www.Crossover-agm.de Die Bücher der Gebrüder Kotte (04.04.2004)

Es ist ein altes Kinderspiel: Man nimmt sich ein paar zusammenhanglose Gegenstände und muß eine lustige Geschichte daraus bilden. Sinn und Logik spielen keine Rolle und eine Handlung muß nicht unbedingt erkennbar sein. Es macht den Beteiligten Spaß und hinterlässt bei den Unbeteiligten unsicheres Lächeln. Wenn allerdings Hr. Eschbach ein solches Spiel mit Komapatienten, internationale Geheimgesellschaften und außerirdischen Verschwörungen spielt, so kommt dabei nicht nur eine Fortsetzungsserie im der FAZ heraus sondern auch noch das Buch "Exponentialdrift". Inklusive Making of, damit erkennbar wird, wie toll doch die Beteiligten das Projekt gemeistert haben. Zweifelsohne rasant geschrieben, aber die fesselndsten Informationen sind die Zeitungsüberschriften zwischen den einzelnen Kapiteln. Bleibt zu hoffen, das es dem deutschen Vorzeigeautor wieder gelingt, sich auf seine Anfänge zu besinnen und Ideen zu zeigen und Geschichten zu erzählen. Warten wir also ab.

Natürlich kann John Lucas mit "Die Bar am Ende der Milchstraße" Douglas Adams nicht überbieten, aber er knüpft nicht nur oberflächlich an den Großmeister an. Diesmal ist der überforderte Hauptheld nicht mit einem depressiven Roboter unterwegs sondern mit einer attraktiven jungen Frau, die häufigen Trinkgelagen zugeneigt ist. Die Bedrohung ist größer, die "Total Trading Company" ersetzt das Universum durch ein virtuelles, in dem sich die Naturgesetze nach dem Geldbeutel richten. Doch zum Glück gibt es superschlaue Raumschiffe und Zeitreisen und intelligente Cocktails und brave Dreldoraner und clevere Trickbetrüger und Projektmanager. Absolutes Highlight des Buches ist aber schon die Szene zu Beginn, in der Jason von einem Berater die Wahrheit über seine Entlassung erfährt. Und zwar "im offenen und kooperativen Dialog". Also rein in die "Darius Jubb" und auf nach "Millitarn". Es lohnt sich.

"bild frißt bild. Und seltsam sind verkantet / die sinne all beim anblick der gesteine" Worte fordern. Fordern uns und Zeit. Lyrik als Gattung der Literatur hat es schwer als stillstes Medium. Und doch reizen die Worte derer, die sie beherrschen. Der Leipziger Andreas Reimann, ein solcher, dessen Kunst Bilder schafft und nicht frißt, legt uns seinen "Olivenspiegel" (Die Scheune) vor. Sehnsucht, Erinnerung an die Orte des Südens, wo Träume und Landschaft und die Gesteine verschmelzen. Dies Buch - ein Wortschatz. Aus Dresden Undine Materni ging auf "landgang im november" (ebd.). Lyrik auch hier: Anders. Gleich. Anders. Sprache - / formloser Stoff / der sich vereinbart / mit Allem" Worte fordern. Fordern uns und Zeit. Die es lohnt.

