allein in die Stadt und ans
Theater. Sie sind zu zweit: Freundin Mila Bruk erhielt auch am Hause die
Chance und einen Vertrag. Kennengelernt hatten sich beide während
des Studiums, wo sie festgestellt haben, daß es bei ihnen nicht nur
auf der Bühne funkt und funktioniert. Sie kommt aus Bautzen, Tobias
wurde 1973 in München geboren. Und hatten die Eltern Schulze bereits
bei der Berufswahl des Sohnes Bedenken, so hatten sie solche auch beim
östlichen Wohnort. Aber Eltern machen sich Gedanken, da kann man nicht
dagegen an ...
Auch Mr. Green hat eine Tochter.
Die hat Mr. Green des Hauses verwiesen, sie verstieß gegen orthodoxe
Regeln. Auch Ross hat Schwierigkeiten mit der Familie, wie können
die Verwandten akzeptieren, daß er nicht anders kann und eben anders
ist. Auch Mr. Green bezeichnet Ross als "Fejgele". Aber Ross Gardiner lernt,
offen mit seinem Schwulsein umzugehen. Und wenn Mr. Green es auch nicht
akzeptieren mag, er ist beeindruckt vom jungen Mann, der zu sich steht.
Und wenn sein Starrsinn nicht wäre, vielleicht hätte Mr. Green
noch Familie. Ross hat verstanden.
Es sind die Geschichten zwischen
Menschen, die Tobias Schulze interessieren. Und der "Besuch bei Mr. Green"
ist solch ein kunstvolles Stück Leben. Des Abends auf der Bühne
zu stehen, ist jeden Abend das Betreten einer neuen Welt. Dieser Beruf
ist tägliche Herausforderung, sagt der Schauspieler. Auch unsereinen
fordert jeder Tag heraus. Nur andres: Tobias Schulze muß seine Herausforderungen
öffentlich bestehen. Dabei sehen wir ihm gerne zu. Toi. Toi. Toi.
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