www.Crossover-agm.de Die Bücher der Gebrüder Kotte (31.12.2014)

Das Baltikum befindet sich ganz rechts oben an der Ostsee, es ist bitter kalt, nationalistisch und wahrscheinlich kämpft es noch gegen die Überreste der Sowjetzeiten. Stimmt nicht, es ist eine interessante, gastfreundliche Gegend und, auch wenn man als Tourist sofort erkannt wird, die Leute sind nett, unabhängig davon, ob man lettisch, englisch oder deutsch spricht. Wahrscheinlich lohnt es sich nicht, die drei einzelnen Republiken des Baltikums getrennt zu bereisen oder zu beschreiben. In "Baltikum" aus der Reihe "Reise-Know-How", einem "Handbuch für individuelles Entdecken", werden (derzeit brandaktuell) alle wichtigen Informationen für einen schönen Aufenthalt/Urlaub zusammengefasst. Das Kompendium ist sinnvoll, denn nur in den größeren Städten ist eine gute Infrastruktur für den Individualtourismus vorhanden. Und die spannende und wechselvolle Geschichte lässt sich in einem gedruckten Buch allemal besser nachlesen als im Internet. Die an verschiedenen Interessengruppen orientierten Hinweise (z.B. auch für Radfahrer) haben zumindest in unserem Fall praktisch wortgenau zugetroffen, bis hin zur inoffiziellen Fahrstuhlfahrt auf den Rigaer Uni-Turm. Sicherlich sind nicht alle Tipps in einem Urlaub zu nutzen und für einen Rucksack-Touristen sind knapp tausend Seiten eine Herausforderung. Von mir jedoch eine bedingungslose Reise- und Kaufempfehlung! Und das Smartphone muss man ja nicht zuhause lassen.

Die Fähigkeiten und Talente eines jeden Menschen sind in seinem Hirn gespeichert und können nach seinem Tod destilliert und einem anderen injiziert werden. Das hört sich doch super an. Eine Art Erbgedächtnis und der sichere Weg der Menschheit zu Einsicht, Vernunft und einer besseren Welt. Aber nein, weit gefehlt. Der Entdecker dieser Methode, "Das Genie", eignet sich durch heimtückische Morde das Wissen anderer großer Künstler und Wissenschaftler an und genießt selbstherrlich die Vorteile seiner Gaben. Rainer Erler hat den Film in der Reihe "Das blaue Palais" bereits im Jahre 1979 gedreht und das Buch parallel dazu veröffentlicht. Und es ist immer noch gut und spannend zu lesen. Auch wenn sich die Rollen von Wissenschaftlern, Europäern und Frauen dramatisch geändert haben, die exotischen Orte sind in den letzten Jahrzehnten näher gerückt. Die moralischen Fragen, die quasi im Vorübergehen aufgeworfen werden, sind allerdings immer noch aktuell. Und die Lösung ohne den heute obligatorischen Showdown passt auch besser. Empfehlung: Gleich alle fünf Bände der Reihe lesen! Seit kurzem ist das auch als E-Book möglich, schöner ist natürlich die Ausgabe bei Shayol.

