www.Crossover-agm.de Die Bücher der Gebrüder Kotte (06.10.2013)

Das Umschlagbild ist irreführend. Ein allein am U-Bahnsteig stehendes Huhn kommt nicht vor. Und Horst Evers ist diesmal auch nicht als lustigster Mensch der Welt unterwegs. Und die U2 fährt auch nicht zur Leinestraße. Dazu kommt noch, dass "Der König von Berlin" schon tot ist, als die Handlung des Buches beginnt. Jedoch: Wer einen beschaulichen, lustigen Krimi mit Berlin-Brandenburgischem Lokalkolorit sucht, der hat mit diesem Buch die ideale Wahl getroffen. Die Teams der Kammerjäger und der Polizei sind bestimmt nicht immer einer Meinung. Manchmal nicht einmal der eigenen, aber sie stellen nicht nur Ratmaster Big und stoppen die außer Kontrolle geratene Rattenplage sondern klären auch den Mord am legendären Ghostwriter auf. Dabei hat nicht nur die junge Kommissarin Anteil sondern auch all die Herren, die glücklos auf ihre große Stunde warten (und zum Teil in den Schaltzentralen Berliner Macht sitzen). Der Krimi ist nicht für lange Winterabende geeignet (dafür liest er sich zu schnell), aber garantiert Schmunzeleffekte bis zum Finale in bester Agatha-Christie-Manier.

Schade, manche Bücher laufen unter dem falschen Label und landen nicht bei der richtigen Zielgruppe. "Das neue Buch Genesis" des Neuseeländers Bernard Beckett (script5) läuft als Jugendbuch. Allein schon der Erzählform wegen ist das Buch für Erwachsene mindestens ebenso geeignet. Trotz der teilweise turbulenten Handlung kein Action-Buch. Eher ein Theaterstück mit dialogischem Nacherzählen der Ereignisse: In der Abschlussprüfung wird Anaximander (wie alle anderen Protagonisten nach Philosophen benannt) über die Geschichte der Zivilisation befragt. Diese hat sich im 21. Jahrhundert sehr geändert, nicht zuletzt dank Adam Forde, dem Revolutionär und Thema der Prüfung. Und von Anaximanders Abschlussarbeit, einer Rekonstruktion der Gespräche zwischen dem gefangenen Adam und der künstlichen Intelligenz Art, die von ihm lernen soll. Diese Konstellation und die Erzählung der Verfehlungen Adams (seinen Soldaten-Kameraden zu erschießen und das Flüchtlingsmädchen zu retten) gibt Beckett (und dem Leser) die Gelegenheit zu vielen philosophischen Fragestellungen. Mehr als beantwortet werden können, klar. Aber genug der Anhaltspunkte und offene Probleme, über die getrost nachgedacht werden kann. Und sollte. Das überraschende Ende hinterlässt einen traurigen, aber angeregten Leser mehr.

Die Kindheit ist die schönste Zeit des Lebens. Man sieht es bloß leider nicht immer sofort ein. Und danach verklärt man sie unter Umständen. Und verlässliche Zeugen sind schwer zu finden. Gut, dass es jetzt Katharina Stolls "Sommerblüten" gibt. In wunderschöner Aufmachung (mit Hardcover, Lesebändchen und perfekt passenden Illustrationen) werden Abenteuer erzählt, die die Ich-Erzählerin in ihren Ferien erlebt hat. Mit Cousin Matthias bei Oma und Opa. Ähnliche Erinnerungen liegen wahrscheinlich bei vielen "Erwachsenen in Kinderschuhen" verschüttet. Sie werden wieder ausgegraben bei Budenbau und Regeln am Abendbrotstisch, beim Spielen mit Hund und Ziege, beim Nicht-Einschlafen-Wollen (zumindest nicht als erster) und beim Zerlegen von alten Fernsehern. Sicherlich wird nicht jeder als "Grünleuchter" die Welt verbessert haben, als "Friedensfahrer" aber zumindest jeder mit ostdeutschen Wurzeln. Ein absolut empfehlenswertes Buch ohne jede Ostalgie und für alle, die sich noch erinnern können oder möchten, dass sie einmal als "Blüte" angeredet wurden.

Diese Typen bestimmen das Stadtbild mit. Sie stehen am Kiosk oder vor der Kaufhalle, ein Bier in der Hand und die Tätowierungen lassen auf Knasterfahrung schließen. Die Chancen, wieder in die bürgerliche Gesellschaft aufgenommen zu werden, sind minimal. Aber die wollen ja auch nicht. Denken wir. Und dann erzählt uns Uwe Stöß über "Weltkriege und Geschlechtskrankheiten". Er hat die Situationen erlebt, von denen er uns berichtet. Mit unbändiger Erzählfreude, mit Witz und den gelungen schrägsten Vergleichen, die Leipzig erlebt hat. Kurze Schlaglichter, die uns vor Augen führen, dass der Rückweg zur bürgerlichen Existenz von Hürden gepflastert ist, aufgestellt von Vermietern, von Beamten des Arbeitsamts (oder Agentur?), von Vollzugsbeamten, von Billig-Job-Arbeitgebern, von unserer ganzen zufriedenen Gesellschaft. Spannende Kost für Menschen, die sich für die Randgruppen interessieren, von einem Insider. Und danach sehen wir die Kollegen am Kiosk mit anderen Augen, mit freundlicheren.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver