www.Crossover-agm.de Die Bücher der Gebrüder Kotte (26.02.2006)

Kann man Affen lieben? Nein, nicht die Kuscheltiere oder die im Zoo hinterm Fenster. Nein, so richtig "Affen lieben", lieben wie Mann die Frau vom Strich oder Gattin. Cornelia Arnhold bricht das Tabu und läßt die Männer auf "Kennedys Affen" (Rotbuch) los. Der tritt als Marilyn Monroe auf, und der Halter vermietet ihn auch für den Verkehr. Eines Tages ist Marilyn einfach weg und Privatdetektiv Malte N. von Cichlinski auf der Spur. Ja, unvorstellbar ist das Geschehen keineswegs. Flott geschrieben ist er auch, dieser Roman. Im letzten Drittel nimmt er dermaßen Fahrt auf, daß der Leser den verbogenen Lüsten, Lieben, Handlungen kaum noch zu folgen vermag. Dort wären Bremsklötzer mehr Zucker für den Affen gewesen. Aber: I wanna be loved by you ... Wir hatten's Vergnügen.

Der "Wilde Osten" ist heute ja auch der Westen (denn von China sprechen wir nicht). Boris Fishman hat Ost-Erfahrene gebeten, Geschichten aus den ehemaligen Republiken des Sozialismus zu erzählen: "Wodka Kalaschnikow" (Luchterhand) heißt das Produkt, und es begeistert. Zum einen die Sorokin und Pelewin, die wir als "neue Russen" bereits kennen. Die anderen sind zu Unrecht unbekannt. Vor allem Amis (eben diese) erzählen Stories, die den gegenwärtigen Wahnsinn unserer Bruderländer beschreiben. Bisnismen und Diplomaten, Kalte Krieger und Unesco, Mafiosi, Tschetschenien, russische Kunst ... eine Melange, die süchtig macht. Mehr dieser Droge!

Warum töten NoNames Prominente? Versace, Lennon, Kennedy - "Idole und ihre Mörder" (Diogenes). Autorin Conny Palmen war selbst Opfer und begegnete einem, der ihr sagte: Ich wollte Sie ermorden. Warum nur, warum? Der Essay sucht nach Gründen, die Fans in den Wahnsinn treiben. "Der Mörder macht Wirklichkeit aus seiner eigenen Fiktion, und die Schauspieler und Schriftsteller machen Fiktion aus der Wirklichkeit." Palmens Betrachtung des Phänomens verzichtet auf Sensation und deren Mache. Bei aller persönlicher Betroffenheit gelingt eine objektive Betrachtung. Und genau die macht Angst. Schlagzeilen werden wir auch morgen lesen: Attentat auf Pim Fortuyn, Itzhak Rabin, Papst Johannes Paul II.

Da hat man ihn nach Amerika bestellt, um einen Ungetreuen das Lebenslicht auszublasen. Und nun steht der Killer im Big Apple, und unbekanntes Leben rutscht an ihm vorbei. Nein, "Ein Job" (dtv), einfach, schnell und tödlich, ist so nicht zu machen. Irene Dische hat jene seltene Gabe, die Anspruch, Leichtigkeit und Humor verbindet. "Großmama packt aus" (Hoffmann & Campe) beschreibt ihre eigene Familiengeschichte. Und auch diese setzt sich zwischen Lesererwartung und -gefühl. Klasse. Und logo: Der Job geht anders aus als der Killer erwarteten konnte. Anders auch als wir uns dachten. Köstlich!

Jetzt ist es amtlich: Reclam Leipzig druckt nicht mehr. Bevor Leipzig aus Stuttgart virtuell fortgesetzt wird, erreichte uns "Eis". Eine kalte Geschichte von Kriegern, die übers gefrorene Meer müssen, um den Kampf der Ihren siegreich zu gestalten. Sie gehen an körperliche Grenzen, sie vertrauen dem Kameraden, sie sind Teil der Maschinerie, sie sind wichtig. Nur langsam stellen einige die Fragen ... Jerker Virdborg ist ein erstaunliches Debüt gelungen: spannend, philosophisch, aktionsgeladen, dramaturgisch und stilistisch brilliant. Leipzig hatte im Verlagshaus Reclam eigene Stimme, sie verstummt. Virtuell will das Verlagshaus weiter auf den Namen Leipzig setzen. Das hat Leipzig nicht verdient!

