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Qualität der Qual:
Im nt sagt "Das Kind" zur
Welt vorher schon Nein
von
Henner
Kotte
Die Szenerie ist fabrikmäßig
grün und ganz leer. Von fern her hallt ein Piano und läßt
Robert Schumanns "Kinderszenen" hören. Lieblich. Der Fredrik wartet
an der Haltestelle, und die Agnes wartet auch. Es regnet. Ein Mann ohne
Obdach bittet um Flaschen. Der Bus fährt noch immer nicht vor und
erleichtert beiden das Gespräch. Später suchen Fredrik und Agnes
Zuflucht in der Kirche nahebei. Ihre Liebe hat begonnen.
Das Bühnenbild (Jürgen
Müller) bleibt den Abend spartanisch. Der Beutel für's Bier.
Das Krankenbett für die Risikoschwangerschaft. Bloß Muttern
bringt alle Notwendigkeiten: Blumen und eine Zitrone, Weißbrot und
Belag. Aber Vasen bietet der junge Haushalt noch nicht. Flaschen tun's
auch. Nach dieser Szene räumen weibliche Balljungen wie beim Tennis
all das Zeug wieder fort. Das Spiel des Lebens geht auf leerer Bühne
weiter. Nein, sie haben nichts gegeneinander, die Agnes und der Fredrik,
sie mögen sich wirklich. Nachwuchs kündigt sich an und paßt
in ihre Planung. Die Familie zieht um in ein Haus am Meer, fehlen tut dem
Glück eigentlich nix. Aber so richtig glücklich sind weder Fredrik
noch Agnes. Ihre Gefühle können sie nicht sagen und reden und
reden aneinander vorbei unablässig. Dann geht die Schwangerschaft
ab. Ärzte versuchen, das Kind ins Leben zu bringen. Vergeblich, das
Kind sagt zur Welt nein entgegen aller Hoffnung und Wünsche der Eltern.
Fredrik und Agnes gehen allein gemeinsam in die Zukunft, erkennen werden
sie einander doch nie.
Das Stück von Jon Fosse
ist kein Spektakel. Kein Schreien. Keine Gewalt und keine Menschenhatz.
Die Charaktere zerfleischen sich nicht. Sind sie wie Du und ich?
"Fosse stellt Personen auf
die Bühne, meist namenlos, eingeschlossen in ihrem kleinen Universum,
gefangen, abgestumpft und verletzt. Voll Sehnsucht und Schmerz aber ohne
Macht, Ehrgeiz und eigenen Willen. Fosses Personen sind Chiffren für
die Identitätslosigkeit einer sprachlosen Gesellschaft." Fosses Personen
sind als emotionale Krüppel verloren. Logisch: Unbedingt sehen wollen
wir Fun-Generation unser Elend nicht. Und auch deshalb werden solch existentielle
Dramen wenn überhaupt im Spätprogramm gezeigt. Das nt bringt
sie zur besten Sendezeit. Das Wagnis lohnt.
Allerdings macht's Regisseur
Thomas Neumann dem Publikum nicht leicht. Schier endlose Pausen. Stete
Wiederholung gesagter Nichtigkeiten. Wenn gesprochen werden müßte,
wird geschwiegen. Diese Inszenierung geht an Substanz und Nerven. Und sie
hat sehr eignen Stil. Neben uns Publikum müssen sich die Darsteller
den Abend lang quälen, Schweigen und Blicke halten, auf Emotionen
verzichten. Alle tun dies mit Bravour. Die Mutter Barbara Zinn zeigt den
Enthusiasmus aller Mütter und versteht nichts. Der Penner Rayk Gaida
schweigt beredt und wirkt als Katalysator gnadenlos. Schwester Daniela
Voß plappert Verständnis und schafft es, für Sekunden hinter
Fredriks Maske zu blicken. Aber wirklich interessieren tut sie im Gesundheitswesen
der Mensch nicht. Alexandra Elisabeth Kuziel ist Agnes und selbst im Lachen
eingefroren. Till Schmidt kann endlich einmal alles zeigen und beeindruckt
ob der Differenziertheit seiner äußren Gefühllosigkeit.
Der Zuschauer erschrickt ob solcher Leistung des Ensembles. Manche halten
diese Vorstellung nicht aus. Dieses Weggehen und Wegsehen-Wollen ist klare
Aussage und zeugt von angreifender Kunst. Das spricht für die Inszenierung
- ein stilles Highlight im geschäftigen Leben. Für Minuten wird
einen angst und bang im ganz Privaten. Das ist schwer auszuhalten, aber
notwendig. Wer sich auf diese Sprachlosigkeit einläßt, sollte
drüber reden. Tut's!
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