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Neues aus der Theaterwelt (28.07.2002)
von Henner Kotte

Die Nacht singt ihre Lieder, Magic Hoffmann, Shockheaded Peter, Die schuldlos Schuldbewußten, Kindertransport, Nicht ohne meinen Partner, Zerissen, Ein Sommernachtstraum

Die Welt in vier Wänden
"Die Nacht singt ihre Lieder" in Dresden und in Leipzig

Durch Zufall ist er zum Dramatiker geworden. Ein Regisseur traute Jon Fosse diese Kunst zu. „Ich habe mich zum ersten Mal hingesetzt und versucht, ein Theaterstück zu schreiben; bevor ich mich hinsetzte, entschied ich, ein Stück mit nur wenigen Figuren, in der Einheit von Ort und Zeit zu schreiben, und daß die Zuschauer während etwa einer Stunde einen intensiven Moment erleben und damit in gewisser Weise ihren Blick auf das Leben verändern würden.“
Jon Fosse ist dabei geblieben. Heute zählt er zu den meistgespielten Autoren. Auch auf deutschen Bühnen. Fosses Stücke sind mitnichten spektakulär. Sie sind minimalistisch. Das wichtigste Wort in ihnen ist Pause. Die Konflikte scheinen so alltäglich, daß sie im eigentlichen Sinne undramatisch sind. Seine Helden tragen keine Namen. „Fosses Stücke sind allgemeingültig und zeitlos ... Ihre Universalität beruht darauf, daß sie den Zuschauer mit für ihn bekannten Situationen konfrontiert. Er übersteigert sie zwar, trotzdem ist die Unfähigkeit, miteinander zu reden, die Vorführung einer sprachlosen Gesellschaft etwas, von dem wir uns nicht distanzieren können.“ Ein junger Mann ist arbeitslos und schreibt und schreibt und findet keinen Verlag. Mit seiner Freundin wohnt er in der Stadt. Ihr Kind ist gerade geboren und bringt den geplanten Tagesablauf schon mal durcheinander. Die Eltern des Vaters besuchen ihren Enkel, verstehen nichts und gehen wieder. Die junge Mutter geht mit der Freundin mal aus. Weil ja der Freund die vier Wände überhaupt nicht verläßt, nur immer dasitzt und liest und schreibt vielleicht. Sie muß unter Leute. Er akzeptiert. Und dann kommt sie wieder und hat einen Lover. Mit dem möchte sie jetzt ihr Leben ändern. Und sie beginnt. Derweil geht der junge Mann in die Küche und schießt sich den Kopf weg. „Die Nacht singt ihre Lieder“ nennt der Autor diesen Unterhaltungsabend. Das Publikum ist fasziniert und rettet sich nach dem Ausgang zu Wein, Bier und Gespräch. Theater zeigt Wirkung. In Leipzig vertraut Aureliusz Smigiel Jon Fosse und dem Text und seinen Schauspielern ganz. Der junge Mann Torben Kessler leidet selbst an seiner Introvertiertheit, er setzt zum Ausbruch wohl an, aber die Kräfte versagen. Sandra Hüllers junge Frau pendelt erstaunlich differenziert zwischen Anpassung, Aufgabe und neuen Horizonten. Der Regisseur verzichtet auf alles Spektakuläre, sucht die Nuancen des Textes und findet sie. Quälend lang wird der Abend für alle Beteiligten. Aber nicht wirklich: Das Kammerspiel erinnert an skandinavische Traditionen in Dramatik, Film- und Schauspielkunst. Ein leiser Abend, der im Gedächtnis haftet wie der Schnitt in den Daumen beim Zwiebelschneiden. In Dresden eröffnet Barbara-David Brüesch die nächste Ebene und übertreibt. Die Sätze dieses alltäglichen Zusammenlebens werden in andrer Bedeutung gesprochen und erhalten kabarettistische Wirkung. Die wirkliche Qual der Protagonisten aneinander verschwindet. Sicherlich verführt die Kargheit des Textes zum kräftigeren Ausdruck und der Verfremdung. Der junge Mann Sebastian Weberstein stolziert und überbetont und schneidet Grimassen. Nicht nach steht ihm Marianna Linden und humpelt halb im Schuh und halb ohne. Die Inszenierung als Komödie in sich mag stimmen (und stimmt auch), mir allerdings scheint sie die Atmosphäre des Stückes nicht zu treffen: Ich wurde nicht vom Text gequält, sondern von der Inszenierung. Sicher kann man Jon Fosses Texte eigen interpretieren. Aber diese Stücke verzeihen nicht, wenn man ihren Figuren mißtraut. Denn diese Helden sind wie du und wie ich und wie er oder sie. Diese Menschen kämpfen um Anerkennung und Zusammenleben, um ihre Gefühle, ihre Träume und ihren Teil von der Welt, dieser großen und bunten. Sie haben’s nicht leicht, ihren Platz da zu finden. Und manche finden ihn nicht. Aber sie/wir brauchen einander. „Alle meine Figuren haben diese kindliche Angst des Verlassenwerdens. Das ist das Bild: ein kleines Baby ganz allein in der Welt. Ohne Sprache. Einfach hineingezwungen“, sagt Jon Fosse. Ich Figur hab dem nichts hinzuzufügen.