Roland Lampe macht's kurz. Ein Satz. Manchmal auch eine Seite. Sind es Gedichte? Kurzprosa steht auf Seite eins. Begebenheiten, selbst für Anekdoten zu kurz. Auslöser für Fragen, Gedanken, Gefühle. "Die Arbeit ist aber langweilig." Ist Textbeginn "Im Büro" und stellt abschließend die Frage: "Oder bin ich es?" Kürzer geht's nimmer. "Glück ist das Ende aller Poesie" nennt sich der Band der Edition Erata. Kontinuierlich beglückt uns das kleine Verlagshaus aus Leipzig mit gediegenem Druckgut. Diesmal sind die Illustrationen von Robert Schleder: Schwarz-weiß. Geometrisch. Unvermutet assoziativ. "Der Poet steht am Fenster und beobachtet ..."

Da sitzen sie um die Tafel, aber das Geburtstagskind erscheint nimmer. Markus Heuser bleibt einfach weg. In Folge verweigern noch mehr der Sechzehnjährigen die Anwesenheit in Familie und vorbereiteten Leben. Das nimmt Ausmaße an, daß die Behörden gar von Meksomanie sprechen. Birgit Vanderbeke begeisterte seit ihrem Debüt. Nun legt sie den Finger in die Wunde: "Sweet Sixteen" (S. Fischer) ist keineswegs ein gesegnetes Alter, zumal wenn Muff und Mief und Zukunft arschklar zu sein scheinen. Raus aus dem Alltag, den Aufstand geprobt und sich nicht wieder in die Reihe stellen. Ein kurzweiliges Lesen und Handgebung für Argumente, wenn man die Alten einfach so satt hat. Literatur, die begeistert.

Yeah, Ben Schott hat uns mit seinem "Sammelsurium" begeistert. Ben Schott sammelte im Speziellen weiter, und so erreicht uns sein "Sammelsurium Essen & Trinken" (Bloomsbury). Unglaublich: Mahaghrta ist über 100 Jahre gelagertes Ghee. Und Ghee ist das Kochfett der indischen Küche. Mahaghrta hat heilende Wirkung. Welche Symbolik hat die Hochzeitstorte? Wie deutet man Zukunft aus Teeblättern? Was gab's zu John F. Kennedys 45. Geburtstag? Fragen, deren Antwort man nicht wissen muß. Sie zu kennen ist köstliches Vergnügen. Wie schmeckt eigentlich Schwan? - Wie Wild mit Fischaroma. Und Biber schmeckt wie Schwein. Lecker.

Christa Wolf schreibt Literatur, und nicht ein jeder traut dem Namen. Christa Wolfs Geschichten deuten Gegenwart und provozieren: "Nachdenken über Christa T.", "Störfall", "Kassandra". "Ein Tag im Jahr" (btb), jeweils der 27. September, hat die Schriftstellerin ein Protokoll geführt. 1960 bis ins Jahr 2000 erleben wir die Autorin und Geschichte, denn der eine Tag ist mehr als ihre persönliche Befindlichkeit. Namen fallen. Ereignisse sind Thema. Die privaten Katastrophen gibt es auch. Nein, Christa Wolf ist nicht Literatur für den Tagesgebrauch. "Ein Tag im Jahr" zeigt Dimension und Näherung einer Autorin. "Darum meine ich, wir könnten vielleicht / endlich gerecht sein ..."