Tip: Leser, mißtrauet dem Superlativ!
Deutsche Sprache, schöne Sprache. Adjektive kann man steigern. Gut kann besser, gar zum Besten werden. Der Beste ist dann einer, einzigartig - sollte man vermuten. Aber unsre Sprach kann mehr. Auch einzigartig wird einzigartiger und ist am Ende ganz und gar und völlig am Einzigartigsten. Und so begegnen uns auch in der Buchhandelsbranche ganz einzigste und artigste Titel. Bescheiden kommen sie daher und machen uns bewußt: Jetzt kommen "Die Besten". Plural, denn einen besten Autoren kann es nicht geben. Das wissen Herausgeber, Juroren, wir Lesevolk: Geschmäcker sind verschieden. Talent dergleichen. Und wer bitte maßt sich als Einzelperson die Rangfolge an. Gut: Reich-Ranicki erstellte einen Kanon. Einzigartig. Nachgetan hat es ihm keiner. Höchstens im Versteck einer (mehr oder weniger) anonymen Jury. Sicher: Wettbewerbe sollte es auch literarisch geben. Grad geht der des mdr in seine letzte Runde. Am 10. Mai 2004 sendet Sender Figaro live die Geschichten und die Entscheidung. Der Sieger bekommt den Preis, ist Erster, nicht jeder wird am Ende dem Besten zustimmen können. Und das ist gut so.
Nun aber, erreichen uns auf dem Markt stets wieder Kompendien, die sich mit den Titel "Beste" küren. Bestes von E.A. Poe, von Hede Courths-Mahler, von Max Goldt und Allerallerbestes mehr, mehr, mehr. Piper präsentiert "Die Besten 2003. Klagenfurter Texte". Der Wettbewerb gilt als Deutschlands einflußreichster (Superlativ!). Und der Verlag offeriert alljährlich seine Besten, was heißt alle. Der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb ist in der Krise, behauptet man seit Jahren schon. Doch immer wieder: Auf ein Neues! Um es gleich zu sagen, wer da wie diese Besten auserwählte, bleibt mir unverständlich. Einzig Feridun Zaimoglu würd' mich überzeugen, fast alle weitere Prosa im Bändchen: Überambitioniert. Langweilig. Humorloser Quatsch. Und mit wunderschönen Titeln á la "Auszug aus einem längeren Text". Schön am Buche aber ist: Wir lesen auch das Drübergerede all der intelligenten Juroren. Es sind jene Kritiker, die die Maßstäbe deutscher Literatur vor uns hinsetzen. Deutschlehrer täten uns Schülern für solch Geschwafel die volle 6 reinknallen. Wissen sie in Klagenfurt, was sie reden?
Auch die Deutsche Verlags-Anstalt präsentiert alljährlich "Beste Deutsche Erzähler 2003". War der Jahrgang 2002 lesenswert, ist das Erschrecken nunmehr groß. Das sind die Besten!? Aber vielleicht lag's nur am Händchen des neuen Herausgebers Hubert Winkels. Dieser meint: "Gut, besser, die Besten - diese Resthierarchie, die bleibt, wenn alle anderen Ordnungsmuster entleert sind, dient allein dazu, eine Bewegung zu inszenieren, in der sie sogleich aufgeht, um vergessen zu werden. Eine Abschußrampe, um es raumfahrttechnisch zu sagen, aber nichts, was auffängt. Ein Impuls, kein sicheres Gefühl. Drei, zwei, eins, null ..." Noch Fragen? Obwohl: Es sind ein, zwei, drei richtig gute Geschichten darunter. Die schrieben mitnichten die gepriesenen Adepten neurer deutscher Literatur. Die schrieben die Alten.
Wir bedauern: Deutschland ist niemals Land der Kurzgeschichten gewesen. Wir mögens halt schwerer, kontemplativer und lang. Doch manchmal fragt sich der Kritiker, wird sich diese Misere vielleicht eingeredet? Durchaus lassen sich Kurzgeschichten und deren gute Erzähler/innen finden. Franziska Gerstenberg: "Wie viel Vögel" (Schöfflin). Bob Strahl: "Eine unsterbliche Seele" (Das Neue Berlin). Laabs Kowalski: "Der merkwürdige Mann im Café" (Kilroy Media). Und wenn wir über den deutschen Tellerrand schauen, kam grad auf den Markt: Klassiker Alberto Moravia: "Der neugierige Dieb" (btb), die frühen Erzählungen des Nestors italienischer Literatur. Etgar Keret hat einen gnadenlosen Blick auf die israelische Jetztzeit, diesen beweist er auch beim "Mond im Sonderangebot" (Luchterhand). Und dtv präsentiert zweisprachig "Gespenstische Frauen". Da kann man lesen. Da macht es Spaß. Wir fordern: Schluß mit den Superlativen, sie versprechen, was sie nicht halten können. Sicher: Gegen Wettbewerbe und Sieger haben wir nix. Überhaupt nix. Preise helfen bei Veröffentlichung und Karriere. Manchmal. Doch mit einem ersten Platz kann man Bester in der Kunst doch niemals sein. Weder in Malerei, Schauspiel, noch Literatur. Schön, daß TV und Rundfunk an Wettbewerben teilhaben lassen. In Klagenfurt (23.-27. Juni). In Leipzig (10. Mai). Klar gibt es danach die Anthologien. Piper wird sie wieder "Die Besten" heißen. Der mdr stellt (bei Faber&Faber) nur eine "Jahresauswahl" vor. Angenehm.

