www.Crossover-agm.de Die Bücher der Gebrüder Kotte (02.12.2012)

Gut war es ja schon immer, das "phantastisch!" Und nun wagen sie (mit neuem Verlag "atlantis") auch noch den Schritt in die Bahnhofsbuchläden. Wünschen wir ihnen das Beste! Auffällig, dass das komplette Magazin jetzt in Farbe ist. OK, die Story fehlt, aber die Rubriken sind vielfältiger geworden; von den fundierten Berichten kann jeder am Phantastischen Interessierte etwas mitnehmen. Sei es SF, sei es Horror, Fantasy oder Comic. Die Interviews mit den Autoren bringen sicherlich nicht so viel Neues, machen aber gespannt auf die Bücher, die vorgestellt werden. Hand aufs Herz, der Name des Verfassers (Jesse Bullington) eher schon der des Buches (Vom Tode verwest) würden mich zu diesem Buch greifen lassen. Und auf das Cover kann sich ja eh niemand verlassen. Jedoch nach vier Seiten Interview und dem Spruch "Ich bitte lieber um Verzeihung als um Erlaubnis" kann man sich ein ziemlich genaues Bild machen. Wie immer grandios und bewusstseinserweiternd die Beiträge über den (meist schon vergessenen) Film. Hoffentlich laden sich jetzt einige die Quatermass-Filme herunter. Fazit: Ruhig in den Bahnhofsbuchhandlungen mal einen Blick reinwerfen, dann aber das Abo bestellen.

Es geht doch! Nach "phantastisch!" hat auch die "Nova" den Sprung ins kalte Wasser der Bahnhofsbuchhandlungen gewagt. Bonne Chance! Mit leicht verändertem Outfit und Kindle-Edition und den bewährten Autoren und Grafikern. Das muss ja was werden. Vorteil der leider in der Zwischenzeit verpönten Geschichtensammlungen ist die Vielfalt. Und so haben wir als Leser nach ein paar Seiten einer ungeliebten Story immer noch die Chance auf ein Juwel. Michael Marrak und Frank Hebben sind mit Fingerübungen vertreten, handwerklich stark, mit intensiver fremdartiger Stimmung in exklusiven Kunstwelten. Leider ohne Spannungsbogen. Auch Markus Hammerschmitt hofft (emsig das Gegenteil beteuernd) auf "sex sells". Umso erhellender die Geschichten, die sich mit existentiellen Fragen beschäftigen. Wie wäre es, wenn wir unsere schlimmen Erinnerungen einfach vergessen könnten? Und: Würde das auch allen anderen gefallen? An welchen Stellen würde ein Zeitreisender eingreifen, wenn er ein bestimmtes Ziel verfolgt? Und als Glanzpunkt: Wie würde die Kirche auf die reale Existenz des Paradieses reagieren? Mein Hinweis: Nova gibt's auch als Abo!

Nun ja, realistisch ist das Buch nicht. So gesehen ist das Label SF auch nicht korrekt. Aber die Idee ist cool: Es gibt Parallelwelten und in einer von ihnen bildet nicht der Mensch sondern der Neandertaler die Spitze der Evolution. Und dank modernster Experimente fällt ein dortiger Wissenschaftler in ein menschliches Neutrino-Labor. Und er ist natürlich ebenso überrascht wie die seine Kollegen. Das ist die Ausgangsposition von Robert J. Sawyers "Die Neanderthaler Parallaxe". Vorsicht: Mit th geschrieben. Und die Parallaxe ist wahrscheinlich ein sprachlicher Cliffhänger für die Teile 2 und 3, die leider nie auf Deutsch erschienen sind. Das Schicksal von Ponter ist ebenso weit hergeholt wie liebens- und nachdenkenswert. Es gelingt den guten Menschen, den Neandertaler fern vom militärisch-industriellen Komplex und von den Massenmedien zu halten. Und sie lernen von ihm und seinem Computerimplantat viel über menschliches Verhalten. Zur selben Zeit wird seinem Kollegen in der Parallelwelt der Prozess gemacht. Ungern, weil alle traurig sind über die Abwesenheit ihres Freundes und Mitbürgers. Nicht der Fakten sondern der Ideen wegen ein lesenswertes Buch. Und es geht gut aus.