Magisch - Realistisch - Kontinental: Südamerika
Es war gute Tradition: Sozialistische Autoren führten uns die Härte der kapitalistischen Welt in Südamerika vor Augen. Anna Seghers zeigte uns "Das wirkliche Blau" und "Die Erinnerung an eine Revolution". Ludwig Renn erzählte das Schicksal von "Trini" und "Camillo". Wolfgang Schreyer beschrieb "Das grüne Ungeheuer" und andere Marionettenpolitik made by USA. Auch Nobelpreisträger Imre Kertész verlegte die Handlung seiner "Detektivgeschichte" (Audioverlag) 1977 ins ferne Land der Diktatur. Ein Trick, denn eindeutig ist die Kritik am sozialistischen Überwachungsstaat. Neben der politischen Brisanz erfahren wir von Vaterliebe, Mut und Übermut der Jugend. Eine perfekte Erzählung. Perfekt vorgetragen von Ulrich Noethen. Hörens- bzw. äußerst lesenswert.
Überhaupt: Südamerika - ein schöner Stoff. Allerdings: Die Literatur dieses Kontinents ist in unseren Breiten nicht Bestseller verdächtig. Selten finden sich dortige Autoren in unserem Feuilleton, außer wenigen, die preisgeehrt oder für den Film entdeckt wurden: Gabriel Garcia Marquez. Jorge Amado. Jorge Louis Borges. Miguel Angel Asturias. Isabel Allende (Chile) gehört seit ihrem fulminanten Erstling "Das Geisterhaus" unbedingt zur Reihe südamerikanischer Topautoren. Gut, mit dem Auftragswerke "Zorro" (Suhrkamp) kann sie uns nicht überzeugen. Aber mit der Geschichte der Aurora del Valle und dem "Portrait in Sepia" (List) begeistert die Autorin mit dem langen Atem der Familiensaga. Ebenfalls das Jahrhundert erleben die "Vier Hände" (Unionsverlag) des Paco Ignacio Taibo II (Mexiko). Dieses ist ein surreales Vexierspiel erster Güte. Zweie versuchen einen Roman von der Revolution und ins Werk geraten Stan Laurel, Oliver Hardy, Leo Trotzki und die CIA. Diese Art Kunst-Puzzle ist Europa literarisch selten, nicht nur aus diesem Grunde ist das Buch das reine Vergnügen. Fiktion und Fakten begegnen uns auch beim "Mord im August" (ebd.). Rubem Fonseca (Brasilien) schildert Hintergründe, die zum Selbstmord des Präsidenten 1954 führen konnten.
Realität und die Fiktion: Gerade wird vermutet, Fidel Castro hat John F. Kennedy auf dem Gewissen. Uns beweist das, auf Cuba werden Klasse Geschichten erzählt. Und nebenbei erfahren wir 'ne Menge vom Leben im real existieren Sozialismus. In den Ruinen der Hauptstadt residiert der "König von Havanna" (Goldmann). Ungeschminkt schildert Pedro Juan Gutiérrez das Leben am Rande der Prachtstraße Malecón und am Rande menschlicher Existenz. Reynaldo ist dreizehn, als sein Bruder die Mutter tötet und sich selbst. Konsequenz des schrecklichen Geschehens: Reynaldo wandert hinter Gitter. Nach seiner Flucht beteiligt sich Rey mitnichten am Aufbauwerk der "besseren Gesellschaft", er nutzt die Lücken des Systems. Neben der Drastik der Umstände (oder trotz) ist Gutiérrez ein sexy und zugleich entlarvendes Buch gelungen. Auch Leonardo Padura schildert Cuba gegenwärtig. Oder zumindest fast. Der Herbst 1989 ist Folie für "Das Meer der Illusionen" (Unionsverlag). Tja, auch übersee geht anno 89 so einiges in die Brüche. Bonzen glauben an die falschen Bilder. Geflüchtete möchten Hab' und Gut zurück. Die staatlichen Organe betrachten dieses Geschehen mehr, als daß sie handeln könnten. Nein, der Sozialismus steht auf Cuba noch felsenfest, nur verliert Mario Conde gänzlich Zuversicht und Hoffnung, daß das Politsystem auf dem richtigen Wege sei. "Das Ende der Welt kam immer näher, doch es war noch nicht gekommen. Es blieb die Erinnerung." Auch den Frühling, Sommer und Winter 89 beschreibt Padura Mario Condes Leben im Roman und die Realität im Sozialismus. Nebenbei sind diese Bücher richtig gute Krimis einer anderen Art.
Es ist zu loben, daß sich der Unionsverlag der Schweiz der Spezies Lateinamerika besonders verpflichtet fühlt. Grad aus diesem Hause erreichen uns stets wieder Bücher vom unbekannten Kontinent. Es lohnt, Regale abzusuchen nach der Spezies Literatur aus Lateinamerika. Sie gibt es, wenn sie auch gegenwärtig wie der Kontinent aus den Schlagzeilen fällt. Lesen wir: Álvaro Mutis. Pablo de Santis. Armando Cristóbal Perez. Jorge Franco. Omar Rivabella. Eduardo Galeano. Luis Rogelio Nogueras. Roger Mais. Santiago Gamboa. Ignacio Cárdenas Acuna. Gabriel Trujillo Munoz. Guillermo Rodriguez Rivera ...

