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Neues aus der Theaterwelt
(05.05.2002)
von
Henner
Kotte
Letzte Tage in der Platte,
Unsere Soap gib uns heute und morgen und ..., Horror
auf Spitze, Hansi ist Pünktchen und Anton
Letzte Tage in der Platte
Das Thalia zeigt die Mörder wie Du
und wie Ich
Der John liebt die Sue. Und
die Sue liebt den John. Wahnsinnig lieben sich beide. Und das Leben ist
schön.
Und die Party erst, zu der
sie jetzt fahren und all die guten Freunde treffen. Wie gesagt, die Party
geht spitzenmäßig ab. Und der John lacht. Und die Sue lacht.
Und die Freunde sind nett. Und der Abend wird lang. Sue pennt gleich im
neuen Kleid auf dem Hotelbette ein. John macht mit zwei Kumpels noch einen
drauf. Wirklich ... Was ist denn der alte Sack da im Park auch so geil
auf ihre jungen Schwänze. Schwules Schwein das. Fäuste krachen.
Knochen brechen. Blut spritzt. Dann liegt die Sau im Abort und sagt nix
mehr. Und der John ist froh. Und die Sue ist ganz glücklich. So ist
das Leben, es kömmt nur darauf an, was man selbst daraus macht.
Entsetzen packt den Zuschauer.
Pures Entsetzen und bei all dem Grauen das Lachen. Das ist Theater! Kunst
nennt man das wohl. Neil LaButes "Stücke der letzten Tage"
unterm kurzen Titel "Bash" sind momentan der Kracher auf den Bühnen
der Welt. Und dabei verzichtet das Stück vollkommen auf Action. Von
mir zu Dir, weil man sich eben mal traf und gut versteht, erzählen
Menschen ihre Geschichte. Nur letztlich die junge Mutter ist vor dem Untersuchungsrichter
gelandet. Alle drei andern jedoch erscheint die Welt manchmal nur ein klein
wenig tragisch. Und mit menschlichen Verlusten muß man halt rechnen.
Kaum ein andrer Text der Gegenwart geht uns dermaßen auf Nerven und
Sack und unter die Haut. So war es eine kurze Frage der Zeit, bis "Bash"
auch in unseren Breiten die Bühnen entert.
Leipzig hat es vorgemacht.
Halle zieht jetzt nach. Leipzig inszeniert den Schock. Halle holt ihn in
die eignen vier Wände. Beeindruckend ist es beiderseits. Enrico Lübbe
verzichtet auf sämtlichen Schnickschnack in Leipzigs Neuer Szene und
vertraut den Darstellern ganz. Das lohnt. Halle verzichtet auf den Regisseur.
Die Schauspieler selbst haben das Stück so gewollt. Solch Initiative
ist zu loben. Auch die Idee vom Kammerspiel in den abgerissenen Wänden
einer Plattenbude gleich am Markt. Auf engstem Raume muß man den
Grausamkeiten lauschen. So schön der Gedanke vom Wohnungstheater ist,
bedauerlich bleibt, daß wirklich nur wenige Gäste dem ansichtig
werden (können). Aber jenen die den Zutritt haben, wird er auch gelohnt.
In des Abends erstem Teile
wird das Publikum getrennt. Die einen im Kinderzimmer hören den Liebenden
Sue (Dagmar Lautemann) und John (Sebastian Schindegger) zu. Die anderen
folgen erstmal ins Schlafzimmer und bekommen von Harald Höbinger Wein
und seine Erzählung vom Kindstod aufgetischt. Schließlich sitzt
man drinnen in der guten Stube und erfährt von Katharina Hauck eine
Geschichte von der echten Liebe zwischen Lehrer und der Schülerin.
Danach ist man ehrlich satt und flüchtet.
Wie gesagt: Der Abend hat
es ungeheuer in sich. Allerdings ist er in Halle lang. Zu lang. Vielleicht
rächt sich, daß man die Führung durch Regie einfach wegließ.
So nett das Spiel mit dem Publikum ist, so nimmt es doch der Dramatik ein
schönes Stück weg. Denn die Protagonisten unterbrechen selbst
stets den Fluß ihrer Erzählung um endlose Minuten, die keinen
Sinn machen. Da sollte eine helfende Hand einfach straffen. Wirklich. So
holt man mehr aus diesem Stück. Der Schock würde uns noch tiefer
sitzen.