Kleiner Tip: Vorolympische Kämpfe
Olympia wirft seine Schatten voraus. Und Schatten sind nicht hell. Vieles, was das Licht der Öffentlichkeit scheut und scheuen muß. Aufträge werden im Vorfeld verteilt an Baumaßnahmen, Infrastrukturanpassung, Werbung und anderen Kampagnen ohne Ende. Wer will nicht daran gewinnen? Doch unerwartet tötet sich einer der Immobilienhaie und Sieger im vorolympischen Wettkampf "Live!" (Diogenes) im TV. Warum denn das? Der Mann hatte doch alles. Tage später zweiter Selbstmord und diesmal war die unbegreifliche Tat der mediengerechte Rücktritt eines Politikers. Darauf verbrennt sich ein dritter Journalist. Drei sonderbare Suizide, da stellen sich doch Fragen. Die Gründe und die Antworten liegen in der Vergangenheit.
Nun könnte man erwarten: Die Vergangenheit heißt DDR und Bonze und folgerichtig Stasi. Desweiteren Lügen und Betrug und Schauplatz: Leipzig. Mitnichten! Petros Markaris schrieb eine Geschichte aus Athen. Dorten finden die Spiele bereits diesjährig statt. Der Roman besticht durch eine konsequente Konzeption. Die Aufdeckung des Geheimnisses erfolgt ohne Hektik, und deshalb werden die Figuren plastisch. Von Leipzigs Olympia-Plänen hat man schon gehört. Von Bestechung, Mißmanagement und Verfehlungen in höchsten Kreisen auch. Was für heimische Romane kommen da auf uns zu?! Auf diese Werke freut sich schon Henner Kotte.

Morde in der Pornobranche
Dolly Buster wechselt das Genre

Logo: Dolly Busters Name ist uns wohlbekannt. Durch Film und Fernsehen und die Handelsbranche. Nunmehr zeigt sie uns ein weiteres ihrer Talente: Dolly Buster schreibt. Nicht ihr Autogramm auf Visitenkarten und Videohüllen, nein, Dolly Buster erobert sich die Literatur. "Hard Cut" und "Tiefenschärfe" sind knallharte Krimis. Die Autorin hält voll drauf. Zum einen auf das, wofür uns Dollys Name eh schon steht: Sex in offner Variation. Zum anderen auf das Verbrechen. Auch das ist nicht ohne: Blutig durchgebissene Frauen. Abgeschnittne Glieder. Fetisch aller Art und Neigung. Dabei legen die Romane nicht allein Wert auf Schock und Geschlecht, psychologisch sind Dolly Busters (Un)Taten wohl begründet. Grund genug, daß die Autorin auch zu diesen ihrer Werke Rede und Antwort steht:

Aus welchen Gründen schreiben Sie Krimis?
Ich habe angefangen, Krimis zu schreiben, weil ich schon immer gerne Krimis gelesen habe. Irgendwann stand ich in einem Buchgeschäft am Flughafen und fand einfach kein Buch, das mich interessierte. Da habe ich beschlossen, dieses Buch selbst zu schreiben - so ist mein erster Thriller "Hard Cut" entstanden.