Ehrlich. Eklig. Sexy
Übers Saufen spricht man nicht, man tut's. Augusten Burroughs ist hochbezahlt im Fach der Werbung, schwul, Säufer und schreibt über sich selbst. Kein Abend ohne Cocktail, Whiskey andern Schnaps. Da zieht seine Agentur die Reißleine und stellt das Ultimatum: "Trocken" (Rowohlt) oder arbeitslos. Augusten zieht mit gutem Vorsatz ins Kurheim zur Entgiftung. Wieder raus muß er die Treffen der Anonymen Alkoholiker zur Therapie besuchen, um dem Alk wirklich die Verweigerung zu bieten. Bislang gerieten solche Säuferstorys literarisch stets ins weinerlich Deprimierende. Burroughs hat Selbstbewußtsein und Humor, und deshalb gelingt ihm das Unerwartete: Der Leser lacht, hat seinen Spaß an der zuweilen unappetitlichen Geschichte der Entziehung. Zu absurd die Gruppentherapiegespräche, Job und Liebe. Letztere erlangt den Helden mitten in der Sucht, so'n Scheiß, eben da sollten sich die Lebensgewohnheiten gar nicht ändern. Aber kleine Lebenslüge: "Ich habe ihn streng genommen nicht ganz nackt gesehen, und das heißt, daß wir streng genommen keinen richtigen Sex hatten." Bei allen guten Vorsätzen: Tragik, Tod und Rückfall sind inklusive und ein herrlich hollywoodreifes Ende. Und siehe da, bald können wir "Trocken" im Kino sehen. Ob die diese Leichtigkeit einer Entziehungskur so hinkriegen?

Kleiner TIP: Letztes Bild: Die Kino-Eule
Kritikerpäpstin trifft auf Karikaturisten. Bofi trifft auf Kino-Eule. Ein reines Ostberlinertreffen, aber Renate Holland-Moritz und Manfred Bofinger vereinigen sich letztmalig in einem Buch. Denn der Illustrator starb Anfang 2006. Weniger bekannt dürfte sein, dass seine allerersten gedruckten Arbeiten das Holland-Moritz-Buch "Graffunda räumt auf" (als Film "Der Mann, der nach der Oma kam") zierten. Nun ist seine allerletzte Illustration auf dem Titel von "Die Eule im Kino" (Karl Dietz) verewigt. Darin können wir noch einmal die teils launigen, meist bissigen, aber immer fundierten Kinofilmkritiken der Kino-Eule aus den Jahren 1991 bis 2005 nachlesen. Ein Buch, das nicht nur der Orientierung von Fernsehzuschauern dienen kann, aber gut ist, wenn unser lieber mdr mal wieder Uralt-Kamellen aus dem Keller sendet. Nein, die Eule ist einfach köstlich zu lesen und ruft selbst nach Jahren entweder Protest, ob der niederschmetternden Kritik des eigenen Lieblingsfilmes, oder schmunzelnde Zustimmung hervor. Stilistisch wie gewohnt scharfzüngig ironisch und aus vollstem Berliner Herz mit Schnauze. (Carola Kinzel)

Frau weiß nicht warum, aber Schurik ist der Charmebolzen an sich. Und so schläft sich das Muttersöhnchen durch die Betten von Damen aller Alterslagen und Klassen. Allerdings ist dies kein "Weg nach oben", sondern ein Abbild der prüden sozialistischen Sowjetgesellschaft, die sehr wohl die Lust auch kannte. Ljudmilla Ulitzkaja ist eine jener Autorinnen, die wir einfach lieben müssen. "Ergebenst, euer Schurik" (Hanser) ist solch Buch, das man immer weiter lesen möcht', doch leider hat's ein End'. Armer Schurik. Armer Leser.

Sir Arthur heißt Conan Doyle und ist Sherlock Holmes, zumindest sein Schöpfer. Doch sein Werk erschöpft sich mitnichten in den launigen Detektivgeschichten. "Der Parasit" (Audiobuch) ist Klasse Grusel der old school mit Hypnose, Liebe und Gedankenübertrag. Und "Die vergessene Welt" (Lübbe Audio) ist zumindest ebenso spektakulär wie "Jurassic Park", allerdings gut hundert Jahr vordem erdacht und aufgeschrieben. Saurier, Affenmenschen und eine mutvolle Clique von Wissenschaftlern lassen uns die Urzeit 1912 heute hören. Ein Hörspiel von Frank Gustavus, das der Dinomania trotzt und sie trotzdem bedient. Wir empfehlen nicht nur der Fangemeinde.