Ein Hauch von Magie

Hoffmann heißt Magic, weil er virtuos die Technik des Tischfußballes beherrscht. Und im Knast erst hat der Mann seine Kunst in höchste Höhen geschraubt. Dort saß Hoffi ein nach einem Banküberfall. Nun ist er wieder draußen und möcht mit den alten Freunden die Weite Kanadas erobern. Dort in der Ferne liegt Hoffmanns Traum. Aber die Kumpels tun nimmer mit. Sie haben sich eingerichtet im neuen Deutschland. Und Hoffmann kapiert diese Welt nicht mehr, weg ist die Mauer, Ossis und bizarre Karrieren aller Orten. "Magic Hoffmann" benannte Jakob Arjouni diese Odyssee des tragischen Helden. Und Freie Komödianten und Theater taten draus ein Stück sich bauen, Regie: Rainer Frank. Ansichtig werden wir dem Geschehen in der Schaubühne Lindenfels in Leipzig und in der Theatrale zu Halle. Andreas Sigrist mimt Herrn Hoffmann schon authentisch mit aller bröckelnden Sehnsucht am Leib. Auch der Inszenierung fehlt es nicht an Verve und schrägen Einfällen. Allein der Eindruck bleibt bestehen, daß es eben doch weniger Theater ist, denn bebilderter Roman. Aber der Stoff, aus dem die Träume sind, lohnt Diskussionen allemal.