Ihre Romane spielen im knallharten Pornogeschäft: Ist das so kriminell oder ist es Ihre persönliche Kenntnis, warum Sie Ihre Geschichten dort ansiedeln?
Das Pornogeschäft ist nicht mehr oder weniger kriminell als jede andere Branche. Ich wollte den Krimi in einer Umgebung spielen lassen, in der ich mich auskenne. Außerdem gibt es in der Geschichte des Krimis noch keine Ermittlerin, die gleichzeitig Porno-Queen ist. Das war einfach ein Bedarf, der gedeckt werden musste.

Haben Sie Vorbilder und Krimivorlieben?
Ich mag die Krimis von David Lindsey. Und zuletzt las ich den "Vogelmann" von Mo Hayder - der ist fast so brutal wie mein zweiter Thriller "Tiefenschärfe". Der spielt übrigens hauptsächlich in einem großen Fernsehsender und nicht in der Porno-Industrie.

Wollen Sie ernsthaft in die Politik einsteigen? Ich denke an Ihre Engagement für die FDP und Ihre Ambitionen fürs Europaparlament.
Natürlich ist mein politisches Engagement ernst gemeint. Wir leben ja in einer Zeit, in der mit der Politik und der Wirtschaft ganz offensichtlich etwas schief läuft. Die Politik scheint sich gegen den Bürger zu wenden - dabei sind diese Politiker immerhin von einer Mehrheit gewählt worden. Ich bin ein politisch denkender Mensch, aber auch eine Normalbürgerin, die Steuern zahlt. Politik braucht momentan etwas mehr Vernunft, Bodenhaftung und muss sich verstärkt um die grundlegenden Bedürfnisse der Wähler kümmern.
Je abgehobener die Politiker, desto tiefer die wirtschaftliche Talfahrt. Die etablierten Parteien schmoren nur noch in ihrem eigenen Saft - ich war sehr erfreut, als mich die NEI ansprach. Das ist eine junge Partei in einer jungen Republik.

Ist Deutschland ein guter Pornostandort?
Ehrlich gesagt fehlen mir die Vergleichsmöglichkeiten. Sicherlich ist es für eine Porno-Produktion nicht von Vorteil, dass man pornografische Produkte nicht per Post an den Endverbraucher schicken kann. In anderen Ländern wird das anders gehandhabt.

Zieht es Sie zurück in die Tschechei?
Als ich die Tschechoslowakei verlassen hatte, war ich sehr erleichtert. Ich habe einfach nicht in ein kommunistisches Regime gepasst. Jetzt sieht das alles natürlich anders aus und ich beobachte die Entwicklungen sehr interessiert. Da ich mich mit meiner Firma in Deutschland etabliert habe, steht ein Umzug nach Prag aber nicht zur Debatte. Trotzdem - in einer Republik, die einen Schriftsteller zum Landesführer wählt, hat vielleicht auch eine Pornoproduzentin Chancen, ins Europaparlament gewählt zu werden.

Logo: Damit sind nicht all meine Fragen beantwortet, ich habe mehr und stell sie auch.