In Leipzig sitzt das Publikum
wie eh und je starr im Theatersessel drin. So bleibt die Distanz, daß
das, was man auf der Bühne sieht, ein Kunststück ist. Auch diese
Art der Inszenierung ist uns recht. Wer seine Nerven gut im Zaum hat sollte
zweimal sich in "Bash" begeben. Zweimal der Theatertext first class. Grad,
weil man Applaus zum Schluß nicht spenden möcht, ist das beeindruckendes
Theater.
Unsere Soap gib uns heute
und morgen und ...
Der Krystallpalast zeigt Regisseur, Stars
und Publikum
Fräulein Schanett will,
will unbedingt rein in die Serie "Wahre Triebe". Fräulein Schanett
wird genommen und kocht Kaffee und steht ansonsten dumm rum in den Kulissen.
Durch diese spielen sich die Stars der Soap. Der ZiVi Till ist verknallt
in 'ne Diva. Darob hat Krankenschwester Trinity das Leben satt, doch ihr
Suizid ist nicht. Regisseur A. Andriono möchte nämlich einen
Klasse-Film gestalten, doch irgendwie läuft alles schief. Kameramänner
tanzen. Ein Indianer spricht chinesisch (?). Das Publikum muß gar
die Klappe halten, wenn's heißt: "Und ... Action"
Da ist das Leben Fernsehsoap,
da ist das Leben Varieté. Und genau das ist im Krystallpalast jetzt
drin. Etwas steif gestalten Artisten ihre Rollen, aber sie sind ja Schauspieler
nicht. Was sie uns dann artistisch bieten ist keine Seife sondern Sahne:
TJ Wheels fährt Halfpipe und jongliert, daß einem Augen übergehen.
Trinity hängt am Vertikaltuch, wir atmen durch. Irina Galagan dreht
Reifen auf und ab an ihrem Körper. Das Trio Ndux Malax verrenkt und
beherrscht sich dermaßen temperamentvoll, wir sitzen, staunen und
lachen. Das ist Varietékunst bester Tradition.
Neben all dieser Körperbeherrschung
gibt's die Soap und Fräulein Schanett. Die singt Lala anders, und
sie zaubert mit Axel Fellox. Klar, daß mit dieser Person nicht alles
klappen kann. Aber beim Dreh einer Soap ist Zeit knapp, so daß schon
mal ersichtlich wird, auf welche Weise Fernsehen und die Darsteller tricksen.
Und wenn die Bühnennot am größten ist, nix mehr hilft beim
Personal, greift Regisseur Andriano rein ins Publikum, und eine/r muß
dann rauf auf die Bühne. Und wirklich: Wir Zuschauer halten dort oben
mit den Künstlern locker mit. Zur Premiere warf der Christian Äpfel
auf Messer. Barbara machte in Stummfilm mit Peter. Roger stahl dem Zaubrer
Fellox die Show. Aber nicht wirklich. Was'n Spaß.
Wer sie sehen will, die Dreharbeiten
zu den "Wahren Trieben" Folge 7.964 kann das im Krystallpalast Varieté
tun. "Und ... Action" heißt's dort noch bis Juli für "Eine Seifenoper,
die sich gewaschen hat". Und wer weiß, vielleicht wird man aus dem
Publikum wirklich für Bühne oder Soap entdeckt. Zuzutrauen wär
es denen. Und uns sowieso.
Horror auf Spitze
Ralf Rossa choreografiert der Oper den Wahnsinn
Wann fällt die Hürde,
ist die Frage. Wann ist der Mensch soweit, daß sein Menschsein nicht
mehr zählt. Wann rastet er aus. Wann mordet er sich seinen Lebensweg.
Antworten werden gesucht,
nicht erst angesichts der Amokläufe unsrer Tage. Dr. Jekyll experimentierte
bereits vor gut anderthalb Jahrhunderten mit sich rum, um den Bösen
auf die Spur zu kommen. Er kam. Und als Mr. Hyde war er fortan nur noch
seine dunkle Seite. Robert Louis Stevensons Geschichte ist Weltliteratur
und Film und Musical auch. Ralf Rossa, Chef du Ballet unsrer Oper,
dachte sich, warum sollte die grausame Mär nicht auch als Ballett
funktionieren. Sie funktioniert, und sie geht weiter. Denn in des Abends
zweiten Teile ist Mr. Hyde unumkehrbar manifest und hinterläßt
als "American Psycho" seine Blutspur. Dazu Hallische Rockmusik, Pixel-Pack
von Trotha gibt dem Geschehen live den Rhythmus. Horror als Seh- und Hörgenuß
- mitnichten Ballett im klassischen Sinn.