Böses Kind muß tot
Die Chefin der Bagage macht uns außer Horror Spaß

Zu einer schauerlichen Mär bittet die Bagage ihre Gäste ins Zelt: Der hehre Akademiker Dr. Faust verkauft seine Seele dem Beelzebub, um absolute Weisheit zu erlangen. Da fließt nicht nur Wein aus Leipziger Tischen, da werden hölzerne Maiden und Burschen geschmeidig.
Denn Regisseur Andrej Pachinger läßt alle Fantasie walten, und wir haben Spaß an der Weltliteratur und der zig-mal gehörten Geschichte. Bravo. Aber nicht nur mit diesem höllischen Spiel will uns die Bagage locken. Seit dem 13. Juni sterben auf offner Bühne die Kinder. Dabei streben Herr und Frau Hoffmann doch nur nach einer idealen Familie, und für die wollen sie bloß das Beste. Und trotzdem und immer wieder geraten die Gören auf die schiefe Bahn und enden im Tode. Schrecklich. Die Tochter kokelt und verbrennt. Die hinterbliebenen Alten streiten um ihre schönen roten Schuhe. Sohni lutscht Daumen. Um dieses endgültig zu unterbinden, werden die Daumen  an die Wand drangenagelt. Ein Schneider hat Mitleid und amputiert die Fingerglieder ganz. Das Kind verblutet. Und der Grausamkeiten damit kein Ende. Die Geschichten erscheinen uns nicht nur, sie sind uns bekannt. Dr. Heinrich Hoffmann erzog mit Schrecken seine Kinder und schuf mit dem "Struwwelpeter" ein Standardwerk der Literatur und Erziehung. Selbst neuste Lern- und Lehrmethoden kommen an den Lebensläufen von Paulinchen, Suppenkasper und Zappelphilipp nicht vorbei. Und manche meinen noch heutigen Tags: Recht geschehen, gutes Ende. Deshalb nimmt es nicht Wunder, daß die gemeinen Tode der Jüngsten wieder und wieder die Bühnen erobern. "Shockheaded Peter" sieht man in Dresden (weniger gut) und balde in Leipzig (wir sind gespannt). Vorher aber macht er Laune auf dem Dache der mb. Marion Firlus hat den Kinderalptraum inszeniert. Johannes Moritz erdachte sich dazu Musik.  Und es handeln die Barden des Theaters der Jungen Welt. Nach proppevollem Premieren-Plan ist dies vorerst die letzte Meldung der amtierenden Intendantin. Ein neuer Chef der Bagage ist gefunden, er tritt den Posten zu Beginn der neuen Spielzeit an. Wir hoffen. Damit ist Marion Firlus entlastet. Mit Geschick hat sie Klippen und Unwägbarkeiten letzter Monate mit dem Ensemble umschifft. Nun widmet sie sich wieder ihren vertraglichen Aufgaben. Dabei kam Marion Firlus per Zufall in den Chefsessel und zum (sogenannten) Kinder- und Jugendtheater. Marion Firlus gehörte zu den ersten Absolventen der Germanistik an hiesiger Universität. Sie lehrte und forschte und kam zu Kaysers Zeiten ans Leipziger Schauspiel. Irgendwann hat sich dort die Dramaturgin vermault und wurde ans Theater der Jungen Welt strafversetzt. Noch immer harrt sie an diesem Hause aus mit Spaß und Engagement und der Freud. Denn eröffneten sich nach dem engen Rahmen einer Generalintendanz dem Jugendtheater neue Möglichkeiten. Nicht mehr auf 14 ist das zuschauende Alter begrenzt. Man wollte am Theater mehr und zeigte Stücke, die Publikum ohne Altersbegrenzungen zogen. Und Marion Firlus bekam an diesem Hause die Chance, selbst Regie zu führen. Im Nachhinein war die Stafversetzung keine Strafe. Wir sahen ihrer Hand: "Romeo und Julia", "Clockwork Orange" und "Antigone". Wir werden sehen: "Misery" (genau: den Schocker vom King). Wir sehen: "Struwwelpeter". Logisch hat sich Marion Firlus samt Team bei der Geschichte was einfallen lassen. Zum Beispiel belehrt uns stets ein Jurist, wie es sich denn verhält laut deutschem Recht und Gesetz. Wer bekommt wie die übriggebliebenen Schuhe des verbrannten Kindes? Vater? Mutter? Jeder Elternteil die Hälfte? Bei all den bewegenden Fragen kann solch Anwalt ganz schön nerven. Aber warum sonst gingen wir in den "Struwwelpeter", wenn wir uns nicht belehren lassen müßten und wollten. Also.

Lustig anno dunnemals

Der Lehrer möcht in Ehe machen und bräucht für‘s Festmahl einen Braten. Also schießt er los in den fürstlichen Wäldern und wird prompt erwischt. Nun möcht er Abbitte leisten, und die tut für ihn ein Student, der eine Baronin wohl ist. Denn diese wollt inkognito den ihr zugedachten Mann testen. Logo, es kömmt zu Verwicklungen und Mißverständnissen größeren Ausmaßes. Aber schlußendlich renkt sich alles wieder mustergültig ein, und "Die schuldlos Schuldbewußten" tun‘s mit Etikette weiter. Tja, diese Mär war vor gut 200 Jahren lustig und barg manch Seitenhieb auf die Gesellschaft. Gar Meister Goethe hatte gegen solche Stücke keine Chance. Daß diese Geschichte vom "Wildschütz" auf uns gekommen ist, verdanken wir Albert Lortzing. Denn dieser Komponiste machte draus eine Komische Oper. Nun hatte das Opernhaus vergangnes Jahr zu Lortzings Jubiläum Lortzing nicht im Spielplan und holt den Vergessenen erst jetzt wieder auf seine Bühne. Und ein bissel fragt man sich: Warum? Die absurde Geschichte von Dorflehrer, spinnerter Gräfin und liebestollen Baron wurde von Kornelia Repschläger so inszeniert, daß sie gut und gern auch 1850 gepaßt hätt. Irgendwann muß ihr die Langeweile aufgefallen sein, denn plötzlich erobert die Landbevölkerung den gräflichen Balkon und entrollt "Krieg den Palästen". Es wirkt grad so, als stürmte die Anti-Bush-Bewegung durch die Idylle einer Rosamunde Pilcher. Das ältre Publikum reibt sich verwundert die Augen, das junge schließt sie. Ansonsten birgt der Abend, was Opernabende gemeinhin versprechen: Eine Reise in Vergangenheit und vergangne Kultur. Etwas gegenwärtiger sollten solch Werke schon angegangen werden, Museen zur Bewahrung haben wir bereits. Die Oper Leipzig hatte sich mit ihren modernen Ansichten doch einen Namen gemacht. Sollt der so sang- und klanglos untergehen?