Buch macht Leipzig

Der Titel haftet. Haftet schwer. Buchstadt hat sich Leipzig gern geheißen. Doch Seitens Buch macht Leipzig stets weniger Schlagzeilen. Gut, die Messe läßt uns lesen. Aber denne? Verlage flohen nicht nur nach dem Kriege. Noch ansässige sind möglicherweise regional bekannt, drüber naus doch eher nicht. Gut, der mdr macht Wettbewerb. Doch das Power-Festival des Herbstes eingestellt. Staatliche / kommunale Ministerien / Ämter unterschreiben Förderung für Literatur so selten, daß man's gar nicht merkt. Die groß zentrale Bibo kennt Autoren und Verlage, doch die Leipzigs nicht. Noch immer sind dort die Angestellten stolz, uns ganz tote Leipziger als gegenwärtig hinzustellen. Auch die einzig Tagespresse meldet aus Leipzig literarisch höchstens Bühnen-Randnotizen. Wirklich? Ist der Name Buchstadt Leipzig aufgezehrt? Nein. Manch Buchfreund und Macher zieht's dennoch an diesen Ort.
Hier: Der Horror
Festa ist Name und Verlag in einer Person. So weiter niemals, empfand Frank Festa und schmiß seinen Job. Keine leichte Entscheidung: Frau, Kind, Kind und noch unklar, ob der Plan eines eignen Verlages Finanzen einbringt. Seit 2001 werden Bücher gedruckt in Qualität und im Genre: Horror. Die Fangemeinde begriff, unterm Label erhält man das, was hochnäsige Verlage und Feuilleton in Schmuddel- und Dreckecken stellen. Bei Festa gibt es literarische Welten in Schwarz. Robert Bloch, Clive Barker, Gustav Meyrink, ... Namen die nicht nur der Kenner schätzt. Frank Festa hat Gespür, wo die Tendenzen liegen, fast alle seine Bücher erlebten den Nachdruck in großen Verlagen. Lovecraft inspiriert. Brian Lumleys Vampirsaga heißt Necroscope, dort ist der Tod Beginn nicht Ende. Neuestens erzählt uns Bestsellerautor Kai Meyer in Serie ganze Mythenwelten. Demnächst gibt's auch Taschenbücher á la Festa. Horror, ganz klar. Darunter solch literarische Highlights wie Thomas Ligotti. Aber auch angrenzende Sparte Kriminalroman soll Platz finden. Wir harren begierig.
Literarische Neigung verspürte Frank Festa schon, doch befriedigte ihn sein Talent niemals. Er zog die Konsequenz, die fast alle Buch-Berufenen scheuen: Weiter schrieb er nicht. Nach beruflichen Nebenwegen erarbeitete sich Frank die Neigung Bücher-Macher. Der Erfolg des Unternehmens gibt ihm Recht. Medien sprechen vom "größten Ein-Mann-Verlag der Welt". Die Zuwachsraten des Horror-Hauses widersprechen landesweiten Wirtschaftsprognosen. Doch Widerspruch: Das Büro in westerwälder Provinz. Außerdem fand Frank, daß der Wechsel Leben macht. Leipzig hat Tradition. Leipzig hat literarisch Atmosphäre. Hier herrscht noch immer Geist von Goethe und ETA Hoffmann, Urvater des Horrors. Seit September 2003 ist der Verlag vor Ort und verspricht Aktivitäten. Nicht nur ein Leipzig-Thriller ist da angedacht. Wir hören's gern.
Hier: Der Krimi
An den Fachmann zu geraten ist nicht nur medizinisch von Vorteil. Auch auf dem Buchhandelsmarkt gibt's falsche Auskunft. Und so ist es zu begrüßen, daß der spezielle Laden Fuß faßt. Leipzig besitzt seit Dezember 2003 den Buchladen für den Krimi (was nicht heißt, daß es nicht auch andre Bücher gäbe): Könneritzstraße No. 67.
Hans Kohlmann hatte Idee und Plan und Mut. Die Wege zwischen Freundin und Berlin und Mannheim sind weit. Bibliothekare in fester Anstellung selten. Und eine Lehre im Fach hatte Hans auch. Schlußfolgerung, warum nicht probieren, was in andren Metropolen auch Handel treibt: Der Krimi. Hans kennt sich aus, schon immer war das Verbrechen Lieblingslektüre. Und da Leipzig im Lande mehr Magnetismus besitzt als Residenz Dresden (wir wissen's) stand der Entschluß: Hier vor Ort soll es sein. Könneritzstraße No. 67. Noch sind die Regale neu, doch gut gefüllt mit den bekannten Namen und den unbekannten. Rolo Diez zum Beispiel zeigt Deutschland den Krimi mexikanisch hart. Ellroy, James, ist sicherlich einer der besten Autoren Amerikas. Doch haben dessen Romane unterm Etikett "Krimi" eher zu leiden. Und wer kennt Buddy Giovinazzo, der Klasse Bücher schreibt? Nicht nur das könnte man bei Hans Kohlmann erfahren.
Logo: Das Geschäft frißt derzeit an Zeit und Nerven. Doch auch ein musikalisch Herz hat Hans. Als Drummer in Punk-Band zeigte er sich auf Bühnen bis in die Tschechei. Die Plattensammlung mit knapp 5000 Scheiben wurde Amerika geopfert. Manches Vinyl legt sich Hans nun wieder zu. Entschlüssen wird nicht nachgetrauert. Warum auch? Und wir sind gewiß, rumsprechen wird sich seine Adresse nicht nur bei Krimilesern.