Auch wenn Ralf Rossa gern
die Grenzen der Tanzkunst auslotet, ohne die Erfahrungen der Klassik wäre
ihm solche Arbeit unmöglich. Dabei ist er in der Branche wahrhaftig
spät, sehr spät gestartet, er durchlitt den Drill des Körpers
um Jahre kürzer, doch intensiver. Ralf Rossa hatte nach dem Abi im
Ruhrpott das Studium der Germanistik/Anglistik fest im Visier, als ihm
eine Freundin riet, es mit dem Tanz doch wenigstens zu versuchen. Sportlich
war er, Jazzdance seine Leidenschaft, Tänzer Traumberuf. Im Alter
von 19 sprach Ralf Rossa auf der Ballettschule vor und konnte zweifelnde
Lehrer von sich überzeugen. Sicher, ohne Ehrgeiz wäre es ihm
das nicht gelungen. Noch während des Studiums wurde er engagiert,
später Gelsenkirchen, Essen, Dortmund. Ralf Rossa tanzte sich von
hinteren Reihen in erste und zum Solisten. Er wurde Assistent des Ballettdirektors,
choreografierte selbst. Erntete Beifall mit seiner Arbeit, selten Buhs.
Die aber auch.
Nach fünfzehn Jahren
Theater und Erfahrung in Dortmund war Ralf Rossa dieser Aufgaben leid und
versuchte, sich und seine Ideen frei zu vermarkten. Erfolgreich. Auch das
Ballett zu Halle lud ihn ein. Die Compagnie der Oper wollte mit "Schwanensee"
das Publikum bezaubern. Ralf sagte ja und inszenierte. Das darauf folgende
Angebot, Direktor vom Ballett zu werden, lehnte er ab. Die Fesseln eines
solchen Jobs kannte er. Das genügte. Aber Hallische Intendanz und
andre Menschen überzeugten. So fuhr Ralf Rossa dennoch zum Gespräch
an die Saale, fühlte sich akzeptiert und unterschrieb den Vertrag.
Seitdem kennen wir vor Ort Ralf Rossa und die Compagnie: "FeuerWasserTanz"
oder "Ananas Polly" oder ... oder der schaurig schöne Genuß:
"Und heimlich schauernd sehn' ich mich hinüber nach jenem Nebelreich
..." Halle gefällt: Dem Ballettdirektor das Haus und die Stadt. Uns
Publikum Ralf Rossas Kunst und Choreografien. Da wird Arbeit Lust und Spaß.
Wir sehen's gern.
Aber nicht nur in Halle wirkt
Ralf Rossa. Seit mehreren Jahren engagiert sich er bei den Schloßfestspielen
Ettlingen. In Oslo choreografierte er "Sofies Welt". "Giselle" und "Frühlingsopfer",
"Die schlecht behütete Tochter" und Choreografien für Musical
und Open sind mit seinem Namen verbunden. Doch nicht selten geht der Meister
neue Wege: Uraufführung "Verhängte Spiegel" und nunmehro "Dr.
Jekyll und Mr. Hyde" mit Musik von Pixel-Pack von Trotha.
Herr Doktor Jekyll überschreitet
die Grenze, ihm wird Gewalt Natur. Was trennt uns Mensch vom unmenschlichen
Handeln wider Bewußtsein und Ethik? Fragen stellt Kunst. Antworten
müssen wir uns selber geben. Und wenn nicht, die Fragen zu stellen
manchmal Antwort genug. Ralf Rossa stellt sie.
Hansi ist Pünktchen
und Anton
Der Jüngste von der SoKo Leipzig: Maximilian
Klas
Hansi hat den Mord gesehen.
Aber Hansi singt nicht. Hansi sitzt im Käfig, ist Kanarienvogel und
Darsteller der Fernsehserie "SoKo Leipzig". Und da Filmteams ökonomisch
denken, gibt es Hansi doppelt. Denn wenn das Vögelein bei Dreharbeiten
und dem Streß ermüdet, wird sein Double eingesetzt. Das ist
genauso gelb und genauso schön. Logisch, die SoKo hat den Fall geklärt.
Im Film bekommt der Sohn des Kommissars die herrenlosen Vögel. Der
Sohn heißt Benni und im wahren Leben Maximilian Klas. Und
nun hat Maximilian den Hansi auch in Wirklichkeit zweimal daheim. Deshalb
heißt der Hansi jetzt Pünktchen und Anton.
Maximilian Klas hat sich weder
um den doppelten Hansi noch um die Rolle in Serie beworben, er hat sie
einfach bekommen. 1990 in Leipzig geboren, verlief seine Vorjugend ohne
Ungewöhnlichkeiten: Kindergarten, Schule, Eltern im Beruf. Keyboardunterricht
und Sänger im Jugendchor vom Gewandhaus. Maximilian ist aktiv, trainiert
hin und wieder (dem Vater nach) Tischtennis und ist kein schlechter Schüler.