Das Risiko der Disziplin
Harald Fuhrmann zeigt das Leben nach dem Überleben

Umstände sind kaum vorstellbar, daß eine Mutter ihr Kind einer anderen Frau überläßt. Daß diese Mutter nach Jahren die Elternrolle wieder wahrnehmen möchte, scheint der pure Widersinn. Aber es sind tausende Kinder, die in die Obhut andrer gerieten, während die Eltern ihrem vernichtenden Schicksal nicht ausweichen konnten.
Auch diese Kinder sind Opfer faschistischer Judenverfolgung. Die Nachkommen sind traumatisiert, sie fühle(t)en sich schuldig, sie schweigen. Und diese Kinder haben Kinder. Auch diese noch leiden ein halbes Jahrhundert später. Die Disziplin der Alten ließ sie niemals über Vergangenheit sprechen. Diane Samuels hat solch Biografien recherchiert. Dokumentationen sind entstanden und das Theaterstück vom "Kindertransport". Ab dem 20. September zeigt das nt die Familiengeschichte dreier Generationen.
"Mich interessieren die menschlichen Konflikte", sagt Regisseur Harald Fuhrmann. "Das Stück ist kein dokumentarischer Brocken. Es ist sehr genau und nachvollziehbar." Und so ist ihm die Arbeit an Details besonders wichtig. Und das sind mitnichten nur die Requisiten jener Zeit. Es sind die sehr persönlichen Geschichten, die den Schauspielern viel abverlangen. Auch Privates. Denn das Sprechen nur runter vom Blatt ist bei diesem Text  nicht möglich, würde uns Zuschauer kaum berühren. Aber diese Schwierigkeiten sind das, was den jungen Regisseur an diesem Beruf begeistert: Harald Fuhrmann will seine Liebe zum Theater weitergeben und begeistern. Er fordert Schauspieler in ganzer Person. Das heißt: Risiko und Disziplin.
Nein, solch Berufswunsch und -weg hatte Harald Fuhrmann lang nicht im Sinn. 1969 in Berlin geboren, befleißigte er sich schulisch bis zur Hochschulreife und nahm die Ausbildung zum Industriemechaniker auf, spielte während dem Off Theater, bewarb sich an der Schauspielschule, Hamburg. Bereits während des Studiums zeigte Harald Fuhrmann Kunst auf den Bühnen des Thalia oder städtischer Kammerspiele. Dann Lübeck. Rollen in Gegenwart und Klassik, darunter die Highlights der verwandlungsprallen Komödie "Frank & Stein" und "Das Geheimnis der Irma Vepp". Und in der Hansestadt war Harald Chef des Theaterjugendclubs. Was weniger Chef denn Initiator, Regisseur und Freund bedeutete. Mit den Leuten vom Club entstanden erste Arbeiten in Leitung und Regie. Mehrere der Eleven, die heute selbst die Kunst studieren. Disziplin und Risiko und erstaunliche Arbeitsresultate.
1998 entschloß sich Harald Fuhrmann, weiter zu studieren: Regiediplom an der Hochschule in Berlin "Ernst Busch". Die Inszenierung zum Abschluß war der Western schlechthin: "Der Zug kommt um zwölf". Name und Legende Peter Zadek sah und bat Harald auf den Stuhl des Assistenten neben sich. Und als türkischer Sklave ist Harald Fuhrmann in Zadeks Inszenierung an der Wiener Burg zu sehen. Einengen lassen möcht Harald sich nicht. Er kann jonglieren, fechten, singen, steppen. Er ist Gaukler, Mime, Akrobat und mit dieser Kunst zu sehen oft auf Mittelalterfesten. Jetzt in Halle, Regie.
Der "Kindertransport" ist Geschichte. Endlösung der Judenfrage, Drittes Reich und Folgen sind Themen. Wir wissen um die kaum vorstellbaren Unmenschlichkeiten. Wir hören von ihnen (fast) zuviel. "Kindertransport" hat neben den den historischen Fakten weitre Dimensionen. Es ist ein Stück über Kinder und Eltern. Über Wahrheit, Lüge und Verschweigen. Es ist ein Stück vom Miteinander-Leben und Miteinander-Leben-Müssen. Und es beweist, daß Eltern zu Kindern und Kinder zu Eltern nein sagen können. Und manchmal müssen. Mit allen Konsequenzen. Was uns betrifft. Das zu zeigen, ist Kunst eines Regisseurs. Die Kunst Harald Fuhrmanns mit allem Risiko und Disziplin.