Trotz vieler Rück- und Nebenschläge: Noch hat Leipzig den Nimbus Stadt der Bücher nicht verloren. Enthusiasten braucht die Branche und kein Gerede.

Karriere, Kind, Gesellschaft, Tod

Thea Dorns neuer Thriller führt die Mutter an den Abgrund des Wahnsinns. Am 22. März 2004, 20.00 Uhr, Moritzbastei, war sie Gast in Henner Kottes "Schwarzer Serie". Der stellte vorab ein ein paar Fragen zum Bestseller:

"Die Hirnkönigin" ward mit dem Deutschen Krimipreis 2000 geehrt, auch wenn die Handlungen der Hauptheldin justiziabel sind, ist "Die Brut" kein Krimi. Hast Du das Genre gewechselt?
Ja und nein. Von der großen Struktur her ist "Die Brut" in der Tat kein Krimi, sondern beschreibt Tessa Simons langsame Fahrt zur Hölle. Im letzten Drittel, wenn die Katastrophe passiert ist, benutzt dieser Roman aber klassische Elemente des Thrillers - eine gewaltige Ermittlungsmaschinerie läuft an, die strafbare Heldin lügt, was das Zeug hält. Lustigerweise habe ich nun gerade für dieses Roman-Drittel mehr Krimi-Recherchen gemacht als für jedes Buch zuvor. (Ein Bremer Kripokommissar hat sich bereit erklärt, gewissermaßen gegen mich bzw. Tessa zu spielen. Das ging so, dass ich ihm kapitelweise gemailt habe, was angeblich geschehen ist, und er mir zurückgemailt hat, in welche Richtung er nun ermitteln würde. In der ersten Variante hätte er mich bzw. Tessa mit ihren Lügen schon am zweiten Tag überführt gehabt. Aber Gott sei Dank konnte ich ja "nachladen", und so ist es in der Endfassung ein ziemlich perfektes Verbrechen geworden.)

Es liest sich wie ein Kommentar zur Zeit: Prominente Frauen wie Claudia Schiffer, Sarah Connor, Birgit Schrowange bekennen sich zu Kind und Familie ohne die Karriere aus dem Auge zu verlieren. Auch Tessa versucht den Spagat mit allen Mitteln. Ist Tessas Schicksal, der Preis, den die neuen Mütter zahlen?
Selbstverständlich habe ich absolut nichts dagegen, wenn Frauen sich zutrauen, Karriere und Kind unter einen Hut zu bringen. Ich sehe jedoch einen grusligen Trend, und der heißt: schwangerer Bauch und Baby als hippes Accessoire. Mutterschaft wird zum großangelegten PR-Spektakel. (Wahrscheinlich war auch da mal wieder Madonna die Mutter aller Trends. Im letzten Jahr gab es eine Wahnsinnsanzeige von Gucci. Darauf war ein toughes, blondes Model zu sehen, oben ohne, dunkle Sonnenbrille, lange weinrote Lederhandschuhe, Handtasche - und ein nacktes Baby vor der Brust. Das Bild hatte ich beim Schreiben die ganze Zeit über dem Tisch hängen.) Kinderkriegen wird zu einer Frage des Lifestyle, der narzisstischen Selbstverlängerung der Eltern.

