www.Crossover-agm.de HEINRICHS PLATTENKISTE (31.12.2002)

von Thomas Heyn

Ernst Krenek (1900-1991)
"Guten Morgen Amerika" tituliert der 1988 von ambitionierten Sängern und Sängerinnen gemeinsam mit Fritz ter Wey gegründete Projektchor Modus Novus seine neue CD-Veröffentlichung bei Valve-Hearts. Daß der Chor vorzüglich singt und keinerlei Wünsche an Tonschönheit und Reinheit des Klanges offen bleiben, sei vorab mitgeteilt. Denn die Sensation dieser zwei Veröffentlichungen ist die Musik des 1900 geborenen Ernst Krenek, einem Jung-Star der 20er Jahre, der zunächst vergessen, dann wieder ein bißchen wiederentdeckt wurde und 1991 nahezu unbekannt verstorben ist. Am Ende seines Lebens umfasste sein Werkverzeichnis 242 Stücke. Viele blieben nahezu unbekannt und sind doch von einer phänomenalen künstlerischen Qualität.
1938 - Hälfte des Lebens. Die ersten Jahre des Exils liegen tief verdunkelt zwischen Zweifeln und Verzweiflung. Es gibt kein Zurück mehr, Europa ist ferne, Krenek muß eine Sprache lernen, die er früher als "vollkommen unzulängliches Kommunikationsmittel", als "unlogisch, primitiv und barbarisch" empfand.
In Amerika hat man Krenek als "one-man-history of 20th century music" bezeichnet. Es wäre ein Ding der Unmöglichkeit, seine Suche nach musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten einem einheitlichen Stil unterzuordnen. "Einer der rätselhaftesten aller Komponisten" nannte Theodor Wiesengrund Adorno (bei ähnlicher biographischer Ausgangslage in den Nachkriegsjahrzehnten auf dem Gebiet der Musik von ähnlich einflußreicher Wortmächtigkeit wie heutzutage jener Literaturkritiker aus dem Fernsehen) den Komponisten, der immer unterwegs zu neuen Ufern und dabei rastlos tätig war. Krenek komponierte nicht zuletzt immer wieder seine Liebe zu Deutschland und seine Verachtung für Amerika in einer Weise aus, dass man als Hörer in schmerzhafter Unmittelbarkeit die gigantischen Verluste an Kultur und Kunst zu ahnen beginnt, die das blutige 20. Jahrhundert in ganz Europa hinterlassen hat.
Die "Kantate von der Vergänglichkeit des Irdischen" benutzt Barockdichtungen aus dem 30jährigen Krieg von Gryphius, Fleming, Opitz und Klaj. Menschliches Leid wird darin mit außergewöhnlicher Intensität zum Ausdruck gebracht. Krenek selbst schätzte dieses Werk (zu Recht) hoch ein. Der Chorzyklus "Jahreszeiten" wurde von Texten Hölderlins inspiriert. "In Paradisum" nach einem anonymen Text widmete Krenek seinem Vater. Freunde meinten, daß beim Zuhören zur Gewissheit wird, daß dies eine Musik sein könnte, mit der man selbst im Paradies empfangen wird. Auch die nachfolgenden "Three Motets", "Oh holy Ghost" und die "Three Sacred Pieces" atmen diese tiefreligiöse, aus dem kulturellen Humus langer Jahrhunderte getränkte Innerlichkeit eines freien Mannes, der sich den Zwängen der Mode und des Marktes gleichermaßen verweigert hat.
Noch weltabgewandter, vergeistigter und befreit von allem bloß modernen Tand ist Kreneks Tonsprache in seiner "Lamentatio Jeremiae Prophetae" für vielstimmigen Chor a capella nach Texten aus dem Secundum Brevarium Sacrosanctae Ecclesiae Romanae (op. 93) aus dem Jahre 1941. Der RIAS-Kammerchor unter Marcus Creed bewältigt diese Partitur, die vielleicht eins der schwierigsten Chorwerke der Gegenwart darstellt, mit atemberaubender Schlichtheit. Wie aus dem Nicht ertönen von "oben", von "unten" und von überallher Stimmen, die sich kühn in Raum und Zeit kreuzen, vermischen und wieder trennen - Musik der Sphären, Mittelaltermusik, geistige Musik. Wer sich dafür die Sinne öffnen kann, wird Ungeahntes und Niegefühltes zu Hören bekommen: Hochachtung vor dem Meister und vor den Interpreten!
* Guten Morgen Amerika / Chor Modus Novus (Fax: 0221 954 58 10 / www.valve-hearths.de)
* Ernst Krenek: Lamentatio Jeremiae Prophetae (harmonia mundi 90 15 51)



Geben und Nehmen
Recital 1 (kreuzberg records, Bestellnummer kr 10055) heißt die erste gemeinsame Produktion von Thea Nielsen (Flöte) und Markus Wenz (Klavier). Thea Nielsen konzertiert seit vielen Jahren als Solistin sowie in verschiedenen kammermusikalischen Besetzungen. Seit 1994 ist Markus Wenz ihr Partner am Klavier. Zusammen erarbeiten sie Programme mit wechselnden Schwerpunkten und haben sich der zu unrecht selten gespielten Musikliteratur verschrieben.
Erwin Schulhoff (1894-1942), einer der Stars der Neuen Musik im Berlin der Zwischenkriegszeit verwendete als einer der ersten Komponisten Elemente des Jazz. Als Gegengift zum vorherrschenden romantischen Pathos seiner Zeit interessierte er sich für die Leichtigkeit und Frivolität der damals modernen Tanzmusik. Aber auch Volkstänze aus Osteuropa begeisterten den Komponisten und beides baute er in die 1927 entstandene Flötensonate ein.
Die Entstehungsgeschichte der 8 Liebeslieder (op. 83) von Antonin Dvorák reicht bis 1865 zurück. In diesem Jahr entstand der Liederzyklus "Zypressen", der lange Jahr ein unauffälliges Schubladen-Dasein fristete, bevor er dem Komponisten als Vorlage für zahlreiche Bearbeitungen diente.
Bohuslav Martinu (1890-1959) war im Gegensatz zu Schulhoff mehr am Ausgleich zwischen modernen und klassischen Stilmitteln bemüht. Einen Großteil seines Lebens verbrachte er in Paris, wo er bei Roussel studiert hatte. Ende der Zwanziger Jahre begann Martinu damit, seinen polyphonen Stil wieder zu vereinfachen, um weitere Kreise des tschechoslowakischen Publikums zu errechen. Angesichts der Entstehungszeit im Jahre 1945 mag die heitere Verspieltheit der Ersten Sonate erstaunen. Aber dem Komponisten war wichtig, daß seine Musik nicht die Katastrophen der Zeit widerspiegeln sollte, sondern dem Publikum Gefühle der Freude vermittelte.
Gemeinsam dokumentieren diese drei Werke knapp hundert Jahre tschechisch-deutscher Musikgeschichte in ihren Verbindungen wie in ihrer Andersartigkeit, ein beständiges Kompendium von Geben und Nehmen - kultureller Austausch auf höchstem Niveau und zum gegenseitigen Vorteil. Dem Interpretenduo Thea Nielsen und Markus Wenz ist für diese Produktion zu danken. Sie interpretieren die prägnante Kammermusik-Sammlung immer mit einem romantischen Aspekt, sind aber auch in den geschwinden Sätzen und in den lebhaften Tänzen ein souveränes Duo.



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