Tröndle/Callenbach tot?!

Nein! Mitnichten. Sie leben fröhlich unter uns, aber sie spielen ihre tragische Variante mal durch (die dann so tragisch nicht ist). Die beiden können eben voneinander nicht lassen und meinen den ganzen Juli und August (jeweils dienstags bis sonnabends): "Nicht ohne meinen Partner". Uns sind sie ja irgendwie als stete Einheit im Gedächtnis. Jetzt geben sie sommertheaters sozusagen ihr Solo zu zweit und beweisen kabarettistisches Können, gesangliche Qualitäten und Humor. Wir erleben die beiden bieder und frivol, lüstern und blind, mit Brille und als Supergirl, im Fieber und beim Psychologen ... der bizarren Situationen werden viele geboten. Besonders praktisch scheint der Kopf aus Pappmaché zum Üben des leidenschaftlichen Kusses. Der wird dem Paar bei abhandengekommner Leidenschaft in der Sexualberatungsstelle dargereicht, und dabei könnt man den lebenden Partner glattweg was ganz andres antun ... nun ja, dies Programm ist keineswegs das Absingen von Nummern in Reihenfolge. Es ist ein kurzweiliger Trip durch die Tiefen und Oberflächlichkeiten partnerschaftlichen Zusammenlebens. Da sind die Sachsendiva Kathrin Troendle und Bert Callenbach im Element. Wie auch Helge Nitzschke am Piano. Doch diesmal geht dieser Musikus aus sich heraus und rezitiert und rezitiert, was keinen interessiert ... und wir Damen und Herren Besucher sollten gewappnet sein, auch uns stellt der Psychologe Fragen, die in zweiter Hinsicht Rückschlüsse auf unser Intimleben zuließen. Wer diese Details dem Herrn der Wissenschaft nicht geben möcht, kann sie Frau Troendle oder Herrn Callenbach rsp. Maus'l, Elfi Briest, Beach-Boy und der anderen Personen mehr ins Ohr flüstern. Denn so der Abend der Unterhaltung beendet, besteht die Möglichkeit, mit den Künstlern hautnah in der Bar zu plaudern. Und es ist gestattet, den Pianisten zu berühren! Na dann, Sommertheater im Fürstenhof lohnt. Auch rein menschlich.