Faschismus bewegt uns immer. Auch die Kriminalliteratur. Der Sozialismus räumte mit solchen Tätern bereits anno 1960 auf. Der Westen tut es heute. Und deshalb sind die mit dem braunen Dreck am Stecken heute 90 und darüber. Elisabeth Hermann sprang auf die Entschädigungswelle auf und läßt "Das Kindermädchen" (Rotbuch) Recht erstreiten. Klar liegen bei den Alten Leichen und Kunst im Keller, die die Enkel nicht rausrücken wollen. Mord und eine Schulstunde in Geschichte. Nein, diese altgebackene Literatur haben wir nicht verdient, auch wenn sie's auf Bestsellerlisten schafft. Warum denn nur?

Anders führt uns P.D. James in diese Vergangenheit. "Wer sein Haus auf Sünden baut" (Knaur) ist ein großangelegtes Puzzle und Bild einer Literaturgesellschaft, die ums Überleben kämpft. Der junge Verlagschef einfach tot, und alle, die im Haus vorhanden, hätten Motive und Gelegenheit. Es ist klar, warum uns die Klassiker der Ladies in Crime immer wieder erreichen: Sie sind einfach gut, die Christie und George, die McDermid und Sayers, die ... Kaum bessere Lesestunden sind denkbar.

"Eines sollten wir nicht verlernen: das Staunen." Der Siggi Jähn hat Recht und zeigt uns "Bilder der Erde" (Gerstenberg). Gemeinhin sehen wir die Satellitenfotos nur beim "Wetter" und nur kurz. Der Bildband zeigt uns die Welt in der Draufsicht: Paris und London, Kamtschatka und das Mekongdelta, Washington D.C. und Nepals Gletscher ... Dem Staunen kein Ende. Leider haben wir den Berufswunsch Kosmonaut seit dem Kindergarten nicht weiterverfolgt, unseren Planeten so zu sehen, kann süchtig machen. Phantastisch! Und wir leben darauf. Sicher, dieses wunderbare Bilderbuch werden wir in Griffweite stellen und immer wieder nachsehen und staunen.

Daß Herr Umberto Eco wunderbar erzählen kann, hat er bewiesen. Daß er andrerseits auch Wissenschaftler ist, wissen wir. Nun plaudert Eco über "Die Bücher und das Paradies" (dtv). Dies sind brilliante Betrachtungen zu Literatur, Geschichte, Zeitgeschehen. Nach der Lektüre werden wir die vorgestellten Meisterwerke anders lesen: Oscar Wilde, José Louis Borges, Piero Camporesi oder Marx und Engels. "Ein Gespenst geht um in Europa ..." Bislang haben wir das Manifest nur verschieden interpretiert und nie auf Stil und Sprachverwendung geachtet: "Abgesehen von der gewiß poetischen Fähigkeit, denkwürdige Metaphern zu erfinden, bleibt das Kommunistische Manifest ein Meisterwerk politischer und nicht nur politischer Rhetorik." Jawohl.

