www.Crossover-agm.de Die Bücher der Gebrüder Kotte (16.08.2009)

Mordsersparnis für den Krimi
Unkontrolliert schreiben Autoren über Verbrechen und Leipzig

Kriminell ist Leipzigs Weltliteratur. Kein Stadtführer ließe Johann Christoph Woyzecks abgeschlagenen Kopf auf dem Marktplatz und das folgende Drama Georg Büchners unerwähnt. Auch Gottfried Keller inspirierte eine hiesige Gewalttat, um "Romeo und Julia auf dem Dorfe" zu verfassen. Die Liebenden entleibten sich weiland zwischen Sellerhausen und Crottendorf. Leipziger Verbrechen sind für Schlagzeilen und Bücher gut. Das war ehedem so, und ist es noch heute.
Der Buchhandel offerierte dies Frühjahr eine erkleckliche Anzahl "Leipzig Krimis". Das freut Handel, Leserschaft und Fan, haben wir doch lange auf den "Tatort" Leipzig literarisch verzichtet. Fernsehtechnisch scheint er sowieso ganz woanders zu spielen.
Otto Brusatti lächelt auf dem Umschlagfoto, meint er doch, uns mit seinem "Mord im Gewandhaus" (mdv) ganz was Originelles verfasst zu haben. Eine Gruppe Wiener Musiküsse ist gebucht, im Konzerthaus experimentelle Stücke klassisch vorzuführen. Gut betreut vom hiesigen Personal läuft's mit Stadterkundung, Auftritt und der Party in der Spinnerei. Bis, ja bis die holde Sarah hingemeuchelt in der Garderobe hängt. Alle Neuzeitmusiker sind höchst verdächtig, hatte doch nicht nur einer der Herren sexuelles Gelüst und manche der Damen Wut auf die Tote. Der Mord ist dem Autoren gar nicht wichtig, er beplaudert Kunst und Szene und ihre Abartigkeiten. Ein schöner Ansatz. Doch verliert sich Brusatti in Spielerei und Manierismus, dass einem die Lektüre nach zwanzig Seiten anödet. Es wird geschwätzig. Es wirkt bemüht. Überbetonte Witze machen nicht lachen. Und der Titel trägt ein falsches Etikett: Ein beschriebener Mord ist lange noch kein "Kriminalroman", auch keiner mit Musik. Eine verständig lektorierende Hand hätte aus dem Werk etwas lesbar Lustiges und keinen Kriminalroman entstehen lassen, doch scheinen Verlage diese Berufsgruppe nicht mehr zu beschäftigen. Schade.
Andreas Stammkötter kennt sich vor Ort besser aus als sein österreichischer Kollege Brusatti und schrieb "den" Leipzig-Krimi. Es ist "ein" Leipzig-Krimi, einer, der auch alle verkaufsfördernden Attribute der Stadt nutzt von Musik über Zoo bis hin zur Kneipenmeile Gottschedstraße. So saufen sich Studenten dort die Hucke voll und wissen angesichts 'ner Leiche, nicht mehr, was gewesen. Dunkle Quellen munkeln von Familiengeheimnis, Robert Schumann und viel Geld "Am Ende des Klanges" (Neuer Europa Verlag). Die Tätersuche gestaltet sich klischeehaft, endet jedoch gut ausgeklügelt. Auch diesem Werk hätte eine helfende Hand die Qualität gesteigert. Einschübe anno 1840 lesen sich wie Charlotte Link unfreiwillig komisch, so sprach dazumalen kein Mensch. Ein Lektor hätte die stilistischen Untiefen erkennen müssen und manch' Schludrigkeit dazu. Schade.
Stefan Haffners Krimis sind historische Krimis um die "Kinder der Völkerschlacht". Im Teil II der Saga beschäftigt Ermittler Martin Held "Die Rückkehr der Wölfin" (mdv). Zum Messegeschehen trifft es einen Bauarbeiter am Kopf, danach im Nacken, und in Leipzig geht der Werwolf um. Der Autor müht sich, Zeit und Lebensweise darzustellen, jedoch geraten viele der Details daneben. Sicher sprach die Stadt vom Mörder Tinius, doch 1844 bestimmt nicht in dieser Fülle, andere Geschehnisse von Woyzeck bis Schumann hatten diese Schlagzeile längst abgelöst. Zeitgenossen kannten damals kaum ein Fremdwort, geschweige denn Detail, Autopsie und isolierten Gängen der Gewalteinwirkung. Wie die Gerichtsmedizin dazumalen wirklich ihre Gutachten verfasste, ist nachzulesen im "gerichtsmedizinischen Pitaval des 19. Jahrhunderts", nicht in diesem historischen Kriminalroman. Haffners Lösung des Falles allerdings beeindruckt. Sie ist gut motiviert, und kurz vor Schluss existieren falsche Fährten en masse nebst einer anständigen Verwirrung der Gefühle. Vordem jedoch gibt der Autor dem Leser kaum Spuren an die Hand, dass er hätte mitkombinieren und Spaß haben können. Ein Lektor hätte auf die Längen der Beschreibung und die Lücken und Fehlknüpfungen des kriminellen Geschehens hinweisen müssen. Er tat es nicht. Schade.
Man kann über Leipzig und seine Verbrechen lesen. Das gefällt. Dass demnächst der Stadt ein Mankell, ein Ellroy oder eine P.D. James und Weltliteratur entwächst, bleibt Wunsch (obwohl die Realität famose Thriller nahe legen tät). Allerdings müssten Verlage ihren Veröffentlichungen jene Aufmerksamkeit angedeihen lassen, die die Qualität der Bücher steigert. Stets haben Autoren auf die Unterstützung ihrer Lektoren hingewiesen. Ohne Richard K. Flesch gäb's den neuen deutschen Krimi nicht. Verlegerische Pflege tut Not und tut gut. Das Pflänzchen des neuen Leipzigs Krimis sollte nicht nach ersten Blättchen bereits wieder verschwinden. Die vorgestellten Kriminalromane sind lesbar. Sie hätten in allen Belangen zum Vergnügen geraten können. Sie taten es nicht. Schade.