Wie wirklich ist Liebe?
Carsten Wilhelm läßt Hören und Sehen

Er überredet sie, es doch mal mit ihm zu versuchen in Sachen Liebe. Aber nicht wirklich. Denn er braucht diese Beziehung als  Grundlage seiner Inspiration für ein Hörspiel. Er möchte für seine Gefühle cash vom Sender und bittet sie Frau, es mit ihm zu tun. 40 Prozent vom Erlös wäre sein Angebot. Er müht sich echt, und fast könnte man glauben, er meine es ernst mit der Liebe und ihr. Auch sie steht dazwischen, was ist Spiel, was Wahrheit, was Gefühl, was überhaupt ist echt?
"Das Hörspiel "Zerissen" könnte auch Etappen einer Liebesgeschichte heißen ... Es ist kein bloßes naturalistisches oder surrealistisches Stück. Es bewegt sich an der Grenze, wo die vertraute Welt auf einmal umkippen kann in verwirrende, beängstigende oder berührende Bilder. Seine Hoffnung besteht darin, Vertrauen zu fassen zu den eigenen Gefühlen, sie herauszuholen aus dem Inneren und auf den Tisch zu legen, egal ob sie häßlich oder schön sind, egal ob inszeniert oder echt", sagt Johan Heß, Autor. Sandra Hüller ist sie. Er wird von Carsten Wilhelm gesprochen. Dieser hat auch das Stück für uns hörbar gemacht. Gehört bereits im kleinen Kreise. Der mdr macht's am 29. Oktober öffentlich.
Sicher: ein Experiment und ein Wagnis. Sicher hätte es ohne Enthusiasmus und Unterstützung nicht funktioniert. Sicher sind alle Beteiligten auf Werk und geleistete Arbeit stolz. Und ehrlich, ein Bißchen Idealismus ist bei aller Kunst ja dabei. Die technischen Voraussetzungen der Produktion stellte die Ilmenauer Carpe|group. Ein Unternehmen, das sich jung dem Geschäft in multi Media widmet. Carsten kennt die Verantwortlichen, manche aus Schulzeit, andre von gemeinsamen Musikprojekten. Subway. Und nun arbeitet man zusammen in weitrer Art und Weise. Und Hörspiel, sagt Carsten, ist ein Medium, das mich sehr interessiert, stellt es doch andere Anforderungen als Bühnenkunst an sich. Und überhaupt ... Theater? 1977 ist Carsten in Suhl geboren. Und Theater lag nicht unbedingt auf seinem Lebensweg drauf. Ohne eigentliche Planung hat sich Carsten im Theaterhaus Jena vorgestellt und mitgemacht als Assistent der Dramaturgie und auch sonst vom Bühnenfegen bis Soufflieren. Erfahrungen hat er gesammelt bei Regisseuren wie Roland Brus und Christina Emig-König. Und das Theaterhaus gilt nicht nur als, es ist eine der innovativsten Spielstätten mitteldeutschen Theaters. Seit 1998 studiert Carsten an Leipzigs Universität die Wissenschaft vom Theater, der Medien und der Kommunikation. Und er arbeitet mit bei der theater/baustelle. Wir sahen ihn mitwirkend u.a. in "Der Zuchtmeister" oder "Liebesgeschichten".
Auch demnächst ist Carsten Wilhelm zu sehen. Am 9. August hat "Der Streit" Premiere. Ein gutes Stück von Liebe und Verwechslung, Streit und Versöhnung und allem, was dazu gehört zu einem sommerlichen Theater. Die "Substanz" am Täubchenweg stellt ihren Garten zur Verfügung. Aber an diesem Spektakel ist noch mehr dran rsp. drin. Denn des Abends wird zweimal gestritten. Was nix anderes heißt, als daß zwei Bühnen dasselbe Stück hintereinander zur Aufführung bringen. Das hat seinen Grund. Denn nachdem wir alles gesehen haben, stimmen wir Publikum ab mit Daumen hoch und Daumen runter. Und welche der beiden veranstaltenden Truppen weniger an Stimmen erhält, die hat's versaut und muß die Konsequenzen tragen: Schluß mit lustig. Aus der Traum vom Theater. Diesmal im Endkampf: theater/baustelle vs. transit e.V. Regie einmal Johan Heß, das andremal Mario Keipert. Ausstattung zweimal Jeanine Simon.
Solches Working bei out ist natürlich ein drastisch-offensives Mittel, auf die Misere Leipzigs freier Kunstproduktion hinzuweisen. Die Idee ist folgerichtig und makaber: Wenn die finanzielle Unterstützung stets weiter gekürzt wird, und sich freie Kultur wie um den Hundenapf prügelt, dann scheint es logisch, daß man sich per fairem Kampf ins Jenseits befördert. Wenn die Idee ganz durchgezogen würde ... würde die beste Bühne überleben und litt endlich am Gelde keine Not. Aber mit Schrecken denken wir dran, welch einseitig Spiel uns hernach erwartet. Schreckt dies OBM und Dezernent und Kulturamt nicht? Insofern bleibt zu hoffen, daß dies Theater nicht nur ansehnlich ist, sondern auch Wirkung zeigt. Mehr kann Theater, will es nicht.
Logisch hat Carsten auch Pläne mit Carpe Group und mit dem Hörspiel, mit dem Theater sowieso. Und im Studium natürlich auch. Weitere Produktionen sind in Planung. Manches ist konkret und manches nur Idee. Das ist nun mal so immer wieder. Sicher ist eins: Wir werden von Carsten Wilhelm hören. Wir sind gespannt. Zunächst auf den 9. August ff. Dann hören wir am 29. Oktober mdr-Kultur. Und in Sachen Liebe versuchen wir es natürlich auch und stellen uns die Frage, wer spielt hier was und wozu. Sind wir gar selbst nicht ganz und gar bei der Sache? Vor allem: Ehrlich? Sind wir denn das? Irgendwie ist das 'ne ganz blöde Frage. Und erst die Antwort!