Langstreckenläufer sind eine eigene Spezies. Und je länger die Strecke, desto mehr Zeit investieren sie in ihr Hobby. Und desto weniger Menschen können diese Erfahrungen teilen. Eigentlich passiert ja auch nichts in dieser langen Zeit. Wirklich? Tatsächlich können die Anekdoten über den Marathonlauf schon seit Jahrtausenden Bücher füllen. Wie zum Beispiel das "Marathon kurios" von Ralf Laue. Nicht so reißerisch wie Titel und -bild vermuten lassen könnten, aber voller kurzweiliger Geschichten. Egal ob Missgeschicke beim Start, am Ziel oder auf der Strecke, egal ob Vielläufer oder Betrüger (mein absoluter Liebling: die am trockenen T-Shirt enttarnte Siegerin des Boston-Marathons), egal ob die tiefsten oder höchsten Strecken, die exotischsten Kostüme oder Mannschaften: Für Marathoni ein Leckerbissen (deshalb auch ein Geschenktipp, denn die komplette Laufausrüstung haben sie ja schon). Hoffentlich bald als Hörbuch fürs Training zu bekommen. Ob allerdings Laufmuffel ebensoviel Spaß haben werden, darf getrost bezweifelt werden.

Katzmann ist die Hauptfigur eines Kettenromans aus dem Jaron Verlag. Verschiedene Autoren lassen den Journalisten im Zwei-Jahres-Takt Verbrechen aufklären. Im Jahr 1920 kommt er mit seinem Motorrad aus Dresden, um die in politischer Not befindliche Leipziger Volkszeitung zu unterstützen. In erster Linie den Volontär Heinz Eggebrecht, der viel vom reich-eleganten Charmeur, Intellektuellen und Faustkämpfer lernt. Und mit ihm der Leser, nicht nur über die ehemaligen Straßenführung und -namen, nicht nur über die politischen Strömungen und Verwirbelungen sondern auch und gerade über die typischen Lebensverhältnisse kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Der Tod des Unternehmers Preßburg und der Diebstahl seines Koffers mit offenbar hochbrisantem Inhalt gibt Konrad Katzmann die Gelegenheit, sich nicht nur zu verlieben, sondern auch den Entrechteten zu helfen und die Schuldigen zu entlarven. Fein recherchiert und bis zum offenbar unvermeidlichen Showdown flüssig und angenehm zu lesen. Entspannte Unterhaltung und Spannung für alle Freunde eines gepflegten historischen Krimis.

Es ist erstaunlich, dass dieses Buch erst 1990 auf Deutsch erschien. Selbst das Original von 1976 könnte man als zu spät gekommen bewerten. "Der Schatten des Schiffs" von Robert Wilfred Franson passt eher in das Goldene Zeitalter. Bar jeder Konvention und fernab von den derzeit gängigen Personen- und Handlungsschemata entführt es den Leser in den Hyperraum, der nur von Karawanen durchquert wird. Die Antriebskraft sind sensible und gemütliche Mammuts, die langsam und gemütlich luxuriöse Reisezugwagen entlang von Raumfalten ziehen. Ebenso entspannt und ohne jede Hektik agieren (meistens) die Haupthelden. Auch sie exotisch und nach heutigen Prämissen politisch unkorrekt. Rheinallt ist metaphysisch begabt, unsagbar reich und Besitzer der kompletten Karawane. Er weiß, wo es langgeht, und er diktiert das auch. Da wird das große, außerirdische Raumschiff, das im Hyperraum gestrandet und gerüchteweise sogar erreichbar ist, seiner Meinung nach wichtiger als der Fahr- (nein, Reise-)plan. Die potentiellen Verschwörer werden dabei hoffentlich erwischt. Der Psi-Kraft sei Dank. Kein Buch für Action-Fans, sondern ein ruhiges Gedankenexperiment für psychedelische Tage. Und es bleibt in Erinnerung.

