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Unsre Monster leben noch:
Das Chemnitzer Schauspiel wagt und be'Geister't
von Henner Kotte

Logisch hocken die Gestalten schon vorm Eingang rum - und ich meine nicht die Kräfte, die frühe Zuschauer vor Einlaßbeginn barsch und entschieden in der Kälte stehen lassen - nein, da dümpelt ein Großkopf auf und ab. Eine introvertierte Dame plant wahrscheinlich ihren Suizid. Ein Mädel streichelt alle Buben. Dann ist man jenseits der Theaterhaustür, und harrt den geisterlichen Erscheinungen am Stück. Den Abend und ein Gutteil der Nacht flattern in den Räumen Fledermäuse, rollen Köpfe, und man bekommt allerlei grusliges Zeug an- und dargeboten. Das Schauhaus hob ein Spektakel aus dem Nebel, und bei allem Grauen ist das Experiment erfolgreich.
Noch vor Beginn hat man sich entschieden, welche Gänsehaut zu einem paßt, Stücker vier sind wählbar. "Das Geheimnis der Irma Vep" (Regie: Matthias Thieme) ist ein Eingroschengrusel mit vielen Personen und zwei Schauspielern. Sicher man hätt es noch mehr durchziehen können, aber Daumen hoch. Bei "Herrn Kolpert" (Regie: Nora Somaini) gibt's Futter und den Pizzamann. Die Darsteller wühlen mit Genuß in den Zutaten, wir fühlen uns gut unterhalten. Zum "Hexenritt" (Regie: Wolfgang Hagemann) tauchen die Seemänner aus "The Fog" wieder auf. Das hat was. Nur "Frankensteins Monster" (Regie: Carlos Manuel) hat leider nix. Vielleicht wäre Grusel mit Inhalt möglich, aber alles, aber auch alles fällt der Sterilität zum Opfer. Nun guddi. Vorher gab's die "Walpurgisnacht" aus ungewöhnlicher Perspektive in netten Kostümen. Und der anschließende Rundgang durch die Katakomben entbehrte nicht dem Schrecken, wie er uns erwischen sollte.
Attraktion des ganzen Abends war jedoch Herr "Dracula!" persönlich. Der ist Rockstar und saugt alle Talentierten aus bis auf's Blut. Logo, auch den Jonathan. Dabei wollte der nur weg aus der Provinz (da könnten wir an Chemnitz denken). Doch in der großen Stadt hausen genau die Gestalten, vor denen uns Mutti immer gewarnt hat. Aber eben dort hat das Leben Sinn und macht es Spaß. Auch Jonathan wird davon überzeugt. Das schwarze Musical vierer Herren ist in vielem dem Zeitgeist so verpflichtet, daß man meint, man hätte es bereits gesehen. Aber Matthias Brenner hat es mit Elan auf die Bühne gebracht, und kann einem gut aufgelegtem Ensemble vertrauen, voran Tobias D. Weber, Judith Raab und Nils Brück. Allein Frank Höhnerbach als ältrer Professor van Helsing steht öfter mal neben dem rasanten Geschehen. Und wenn der Vorhang unten ist, hat man noch immer die lieblichen Melodeien im Ohr.
Zwischen den Geistern auf sämtlichenen Bühnen, begegnen wir anderen Geistern auf Schritt und Tritt. Ein düstrer DJ gibt passende Töne dazu (der Kenner weiß solch Musik zu schätzen). Und mit Liebe zum Detail sind Gänge, Wände und Tresen geschmückt. Ein Abend lang die beste Unterhaltung. Experiment geglückt. Manchesmal hätte man sich der Provokationen mehr gewünscht. Aber auch für die Kultur-Schocker am Schauhaus gilt Learning bei Doing. Wir sind auf's nächste Spektakel sehr gespannt und harren ihm mit heißen Herzen.



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