Eines Tages saßen in einer der Chorproben Menschen, die suchten einen
Sohn für Kommissar Maybach. Sie sahen Maximilian und fragten, ob er
bereit wäre, sich casten zu lassen. Wer sagt da nein? Also begab sich
Maximilian zwei Tage drauf samt Eltern hin zur Inselstraße und in
die Räume der UFA. Sein Gesicht wurde abgelichtet, er sprach vorgegebenen
Text, er wurde befragt. Danach kam weiter nix als 'ne Verabschiedung. Doch
dies war nicht das letzte Wort. Nach nochmal zwei Tagen lag das Drehbuch
in der Post und der Terminplan für die Filmaufnahmen.
Erster Drehtag, Szene Schleußig.
Benjamin und Vater Maybach gondeln sonntags. Dann klingelt's Handy, Papa
muß zu einem Tatort. Sohn ist traurig. Job ist Job ... Klar war er
aufgeregt, der Junge Maximilian Klas, schließlich hatte er außer
Glotzen weder Fernseh- noch Schauspielerfahrung. Aber Filmpapa Marco Girnth,
der Regisseur und alle die Menschen am Set halfen über Angst und Lampenfieber
hinweg. Heute ist für Maximilian ein Dreh Routine. Und sämtliche,
auch die schwierigen Aufgaben hat er souverän gemeistert. Die größte
Herausforderung war das Weinen auf Befehl, erzählt er. Entführt,
verletzt, allein gelassen auf einem Boot im Kulkwitzer See, da kam Benjamin
Maybach nach Vorlage das große Heulen. Und die Kamera zeichnet sein
Elend Großaufnahme closed up auf. Klar hat Maximilian geflennt, vielleicht
hat man etwas nachgeholfen, aber das sieht ein Zuschauer ja nicht. Und
letztlich weinte er nochmal in dieser Folge, dann vor Freude und vor Glück,
"Bennis Entführung" war gescheitert, und Benjamin dem Tod entronnen.
Das war Film. Mittlerweile hat Maximilian bereits viele Situationen und
'ne Menge Gefühlslagen gespielt. Er ist gehetzt. Er hat gesungen,
hat geschrien und gelacht. Wir können uns derzeit am Mittwoch, 18
Uhr, ZDF überzeugen. Dorten läuft die zweite Staffel "SoKo Leipzig"
noch bis März. In einem andren Film gab Schauspieler Maximilian Klas
auch ganz was andres: In tödlicher Absicht sticht er auf seine Mutter
ein. Glücklicherweise kann sie gerettet werden. Die Mutter in Reality
hat keine Angst vor ihrem Maximilian.
Nur eben der Film unterscheidet
Maximilian von den andren seines Jahrgangs. Er steht auf Nena, die Gorillaz
und Cranberries. Er liest Harry Potter und fand den Film recht überzeugend.
Lieblingskinofilm jedoch: "Pünktchen und Anton" á la Erich
Kästner. Maximilian fährt gern Rad und besucht die Klasse 6 des
Reclam-Gymnasiums, Leipzig-Mitte. Und wenn er wegen Dreharbeiten fehlen
muß (das ja aber auch möchte), wird der verpaßte Schulstoff
nachgeholt in der Freizeit. Hausaufgaben bekommt Maximilian ohnehin nicht
erlassen. Seinen Keyboardunterricht hat er wegen der vielen Verpflichtungen
aufgegeben. Manchmal spielt er es trotzdem in seinem Zimmer so für
sich. Im Jugendchor singt er noch immer, und einmal singt Maximilian auch
im Film. Er könnte sich vorstellen, diese Schauspielerei zum Beruf
zu machen. Daß er's kann, bestätigen die Kollegen. Und die haben
Namen wie Andreas Schmidt-Schaller, ehedem unser Polizeiruf-Kommissar,
jetzt Chef der SoKo in Leipzig, Marco Girnth, der Filmpapa, Hildegard Alex,
die Ersatz-Oma ... u.v.a.m. Und überhaupt macht diese Arbeit riesig
Spaß. Und manchmal bekommt man Freunde gar geschenkt, die auch die
Eltern akzeptieren. Pünktchen und Anton sind nicht nur Maximilian
liebe Haustiere geworden.
Hansi hat doch noch gesungen,
aber der Mörder war im Film schon überführt. Jetzt singen
Pünktchen und Anton bei Maximilian daheim. Das hört sich gut
an, wie alles andere auch ...
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