Zwei Etagen unter der Hölle
Uwe Stöß schreibt vom Rande mitten in der Gesellschaft

"Einem Wasserfall gleich stürzt mir der Schweiß den Rücken hinunter und sammelt sich in meiner neu entstandenen Bierhüftenfalte. Ich fühle mich ungewaschen und übelriechend. Ich bin ungewaschen! Meinen Eigengeruch nehme ich Gott sei Dank, nicht wahr. Es hat den Anschein, als glotzen mich alle an, drehen sich nach mir um, und zeigen mit den Fingern auf mich. Mit dem Blick eines Kaninchens im Angesicht der Schlange eiere ich durch die verschwommenen Regale des Supermarktes, vorbei an Obst und Gemüse, Milch und Käse und durch die Auslagen, brechend gefüllt mit Süßigkeiten. Endlich! Am Horizont sind sie zu sehen die Objekte meiner Begierde. Groß und voll mit dieser hoffnungverheißenden, brennenden Flüssigkeit: Alkohol!"
Wir sehen sie an Straßenecken, Haltestellen, Parkbänken. Sie betteln uns an. Sie essen beim Roten Kreuz. Sie schlafen in Obdachlosenasylen. Wir stecken unsere Nasen hinter den Jackenkragen, wenn sie vor uns an der Supermarktkasse stehen. Wir greifen instinktiv Richtung Geldbörse, wenn sie sich an uns vorbeidrängeln. Wir meinen, selber Schuld an diesem Schicksal, und wissen nichts.
Uwe weiß, wovon er schreibt. Er gehörte zu diesen Elendsgestalten dazu. Seine Texte berichten von einem Leben am Rande der Gesellschaft. Sie berichten vom Einkauf, wo das Geld für den Tropfen Schnaps nicht hinlangt. Von den Alpträumen, die einen nächtens überfallen. Vom Knast und seinen Regeln. Von Schlägereien, Einbruch, Diebstahl, Tod. Diese Geschichten faszinieren. Sie schildern ein Leben, das wir nicht kennen lernen wollen, vor dem uns aber gar nichts feit.
Uwe hat es aus der Bahn geworfen. Kindheit, Liebe und Beruf nahmen nicht das gewünschte Ende. So fand er sich neben Straftätern und Saufbrüdern, schönen Frauen und schnellen Autos, er fand sich im Dreck und hinter Gittern wieder. Uwe versucht heute, diesem gescheiterten Leben Sinn zu geben. Er kämpfte um den Verzicht auf Alkohol, er gliederte sich ins Sozialsystem ein, er schreibt. "Die kleinen Stories und auch einige Gedichte waren trotz ungewollter Banalitäten ein Teil meines Lebens und sehr wichtig für mich. Kein noch so gravierender Grammatikfehler konnte diese Bedeutung kleiner machen. Manchmal verspüre ich schon den Drang anderen Menschen meine Geschichten zu erzählen."
Der Schritt in die Öffentlichkeit fiel ihm nicht leicht. "Ich sehe mich mutterseelenallein auf einem Podest stehen, vor lauter Literaturfreaks und Grammatikweltmeistern, im gleißenden Scheinwerferlicht das mir den Schweiß in die Augen treibt. Ich verspreche mich in jedem Absatz mindestens drei Mal, bis die ersten bedauernd ihre Köpfe schütteln und einer nach dem anderen die Toilette besucht, weil die Geräusche der Spülung mehr Aussagekraft besitzen. Ein ergrautes Literaturprofessorengremium auf dem ersten Rang rechts, streckt seine zittrigen, altersbefleckten Gichthände über die Brüstung, um geschlossen die Daumen nach unten zu zeigen. Was für ein Grauen!" Uwe hat sich getraut. Die sonntägliche Lesebühne im FHL-Club bietet jedem Chance und Gelegenheit. Uwe konnte mit seinem ersten Auftritt schon begeistern. Moderator und Verlagschef kamen auf ihn zu. "Die Schildkröte war durch den brennenden Reifen gesprungen, und sie hatte sich nicht verbrannt. Goethe war längst nicht so gefährlich, und das Zebra hatte sich wacker geschlagen auf der Galopprennbahn." Der Literaturbetrieb in Leipzig ist weder so gefährlich, wie er scheint, noch ignorant.
Jetzt erscheint Uwes erstes Buch. Titel: "Zwei Etagen unter der Hölle". Uns hat es fasziniert. Zeigt es doch, dass es Erzähltalente auch da gibt, wo keiner sie vermutet. Uwes Texte sind hart, schonungslos, offen. Sie bleiben im Gedächtnis, der Stumpenhannes, der Nudelkoch, Benno und Sina, Frank Steiner und der Sandmann. "Uwe hat uns mit ihnen bekannt gemacht. Weil er sie kennt - sehr gut sogar. Er könnte einer von ihnen sein, er war einer von ihnen. Und deshalb kann er so über sie und sich schreiben: kraftvoll, direkt, ohne Sentimentalität und unglaublich komisch." (Text: Olaf Teichmann)



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