Weites Feld: Der Wendewälzer. Genau der!
Wie hatte man darauf gewartet! Wie hatte man gehofft, gebangt! Wie lang hat sich der Schriftsteller Zeit gelassen! Sieben Jahre. Wie hat man den Autoren gehegt und gepflegt und mit Vorschuß- und anderen Lobeeren geehrt. Denn nur einer konnt' ihn schreiben. Jetzt endlich ist er fertsch, der ultimative Roman zur Wende. Und die Kritikerwelt ist voll des Lobes, so haben sie's erwartet. Solche und wirkliche Kunst bringt nur einer zustand. Name: Ingo Schulze.
Allein der Umfang des Romanes: 790 Seiten. Und die Art und Weise: einzig, artig. Der vergessenen Tradition des Briefromans hat sich der Künstler bedient. Da schreibt sich einer sein Leben von der Seele, ja, den ganzen Schmutz und Modder, die Sehnsucht und die Hoffnung und und und. Und da der Held im Osten gebürtig, erleben wir den Staat, der war: die DDR. Hurra!!! Der Roman zum ersten Sozialismus und dessen Ende auf deutschem Boden. Endlich!!! Denn Ostalgie und Show und Mache, Fernsehserien, Talk und Memoiren, sie haben es nicht leisten können, uns die DDR wiederzugeben und denen aus dem Westen die DDR begreiflich zu machen. Jetzt steht er im Buchregal, man kann ihn lesen, den ultimativen Wälzer, der die Wende portraitiert. Juchhuu!!!
Wir sagen es gleich, uns bleibt die Euphorie der literarischen Kaste unverständlich. Wir finden's Buch, sagen wir mal, belanglos, absehbar, handlungsarm und in seinem Ausschnitt klein. Dabei kann der Rezensent den Spuren des Helden sehr gut folgen, auch er machte Abitur an Dresdens Kreuz, diente in der NVA, studierte Sprache und mühte sich fürs Theater. Auch er war bei den Leipziger Demos, sah den Dresdner Hauptbahnhof brennen, vermißte nach dem Republikgeburtstag Freunde. Ja, der Herr Schulze ist nah dran am Leben und an den Tatsachen. Ja, er beschreibt den Untergang des Landes sehr genau. Ja, er besitzt die Fähigkeit, mit Sprache umzugehen. Aber all das macht eben ein Buch nicht aus. Spaß muß es machen, Freud am Lesen sollt' man haben. Hatten wir nicht.
Allein der Ansatz Briefroman schlägt fehl. Wer beschreibt (beinah) fremden Personen sein Leben en detail und warum? Die gute Frau hat doch die Briefe gar nicht haben wollen und kriegt nun ein kleines östliches Leben per Post. Wir hatten echt Mitleid. Und dann dachte der Schreiber an seinen Nachruhm und die Veröffentlichung dieser Briefe und kopierte all seine Worte und legte sie fein säuberlich ab. Mhm, klar muß man für einen Briefroman die Briefe haben, wir allerdings kennen keinen Menschen, sein Geschreibsel im eignen Haus archiviert hoffend auf Ruhm. Nee, sowas glauben wir nicht. Und da es eben die Briefe eines einzelnen Herrn sind, ist auch der Roman der Roman eines einzigen Helden. Das gibt zwar ein Bild der Gesellschaft, aber eben ein sehr persönliches und nur das. Ehrlich, solch Lesestoff steht doch schon in den Buchhandlungen rum noch und nöcher. Es hat doch fast jeder zweite Bürger der DDR sein Leben bereits aufgeschrieben und Verlage haben gierig gedruckt. Nun eben auch Ingo Schulze. Hut ab, aber neu ist das nicht. Und daß dieses Werk "Neue Leben" (Berlin) folgenden Generationen im Gedächtnis bleibt, bezweifeln wir. Schulze beschreibt zwar alten Staat und Stunde Null, doch Atem und Bilder geraten zu kurz.
Andere weniger umjubelte Werke erweckten in uns eher Sympathie und die Vergangenheit. Die "Jungen Talente" (Rowohlt) des André Kubiczek. Oder Edgar Reitz' "Heimat 3" (Knaus). Und Thomas Brussig hat doch mit "Wie es leuchtet" (S. Fischer) ein anschaulich Bild der Vor- und Nachwendewirren geliefert. Da waren all diese komischen Typen schon drin, die mit dem Geld und die mit der Hoffnung, die Pessimisten, die Gewinnler und ein bissel auch wir. Aber vor allem war Brussigs Buch lebensprall. Jetzt liegen die "Neuen Leben" des Ingo Schulze uns vor, ehrlich, wir hätten dieser nicht bedurft. Andere mögen sie lieben. Dagegen haben wir nix.

Verleger bringen Geschichten nicht nur in die Läden, sie lehnen Geschichten auch ab. Und das passiert auch ganz Großen. Häufiger natürlich, wenn sie noch nicht so groß sind. Die Edition Phantasia hat mit "Der Katzenpyjama" short stories von Ray Bradbury veröffentlicht, die bisher (zum Teil schon lange) in dessen Schreibtischfach schlummerten. Die meisten sind noch nicht einmal in Englisch veröffentlicht. Nun ist es mit Kurzgeschichten wie mit Hefeklößen, manchmal gehen sie einfach nicht auf. So bringen es viele der Erzählungen nur zu Skizzen. Doch die sind meisterhaft. Also: Nicht die entfernteste Konkurrenz zu den "Marschroniken", aber für Fans ist schon die Titelgeschichte mit dem grandiosen Titelbild das Geld wert.



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