Die Liebe zur Kunst und die Liebe an sich
Das Theater Halogen auf der Wiese

Sommer: Der Abend ist lang, und die Nächte sind lau. Gern sitzt man draußen mit Bekannten und Freunden und hört sie sich an, die Geschichten von Leben und Liebe. Und jedes Jahr wieder werden sie uns erzählt.
Sommertheater nennt man gemeinhin diese Veranstaltungsweise. Da sitzt man gut. Da sitzt man gern. Seit dem 6. des Junimondes auch auf der Thalia-Wiese. Und dort wird er geboten, der Klassiker solcher Tage schlechthin: Shakespeares "Sommernachtstraum" - Ein Herzog möcht' sich angelegentlich vermählen. Jungen Menschen macht die Liebe Not. Handwerker proben das Spiel und werden verzaubert. Und gar im Reiche der Elfen herrscht Zwist.
Das Theater Halogen führt uns diese märchenhafte Geschichte auf, von Rayk Gaida inszeniert. Halogen sind Menschen, die die Kunst begeistert, die jedoch von berufswegen ganz was anderes tun. Sie waren bzw. sind Krankenpfleger, Koch, gar Rentner, Schüler, Studenten von BWL, Pharmazie und vielleicht später der Schauspielkunst. Halogen existiert mit Namen seit dem Jahre 1996. Aber bereits vordem führte die katholische Studentengemeinde zu Halle alljährlich anläßlich des Pat(ronats)fests ein Theaterstück auf. Und um die Sache wirklich gut zu machen, suchten sie für sich und ihre Zukunft einen Regisseur. Sie fragten an im Neuen Theater, und wie's Zeit, Spielplan und der Zufall wollten: Rayk Gaida sagte zu Vorhaben und Halogen ja. Seitdem begegnen wir der Truppe an mancherlei Orten mit vielerlei Stück. "Graf Öderland", "Die Nashörner" und "Roberto Zucco" sah man im nt. "Die Zofen" in der Theatrale. Und nun der "Sommernachtstraum" auf der Thalia-Wiese.
Rayk Gaida ist studiert, vom Fach. In Berlin geboren arbeitete er als Elektromechaniker, Streifenpolizist, Postzusteller oder Hausmeister, um dann in eben jener Metropole seine Schauspielausbildung zu absolvieren. Ein Engagement im Theater Potsdam folgte, später das in Halle am nt. Gestreßter Regisseur ist er auch dort zur Zeit und führt's "Gretchen (über die Textseiten) 89 ff." Seit seinem Einstieg bei Halogen ist Rayk Gaida künstlerischer Leiter und für die Inszenierungen verantwortlich. Mit dem "Sommernachtstraum" versucht er erstmals einen klassischen Klassiker. Und über 20 Mimen werden dabei von ihm koordiniert. Einige sind bei der Truppe bereits Jahre. Andere wie's Job oder Studium erlaubten. Und wer Mitglied werden möcht', kann's werden. Kein Interessierter wird der Tür verwiesen. Jeden Montag, 16 Uhr, trifft man sich im nt, um Projekte auzusuchen, zu besprechen, Sprache und andere Techniken zu üben und zu proben. Natürlich ist es vor einer Premiere mit pro Woche einer Probe nicht getan. Da heißt's dann täglich: Ruhe bitte.
Neben all dem Theater und der dazugehörigen Arbeit lernt man die Kollegen besser kennen. Man quatscht und begegnet sich auch außerhalb der Probenzeiten. Und einmal im Jahr fährt Halogen über Land. Dann wird ein Wochenende im Landheim gemeinsam nicht nur geprobt. Logisch kommt man sich über Zusammensein und Spiel auch menschlich näher. Entdeckt Sympathien füreinander, gar die Liebe. Für das Ensemble war es schon eine Überraschung, als Rayk und Nicole sagten: Sie gehören zusammen und heiraten. Sie haben's getan. Zwei Jahre zählt Sohn Elias Leonhard.
Auch bei Shakespeare reichen sich die Verliebten die Hände. Aber selbst dort ist die Liebe nicht stets nur frohes Ringelreihn. Der Traum vom Glück kann zum Alptraum geraten. Wir wissen darum, aber wir geben die Hoffnung nie auf. Und: Tatsachen beweisen, es gibt sie, die Liebe. Wirklich. Und auf der Thalia-Wiese.



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