Eine Dokumentation über "Gehirnwäsche" von Dominic Streatfeild. Lesefutter für alle Verschwörungstheoretiker. Vorsicht Spoiler! Ggf. bitte einfach nicht weiterlesen und das Buch kaufen. Weder Cover noch Titel und Klappentext des Buches passen zum Inhalt. In logisch aufgebauten und gut gegliederten Kapiteln werden coole Geschichten von schillernden Persönlichkeiten sehr unterhaltsam geschildert. Grandios die Schilderungen der Geschichte von LSD, spannend die Ausführungen zur sublimen Werbung und mitreißend die Schilderung der Manipulation von und durch Gefängnisinsassen, verstörend die Sektenschilderungen und aufwühlend die Beschreibungen der Folterexperimente, z.B. als klinische Therapie. Was treibt einen Mann dazu, entsetzliche Taten zu gestehen, die er nachweislich nicht getan haben kann? Die Quellenangaben (obwohl überwiegend englisch) regen zum Weiterlesen an. JEDOCH: Das Fazit der 400 Seiten ist für den Autor, dass es weder Gehirnwäsche gibt noch diese jemals durchgeführt wurde. Auf Patty Hearst (Titelbild) wird dabei nur nebenbei verwiesen. Und um die Unruhe nach dem Aufschrei des Unglaubens nach dieser Äußerung perfekt zu machen, endet das Buch mit dem Hinweis "na, jetzt läuft ja noch ganz andere Forschung, aber die ist geheim." Wenn da dem Autor mal nicht noch kurz vor Schluss durch die Geheimdienste das Gehirn gewaschen wurde ...

Generationenraumschiffe sind ein verbreitetes Thema in der SF. Nun hat sich auch Ursula K. LeGuin diesem Sujet gewidmet. Und wie immer findet sie in "Verlorene Paradiese" neue Aspekte. Es geht ihr weniger um die technischen als um die zwischenmenschlichen Entwicklungen. Die Frage, ob die mittleren Generationen, die wissen, dass sie nirgendwo ankommen werden, ihren Ahnen das Ziel als erstrebenswert nahebringen können und wollen, wird von der Autorin wie immer mit einfachen Situationen durchgespielt. Es ist ein Episodenroman, der anhand der Protagonisten nicht nur Ausländer-, Geschlechter- und Informationspolitik thematisiert, sondern auch ermuntert, die richtigen Dinge zu tun, auch wenn sie in der breiten Masse keinen Rückhalt haben. Im Licht der aktuellen Innenpolitik der USA ein wahrhaft prophetischer Roman. Erstaunlich, dass sich kein größerer Verlag als Atlantis für dieses Spätwerk der alten Garde engagiert hat. Ein größeres Werbebudget hätte sicher mehr Leser gewinnen können. Umso wichtiger, sich von diesem Kleinod gefangen nehmen zu lassen. Es lohnt sich mehr als die Tageszeitung. Versprochen!

Sprache ist auch nur eine Ware. Und mit den Blauwellen kann sie einfach direkt ins Gehirn übertragen werden. Klar, dass das ein boomender Markt für innovative Produkte ist. Der freundliche Interlinguist Dr. Blanke erklärt uns in diesem Feature, wie nicht nur Dialekte sondern auch speziell designte Vokabeln einen Mehrwert generieren. Die Initiative Neue Sprachwirtschaft bestellt beim "Sprachlabor Babylon" Hochleistungsdeutsch als Gesamtpaket. Klar, dass bei diesem Premiumprodukt der subventionierte öffentliche Sprachwortschatz gekürzt, nein, entschlackt werden muss. Schließlich können wir nur Worte verteilen, die vorher auch erwirtschaftet wurden.
Im computergesteuerten Kontaktkarussell lernt die Sprachschöpferin ("1984" lässt grüßen) Luzinda Max kennen, den Sparsprachler und Wortkünstler. Er und seine rappende Freundin können ihre Gedanken schon nicht mehr wie gewünscht ausdrücken, weil für die benötigten Vokabeln die notwendigen Sprachkreditpunkte fehlen. Leider fehlt die Freizeit, sich auch in der realen Welt zu treffen, aber gemeinsam können Luzinda und Max Großes bewegen.
Ein Fest für Freunde der formvollendeten Formulierungen! Till Müller-Klug (ein Pseudonym?) schafft es, die Sprachhülsen der derzeitigen Medien zu enttarnen und die Mechanismen der Marktwirtschaft konsequent zu extrapolieren. Wenn es nicht so beängstigend wäre, sollte dieses Hörspiel (mit Buch zum Nachlesen der entscheidenden Passagen) Pflichtlektüre in der Grundschule werden.



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