"Der zensierte Tag" hat die Weltgeschichte mehr verändert als viele Revolutionen und Konterrevolutionen. Die Kriege im Irak und in Afghanistan wurden damit begründet. Genau wie der immer wieder allgegenwärtige Krieg gegen den Terror. Mit Al Kaida trat der Islamismus ins Licht der Öffentlichkeit und hält seitdem als Begründung für den Kampf der Kulturen her. Doch die Berichterstattung über den 11. September wird nach den elf Jahren spärlicher. Die Fragen, die im Internet gestellt wurden und es bis in manche Bücher und Filme schafften, wurden nie beantwortet. Und das wird sich auch nicht ändern. Ein Grund mehr, auch ältere Bücher zu diesem Thema (ggf. noch einmal) zu lesen. Die Ungereimtheiten und zweifelhaften Theorien dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Weder die Anthrax-Anschläge noch die unveröffentlichten Passagierlisten noch Mohammed Attas Ausweis. Christian C. Walther erzählt in seinem 2004 erschienen Buch im Plauderton über die bekannten und belastbaren Informationen und gibt im Schlusskapitel Empfehlungen, wie man auf die Übermacht der Medien-Berichterstattung reagieren kann.

Leider ist er ziemlich in Vergessenheit geraten, einer der größten Künstler des vergangenen Jahrhunderts. Pratajevs Werk wird von einer Gruppe hochmotivierter Fans im Rahmen der Pratajevgesellschaft in Ehren gehalten. Es kann nicht genug gewürdigt werden, dass unermüdlich neue Fakten, Werke aber auch die unvermeidlichen Plagiate der Vergessenheit entrissen werden. Ein umfangreiches und ausgezeichnet lesbares Kompendium ist das große Lesebuch Pratajev III unter dem Titel "Der Raucher von Bolwerkov" (Reiffer-Verlag, 2009). Angereichert mit einer präzisen Zeitleiste der wichtigsten Stationen und Phasen seines ruhelosen Lebens, vervollständigt mit (leider zu wenigen) Schwarz-Weiß-Fotos und abgerundet mit einer sehr gut recherchierten Personenliste sammelte Herausgeber H. Makarios Oley wissenswerte Fakten, Anekdoten und einige der unsterblichen Gedichte des russischen Meisters. Wirklich lobenswert, dass hier "der, der immer vorne ging" ausgiebig geehrt wird. Unumschränkt als Einstiegsdroge in die bizarre Welt hinter dem Ural vor einhundert Jahren geeignet.

Das zwanzigste Jahrhundert ist vergangen. Und es war eines mit vielen hektischen Veränderungen, mit Einschnitten und mit Weichenstellungen für die nächsten historischen Perioden. Und wie könnten die entscheidenden Entwicklungen zusammengefasst werden? In einem wissenschaftlichen Kompendium? Oder eher in einer Collage mit sich ändernden Schlüsselszenen? Die letzten Jahrzehnte der USA als Anatomie eines Autounfalls? J.G. Ballard hat sich in "Liebe & Napalm" für letzteres entschieden. Der Original-Titel "The Atrocity Exhibition" trifft die Ausstellung der New-Wave-Experimente noch besser. Marilyn, Oswald und der Hiroshima-Bomber-Pilot verwirbelt in Szenen, deren Hauptdarsteller nicht einmal seines Namens sicher sein kann. Nicht verwunderlich, dass dieses Werk in einem kleinen Verlag mit kleiner Ausgabe erschienen ist. Wer sich jedoch auf die Variationen des Crashs einlassen kann (Konzentration ist gefragt), der findet Analogien und Interpretationsansätze, die einiges erklären, was wir heute (immer noch) in den Nachrichten vorgesetzt bekommen. Wer jedoch nach einem Anfang, einem Ende und im besten Fall noch einer Handlung sucht, der sollte die Finger von diesem Buch lassen!



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