Sind Deine ersten Romane eher anarchisch und unerwartet, folgt dieser Roman seiner Heldin zeitlupenhaft. Erforderte das Thema diese Strategie oder ist dies der neue Stil der Thea Dorn?
Mit der "Hirnkönigin" hatte ich eine bestimmte Grenze des Splatter-Schreibens erreicht. Ich hätte mich selbst gelangweilt, wenn ich versucht hätte, mit dem nächsten Roman noch eins draufzupacken. Mir war von Anfang an klar, dass ich mit der "Brut" einen neuen Ansatz finden muss. Ich wollte keine Geschichte mehr schreiben, die ihre Spannung (auch) daraus bezieht, dass der Leser mitraten darf, ob der Philosoph oder der Nachtwächter nun der Mörder war. Inzwischen glaube ich, dass bei dieser Art von Rätsel-Krimi immer viel Figurenpsychologie auf der Strecke bleibt. In der "Brut" ging es mir darum, eine möglichst abgründige, vielschichtige - und für unsere Zeit exemplarische - Hauptfigur zu schaffen, deren Selbsttäuschungen, Wirrungen und Irrungen ich dann ganz genau folge. Bis zum unausweichlichen, bitteren Ende. (In der "Hirnkönigin" wurden ältere Herren mit Vollbart geköpft. In der "Brut" wird unsere eitle, narzisstisch schwer gestörte Mediengesellschaft geköpft.) In diesem Sinne ist es vielleicht tatsächlich ein Stilwandel: Ich bin in meiner reifen Schaffensphase angekommen. (Grinst.)

(Der zerteilte Philosophiedozent Deines ersten Romanes war Konsequenz aus Deiner HiWi-Tätigkeit. Auch Du bist TV-Moderatorin wie Tessa Simon. Wieviel erlebte Realität ist in "Der Brut"?
Ich habe mit dem Roman im April 2002 begonnen. Da träumte ich noch nicht einmal davon, dass mich ein halbes Jahr später der SWR anrufen und mir eine Sendung ("Schümer & Dorn - Der Büchertalk") anbieten könnte. Aber ich war damals schon Gast in zahlreichen Talkshows gewesen, und da Genau-Hingucken mein Hobby ist, hatte ich eine ziemlich präzise Vorstellung davon, wie die Verrücktheiten in diesem Business aussehen. Natürlich hat meine eigenes Moderatorin-Sein die Arbeit an dem Roman dann noch einmal beeinflusst - wie schaffe ich es, so in eine Kamera zu lächeln, dass sich jeder Mann und jede Frau vor dem Bildschirm ganz persönlich angelächelt fühlt, was mache ich, wenn ein renitenter Gast keine Lust hat zu reden usw. usw. Aber: ich moderiere keine Live-Sendung mit unberechenbarem Publikum, die Bild-Zeitung diskutiert am nächsten Morgen nicht, ob mein Dekolleté zu groß oder zu klein war, die Quoten sind eher eine akademische Frage. Im Vergleich zu dem Haifischbecken, in dem Tessa paddeln muss, plansche ich im Goldfischteich.)

Unüblich für Literatur sind die vielen offenen Fragen, die der Roman hinterläßt. Einen Gutteil des Geschehens muß sich der Leser selber denken. Setzt Du den intelligenten Leser stets voraus?
Ist das wirklich unüblich? Ich dachte, offene Fragen wären immer ein Zeichen für gute Literatur ... (Im Ernst: Ich glaube nicht, dass der Leser sich zu viel selbst denken muss: Im letzten Drittel des Romans, dort, wo die Heldin den Höhepunkt ihres Lügentheaters inszeniert, erfährt der Leser nicht genau, was hier eigentlich passiert. In dieser Passage arbeite ich nur mit versteckten Hinweisen und Andeutungen - was eine absolut klassische Methode der Spannungserzeugung ist. Der besonders clevere Leser mag da vielleicht schon ahnen, was Tessa in Wahrheit treibt. Aber am Schluss hat die Geschichte eine absolut ordentliche, glasklare Auflösung!)

Du bist in vielen Medien / Genres Profi: Theater, Film, TV und Buch. Bevorzugst Du eines? Erscheinen demnächst vielleicht Gedichte?
Ich habe "Die Brut" mit einer solchen Lust geschrieben wie schon lange nichts mehr. Deshalb glaube ich, dass das Romane-Schreiben wieder verstärkt das Zentrum meiner Arbeit sein wird. Es gibt auch schon eine Idee zu einem neuen Buch. Diesmal wieder tief im Blut. Aber Gedichte? Lieber nicht ...



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